Ella - Die Stille nach dem St...

By sibelcaffrey

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"Du kannst versuchen es zu leugnen, dich zu widersetzen und mich von dir fern zu halten. Ich werde aber nicht... More

Prolog
1. In der Zeit gefangen
2. Der Herr des Hauses
3. Retterin in der Not
4. Die neue Krankenschwester
5. Tatsächlich Zigeunerin?
6. Schlaflose Nacht
7. Gebrochen - Teil 1
8. Gebrochen - Teil 2
9. Der leise Held
10. Der Ball
12. Der Brief an die Öffentlichkeit
13. Der Verehrer
14. Mi Casa Es Su Casa - Teil 1
15. Mi Casa Es Su Casa - Teil 2
16. Erschwerungen
17. Im Mondschein
18. Rendez-vous mit dem guten Freund
19. provokative Provokation
20. Nathan Kurt
21. Der Kampf - Teil 1
22. Der Kampf - Teil 2
23. Heimweh Teil 1
24. Heimweh Teil 2
25. Wie Du mir, so ich Dir
26. Neues kommt, Altes geht
27. Unerwartete Gäste
28. Du und ich
29. Alles findet seinen Platz
30. Wettlauf gegen die Zeit
31. Alles oder Nichts
32. Schicksal
33. Das Erwachen
34. Prinzipien, welche?
35. Die Zeit rückt näher
36. Liebe, der Zeit zum Trotz
37. Blick in die Zukunft (ENDE)
Epilog
FORTSETZUNG

11. Nass im Regen

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By sibelcaffrey

Ich sah auf und blickte in die grünen Augen von Rosalie.

Ihr Wangen waren vom vielen Tanzen ganz gerötet und das goldene Licht im Saal schmeichelte ihrem hellen Teint. Ihre Augen jedoch funkelten zornig. Sie hatte die Lippen zusammengepresst, als würde sie versuchen sich davon abzuhalten etwas nicht sehr damenhaftes zu sagen.

Ich sah sie verwirrt an. Sie schien nicht sehr verblüfft über unseren Aufprall. Sie sah mir direkt in die Augen, als versuche sie mich mental zu erwürgen.

Aber da sie nichts sagte, sah ich keinen Grund länger Zeit zu verschwenden. Ich musste auf der Stelle von hier verschwinden. Ich ging entschlossen an ihr vorbei, nur um plötzlich am Arm gepackt zu werden. Überrascht drehte ich mich zu ihr um.

"Was ist?", fragte ich ungeduldig und hob eine Augenbraue.

Ohne Vorwarnung zog sie mich mit sich durch die Menge.

„Ich habe mich doch entschuldigt!", zischte ich.

Ihr Griff war unglaublich fest für eine so zierliche Person. Sie drängte mich in eine ruhige Ecke hinter einer prachtvoll großen Säule, so dass wir von dem Rest des Saals getrennt waren.

Ich sah sie fragend an, während sie um ihre Fassung zu ringen schien.

Was war los?

„Wieso hat Mr Kurt mit dir getanzt?", platzte sie plötzlich heraus.

Natürlich.

Ich seufzte.

Dass sie uns gesehen hatte, hätte ich mir denken können.

Was hätte ihr denn sonst auch auf der Seele liegen können? Sie hatte immerhin keine anderen Probleme im Leben.

„Rosalie, ich bin grad wirklich nicht in der Stimmung.", sagte ich wahrheitsgetreu. Ich hatte Angst von Lieutenant Leonor entdeckt zu werden. Je länger ich hierblieb, desto wahrscheinlicher wäre das der Fall. Als ich jedoch Anstalten machte an ihr vorbei zu gehen, hielt sie mich harsch zurück.

„Wieso weichst du aus?", fauchte sie.

„Weil ich nichts dazu zu sagen habe."

Sie ignorierte meine Worte. „Was hast du ihm gesagt, damit er mit dir tanzt?"

„Nichts.", zischte ich genervt.

Sie krallte ihre Fingernägel in mein Fleisch. Ich biss die Zähne zusammen bei dem Schmerz, der meinen Körper durchzuckte.

„Er würde niemals tanzen - und ganz sicher nicht mit einem so...", sie sah an mir herab, „geschmackslosen und miserablen Mädchen wie dich."

Ich versuchte es mir nicht anmerken zu lassen, aber ich musste zugeben, dass mich ihre Worte verletzten. Denn egal, wie stolz und selbstbewusst man sein konnte, niemand hörte gerne erniedrigende Worte.

„Er hat es aber getan", erwiderte ich verbissen, „und ich habe ihn sicher nicht drum gebeten."

Sie ließ mich abrupt los und sah mit einem Mal enttäuscht aus. „Ich verstehe das nicht.", flüsterte sie völlig fassungslos, „Ich habe mir solche Mühe gegeben. Er hätte mich bemerken müssen.", dann lauter, „Ich sehe in diesem Kleid umwerfend aus!"

Die Leute in unserer unmittelbaren Nähe drehten sich verwirrt zu uns um, aber wandten sich auch schnell wieder ab und schenkten uns keine weitere Beachtung.

„Vielleicht solltest du versuchen dich ihm vor die Füße zu werfen. Das würde helfen.", erwiderte ich trocken.

Rosalie trat mit einem giftigen Blick in den Augen näher an mich heran, aber ich wich nicht zurück. Sie hob drohend den Zeigefinger. „Mach du dich nur lustig.", zischte sie, „Aber sobald Mr Leonor dich findet, wird dir das Scherzen noch vergehen."

Ich erstarrte bei dem Namen. „Was meinst du?"

„Ich habe den Lieutenant zufällig getroffen, während du dich mit unserem Hausherrn begnügt hast." Sie lächelte völlig schadenfroh.

Ich beachtete ihre Provokation gar nicht. All meine Sinne waren in Alarmbereitschaft. „Was hast du ihm gesagt?", fraget ich atemlos.

Sie verschränkte defensiv die Arme vor der Brust. „Er weiß, dass du hier bist."

Ich sah sie fassungslos an. „Wieso hast du das getan? Du hast ihm doch selbst eine Waffe an den Kopf gehalten! Und jetzt seid ihr plötzlich gute Freunde, oder was?!"

„Du solltest lernen, mit wem du es zu tun hast, Ella.", zischte sie.

Ganz offensichtlich mit einer Psychopathin! Mir fehlten schlicht und ergreifend die Worte. Ihre Eifersucht war krankhaft!

„Ich kann nicht fassen, was du getan hast!"

„Tja und ich kann nicht fassen, was du getan hast!", erwiderte sie verbittert.

„Das kannst du doch nicht vergleichen, verdammt!"

Ich zweifelte ehrlich an ihrer geistigen Gesundheit. Ich hoffte jedenfalls, dass Irrenhäuser bereits erfunden wurden, denn sie gehörte auf jeden Fall in eins!

„Der Feind meines Feindes ist mein Freund.", sagte sie kühl, „Ich würde alles für Mr Kurt tun."

Ich schüttelte nur enttäuscht den Kopf. „Vielleicht solltest du damit anfangen, dir ein Rückgrat wachsen zu lassen, Mädchen."

Als sie wütend einen Schritt auf mich zukam, erkannte ich die Tränen, die ihr in den Augen glitzerten. „Du wirst niemals verstehen können, was ich für Mr Kurt empfinde. Er ist für mich nicht nur ein Hausherr!"

Wassss du nicht sagst.

„Er ist meine Rettung gewesen. Mein Anker." Sie schluckte schwer. „Ich war verloren und hatte nichts, überhaupt nichts! Ich war ein niemand und trotzdem hat er mich aufgenommen! Denk nicht, dass du was Besonderes bist, weil er dich im Haus wohnen lässt! Ich war schon vor dir hier! Und ich werde noch hier sein, wenn du wieder in das Loch zurückkehrst, aus dem du gekrochen bist! Denk nicht, nur weil er dir heute Abend ein kleines bisschen Aufmerksamkeit geschenkt hat, wird es auch so bleiben! Er ist kein einfacher Mensch. Man braucht Geduld, die du nicht hast! Ich aber kann warten - und er wird es eines Tages zu schätzen wissen."

Eine Träne lief ihr die Wange hinab.

„Es war Schicksal, das ich hier gelandet bin. Mein Schicksal. Nicht deins. Du hast hier nichts verloren!" Mit diesen Worten machte sie auf dem Absatz kehrt und stürmte durch die Menge. Sie stieß Gäste harsch von sich und lief in Richtung Ausgang.

Ich stand einen Moment wie angewurzelt da und wusste nicht recht, was ich tun sollte. Wäre es besser gewesen, wenn ich ihr hinterherlief? Immerhin war ihr zuzutrauen, dass sie sich selbst etwas antat. Entgegen meiner Abneigung tat sie mir leid. Ihre besessene Art zu lieben, schadete nur ihr selbst. Aber andererseits liebte sie Mr Kurt genauso sehr wie sich selbst, daher war es eher unwahrscheinlich, dass sie sich selbst verletzen würde.

Ich stöhnte erschöpft auf. Mir wurden Rosalies Eifersuchtsanfälle langsam zu viel.

Ich wollte nur noch von diesem Ball weg und mich in mein Bett verkriechen.

Vorsichtig spähte ich an der Säule vorbei, um zwischen den Gästen den Lieutenant ausfindig zu machen. Ich konnte ihn jedoch nicht sehen. Die meisten Offiziere waren in Unterhaltungen vertieft und mit Trinken und Lachen beschäftigt.

Ich atmete tief durch und straffte die Schultern, ehe ich aus meinem kleinen Versteck hervortrat. Ich sah mich gar nicht erst um und bahnte mir einen direkten Weg durch die Menge in Richtung Tür. Ich brauchte es nur bis zur Kutsche schaffen. Das war kein langer Weg.

Zugegebenermaßen dachte ich, ich hätte das Schlimmste am Abend hinter mir gehabt. Leider lag ich völlig falsch. Es konnte durchaus noch viel schlimmer werden.

Ich hatte den Ausgang bereits im Blick und sie erschien mir wie der Weg zum Himmel, als sich wie aus dem Nichts jemand wie eine Wand vor mich stellte.

Ich blieb schlitternd stehen und blickte auf.

Bitte nicht, bitte nicht!

Mir sackte das Herz in die Magengrube bei dem Anblick des schiefen Lächelns auf den Lippen des Lieutenants.

Vor meinem geistigen Auge blitzten die Bilder des Vorfalls im Wohnzimmer auf, bei denen ich sofort eine Gänsehaut bekam. Keine angenehme, wohl gemerkt! Ich wich augenblicklich einen Schritt zurück.

Er sah höflich aus, aber in seinen Augen war eiskalte Wut zu lesen. Sein linkes Auge war noch grünblau, wenn auch nicht mehr so angeschwollen. Man sah ihm an, wie schlimm er verprügelt wurde. Dennoch hatte er allen Ernstes den Anstand hier her zu kommen und so zu tun, als wäre nichts gewesen – als hätte ihn die halbe Stadt nicht in Unterwäsche geknebelt am Markplatz gesehen.

„Was für eine angenehme Überraschung dich hier zu sehen.", log er, „Ich hatte dich hier nicht erwartet." Er legte den Kopf zur Seite und musterte mich forschend.

Ich versuchte mir meinen Unbehagen nicht anmerken zu lassen, aber wollte mich genauso wenig auf eine scheinbar fröhliche Unterhaltung mit ihm einlassen. „Sie müssen mich entschuldigen, Sir, aber ich muss jetzt gehen.", brachte ich hervor und ging geradewegs an ihm vorbei.

Er hielt mich jedoch am Arm fest und zog mich zurück.

Ich riss mich sofort wieder los. „Wagen Sie es ja nicht mich anzufassen.", zischte ich.

„Wieso willst du denn sofort wieder gehen, Fräulein? Ich hätte noch einige Dinge mit dir zu besprechen."

„Mit Ihnen bespreche ich ganz sicher nichts."

„Oh, das wirst du aber müssen, denn...", er trat unangenehm nahe an mich heran und sein Lächeln verschwand, „ich weiß, dass du für den Überfall auf mich verantwortlich bist."

Ich runzelte die Stirn. „Ich weiß nicht, wo von Sie sprechen."

„Tu nicht so!", stieß er hervor, wobei mir sein ekelerregender Geruch in die Nase stieg. „Jeder in der gottverdammten Stadt weiß, was mir angetan wurde."

„Nun, natürlich habe ich davon erfahren.", gab ich zu, „Aber Sie können schlecht Mitleid von mir verlangen."

„Oh, Mitleid ist das letzte, was ich von dir will.", sagte er und sah an mir hinab, wobei mir das Würgen kam, „Ich will etwas ganz anderes von dir. Und lass dir gesagt sein, dass ich immer kriege, was ich will. Du hättest dich mir einfach hingeben sollen, Blanc. Indem du dich wehrst, spornst du mich nur noch mehr an."

„Sie ekelhaftes Arschloch."

„Na, na, na, passen wir bitte auf unsere Sprache auf, Fräulein.", tadelte er, „Du solltest lieber netter zu mir sein. Ich bin mir nämlich sicher, dass du hinter allem steckst. Ich weiß zwar nicht, wie ein unscheinbares Mädchen wie du, irgendwelche Kerle dazu bringen konnte, mir das anzutun, aber ich werde dafür sorgen, dass du es bereuen wirst."

„Ich verstehe nicht ganz, worauf Sie hinauswollen."

„Gib doch einfach zu, dass du die Männer auf mich gehetzt hast!"

„Welche Männer?"

„Die, die mich überfallen haben! Um dich bei mir zu rächen."

„Sie wollen mir also sagen, dass Sie nicht gesehen haben, wer es war?", fragte ich, wobei ich zugegebenermaßen überrascht war. Er hatte Mr Kurt nicht erkannt?

„Nein.", knurrte er, „Es war dunkel, mir wurde so schnell eine übergezogen und eine Augenbinde angelegt, dass ich es nicht gesehen habe. Es waren aber mindestens zwei."

Jemand hatte Mr Kurt geholfen.

Schmidt vielleicht?

Ich dachte an den dünnen Sekretär, der bei einem Windzug schon von den Beinen gerissen wurde, und verwarf sofort den Gedanken. Mr Kurt hatte sicher auch andere vertrauenswürdige Helfer.

„Nun.", sagte ich und versuchte mir meine Erleichterung darüber, dass er nicht wusste, wer ihn überfallen hatte, nicht anmerken zu lassen, „Es tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen, Sir, aber ich habe nichts mit Ihrem Überfall zu tun gehabt."

„Du solltest dich nicht so in Sicherheit wiegen, Kleine. Denk nicht, dass ich schon mit dir fertig bin. Ich werde dich erstmal drannehmen, so wie ich will – und glaub mir Süße, du wirst nach mehr flehen, wenn ich mit dir fertig bin." Er hob eine Hand und strich mir mit dem Handrücken zärtlich über die Wange. Ich stieß seine Hand angewidert weg. Er zog die Augen zu Schlitzen. „Und dann sorge ich dafür, dass du und diese Männer verrotten!", fuhr er fort.

Ich hätte sauer werden müssen und ihm am besten eine Ohrfeige verpassen sollen. Aber meine Hände waren so versteift, dass ich sie nicht bewegen konnte. Ich versuchte mir Mut zuzusprechen, aber die schlichte Wahrheit war; ich hatte Angst vor ihm. Ich traute ihm all seine Drohungen zu. Egal, wie lange Zeit vergangen war und egal, wie gut ich mich erholt hatte; Ich konnte den Vorfall nicht vergessen.

„Wenn Sie sich so sicher fühlen, warum haben Sie dann nicht einfach schon etwas unternommen?", fragte ich und war überrascht, wie kräftig meine Stimme erklang.

Er atmete tief durch, als versuche er sich zu fassen und legte die Hände in die Hosentasche. „Ich warte auf den richtigen Augenblick. Ich bin noch vertraglich an Mr Kurt gebunden. Da unsere Geschäfte noch nicht beendet sind, werde ich nicht riskieren, dass er von uns beiden mitbekommt."

Ich versteifte mich.

Was?!

Hieß das, Mr Kurt machte nach wie vor Geschäfte mit ihm?

Ich spürte einen Stich in der Brust.

Ich vergas mit einem Mal meine Angst und etwas anderes, viel Stärkeres machte sich tief in meiner Brust breit. Enttäuschung.

Wieso? Wieso würde Mr Kurt das tun?

Ich ballte die Hände zu Fäusten zusammen.

Einerseits hatte Mr Kurt ihn vor der ganzen Stadt bloßgestellt, aber andererseits schaffte er ihm Arbeit. Das ergab keinen Sinn. Das war doch heuchlerisch!

Lieutenant Leonor muss mir mein Entsetzen angesehen haben, denn er grinste zufrieden. „Aber sobald alles unter Dach und Fach ist, wird mich nichts mehr aufhalten. Ich werde herausfinden, wen du auf mich gehetzt hast, du kleine Schlampe."

„Tun Sie sich keinen Zwang an.", erwiderte ich verbissen.

Mir war nie bewusst gewesen, wie sehr ich einen Menschen hassen konnte!

Und von Mr Kurt erwartete ich auch nichts mehr! Er war ein genauso niveauloser Mensch!

„Ella."

Das Gelächter und die Musik im Saal waren ohrenbetäubend laut und dennoch schnitt die Stimme wie ein Messer durch die Luft.

Mein Herz setzte einen Schlag aus.

Wenn dieser Abend so weiter ging, würde ich an einem Herzinfarkt sterben, das war sicher.

Ich drehte mich zu Mr Kurt um, der ganz und gar nicht glücklich aussah. Hatte er meine Gedanken gelesen?

„Mr Kurt, wie erfreut.", begrüßte Lieutenant Leonor ihn mit einer leichten Verbeugung. Scheinbar völlig unschuldig lächelte er Mr Kurt an. Oh, Schätzchen, er weiß, was für ein Schwein du bist. Du brauchst dich gar nicht so zu verstellen.

Mr Kurt nickte nur zur Erwiderung, Er würdigte ihm keines weiteren Blickes und sah dann wieder auf mich hinab. Ich schluckte schwer unter seinem bohrenden Blick. Ich wusste, was er dachte.

„Wieso bist du noch hier?", sprach er die Frage aus, auf die ich gewartet hatte.

„Ich wurde aufgehalten." Das war die Untertreibung des Jahrhunderts, aber ich konnte schlecht anfangen zu erzählen, dass einer seiner Hausmädchen vor Eifersucht völlig durchgedreht war und mich dem Lieutenant wie auf dem Silbertablett serviert hatte.

Mr Kurts Augen blitzten zum Lieutenant und wieder zu mir zurück. „Du hattest eine Aufgabe."

Bevor ich zu einer Antwort ansetzen konnte, lachte der Lieutenant laut auf. „Sie kennen doch das Problem mit den Hausmädchen, Sir. Man gibt ihnen die einfachsten Aufgaben, aber für die niedere Geburt sind selbst die zu schwer."

Wie bitte?

„Solche Menschen haben unter meiner Obhut nichts verloren.", versicherte Mr Kurt gleichgültig. War das jetzt ein Kompliment oder eine Beleidigung?

„Ganz recht, ganz recht!", stimmte ihm Lieutenant Leonor eifrig zu, „Dann sollten Sie wohl dafür sorgen, dass die Kleine ihre gerechte Strafe bekommt." Die Art und Weise wie er mich dabei beäugte, gefiel mir ganz und gar nicht.

So erging es wohl nicht nur mir; Mr Kurt sah dem Lieutenant kühl in die Augen. Die Temperatur im Saal schien um mindestens 20 Grad gesunken zu sein. Ich kannte die Wirkung, die dieser eiskalte Blick haben konnte. „Lassen Sie das besser meine Sorge sein, Lieutenant. Ella ist mein Anliegen und hat Sie nichts anzugehen." Die Art, wie ruhig Mr Kurt sprach, ließ nichts von der Wut, die unter seiner Fassade brodelte, erahnen.

Der Lieutenant schien eingeschüchtert von Mr Kurt zu sein und erwiderte nichts.

Ohne weitere Atemzüge zu verschwenden, packte mich Mr Kurt am Arm und zog mich grob mit sich. Ich war mir sicher, dass ich am nächsten Morgen einen furchtbaren blauen Fleck am Arm haben würde, so oft wie ich hin und her gezogen wurde.

„Ich bin durchaus in der Lage selbst zu laufen.", rief ich über den Lärm der Menge hinweg und versuchte mich aus seinem Griff zu wenden.

„Ganz offensichtlich nicht.", erwiderte Mr Kurt ohne sich zu mir umzudrehen. „Denn sonst wärst du bereits zurück im Anwesen - und nicht hier."

Ich warf ihm einen tödlichen Blick zu, den er nicht bemerkte. Ich sah auf seine breiten Schultern, die völlig angespannt waren.

Wir liefen aus dem Wintergarten hinaus, wo ein Butler sofort loslief, um uns unsere Mäntel zu holen.

„Was hat er dir gesagt?", wollte er fordernd wissen, sobald wir alleine waren. Wir standen unter einer Laterne. Die Musik aus dem Saal drang gedämpft nach draußen, aber half nicht die Stimmung aufzulockern.

Ich hob trotzig das Kinn und hielt den Mund. Ich brauchte mich ganz sicher nicht zu rechtfertigen. Er war es, der dreckige Geschäfte am Laufen hatte!

Er war mir Erklärungen schuldig!

„Ich hasse es, wenn du mich dazu zwingst mich zu wiederholen.", knurrte er genervt.

Ich zuckte die Achseln wie ein unartiges Kind und blieb stumm.

„Wenn du nicht sofort antwortest, werde ich dir die Arbeit im Krankenhaus entziehen."

Ich blickte entsetzt auf. Das würde er nicht wagen!

Er erwiderte gleichgültig meinen Blick. „Dann hättest du wenigstens mehr Zeit deine Klavierstücke zu lernen, für die du bisher keinen Finger gekrümmt hast."

„Das liegt daran, dass ich keine Pianistin bin, sondern angehende Ärztin."

Mr Kurt verzog angewidert das Gesicht. „Hör auf, dieses Wort in den Mund zu nehmen."

„Was?", fragte ich verwirrt, „Ärztin?"

Er funkelte mich wütend an.

Ich atmete tief ein. „Ärztin! Ärztin! Ärztin! Ärztin! Ärztin! Ärztin! Ärztin!"

Er kam drohend einen Schritt auf mich zu. „Das reicht. Hör jetzt auf!"

Ich verschränkte die Arme vor der Brust. „Erst wenn Sie zugeben, dass ich eine der besten Krankenschwestern im Krankenhaus - nein, in der Stadt bin!"

Er schnaubte verächtlich. „Nur in deinen Träumen werde ich sowas sagen."

„Ärztin! Ärztin! Ärztin! Ärztin! Ärztin! Ärztin! Ärztin! Ärztin! Ärztin! Ärztin!"

Er knirschte mit den Zähnen. „Sei endlich still!"

Ich hörte auf und sah ihn erwartungsvoll an.

Er musterte mich einen Moment stillschweigend. „Du bist... mittelmäßig.", sagte er schließlich.

Mir klappte die Kinnlade hinab. Das hatte er nicht gesagt!

Gerade als ich tief Luft einatmen wollte, um es ihm so richtig zu geben, kam der Butler zurück und überreichte uns unsere Mäntel.

Dieser Kampf war noch nicht vorbei! Ich warf Mr Kurt mörderische Blicke zu, die völlig an ihm abprallten.

„Mr Kurt, Sir, Ihre Kutschen stehen im Moment nicht zur Verfügung. Sie sind vor kurzem abgefahren.", informierte ihn der Butler.

Mr Kurt runzelte die Stirn. „Wie kann das sein? Was ist mit meiner Kutsche?"

„Nach Ihrer Anweisung hin wurde die junge Dame zum Anwesen zurückgefahren."

Es herrschte kurz Stille. Ein deutliches Zeichen dafür, dass Mr Kurt um seine Fassung rang.

„Die junge Dame, von der ich gesprochen hatte, steht aber hier.", sagte Mr Kurt zähneknirschend und zeigte auf mich. Ich lächelte den verwirrten Butler an. „Wer hat also meine Kutsche genommen?!"

Der Butler sah von mir zu Mr Kurt und zurück, als wüsste er nicht, was er sagen solle.

Mir kam ein Gedanke, während der Butler verzweifelt nach einer Erklärung suchte.

„Das muss Rosalie gewesen sein.", antwortete ich an der Stelle des Butlers, der ins Schwitzen kam.

Mr Kurt sah mich fragend an, aber ich ging nicht weiter drauf ein.

„Was ist mit der anderen Kutsche? Wir sind doch mit zwei gekommen.", warf ich stattdessen ein.

Mr Kurt stieß ungeduldig die Luft aus. „Die anderen sind bereits zum Anwesen zurückgekehrt."

„Was?", fragte ich überrascht und dachte an Hilde und Marie, die sich so amüsiert hatten, „Wieso denn schon so früh?"

„Peter hatte sich wohl beim Tanzen den Knöchel verstaucht und da haben sie gebeten früher zu gehen.", knurrte er, „Ich hatte natürlich gedacht, du wärst schon weg."

Ups.

„Sie könnten doch etwas länger bleiben, bis Ihre Kutsche wiederkehrt, Sir.", bot der Butler an und zeigte zum Saal.

„Nein.", schnappte Mr Kurt harsch. „Das Fräulein muss zum Anwesen gebracht werden."

„Ich kann auch zu Fuß gehen.", versicherte ich.

Ich wartete keine Antwort ab, denn ich wusste bereits, wie viel sie von meiner Idee hielten, und machte mich auf den Weg den Garten zu verlassen. Ich konnte mich jedoch keine fünf Meter weit entfernen, als sich eine eisige Hand um meinen Arm legte.

„Wo gedenkst du hinzugehen, junges Fräulein.", zischte Mr Kurt wütend.

Ich lächelte ihn zuckersüß an. „Zum Anwesen, Sir. So wie Sie es wünschen."

„Allein?", knurrte er, „Um diese Uhrzeit?"

Seine Augen spuckten selbst im Dämmerlicht eisige Blitze ab.

„Naja, solange Sie keine Pfeife besitzen, mit der Sie Schmidt herbeirufen können, denke ich, bleibt Ihnen keine andere Wahl."

Ein Muskel an seinem Kiefer zuckte angestrengt.

„Ich begleite dich."

Er sprach es so würgend aus, als hätte er 30 Nägel verschluckt, die ihm im Hals stecken geblieben waren.

„Oh, diese Ehre würden Sie mir erweisen?", fragte ich mit lieblicher Stimme, scheinbar geschmeichelt, und legte mir überdramatisch eine Hand an die Brust und die andere an die Stirn. „Ich bin so gerührt, mein Herr." Ich klimperte mit den Wimpern. „Und das, obwohl Sie so viele geschäftliche Dinge zu erledigen haben."

„Du solltest dein Glück nicht auf die Probe stellen.", warnte Mr Kurt im eisigen Ton, „Du bewegst dich auf sehr dünnem Eis, Fräulein."

Bei seinem todernsten Blick verging mir der Spaß. Ich nahm die Hände wieder runter.

Eigentlich wollte ich ihn im Moment nicht in meiner Nähe haben. Am liebsten würde ich alleine nach Hause gehen, um mir auf dem Weg einen klaren Kopf zu bekommen. Mir war schon ganz schwindelig geworden von all den Drohungen von Lieutenant Leonor - vor allem aber machte mir Mr Kurts bipolares Verhalten zu schaffen; Ich wusste, ich hatte nicht das Recht dazu, aber ich hatte mich verraten gefühlt und war enttäuscht von ihm.

Aber wie es schien, musste ich damit warten mir meine Gedanken zu ordnen. Denn Mr Kurt war stur und würde mich nur über seine Leiche alleine gehen lassen.

Er drehte sich zum Butler um, ohne mich loszulassen, als befürchte er, ich könnte verschwinden, wenn er mich einen Moment aus den Augen ließ - was wahrscheinlich auch stimmte. „Wenn jemand nach mir fragt, sagen Sie ihnen, dass ich bereits gegangen bin."

Der Butler nickte.

Dann zog Mr Kurt mich wortlos mit sich aus dem Garten.

„Ich bin kein Kind. Sie brauchen mich nicht immer hin und her zu zerren."

Er erwiderte nichts dazu, aber ließ mich genauso wenig los. Auf den Straßen brannten die Laternen und erleuchteten uns den Weg. Mr Kurt schlug eine Richtung ein und ging mit entschlossenen Schritten die Straße entlang, die bergauf führte. Auf den Fußwegen gab es Stufen zur Erleichterung des Weges, aber mit Mr Kurt als Begleitung war an keine Erleichterung zu denken. Er drosselte sein Tempo in keiner Sekunde. Es war furchtbar schwer mit ihm Schritt zu halten - vor allem in diesem bodenlangen Kleid.

„Könnten Sie wenigstens etwas Rücksicht nehmen?", zischte ich, als ich fast über den Saum des Kleides gestolpert wäre. Er blieb abrupt stehen, woraufhin ich gegen seinen Rücken prallte.

„Ouff.", stieß ich hervor und taumelte zurück. Wäre sein eisiger Griff nicht um meinen Unterarm gewesen, wäre ich wahrscheinlich die Straße runtergerollt.

„Du verschwendest Energie und Zeit.", knurrte Mr Kurt. „Du wirst es bis zum Anwesen überleben."

„Da bin ich mir nicht so sicher.", erwiderte ich atemlos und versuchte meinen Arm zu befreien. „Kein anderer Hausherr würde mich behandeln wie ein Zuchttier. Vielleicht sollte ich ehrlich in Betracht nehmen das Anwesen zu wechseln - vielleicht zu einer netten Familie oder einem gutaussehenden Herrn."

Er drehte sich nicht um, aber sein Griff wurde fester. „Dich würde niemand aufnehmen."

Ich gab das Kämpfen mit seiner eisenfesten Hand auf und seufzte. „Da haben Sie wahrscheinlich recht."

Stellte ich mir das nur vor, oder lockerte sich der Griff wieder etwas?

In der Ferne erklang ein Donnerschlag. Ich zuckte erschrocken zusammen und sah auf. Dunkle Wolken zogen sich zusammen - und wir gingen geradewegs auf sie zu.

Es würde bald zu regnen anfangen.

Mr Kurt schien sich jedoch nicht beirren zu lassen und ging weiter.

Ich versuchte mich erneut aus seinem Griff zu wenden. „Sir, ich kann auch gehen ohne gezogen zu werden. Glauben Sie mir, ich tue es seit meinem ersten Lebensjahr. Ich will nicht angeben, aber ich glaube, ich bin ziemlich gut darin."

Er blieb erneut stehen. Sein Kiefer war angespannt, als kämpfe er mit sich selbst. Nach einem unerträglich langen Moment ließ er mich los. „Nun gut. Dann gehst du aber vor."

„Ganz sicher nicht!", japste ich entrüstet, „Ich gehe vor, damit Sie mir auf den Hintern schauen können? Niemals!"

Mr Kurts Augenbrauen schossen in die Höhe. Er sah mich an, als hätte ich seine Mutter beleidigt.

Seine Nasenflügel ballten sich wütend auf. „Das habe ich damit nicht gemeint.", knurrte er leise, „Ich bin ein Gentleman. Ich will nicht riskieren, dass du dir auf einer geraden Strecke das Genick brichst – was ich dir zutrauen würde."

„Oh, wie selbstlos.", bemerkte ich trocken, „Aber nichts da! Entweder wir gehen nebeneinander oder Sie gehen vor."

Er knirschte mit den Zähnen.

Ich war zwar kein Zahnarzt, aber ich war mir sicher, wenn er so weiter machte, hätte er bald keine Zähne mehr.

„Ich werde mich deinem Tempo aber nicht anpassen. Entweder du hältst Schritt oder nicht. Der Rest kann mir egal sein.", zischte er wütend und ging los. Ich lief ihm hinterher, bis ich ihn eingeholt hatte.

Da Mr Kurt kein sonderlich gesprächiger Begleiter war, nahm ich mir die Gelegenheit meine Gedanken zu ordnen. Es vergingen einige Minuten, in denen ich es verzweifelt versuchte. Ich wollte es nicht zugeben, aber das Gedankenordnen fiel mir im Moment zu schwer. Mr Kurts Bewegungen irritiert mich schrecklich. Könnte er nicht mal kurz aufhören zu atmen? Gott! War es zu viel verlangt in Ruhe nachzudenken?!

Ein starker Wind wehte auf, woraufhin mein Kleid und der Schleier hin und her flatterten. Schien es nur mir so oder war es kälter geworden? Ich rieb mir über die Arme. Es wurde auf jeden Fall kälter - und es lag ausnahmsweise Mal nicht an Mr Kurt.

Ein Tropfen landete auf meiner Stirn.

Huh?

Ich wischte ihn weg, aber an seiner Stelle traf mich ein neuer.

„Nein.", knurrte Mr Kurt verärgert und sah auf, als könne er dem Himmel befehlen mit dem Regen aufzuhören - was ich ihm auch zugetraut hätte.

Aber fast wie aus Trotz fing es wenige Sekunden später an stärker zu regnen.

Ich blieb abrupt stehen, als ich sah, wie Mr Kurt plötzlich die Richtung änderte. Verwirrt sah ich zu, wie er sich unter den Dachüberstand eines Hauses stellte.

„Was tun Sie da, Sir?"

„Weißt du, wie teuer dieser Mantel war?", fragte er verbissen zurück.

Ich verdrehte die Augen. Was hatte ich denn auch schon erwartet?
„Dann verschwenden Sie lieber Zeit, als im Regen nach Hause zu gehen?"

„Die Kutsche wird sicher bald hier vorbeifahren.", erwiderte er, „Du solltest auch besser herkommen, wenn du dich nicht erkälten möchtest."

Ich seufzte.

Mir blieb wohl nichts anderes übrig. Der Regen schien schlimmer zu werden.

Ich gesellte mich zu ihm. Der Dachüberstand war nicht sehr breit, weshalb wir sehr nah beieinanderstanden. Außer dem Plätschern des Regens war nichts zu hören. Keiner von uns sagte etwas. Irgendwie hatte sich etwas geändert. Ich wagte nicht ihm einen Seitenblick zu zuwerfen. Ich sollte eigentlich auch aufhören ständig vom Wesentlichen abzuweichen und anfangen mir einen klaren Kopf zu machen. Mr Kurt war eigentlich im Moment genauso mein Feind gewesen wie Lieutenant Leonor. Ich biss mir auf die Lippe. Auf wessen Seite stand dieser Mann? Sein Verhalten verwirrte mich ungemein und ich kam zu keinem Schluss, egal wie ich die Sache anging und aus welcher Perspektive ich es betrachtete. Mr Kurt war schlicht und ergreifend ein geldgieriger Bastard. Punkt.

„Was hat Mr Leonor gesagt?", stellte er plötzlich wieder die Frage. „Hat er etwas getan?"

Seine Stimme klang so ungewöhnlich sachte, dass ich überrascht aufblickte. Er sah mich nicht an. Sein Gesicht hart wie Stein, ließ keine Gedanken preis.

Ich schluckte schwer und senkte wieder den Blick. „Er weiß, dass sein Überfall mit mir zu tun hat."

Kurze Stille.

„Ist das alles?"

„Besorgt Sie das nicht?"

„Ich mache mir so leicht keine Sorgen.", erwiderte er ungerührt, „Er kann so viele Vermutungen anstellen, wie er will. Ohne Beweise kann er nichts machen."

„Ich meinte eigentlich, wegen Ihren Geschäften."

Erneute Stille. Dieses Mal eine sehr träge und bedrückende.

„Was meinst du?"

Ich runzelte die Stirn. Was sollte diese Frage? Er wusste verdammt nochmal genau, was ich meinte! Ich versuchte ruhig zu bleiben, aber antwortete leicht gereizt. „Nun, wie es scheint, sind Ihre Geschäfte mit dem Offizier zu wichtig, als dass Sie sie beenden konnten. Und das obwohl Sie für seinen Überfall verantwortlich sind. Finden Sie nicht auch, dass es ein kleines bisschen würdelos rüberkommt?"

Als er nicht sofort antwortete, sah ich wütend auf.

Unsere Blicke trafen sich.

„Ich muss mich dir gegenüber nicht rechtfertigen.", erwiderte er trocken und sah wieder weg.

Und ob er das musste!

Ich ballte die Hände zu Fäusten.

Hatte ich gesagt, dass ich Lieutenant Leonor hasste? Ha! Der war neben meinem Hass zu Mr Kurt ein Witz!

„Wissen Sie was.", stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, „Ich erkälte mich lieber im Regen, als eine Sekunde länger hier mit Ihnen zu bleiben." Ich lief wütend zurück auf die Straße und sah nicht wieder zurück - auch nicht als er wütend etwas nach mir rief. Der Wind peitschte mir die Regentropfen ins Gesicht und ich konnte nicht ganz verstehen, was er sagte, aber das hielt mich nicht davon ab weiterzugehen.

Ehe ich mich versah, wurde ich am Arm gepackt und umgewirbelt. „Du kommst gefälligst zurück!", knurrte er und machte Anstalten mich wieder mit sich zu ziehen.

„Nein!", rief ich und riss mich los. Zugegeben, ich war überrascht, dass es funktioniert hatte. Aber meine Freude hielt nicht lange an, denn Mr Kurt kam gefährlich näher, als hinge seine Geduld am Reißfaden.

„Das reicht jetzt!", zischte er wütend, „Du vergisst, mit wem du sprichst! Ich habe die Nase voll, junge Dame! Du gehorchst und stellst keine Fragen, die dich nichts angehen! Verstanden?!"

„Ich bin kein Hund!", blaffte ich zurück und schlug ihm auf die steinharte Brust, „Ich werde ganz bestimmt nicht ruhig dasitzen und Ihnen dabei zusehen, wie Sie Geschäfte mit einem Vergewaltiger machen!"

Ein knurrendes Geräusch drang tief aus seiner Kehle. „Das sind Dinge, die du nicht verstehst."

„Wieso? Weil ich eine Frau bin?!"

„Ganz recht!", zischte er, „Sieh dich doch an! Du reagierst viel zu sentimental!"

„Lieber Gefühle haben, als ein Herz aus Stein!", erwiderte ich mit erhobenem Kinn.

Er packte mich am Arm. „Es reicht!"

„Lassen Sie mich los!"

„Nein." Er legte mir seine andere Hand an die Taille und zog mich an sich. Er ließ meinen Arm los, nur um mir die Hand auf den Mund zu legen. Ich wand mich in seinem Arm, aber sein Griff war eisenfest. Er sah mir mit seinem bohrenden Blick tief in die Augen. Ich atmete heftig, wobei meine Brust immer wieder seine streifte.

Wieso war mir so warm?

Ich müsste frieren! Der Regen und dieser Blick. Ich hätte schon einen Kälteschock bekommen müssen, aber stattdessen brannte meine Haut. Ich war wütend auf ihn! Am liebsten hätte ich ihn von mir geschubst und geschlagen und getreten - Aber die Art wie er mich verschlang, raubte mir die Kraft. Mit seinen Armen, mit seinem Blick, mit seiner Aura. Er umhüllte mich mit seinem ganzen Sein und statt, dass ich mich losriss, blieb ich wie angewurzelt stehen.

Tu doch etwas, Ella! Du hast Hände und Beine, die du bewegen solltest!

Ich sollte, aber ich konnte nicht.

„Du kannst mir keine Befehle erteilen.", sagte er mit rauer Stimme, „Ich hasse es, wenn du deine Position vergisst. Du bist nur ein Hausmädchen und kannst dich nicht in Angelegenheiten deines Hausherrn einmischen, verstanden?"

„Lammm ie mmch lo.", schimpfte ich dumpf gegen seine Hand.

Als hätte er mich wirklich verstanden, zog er mich dichter an sich heran. Ich hasste ihn! Ich hasste ihn, weil er mich herumkommandierte! Ich hasse ihn, dass er mir das Recht zu sprechen nahm! Ich hasste ihn dafür, dass er mich hielt! Ich hasste ihn, weil er es so machte, dass es mir gefiel!

Du musst ihn von dir schubsen, Ella!

Ich legte ihm die Hände auf die Brust und drückte atemlos, aber vergebens. Er war wie eine Mauer.

„Hör auf!", knurrte er, wobei sein warmer Atem meine kalte Haut streifte. Ich bekam einen Schauder, den ich nicht unterdrücken konnte. Ich sah ihm wütend in die Augen, aber er hielt meinen tödlichen Blick problemlos fest.

Wir waren inzwischen völlig durchnässt. Seine sonst perfekt sitzenden Haare fielen ihm auf die Stirn, an seinem Kinn fielen die Regentropfen zu Boden. Wieso bemerkte ich diese Details an ihm? Was war los?

Als ich meinen Atem beruhigt hatte, ließ er langsam von meinem Mund ab, wobei sein Daumen über meine Unterlippe strich. Mein Herz machte einen Satz bei der flüchtigen Bewegung.

War das ein Versehen?

Er sah mich ausdruckslos an, aber ließ mich nicht los.

„Vielleicht gibst du dich so einfach zufrieden.", sagte er nun etwas ruhiger, „Aber ich nicht."

Ich runzelte die Stirn. Was meinte er?

„Mir hat es keine Befriedigung gegeben ihn einfach nur vor der Stadt bloßzustellen. Ich brauchte mehr." Völlig gedankenverloren ließ er meinen Arm los und strich mir eine nasse Strähne aus dem Gesicht, die sich aus meinen Haaren gelöst hatte. „Er soll langsam büßen. Ich werde ihm glauben lassen, dass er alles bekommen hat, was er sich wünscht, bevor ich ihm alles Stück für Stück wegnehme. Er soll weder in dieser Stadt noch in einer anderen jemals wieder einen ehrenvollen Namen tragen können."

Ich brauchte einen Moment, um zu verstehen, was er meinte. Das Denken fiel mir schwer, während er mich so festhielt - und mich so ansah.

Er machte also nicht wirklich Geschäfte mit dem Lieutenant? Er ließ ihn nur glauben, dass er es tat?

Ich entspannte mich in seinen Armen und versuchte meinen Atem wieder unter Kontrolle zu bringen. Ich schluckte schwer, meine Haut brannte unter seinem forschenden Blick.

Wieso lagen meine Hände noch auf seiner Brust? Zum Teufel..?!

Aber statt, dass ich sie wegnahm, krallten sich meine Hände wie von selbst in seinen nassen Mantel.

„Mr Kurt?"

Die fremde, männliche Stimme riss uns aus unserer Trance.

Er erstarrte, ich zuckte zusammen. Wir blickten auf.

Wenige Meter entfernt von uns stand die Kutsche.

Der Kutscher war ausgestiegen und hatte aus Respekt den Hut von seinem Kopf genommen.

Mr Kurt ließ mich abrupt los. „Da sind Sie ja endlich.", sagte Mr Kurt mit ausdrucksloser Stimme.

„Entschuldigen Sie die Verspätung, Sir." Der Kutscher verbeugte sich, „Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte."

Ich brauchte einen Moment, um mich zu fassen. War das eben wirklich passiert? Ich sah zu Mr Kurt, der mir den Rücken zugedreht hatte. Das konnte nicht sein, oder? Dieser kalte Mann? In seinen Armen lag ich grad? Niemals!

„Bringen Sie uns einfach zum Anwesen.", befahl Mr Kurt kühl und ging an dem Kutscher vorbei, um in die Kutsche zu steigen. Ich stand wie angewurzelt da.

„Fräulein?", fragte der Kutscher mit hochgezogenen Augenbrauen, „Sie sind schon ganz nass. Sie sollten besser schnell einsteigen."

Ich nickte benommen und folgte Mr Kurt in die Kutsche.

Nachdem ich mich ihm gegenübersetzte, fuhr die Kutsche sofort los. Ich war noch völlig neben der Spur und wusste nicht ganz, was ich tun sollte. Ich warf ihm einen Seitenblick zu. Er saß kalt wie eine Statue da und sah starr aus dem Fenster. Nichts in seinen Augen oder seinem Gesicht ließ wissen, was er dachte.

Ich biss mir auf die Unterlippe.

Mir war nach wie vor warm. Vielleicht bekam ich Fieber?

Ja, das musste es sein!

Anders konnte ich mir das nicht erklären. Niemals hatte es an ihm gelegen!

Wie sollte auch ein so eiskalter Mensch zu Wärme fähig sein?

Die Fahrt zurück zum Anwesen verging ruhig und war zum Glück auch kein langer.

Als die Kutsche vor dem Tor zum Stehen kam, machte der Kutscher uns die Tür auf. Mr Kurt stieg als erstes aus. Von wegen Gentleman!

Draußen wartete er auch nicht, sondern lief geradewegs rein. Ich bedankte mich beim Kutscher, der mir beim Aussteigen half, und folgte Mr Kurt ins Anwesen. Er hatte die Tür freundlicherweise offengelassen. Ich schloss sie hinter mir wieder und drehte mich zu Mr Kurt um, der seinen Mantel gerade Mathilda in die Hand drückte. „Versuch dein Bestes, um es noch zu retten.", wies er ihr an. Sie nickte. „Natürlich, mein Herr." Dann sah sie zu mir und schlug sich entsetzt die freie Hand auf die Schenkel. „Wo hast du dich rumgetrieben, Mädchen? Ich habe mir schon Sorgen gemacht. Sieh zu, dass du das nasse Kleid ausziehst. Wird's bald! Du wirst noch krank!" Sie wies mich mit einem Nicken an voran zu gehen. Ich huschte an ihr vorbei und sah ein letztes Mal zu Mr Kurt, wobei sich unsere Blicke trafen. Seine Augen hatten wieder ihren altbekannten Ausdruck eingenommen. Nichts ließ schließen, was zwischen uns geschehen war. Nun ja, streng genommen war nicht wirklich was geschehen. Ich sollte aufhören, Rosalies Symptome anzunehmen.

Ich schüttelte geistig den Kopf und ging auf mein Zimmer. Dort zog ich mich eilig um, trocknete meine Haare und stieg erschöpft ins Bett.

An diesem Abend fand ich selbst im Schlaf keine Ruhe. 



*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

Sei gegrüßt! *winkt mit ihrem Taschentuch ganz damenhaft*

Ich hoffe, du bist wohl auf!

Ich hatte echt Schwierigkeiten weiter zu schreiben. Ich war sehr gestresst die letzten Tage und habe immer nur nebenbei bisschen schreiben können. Eigentlich bin ich nicht zufrieden mit dem Endergebnis, aber ich hoffe es hat dir trotzdem gefallen. Beim nächsten werde ich mir mehr mühe geben, versprochen!

Wir sehen uns entweder am Montag oder nächste Woche!

Ich wünsche dir eine wunderschöne Restwoche *gibt dir einen feuchten Schmatzer auf die Stirn*

Deine Miss Caffrey.

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