Ella - Die Stille nach dem St...

By sibelcaffrey

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"Du kannst versuchen es zu leugnen, dich zu widersetzen und mich von dir fern zu halten. Ich werde aber nicht... More

Prolog
1. In der Zeit gefangen
2. Der Herr des Hauses
3. Retterin in der Not
4. Die neue Krankenschwester
5. Tatsächlich Zigeunerin?
6. Schlaflose Nacht
7. Gebrochen - Teil 1
8. Gebrochen - Teil 2
9. Der leise Held
10. Der Ball
11. Nass im Regen
12. Der Brief an die Öffentlichkeit
13. Der Verehrer
14. Mi Casa Es Su Casa - Teil 1
15. Mi Casa Es Su Casa - Teil 2
17. Im Mondschein
18. Rendez-vous mit dem guten Freund
19. provokative Provokation
20. Nathan Kurt
21. Der Kampf - Teil 1
22. Der Kampf - Teil 2
23. Heimweh Teil 1
24. Heimweh Teil 2
25. Wie Du mir, so ich Dir
26. Neues kommt, Altes geht
27. Unerwartete Gäste
28. Du und ich
29. Alles findet seinen Platz
30. Wettlauf gegen die Zeit
31. Alles oder Nichts
32. Schicksal
33. Das Erwachen
34. Prinzipien, welche?
35. Die Zeit rückt näher
36. Liebe, der Zeit zum Trotz
37. Blick in die Zukunft (ENDE)
Epilog
FORTSETZUNG

16. Erschwerungen

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By sibelcaffrey

Ich stand im langen, dunklen Flur im Krankenhaus. Mir zitterten leicht die Knie, während ich unaufhörlich die Tür anstarrte, hinter der Mr Todzy lag.

Am Morgen hatte ich furchtbare Kopfschmerzen gehabt und konnte nicht sofort aus dem Bett. Mathilda hatte sich natürlich schreckliche Sorgen gemacht und wollte mich erst nicht zur Arbeit gehen lassen. Aber ein starker Kaffee und genug Wasser, hatten mir gut getan und mir geholfen, meinen Kater so gut es ging zu überwinden. Dennoch hatte ich Schwierigkeiten mich an die meisten Sachen vom vergangenen Abend zu erinnern. Ich wusste noch, dass Mr Kurt da war und mir geholfen hatte. Ich wusste noch, wie wir aus der Kneipe nach Hause kamen. Aber an unsere genaue Unterhaltung und was wir getan hatten, als wir zu Hause waren, konnte ich mich nicht erinnern. Ich hatte auch nicht die Gelegenheit ihn zu fragen, da Mathilda mich nicht in seine Nähe ließ. Eigentlich hätte ich mir den Tag auch frei nehmen und mich ausruhen können, aber ich konnte zu Hause einfach nicht still sitzen. Einige Stunden verspätet, ging ich zur Arbeit ins Krankenhaus.

Dort hatte ich von Großschwester Helene erfahren, dass der Patient die Operation am vergangenen Tag überlebt hatte. Doktor Thomas und Richard konnten ihn retten, jedoch hatte er eine Menge Blut verloren und würde es wahrscheinlich nicht lange überleben. Ich hatte es zunächst gemieden nach Mr Todzy zu sehen, jedoch plagte mich mein Gewissen. Ich hielt es nicht länger aus und versuchte mich zu überwinden, aber verspürte eine stetige Unbehaglichkeit. Wie sollte ich ihm oder seiner Familie in die Augen schauen?

„Willst du nicht reingehen?"

Ich schrak auf und drehte mich zu Juli um. Die junge Krankenschwester hatte den Kopf zur Seite geneigt und lächelte mich aufmunternd an.

Ich atmete tief durch und nickte, ehe ich mich zur Tür wandte und mich zwang die Türklinke zu fassen. Mit all meiner Willenskraft drückte ich die Tür auf und trat ein, dicht gefolgt von Juli.

Mr Todzy lag schlafend in einem Bett aus weißen Laken. Neben ihm saß ein großer, kräftiger Junge auf einem Stuhl und sah auf, als wir eintraten. Seine dunklen Haare und die Gesichtszüge erinnerten mich an Mr Todzy. Er musste sein Sohn sein. Der besagte stand höflich auf und nickte zur Begrüßung.

„Wir wollten nach deinem Vater sehen.", erklärte Juli an meiner Stelle, als ich kein Wort herausbekam.

Der Sohn nickte. „Er ist noch nicht zu sich gekommen."

Ich schluckte schwer.

„Wo ist deine Mutter?", versuchte ich beklommen das Thema wechseln.

„Sie sieht gerade nach meinen Geschwistern zu Hause und will sie herholen für den Fall, dass er es nicht schafft..." Die letzten Worte waren nur noch ein Flüstern. Mir gefror das Blut in den Adern.

„Sag so etwas nicht.", bat Juli, „Wir dürfen die Hoffnung nicht verlieren."

Betrübt nickte der Sohn und ließ sich wieder auf den Stuhl sinken. „Sie haben Recht. Die Ärzte meinen zwar, dass mein Vater das schlimmste überstanden hätte, aber habe ich das Gefühl, sie verschweigen etwas vor uns."

Ich spürte wie mir sämtliche Wärme aus den Gliedmaßen wich.

„Wie kommst du denn darauf?", fragte Juli überrascht.

Dieser zuckte die Achseln. „Meine Mutter meinte, es sei komisch, dass wir die Operation nicht bezahlen müssten."

„Nicht?", fragte ich verwirrt.

„Mr Kurt hat die Kosten für die Operation übernommen.", erklärte Juli leise neben mir.

Ich sah gedankenverloren auf den blassen Patienten hinab. Ich konnte nicht ganz verarbeiten, was sie gesagt hatten. Mr Kurt hatte Anweisungen gemacht kein Geld zu verlangen? Mr Geizhals Kurt?

„Denken Sie, mein Vater wird es überleben?", fuhr der Junge fort.

„Das kann man unmöglich sagen. Er wird Ruhe brauchen. Die Menge an Blut, die er verloren hat, wird ihn geschwächt haben."

„Wir können ihm doch das Blut zuführen.", kam ich dazwischen und sah von Juli zum Sohn und zurück.

„Wie meinen Sie das?", fragte er.

Ich dachte einen Moment nach. Es gab noch keine Blutbanken in den Krankenhäusern. Die Menschen hatten wahrscheinlich noch nichts über Blutgruppen gehört, aber es gab eine Möglichkeit die Heilung zu vergewissern und sogar zu beschleunigen. Der Sohn musste mit höherer Wahrscheinlichkeit dieselbe Blutgruppe haben wie sein Vater. „Wie alt bist du denn?"

„16."

Ich biss mir auf die Lippe. Minderjährige waren im Grunde nicht erlaubt Blut zu spenden. Aber er sah aus wie ein kräftiger Junge und im Moment schien es keinen anderen Weg für seinen Vater zu geben.

„Hast du heute schon etwas gegessen?"

„Ja, vor einer halben Stunde."

„Würdest du mir helfen, damit dein Vater überlebt?"

Er sah mich mit einem Schlag erwartungsvoll an und stand langsam von seinem Stuhl auf. „Natürlich."

„Worauf willst du hinaus, Ella?", fragte Juli verwirrt.

„Wir könnten ihm das Blut seines Sohnes verabreichen. Das würde ihm helfen.", erklärte ich kurz gebunden.

Juli sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren. Der junge Mann aber sah mich ernst an und schien meine Wort zu bedenken.

„Das ist sehr unchristlich!", platzte Juli raus „Es ist eine Sünde das Blut eines anderen zu nehmen!"
Ich hob überrascht eine Augenbraue. „Ist es das?

Juli sah mich fassungslos an. „Sehr wohl! Sowas macht man nicht."

Mir war bereits öfters aufgefallen, dass die Menschen in diesem Jahrhundert ausnahmslos streng religiös und gläubig waren. Es war nicht zu vergleichen mit dem, was ich aus dem 21. Jahrhundert kannte.

Jedoch ging es hier um ein Menschenleben - und wegen einer einfachen Bluttransfusion wollte ich mich nicht aufhalten lassen. Ich war Schuld an dieser ganzen misslichen Lage. Nun bot sich mir eine Möglichkeit es wieder gut zu machen.

„Denkst du nicht auch, dass es nichts menschlicheres gibt als ein Leben zu retten? Einem anderen Menschen zu helfen, solange es in unserer Macht steht, ist doch ein Gebot."

„Nun...", machte der junge Mann und kam einen entschlossenen Schritt auf mich zu, „Da haben Sie recht."

Ich sah ihn zuversichtlich an.

„Nein!", kam Juli dazwischen, „Wenn jemand das erfährt, wird man uns hier rausschmeißen! Wir werden unsere Arbeit los, Ella! Tu das nicht!"

„Solange es unter uns bleibt, wird es keiner erfahren.", widersprach ich ruhig.

Der Sohn schien guten Mutes zu sein. „Wie machen wir es?", fragte er knapp, ohne etwas zu hinterfragen.

„Hört ihr mir überhaupt zu?", fragte Julie fassungslos und hob ringend die Hände.

„Wenn du willst, warte draußen und sorg dafür, dass niemand reinkommt und uns unterbricht.", bot ich ihr an.

Sie sah mich mit großen Augen an. „Ist das dein Ernst?"

„Besorg mir eine Spritze, Alkohol und zwei Schläuche.", waren meine letzten Worte.

*~*~*~*~*~*~*

„Es wird leicht weh tun.", erklärte ich und drückte die Spritze in den Arm des jungen Mannes. Dieser zog leicht die Luft ein, aber versuchte sich nichts weiter anmerken zu lassen. Die Liebe zu seinem Vater war bewegend. Obwohl es gesellschaftlich nicht anerkannt war, was wir taten und uns vermutlich den Kopf kosten könnte, hatte er zu keinem Zeitpunkt gezögert oder es sich anders überlegt.

„Halte die Spitze nun fest. Ich werde an dieser Spritze hier ziehen. Dein Blut wieder aufgezogen. Wenn ich drücke, fließt dein Blut über diesen zweiten Schlauch zu deinem Vater.", erklärte ich und zeigte auf die Spitze, die in dem Arm seines Vaters steckte, „Das machen wir einige Male, aber sobald dir schwindelig werden sollte oder du dich nicht wohl fühlst, sagst du bescheid, ja?"

Er nickte, woraufhin ich, wie erklärt, mit der Transfusion begann.

Es gab die indirekte und direkte Bluttransfusion. Da ich allerdings bei einer indirekten Transfusion befürchtete, dass es zu einer Infektion durch einen beispielsweise unsaubren Behälter kommen konnte - da die Hygiene in diesem Jahrhundert nunmal nicht die Beste war - , wählte ich den direkten Weg zwischen den beiden Männern.

Ich musste zugeben, es war aufregend etwas illegales zu tun, obwohl es das richtige war. Was würden wohl Doktor Thomas und Richard denken, wenn sie sahen, dass der Patient auf unerklärlicherweise den großen Blutverlust überlebt hatte?

Die Zimmertür wurde einen Spalt geöffnet und Juli spähte aus dem Flur hinein. „Ella!", zischte sie leise.

„Wir sind bald fertig.", versicherte ich ihr das fünfte Mal.

„Besser wäre es.", sagte sie panisch, „Hier war eben ein Offizier, der nach dir gefragt hat."

Ich hielt mitten in der Bewegung inne und sah abrupt auf. „Ein Offizier?" Eine kalte Faust umschloss mein Herz, als das Bild von einem bestimmten Lieutenanten vor meinem geistigen Auge aufblitzte.

Sie nickte. „Er kam gerade hier vorbei und hat dich gesucht. Ich halte das nicht länger aus, Ella. Man wird uns erwischen. Sie wissen sicher schon bescheid!"

Es gab nur einen Offizier, der ein Problem mit mir hatte und mich suchen würde. Was wollte er aber? Ich dachte, das schlimmste hätte ich überstanden. Warum ließ er mich nicht in Frieden? Wie es schien, würde ich es leider nur erfahren, wenn ich mich ihm gegenüberstellte. Ich würde mich jedoch nicht mehr einschüchtern lassen.

„Komm her.", bat ich und ignorierte ihren panischen Anfall.

Sie öffnete die Tür etwas weiter und sah mich ängstlich mit großen Augen an.

„Du musst hier weiter machen, während ich gucke, was der Offizier von mir möchte.", erklärte ich und hob die Spritze in meinen Händen.

Sie schüttelte heftig den Kopf. „Ich kann das nicht!"

„Du musst, Juli!", stieß ich hervor, „Wir machen hier nichts falsches. Wir retten diesem Mann das Leben. Du schaffst das." Ich sah sie voller Zuversicht an und hob bittend die Augenbrauen.

Da ich wusste, wie schnell sie zu beeinflussen war, wunderte es mich weniger, als sie zögerlich einen Schritt in den Raum trat. Sie schloss die Tür hinter sich und kam auf mich zu. Ich drückte ihr die Spritze in die Hände und erklärte ihr knapp, was sie zu tun hatte, ehe ich mich zur Tür wandte.

„Ich bin gleich zurück."

„Bitte beeil dich.", stöhnte sie unruhig und hielt die Spritze nur mit spitzen Fingern fest.

Ich nickte und trat aus dem Zimmer. Die Suche nach dem Offizier erwies sich als leichter als gedacht. Denn im Flur ging ich keine drei Schritte weit, ehe ich von einer eisigen Hand zurückgehalten wurde. Ich drehte mich überrascht um - aber blickte weniger überrascht zu Lieutenant Leonor empor. In seinen blauen Augen funkelte die Gehässigkeit und Schadenfreude. Er lächelte scheinbar freundlich. Ruhig wartete er, bis zwei Gäste an uns vorbei gegangen und aus Hörweite waren, bevor er zu sprechen begann. „Die Montur steht dir sehr gut, meine Schöne."

Ich biss die Zähne zusammen und stieß ihn mit all meiner Kraft angewidert von mir.
 „Weshalb sind Sie hier?", zischte ich wütend.

Er verschränkte lächelnd die Arme vor der Brust. „Ich wollte, dass du weißt, dass deine letzten Stunden geschlagen sind. Vielleicht willst du die Gelegenheit nutzen und dich aus dem Staub machen, bevor ich all meine Männer auf dich hetze."

„Wo von sprechen Sie?"

„Morgen Abend werde ich mit Mr Kurt die letzten Aufträge unterzeichnen. Dann bin ich einer der einflussreichsten Männer dieser Stadt und kein Lieutenant mehr. Ich habe sehr lange auf diesen Moment gewartet."

Morgen Abend war es soweit? Mr Kurt hatte ihn glauben lassen, dass er alles bekommen würde, was er wollte. Er hatte keine Ahnung, was auf ihn zukam. Daher ließen mich seine Worte kalt. Früher oder später bekam ich meine Rache; Und wie es schien war es früher, als gedacht. Es war nur ernüchternd, dass Mr Kurt mir nichts erzählt hatte. Ich hätte gern geholfen, diesem Widerling das Handwerk zu legen.

Er sprach weiter und riss mich aus meinen Gedanken.

„Ich werde sorgen, dass man dich in die dreckigste und dunkelste Zelle steckt. Vorher nehme ich mir aber, was mir zusteht.", sagte er, während sein Blick an mir hinab glitt. Ich wusste sofort, was er meinte. Ich wich mehrere Schritte zurück, um so viel Platz wie möglich zwischen uns zu bringen.

„Ihnen steht ein Scheiß zu.", zischte ich.

„Na, na, na. Das ist aber keine sehr damenhafte Ausdrucksweise.", tadelte er und lächelte zufrieden.

„Wenn das alles ist, was Sie zu sagen haben, würde ich gerne zurück an meine Arbeit gehen.", knurrte ich und versuchte mich nicht weiter provozieren zu lassen. Das musste ich mir nicht bieten. Ich wandte mich zum Gehen. Vermutlich würde Juli den jungen Mann das ganze Blut absaugen, wenn ich nicht schnell zurückkehren würde.

„Behalte einfach im Hinterkopf, dass ich dich im Auge habe.", warnte er mich im kühlen Ton.

Ich blieb zögernd stehen, aber drehte mich nicht nochmal zu ihm um. Innerlich schüttelte ich den Kopf. Ich brauchte mir keine Sorgen machen. Mr Kurt würde sich drum kümmern.

Ich ging den Flur entlang und um die Ecke, um somit aus seiner Sicht zu verschwinden. Absichtlich machte ich eine Runde um das ganze Krankenhaus, um Lieutenant Leonor vom Zimmer fernzuhalten, in dem just in dem Moment illegale Dinge vonstatten gingen. Wenn er etwas von der Bluttransfusion mitbekäme, hätte ich ganz andere Sorgen.

Nachdem ich mir sicher war, dass der Offizier mir nicht gefolgt war, kehrte ich zum Zimmer zurück.

Juli schrak auf und versteckte die Spritze hinter ihrem Rücken, als ich eintrat.

„Keine Sorge, ich bin's." Ich schloss die Tür hinter mir und nahm ihr die Spritze ab. „Das müsste reichen, sonst haben wir hier gleich zwei Patienten." Ich entfernte die Spitze aus dem Arm des Patienten und seines Sohnes. „Wie fühlst du dich?"

„Etwas geschwächt.", antwortete dieser und lehnte sich im Stuhl zurück.

„Das wird schon wieder.", versicherte ich ihm lächelnd, „Du brauchst nur etwas Ruhe. Es wird dir und deinem Vater wieder gut gehen."

Ein Lächeln bildete sich auf seinen Lippen. „Danke, Schwester."

*~*~*~*~*~*~*~*

Als wir aus dem Zimmer gingen, war uns die Mutter mit den anderen beiden jüngeren Kindern gekommen und hatte sich bei uns erkundigt, ob es ihrem Mann besser ginge. Ich versicherte ihr, dass es ihm viel besser ginge und er sicher bald zu sich kommen würde. Sie hatte im ganzen Gesicht gestrahlt und war im Zimmer verschwunden.

Mit Juli sorgten wir anschließend dafür, dass die Utensilien, die wir benutzt hatten, unbemerkt gesäubert und zurück an ihre Platze gestellt wurden. Dann gingen wir wieder an die Arbeit, als wäre nie etwas passiert - Dabei wünschte ich, wir hätten mit der Transfusion einen Meilenstein in der Medizin gesetzt. Aber stattdessen durfte es keiner wissen. Denn wer waren wir schon, dass wir ein solchen Verfahren ohne Erlaubnis anwendeten? Einfache Krankenschwester. Mehr nicht. 
Es frustrierte mich, aber fürs Erste musste ich mich damit zufrieden geben.

Einige Stunden später kam Schmidt, um mich abzuholen. Ich zog mich um und folgte ihm aus dem Krankenhaus. Auf dem Heimweg versuchte ich ihm etwas über das morgige Treffen mit dem Offizier zu entlocken, aber der Sekretär war wie ein verschlossenes Buch. Er ließ sich nichts anmerken und tat wie ahnungslos. Ich konnte verstehen, weshalb Mr Kurt ihn als seine Vertrauensperson beauftragt hatte. Schmidt nahm die Anweisungen immer ernst. Wenn er nicht drüber sprechen durfte, tat er es nicht. So einfach.

Wenn dem so war, musste ich wohl oder übel Mr Kurt fragen. Ich war schrecklich neugierig, wie sie es anstellen wollten. Am liebsten würde ich dabei sein, wenn die Welt des Offiziers auseinander brach.

Vor dem Tor des Anwesens ließ ich Schmidt zurück und ging ins Haus.

„Du hast einen Brief bekommen, Ella.", sagte Marie, sobald ich in die Küche eintrat. Überrascht hob ich die Augenbrauen und sah ihr zu, wie sie aufstand und ihn mir reichte. Ich nahm ihn entgegen und runzelte die Stirn. „Warum ist der Umschlag schon geöffnet?"

Ich nahm den Zettel aus dem Umschlag und überflog ihn flüchtig. Er war wieder von Mr Bennett, was mich nicht sonderlich überraschte, denn sonst niemand würde mir einen Brief schreiben. Er erinnerte mich an das Treffen am Mittwoch und bat mich unbedingt zu kommen, er hätte wichtiges mit mir zu besprechen.

Marie trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. „Mr Kurt wollte ihn."

„Er hat ihn gelesen?", fragte ich fassungslos und hatte die Augenbrauen gehoben.

Marie zuckte die Achseln. „Er gab den Brief jedenfalls offen zurück."

Wut entfachte sich in mir. Ich konnte nicht fassen, dass Mr Kurt das tun würde. Das war Eingreifen in die Privatsphäre! „Ist er zu Hause?", fragte ich zähneknirschend.

Marie schien leicht eingeschüchtert von meinem bissigen Ton. „Im Wohnzimmer-."

Noch ehe sie ausgesprochen hatte, machte ich auf dem Absatz kehrt. Mit schnellen Schritten trat ich aus der Küche und stürmte geradewegs ins Wohnzimmer ohne zu klopfen oder zu warten. Mr Kurt saß auf seinem Sessel am Kamin und las ein Buch. Auf der Nase trug er seine Lesebrille, über dessen Rand er mit einem eiskalten Blick zu mir aufsah. Der Muskel an seinem Kiefer zuckte und zeigte nur zu deutlich, wie sehr er mein unaufgefordertes Reinplatzen missbilligte.

Ich hob erbost den Brief in der Hand hoch. „Sie haben nicht das Recht meine Briefe zu lesen!"

Ganz ruhig klappte er sein Buch zu. „Ich kann mich nicht erinnern dich gerufen zu haben."

„Wechseln Sie nicht das Thema!"

Er hob eine Augenbraue. „Ich bin dein Hausherr. Ich muss mich dir gegenüber nicht rechtfertigen."

„Und ob Sie das müssen! Sie können nicht einfach Briefe anderer Menschen lesen."

„Solange du unter meinem Dach wohnst, kann ich das.", erwiderte er trocken und nahm die Brille von der Nase. Unberührt sah er zu mir auf, während ich versuchte meine Fassung zu bewahren.

Langsam stand er auf und baute sich wie eine Mauer vor mir auf. „Wieso stört es dich so sehr, dass ich deinen banalen Brief gelesen habe?"

„Es geht mir ums Prinzip! Das macht man nicht."

„Anders hätte ich aber nicht erfahren, dass du mit Mr Bennett korrespondierst.", sagte er, als wäre es völlig verständlich. „Seit wann wechselt ihr Briefe aus?" Sein Ton hatte sich geändert. Er war nicht mehr so ruhig, wie er sich vorgab.

„Das geht Sie nichts an.", antwortete ich verbissen.

„Also leugnest du es nicht."

„Wie gesagt; das geht Sie nichts an. Sie sind nicht mein Vater. Ich bin nur für vorübergehend hier."

Ein Schatten huschte über sein Gesicht. „Aber solange du noch hier wohnst, habe ich das Sagen. Und du hast zu gehorchen."

„Bitte was?"

Er legte die Hände in die Hosentasche und sah kühl zu mir hinab. „Ich erlaube dir nicht zu dem idiotischen Treffen zu gehen. Punkt."

„Das können Sie nicht bestimmen.", sagte ich, wobei ich mir selbst nicht ganz glaubte.

„Und ob ich das kann.", knurrte er. „Das ist das Ende der Diskussion, Fräulein."

„Ganz sicher nicht!", widersprach ich, „Ich kam noch nicht dazu zu sagen, was ich denke."

„Das ist auch gut so, denn je mehr du sagst, desto mehr Probleme bereitest du dir selbst.", knurrte er.

Ich stampfte mit dem Fuß auf den Boden wie ein Kind und fühlte mich genauso hilfslos wie eins. „Nur aus Trotz werde ich zu dem Treffen mit Mr Bennett gehen! Und ich werde Spaß haben!"

Ein Knurren entwich ihm tief aus der Kehle. „Das wirst du nicht tun."

„Sie können mich nicht aufhalten." Ich hob selbstbewusst das Kinn.

„Du kannst doch nicht wirklich Gefühle für diesen... Gentleman hegen.", knurrte er, „Das ist absurd. Du kennst ihn doch gar nicht."

Ich zeigte ihm die kalte Schulter. „Eigentlich ist er ganz süß."

Süß?" Er stieß das Wort wie eine Beleidigung aus.

„Und viel netter als Sie, das steht fest", fügte ich hinzu.

„Ella, mach mich nicht wütend.", stieß er hervor, „Das reicht. Du wirst nicht gehen. Ich erlaube dir keine Beziehung zu Bennett."

„Wir werden ja sehen-!"


Er kam einen Schritt auf mich zu und packte mich am Arm. Ich verstummte mitten im Satz und zog scharf die Luft ein, als er mich abrupt zu sich riss. Seine dunklen Augen brannten sich in meine und hinterließen eine tiefe Spur. Sein markerschütternder Blick sprach Bände, aber auf einer Sprache, die ich nur schwer verstand. Ich wünschte, ich könnte leichter verstehen, was in seinem Kopf vor sich ging. Ich hielt den Atem an und war nicht fähig mich zu bewegen, während sein Atem meine Wange streifte. Selbst das Denken fiel mir schwer.

„Er wird dich nur in seinen Träumen sehen" knurrte er leise und festigte den Griff um meinen Arm, „und selbst da, erlaube ich es ihm nicht. Er kann sich in einem anderen Haus nach einer Frau umsehen - hier gibt es keine für ihn. Ich will dich nicht in seiner Nähe sehen, verstanden?"

Wieso widersprach ich nicht? Wo war meine Wut hin? Wieso fühlten sich meine Wangen so warm an und wieso klopfte mein Herz wie wild? Wieso fiel mein Blick ständig auf seine Lippen?

„Ob du mich verstanden hast?" Er zog mich näher zu sich, woraufhin sich unsere Nasen fast berührten.

„Wieso ist das so ein Problem für Sie?", flüsterte ich.

Er schien überrascht über diese plötzliche Frage und antwortete nicht sofort. In seinen Augen wütete ein Sturm, während er mich ansah, als wäre ich das größte Rätsel, das er je gesehen hatte. Ich wartete geduldig und ... ein kleines bisschen hoffnungsvoll.

„Ich denke, wir hatten bereits genügend Probleme mit dir und Männern.", antwortete er schließlich, „Ich will mich nicht ständig um solch banale Dinge kümmern müssen."

Ich ließ die Schultern sinken. Was hatte ich für eine Antwort erwartet? „Wenn Sie mich Mr Bennett geben, haben Sie keine Probleme mehr, um die Sie sich kümmern müssten." Ich riss mich aus seinem eisigen Griff und erwiderte seinen wütenden Blick. 

Sein Kiefer war zum Zerreißen angespannt. „Das hättest du wohl so gerne.", knurrte er wütend, "Das werde ich nicht tun."

"Sie würden mich nicht gehen lassen?"

"Nein.", stieß er knapp hervor. Sein scharfer Ton ließ keine Widerworte zu. 

„Wieso nicht?"

In seinen Augen blitzte etwas auf. Aber so schnell, wie es gekommen war, war es auch wieder weg. Ich schluckte schwer bei seinem intensivem Blick. „Du würdest den jungen Mann nur traumatiseren. Er ist sensibel und könnte dein vorlautes Mundwerk nicht ertragen. Es ist nur eine Vorsichtsmaßnahme."

Ich versuchte das entfachte Gefühl von Enttäuschung in meiner Brust zu ignorieren. Seine Worte passten einfach nicht zu seinem Blick und seiner Wut. „Sie lügen."

Er stieß langsam die Luft aus. „Du spielst mit dem Feuer, Ella.", warnte er mich mit rauer Stimme. Er wusste nicht, dass ich bereits brannte unter seinem Blick. Es war unmöglich gleichgültig zu bleiben, wenn er zur selben Zeit so wütend und so ausgehungert gucken konnte. Es ließ mich erschaudern und Dinge fühlen, die mir unbekannt waren. Wir standen uns noch nah genug, um uns berühren zu können. Aber bekamen wir nicht die Gelegenheit, als es an der Tür klopfte.

Keiner von uns wich aus oder nahm den Blick von dem jeweils anderen. 

Ich wollte, aber konnte nicht.

„Herein.", rief Mr Kurt ohne sich abzuwenden. Die Tür wurde geöffnet.

„Mr Kurt.", erklang Maries Stimme, „Ein Herr aus der Agentur wünscht Sie zu sehen. Er meint, Sie würden ihn erwarten."

Mr Kurt nickte langsam und riss letztendlich seine Augen von mir, so dass ich wieder frei atmen konnte. „Schick ihn rein.", wies Mr Kurt sie an, woraufhin sie mit einem Nicken verschwand.

Nach einer kurzen Stille drehte er sich wieder zu mir. Ich stand wie angewurzelt da und sah zu ihm auf.

„Du darfst gehen.", sagte er wieder ganz kühl. Die plötzliche Änderung seines Gemüts half mir meine Fassung wieder zu gewinnen. Ich erinnerte mich, warum ich in erster Linie sauer auf ihn war und ich erinnerte mich, dass ich mich nicht immer so leicht mitreißen lassen durfte von den plötzlichen Gefühlen, die mich immer übermannten, wenn er mir zu nahe kam. 

Ich drehte mich zur Tür und wollte nur noch hier weg. Er durfte nicht sehen, wie mir die Röte ins Gesicht gestiegen war.

„Vergiss nicht, was ich gesagt habe.", warnte er hinter mir.

„Natürlich nicht, Sir.", erwiderte ich verbissen und knickste am Türrahmen mit gesenktem Kopf, ehe ich mit eiligen Schritten das Zimmer verließ.




*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

*schreibt wie wild und inhaliert das fünfte Glas Kaffee*

Es tut mir schrecklich leid, dass das Kapitel so spät kommt. Mein Laptop war abgestürzt, ohne dass ich speichern konnte, und dann war einfach das ganze Kapitel weg. Ich musste alles nochmal von vorne schreiben, aber konnte mich nicht mehr ganz an die Kleinigkeiten erinnern. Ich musste mich jetzt beeilen, damit du noch etwas zu lesen bekommst für diese Woche. Deshalb kann es sein, dass es nicht so flüssig zu lesen ist.

Ich hoffe auf dein Verständnis :(

Dieses Kapitel diente ohnehin nur zur Überleitung für die eigentliche Bombe; Das nächste Kapitel wird eine Meeeeeenge Mr Kurt und Ella beinhalten. Ich denke, ich habe damit lange genug gewartet *zwinker* 

Deine Miss Caffrey <3

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