Ella - Die Stille nach dem St...

By sibelcaffrey

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"Du kannst versuchen es zu leugnen, dich zu widersetzen und mich von dir fern zu halten. Ich werde aber nicht... More

Prolog
1. In der Zeit gefangen
2. Der Herr des Hauses
3. Retterin in der Not
4. Die neue Krankenschwester
5. Tatsächlich Zigeunerin?
6. Schlaflose Nacht
7. Gebrochen - Teil 1
8. Gebrochen - Teil 2
10. Der Ball
11. Nass im Regen
12. Der Brief an die Öffentlichkeit
13. Der Verehrer
14. Mi Casa Es Su Casa - Teil 1
15. Mi Casa Es Su Casa - Teil 2
16. Erschwerungen
17. Im Mondschein
18. Rendez-vous mit dem guten Freund
19. provokative Provokation
20. Nathan Kurt
21. Der Kampf - Teil 1
22. Der Kampf - Teil 2
23. Heimweh Teil 1
24. Heimweh Teil 2
25. Wie Du mir, so ich Dir
26. Neues kommt, Altes geht
27. Unerwartete Gäste
28. Du und ich
29. Alles findet seinen Platz
30. Wettlauf gegen die Zeit
31. Alles oder Nichts
32. Schicksal
33. Das Erwachen
34. Prinzipien, welche?
35. Die Zeit rückt näher
36. Liebe, der Zeit zum Trotz
37. Blick in die Zukunft (ENDE)
Epilog
FORTSETZUNG

9. Der leise Held

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By sibelcaffrey

Am nächsten Morgen stand ich mit neu gewonnener Energie auf. Ich fühlte mich um einiges gefasster.

Da Mr Kurt am Abend nicht gekommen war, hatte ich genug Zeit für mich selbst und konnte in Ruhe nachdenken. Ich hatte vorgenommen mir wegen des Vorfalls keine Gedanken mehr zu machen. Ich würde nicht in Selbstmitleid baden, sondern mich wichtigeren Dingen zuwenden. In meinem Kopf hatte sich ein Plan festgesetzt, den ich geschworen hatte, umzusetzen.

Ich zog mich um und ging in die Küche, wo Mathilda bereits das Frühstück vorbereitete. Die anderen Mädchen kamen wenig später dazu. Erst als das Frühstück fertig war, kam Peter verschlafen in die Küche. Wir aßen gemeinsam, als mitten in Hildes und Maries Diskussion, ob Kleider mit Tüll hübsch waren oder nicht, die Tür klopfte.

Nicht die Eingangstür.

Die Hintertür der Küche.

Überrascht stand Peter auf und trat an die Tür. Alle anderen am Tisch standen ebenfalls auf. Verwirrt sah ich ihnen dabei zu, wie sie eilig in den Flur gingen und sich versteckten. „Ella!",zischte Mathilda wütend, als ich nicht reagierte. Peter wartete mit der Hand an der Türklinke, bis auch ich aufgestanden und aus der Küche gegangen war. Mathilda schloss die Tür hinter mir, so dass wir alle versammelt im Flur standen.

„Was ist denn los?", fragte ich verwirrt.

„Wenn ein Herr an der Tür ist, soll er euch nicht ohne ein Tuch sehen.", sagte Mathilda streng, „Schau dich doch an, du trägst nur ein Morgenmantel."

Ich unterdrückte den plötzlichen Drang zu lachen. War das ihr Ernst?

Ich ließ mir ein Tuch in die Hand drücken und sah den anderen fassungslos dabei zu, wie sie sich die Tücher über die Köpfe banden.

„Mr Kurt hat uns doch ständig ohne Schleier gesehen.", warf ich ein, „Oder Peter."

„Peter ist verheiratet und könnte dein Vater sein.", widersprach Mathilda entrüstet, „Und Mr Kurt ist der Hausherr. Da ist eine Heirat genauso ausgeschlossen."

Neben mir verkrampfte sich Rosalie kaum merklich.

Ich verdrehte nur die Augen und warf mir das Tuch über. Sofort fühlte ich mich wieder wie die Omas mit der berühmten Keksdose, die leider für Nähzeug missbraucht wurde.

Als sich die Küchentür in den Flur öffnete, sahen alle gespannt auf Peter. „An der Tür ist der Sekretär von Mr Kurt."

„Schmidt?", fragte ich überrascht.

Er nickte. „Er sagt etwas von einer Einladung."

Plötzlich waren alle ganz aufmerksam und hellhörig. Mathilda eilte ohne ein Wort an Peter vorbei. Die anderen Mädchen warteten nicht und folgten ihr auf dem Absatz. Da ich ebenfalls neugierig war, trat ich mit dem alleingelassenen Peter wieder in die Küche.

Schmidt war nicht eingetreten. Er stand vor der offenen Tür und hielt in den zusammengefalteten Händen einen Brief.

„Guten Morgen, Mr Schmidt.", begrüßte ihn Mathilda am Türrahmen.

Mr Schmidt? Ich verzog das Gesicht. Das klang furchtbar falsch. Es tat ja schon fast weh in den Ohren.

„Guten Morgen, die Damen." Er verbeugte sich - ganz der höfliche Sekretär. Mathilda und die Mädchen knicksten damenhaft. Von mir würde er sowas ganz sicher nicht sehen.

„Hast du mich vermisst, Schmidt?", fragte ich stattdessen zuckersüß.

Er sah mich an, als hätte ich ihn beleidigt. „Gewiss nicht."

Ich schürzte die Lippen. Na gut.

Mathilda warf mir einen scharfen Blick zu, der so viel bedeutete wie „Hältst du gefälligst den Mund, Mädchen!"

Dann drehte sie sich mit einem Lächeln zu Schmidt um. „Wie kommen wir zu der Ehre, Mr Schmidt?"

Ah, meine Ohren! Dieser Schmerz!

Er reichte Mathilda den Brief in seiner Hand. „Ich wurde von Mr Kurt geschickt. Er erhielt diese Einladung gestern Abend. Er hat mich beauftragt sie alle über die Einladung wissen zu lassen."

Mathilda nahm den Brief entgegen, als wäre es aus Porzellan und sah es mit großen Augen an. „Wieso das?"

„Die Einladung ist an das ganze Haus gerichtet, nicht nur an Mr Kurt allein.", erklärte Schmidt und richtete die Brille auf seiner Nase, „Es ist eine Einladung zum jährlichen Herbstball von Mr und Mrs Wolf. Wenn Sie sich erinnern, war Mr Wolf vor einiger Zeit hier mit anderen Gästen zu Besuch gewesen. Er hatte die Gastfreundschaft sehr genossen und möchte sich revanchieren. Der Ball wird in seinem Wintergarten stattfinden."

Hilde und Marie fingen an wie wild zu hüpfen und laut zu quicken. Mathilda versuchte beide vergebens ruhig zu stellen.

„Wann findet der Ball denn statt?", fragte Rosalie über das Gekreische hinweg. Auch sie strahlte im ganzen Gesicht über die unerwartete Neuigkeit.

„Die Einladung kommt etwas kurzfristig", antwortete er, „Der Ball findet bereits diesen Freitag statt. Für den Fall, dass sich die Damen anlässlich des Balls Kleider kaufen wollen, hat mir Mr Kurt Geld gegeben, das reichen sollte." Er hob seinen Mantel an und zog aus der Innentasche einen kleinen Umschlag heraus, den er Mathilda reichte. Nun waren Hilde und Marie nicht mehr zu stoppen; Sie schrien ohrenbetäubend laut auf und umarmten alles, was ihnen in die Quere kam.

„Bitte entschuldigen Sie das Benehmen der Mädchen.", bat Mathilda mit einem verlegenen Lächeln. „Sie waren vorher noch nie auf einem Ball mit gehobenen Gästen."

„Schon gut, völlig verständlich.", versicherte er und sah dann zu mir rüber, „Sie können mir glauben, ich bin schlimmeres Benehmen gewohnt."

Ich zog die Augen zu Schlitzen zusammen und streckte ihm die Zunge aus, was er gekonnt ignorierte.

„Wie dem auch sei.", wandte er sich an Mathilda, „Ich habe noch eine Menge zu erledigen und würde mich an dieser Stelle von Ihnen verabschieden."

„Oh, wir danken Ihnen, Mr Schmidt, für die tolle Neuigkeit, die Sie uns an solch einem schönen Tag überbracht haben.", schmeichelte Mathilda völlig übertrieben.

„Es war mir eine Freude." Er verbeugte sich zum Abschied und machte auf dem Absatz kehrt. Mathilda schloss die Tür hinter ihm, ehe sie sich mit neuem Elan umdrehte. „Holt eure Mäntel! Wir gehen einkaufen!"

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

Gesagt, getan.

Wir verließen gemeinsam das Haus - nur Peter blieb zurück, mit dem Vorwand er wolle das Anwesen nicht unbeaufsichtigt lassen. Ich fragte aber, ob es sich nicht schickte, wenn fünf Damen ohne Begleitung auf den Straßen herumliefen. Laut Mathilda jedoch wäre es völlig in Ordnung, solange es helllichter Tag war und man nicht alleine ging.

Hilde hakte sich bei mir unter und zusammen liefen wir durch die Straßen. Wir schlugen einen mir unbekannten Weg ein und ich ließ mich von den anderen führen.

Wir waren ein ganzes Stück vom Anwesen entfernt, als wir an einer Kreuzung eine Menschenmenge bemerkten.

„Was ist dort los?", fragte Marie hinter mir neugierig.

Die ganzen Leute sahen entsetzt auf etwas, das um die Ecke lag. Wir konnten daher nicht auf Anhieb sehen, was es war. Je näher wir kamen, desto lauter wurde das Getuschel der Leute. Wir stellten uns dazu und sahen das Skandal, auf das die Leute blickten.

Ein Mann wurde mit verbundenen Augen und nur in Unterhose gekleidet an einen Baum gebunden. Er wurde fies verprügelt, war völlig verdreckt und wies mehrere Schürfwunden am Körper auf, als hätte man ihn über den harten Boden geschliffen. Er trug ein großes Schild wie eine Kette um den Hals. Vermutlich war er bewusstlos, denn er war völlig in sich zusammengesackt.

Die Mädchen zogen entsetzt die Luft ein und schlugen sich die Hände vor den Mund - nur ich nicht.

Er war kaum wieder zu erkennen. Aber nicht für mich. Ich würde ihn überall wieder erkennen.

Es war Lieutenant Leonor. Auf dem Schild stand „Ich bin keines Mitleids würdig."

Ich sah mir das Schaubild einen Moment mit glasigen Augen an, während es in meinem Kopf drunter und drüber ging. Er zitterte heftig und schien geweint zu haben. Er musste hier die ganze Nacht über gefesselt gewesen sein. Ich dachte an den schlimmen Regen am vergangenen Abend.

Neben mir schlug sich Mathilda entsetzt auf die Schenkel und riss mich aus meinen Gedanken. „Schaut euch das nicht an!", wies sie uns an und zog uns energisch von der Menge fort. „Das ist ja unerhört!"

Als ich Anstalten machte, mich ein letztes Mal zu ihm umzudrehen, um nochmal die tiefe Genugtuung zu verspüren, schlug mir Mathilda auf die Hand. „Dass du gefälligst gehorchst, Mädchen!"

Wir standen am Straßenrand, etwas abseits von der Menge, als plötzlich fünf Offiziere angelaufen kamen. Sie liefen an uns vorbei und direkt auf die Menge zu. Ich bekam nur noch mit, wie sie versuchten die Menge aufzulösen und sich zu dem Lieutenant durchzukämpfen, als Mathilda uns zum Weitergehen anwies.

Hilde hakte sich wieder bei mir ein und wir gingen die Straße runter in Richtung der Boutiquen.

Ich bekam das kaum mit, da ich das Bild von dem entstellten Lieutenant vor meinem geistigen Auge nicht loswurde. Meine Gedanken überschlugen sich, während ich versuchte zu verstehen, was passiert sein mochte.

Langsam aber sicher bildete sich ein kleines Lächeln auf meinen Lippen.

„Wieso lachst du denn?", fragte Hilde neben mir. „Wegen des armen Mannes?"

Mir verging augenblicklich das Grinsen.

„Wieso denn arm?", fragte ich etwas zu gereizt, „Da stand es doch klar und deutlich. Der hat kein Mitleid verdient."

„Das waren ganz eindeutig irgendwelche Rüpel. Wenn herauskommt, wer das war, würde es schlimme Konsequenzen geben. Einen Lieutenant zu überfallen und so zu entstellen... Einfach unglaublich. Wer würde sich so etwas trauen?"

Mir fiel da jemand ein.

„Vielleicht hatte er es aber verdient. Wer weiß, was er getan hatte.", widersprach ich ernst.

Sie erwiderte nichts dazu, schien etwas eingeschüchtert von meinem harschen Ton, was mir augenblicklich leidtat. Daher wechselte ich das Thema und zeigte auf das erste Schaufenster, das ich sah. „Schau mal, dort gibt es Kleider zu kaufen."

Die Ablenkung hatte funktioniert. Nicht nur Hilde, sondern auch der Rest der Gruppe lief auf das Geschäft zu.

Ich hielt nicht viel von shoppen. Ich war eher das Mädchen, das ihre Nase in Medizinbücher steckte und ihre Zeit größtenteils für ihr Studium aufopferte. Über mein Aussehen hatte ich mir nie wirklich Gedanken gemacht.

Daher behauptete ich auch niemals Ahnung von Mode zu haben! Aber mit anzusehen, wie sich die Mädchen auf die auffälligsten und pompösesten Kleider warfen, erfüllte mich mit leichtem Fremdscham.

Ich setzte mich auf einen Stuhl neben einem kleinen Tisch auf dem eine Schüssel voll Süßigkeiten für Kinder stand. Während ich den anderen beim Aussuchen zusah, warf ich mir hin und wieder eins von den Bonbons in den Mund. Meine Gedanken schweiften immer wieder zu Lieutenant Leonor zurück. Ein kleines Lächeln umspielte wieder meinen Mund.

Dieses Mal aber lächelte ich aus reiner Dankbarkeit.

„Was denkst du, Ella?", rief Marie und riss mich aus meinen Gedanken.

Mit entsetzten Augen sah ich zu, wie sie sich ein knallrotes Kleid mit - für meinen Geschmack - zu viel Tüll und einem übertrieben langen Schleier ausgesucht hatte. Hilde wiederum nahm sich ein rosafarbenes Kleid mit aufgeplusterten, dicken Schultern und glitzernden Perlen auf der Brust. Mir taten die Augen weh.

Rosalie hatte da noch den besten Geschmack; Sie hatte sich für ein blaues Kleid mit Ärmeln und Spitzen im Wellenmuster entschieden. Als Mathilda aber einwarf, dass blau ihre grünen Augen nicht zur Geltung bringen würde, zuckte Rosalie lediglich die Achseln. „Das Kleid muss aber blau sein.", erwiderte sie entschlossen. Ich runzelte die Stirn. Wieso denn das?

Ich warf mir ein weiteres Bonbon in den Mund, als Mathilda sich ungeduldig an mich wandte und mich auf die Beine zwang, damit ich mir endlich ein Kleid aussuchte.

Ob du es glaubst oder nicht, es war furchtbar schwer etwas zu finden, was mich nur ansatzweise ansprach. Ich verstand, dass Kleider mit breiten Becken oder Schultern und übertriebenen Verzierungen in diesem Jahrhundert nun mal angesagt waren. Trotzdem wollte ich so nicht gesehen werden.

Mir würde aber etwas Schlichtes vollkommen reichen.

Als der Verkäufer mich ratlos umherlaufen sah, bot er mir seine Hilfe an. Er holte einige Kleider, von denen er dachte, dass sie zu mir passen würden.

Er zeigte sie mir mit vollem Stolz.

Ich lehnte einen nach dem anderen ab.

Völlig in Schweiß gebadet über meine 'hohen' Anforderungen, hielt er mir das letzte Kleid hin.

„Aber dieses hier musst du nehmen!", sagte Mathilda neben mir entschlossen. Es war ein dunkelviolettes Kleid mit golden schimmernden Verzierungen an den Seiten des Saums. Im Vergleich zu den anderen Kleidern war es noch am unauffälligsten.

Aber es hatte mitten auf der Brust einen riesen großen, roten Bommel.

Ich verzog angewidert das Gesicht. Der Verkäufer und Mathilda ließen im Einklang die Schultern sinken bei meiner Reaktion.

Ich seufzte und wusste, dass ich nirgends ein anständiges Ballkleid finden würde. „Nur unter einer Bedingung.", gab ich schließlich nach.

Mathilda sah mich erwartungsvoll mit großen Augen an.

Ich beugte mich zu ihr - darauf bedacht, dass der Verkäufer nichts mitbekam. „Wenn wir das Kleid kaufen, entfernst du zu Hause mit deinem Nähzeug dieses tote Tier vom Kleid.", flüsterte ich und zeigte auf den Bommel.

Enttäuscht sah mich Mathilda an. „Also bitte! Das ist doch das Schöne an dem Kleid!"

Ich verschränkte die Arme vor der Brust. „Dann nicht."

Mathilda seufzte. „Ist gut, ist gut. So soll es sein."

Die anderen Mädels warteten schon auf mich, als ich aus der Anprobe kam. Mathilda bezahlte an der Kasse alle Kleider mit dem Umschlag, das Mr Kurt bereitgestellt hatte.

Dann verließen wir gemeinsam das Geschäft.

Erst am späten Nachmittag kehrten wir zum Anwesen zurück. Die Hände voll mit Tüten.

Als wir durch die Hintertür in die Küche traten und erschöpft unsere Errungenschaften auf den Tisch ablegten, informierte uns Peter, dass der Hausherr nach Hause gekehrt war.

Ich hob überrascht die Augenbrauen.

Endlich.

Mathilda drehte sich zu uns um. „Also gut. Wir werden uns bei ihm alle gemeinsam bedanken. Ich übernehme das Reden. Dass keiner von euch ein Wort sagt, habe ich mich klar ausgedrückt?"

Wir nickten.

Dann ging Mathilda voran. Wir folgten ihr wie die Entchen den Flur entlang und die Treppe hoch ins obere Stockwerk. Mathilda ward uns noch einen letzten warnenden Blick zu, bevor sie an die Tür des Arbeitszimmers klopfte,.

„Herein!", erklang eine stumpfte Stimme aus dem inneren.

Sie öffnete die Tür und wir traten ein. Mr Kurt saß hinter seinem Schreibtisch und sah von seinen Papieren auf. Mir fiel sofort seine rechte Hand auf, die Schürfwunden aufwies, als hätte er jemandem die Fresse poliert.

Ohne Worte knicksten alle zur Begrüßung.

Nur ich war einen Moment unvorbereitet, da ich in Gedanken verfallen war, und merkte es zu spät. Erst als alle bereits wieder aufsahen, knickste ich schnell nachträglich.

„Was gibt es, Mathilda?", wollte Mr Kurt wissen.

„Wir haben heute morgen die Einladung erhalten, Sir. Wir wollten uns bei Ihnen für die Großzügigkeit bedanken."

„Da gibt es nichts zu bedanken, Mathilda.", erwiderte Mr Kurt, „Ich war es nicht, der euch eingeladen hat. Ihr solltet euch bei Mr und Mrs Wolf bedanken."

„Dennoch, Sir.", sagte Mathilda eingeschüchtert, „Wir danken Ihnen für die Kleider, die wir kaufen durften."

„Das dient nur zum Zweck. Du weißt, ich besuche nicht gerne solche nutzlosen Bälle, die nur zur Sozialisierung dienen. Hätte ich keine geschäftlichen Anliegen an diesen Ball, würde ich nicht hingehen und ihr auch nicht."

Wow.

Mit anderen Worten; Wir durften nur mitkommen, weil er hingehen musste.

„Aber natürlich, Sir.", sagte Mathilda mit einem Nicken, „Wir wollen Sie dann nicht länger aufhalten." Mit diesen Worten machten alle kehrt und verließen das Zimmer.

Ich blieb am Türrahmen stehen, sah den anderen hinterher, die sich nicht nach mir umschauten, und drehte mich dann nochmal zu Mr Kurt um.

Dieser sah mich ungeduldig an. „Worauf wartest du?"

„Ich hätte da noch ein Anliegen."

Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. „Und das wäre?"

„Ich wollte mich bei Ihnen bedanken."

Er seufzte genervt. „Das hat Mathilda doch bereits getan."

„Nein. Nicht dafür, Sir."

„Sondern?" Er hob eine Augenbraue hoch und tippte ungeduldig mit dem Zeigefinger auf den Tisch.

Ich blinzelte verwirrt. „Na... Sie wissen schon."

Er sah mich einen Moment ausdruckslos an. „Ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst."

Ich seufzte. „Ich meine wegen gestern-."

„Hör zu.", unterbrach er mich und holte seine Taschenuhr heraus, „Du hast bereits 30 Sekunden meiner kostbaren Zeit verschwendet, indem du nur hier stehst und von Dingen redest, die mich nicht im Geringsten interessieren. Zeit ist Geld und Geld ist Macht. Und du verschwendest das alles nur mit deinen Atemzügen. Wenn du dann also fertig wärst - dort ist die Tür."

Ich presste die Lippen zusammen. Wieso machte ich mir überhaupt die Mühe mich bei einem Neandertaler zu bedanken?

Weil du in seiner Schuld stehst.

Ich brachte die nervige Stimme in meinem Kopf zum Schweigen und sah auf den ungeduldigen Mann vor mir. Dabei dachte ich an den Moment im Krankenhaus zurück, den wir zusammen geteilt hatten, als wir uns wortlos in die Augen gesehen hatten. Ich hatte gedacht, es war mehr. Aber vielleicht hatte ich auch zu viel hineininterpretiert.

Dennoch; Ich hatte keine Zweifel daran, dass dieser selbstsüchtige, kalte, herzlose Mann sich die Hände dreckig gemacht hatte, obwohl er es nicht hätte tun müssen.

„Wir sind am Marktplatz vorbeigegangen.", erklärte ich und sah ihn dann ernst an, „Ich habe ihn gesehen, Sir."

Sein Kiefer zuckte.

Ich wusste sofort, dass er verstand, worauf ich hinauswollte. „Du solltest jetzt gehen.", wich er kühl aus, als wolle er keine Dankbarkeit. Ein wenig erinnerte er mich in diesem Moment an Scrooge aus der Weihnachtsgeschichte.

Ich schmunzelte vor mich hin. „Wie Sie meinen, Sir."

Er zog die Augen zu Schlitzen zusammen bei meinem Schmunzeln.

„Ich hätte da nur eine Frage, Sir.", fuhr ich fort und neigte den Kopf zur Seite, "Wird es denn keine Konsequenzen geben einen Offizier zu überfallen?"

Etwas blitzte in seinen Augen auf. „Da ich nicht weiß, wo von du sprichst,", antwortete er, "wird es auch keine Konsequenzen geben können."

Ich nickte und unterdrückte mein Lächeln. „Ich verstehe. Nun, dennoch vielen Dank."

„Hör auf dich bei mir zu bedanken! Ich weiß nämlich nicht, wovon du sprichst!", knurrte er.

„Aber natürlich.", sagte ich nickend.

Sein Blick verfinsterte sich. „Ich sehe schon. Du bist wieder ganz die Alte. Du darfst jetzt gehen!"

Ich nickte und knickste spöttisch, ehe ich auf leichten Füßen das Zimmer verließ.

*~*~*~*~*~*~*~*

Am späten Abend saß ich auf meinem Bett und wartete, bis sich die anderen zum Schlafen begeben hatten. Ich hatte meinen Plan nicht vergessen. Und nachdem was mit Lieutenant Leonor passiert war, war ich entschlossener denn je meine Gedanken umzusetzen.

Vielleicht war das meine Bestimmung gewesen.

Vielleicht war ich genau aus diesem Grund, in diese Zeit versetzt worden.

Vielleicht war die Zeit gekommen etwas zu ändern.

Ich wollte etwas ändern. Die Vergangenheit.

Daher begab ich mich in die Küche und setzte mich im Kerzenlicht mit Feder und Papier an den Tisch. Ich wusste Mr Kurt hatte mir davon abgeraten - nein, es mir verboten -, aber ich konnte seit der Fast-Vergewaltigung nicht mehr stillsitzen. Ich würde einen Brief an die Öffentlichkeit schreiben, was die Unterdrückung und Misshandlung von Frauen anging! Ich versuchte es, wie ein Gedicht zu verfassen und meine passiv-aggressiven Forderungen quasi zwischen den Zeilen zu verstecken. Denn mir war klar, dass ein solcher Brief bei der Gesellschaft direkt auf Aufruhr und Widerspruch treffen würde. Deshalb musste man mit Fingerspitzengefühl an das Thema Emanzipation herantreten.

Was ich vor allem versuchen musste, war es, mehr Frauen auf meine Seite zu bringen. Viel zu viele waren blind und ließen sich entmutigen.

Daher konnte mir die Meinung der Männer im Moment egal sein. Die müssten wir danach noch überzeugen.

Um meinem Brief eine größere Bedeutung zu geben, unterzeichnete ich mit einem Männernamen als Pseudonym. Eliah Bloom. Es war kein besonderer Name, es war nur ein Mittel zum Zweck.

Als ich zufrieden war mit meinem Brief faltete ich ihn und packte alles zusammen. In meinem Zimmer versteckte ich ihn unter der Matratze.

Was ich als nächstes tun müsste, war es eine Druckerei aufzufinden und meinen Brief in den Druck zu geben. Danach brauchte ich sie nur noch heimlich in der Stadt zu verteilen. Die Leute sollten die Briefe überall sehen, nirgends von ihnen flüchten können. Es gab Laufjungen, die Zeitungen verteilten. Mit etwas guter Bezahlung würde ich ihnen auch meine Briefe unterjubeln können.

In dieser Nacht lächelte ich mich in den Schlaf.

Ich würde eine Revolution starten.





Der Brief:

Wie lange wirst du dich beugen?
Machst nicht viel, nur Kinder zeugen.
Kein Lob, kein Sieg, alles nur Schein.
Du bist nicht frei, wirst es nie sein.
Kein Retter, der kommt und dich sieht.
Ist egal, was aus dir geschieht.
Wer soll kommen und dich retten?
Passiert täglich, in den Städten.
Du bist kein Tier, auch kein Sklave
Du bist mehr, als nur die Dame.
Lass nicht zu, dass man dich leugnet.
Weißt du nicht, was das bedeutet? 
Du kannst viel mehr, auch ohne Mann.
Müssen nur zieh'n, an einem Strang.
Sag, wie viel Zeit muss vergehen?
Bis es alle hier verstehen.

- gez. Eliah Bloom



*~*~*~*~*~*~*~*

Ich grüße dich, mein Freund! *schmatzt dir feuchte Küsse links, rechts auf die Wange*

Jetzt wo die alte Ella zurück ist, packt sie ihre geballte Ladung Frauenpower aus und  jeder der sich in unmittelbarer Nähe befindet, sollte besser aufpassen ;)

Ich hatte mir überlegt vielleicht regelmäßige Upload-Tage einzuführen, damit du dich nicht fragen musst, wann denn das nächste Kapitel kommt. Ich konnte mich aber nicht entscheiden, ob ich es Montags oder Donnerstags machen sollte. (Vielleicht auch beides? haha)

Aber weil ich wichtige Termine auf mich zukommen, kann ich vermutlich nicht mehr so oft schreiben. Ich versuche dennoch mein Bestes dich nicht zu vernachlässigen, versprochen!

Ich danke dir, dass du gespannt weiterliest! Und ich verspreche dir, du wirst es nicht bereuen ;)

Deine Miss Caffrey.

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