Ella - Die Stille nach dem St...

By sibelcaffrey

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"Du kannst versuchen es zu leugnen, dich zu widersetzen und mich von dir fern zu halten. Ich werde aber nicht... More

Prolog
1. In der Zeit gefangen
2. Der Herr des Hauses
3. Retterin in der Not
4. Die neue Krankenschwester
5. Tatsächlich Zigeunerin?
6. Schlaflose Nacht
7. Gebrochen - Teil 1
9. Der leise Held
10. Der Ball
11. Nass im Regen
12. Der Brief an die Öffentlichkeit
13. Der Verehrer
14. Mi Casa Es Su Casa - Teil 1
15. Mi Casa Es Su Casa - Teil 2
16. Erschwerungen
17. Im Mondschein
18. Rendez-vous mit dem guten Freund
19. provokative Provokation
20. Nathan Kurt
21. Der Kampf - Teil 1
22. Der Kampf - Teil 2
23. Heimweh Teil 1
24. Heimweh Teil 2
25. Wie Du mir, so ich Dir
26. Neues kommt, Altes geht
27. Unerwartete Gäste
28. Du und ich
29. Alles findet seinen Platz
30. Wettlauf gegen die Zeit
31. Alles oder Nichts
32. Schicksal
33. Das Erwachen
34. Prinzipien, welche?
35. Die Zeit rückt näher
36. Liebe, der Zeit zum Trotz
37. Blick in die Zukunft (ENDE)
Epilog
FORTSETZUNG

8. Gebrochen - Teil 2

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By sibelcaffrey

Ich fühlte mich nicht mehr wie dieselbe.

Ich fühlte mich taub und leer - weder traurig, noch glücklich.

Seit der Nacht hatte ich keinen ruhigen Schlaf mehr. Immer wieder wurde ich von Alpträumen heimgesucht.

Ich konnte es nicht beschreiben, aber ein ständiges Gefühl von Schmutz verfolgte mich. Jeden Tag wusch ich mich inzwischen. Ich schrubbte mir die Haut wund unter der Dusche. Aber ich wurde das Gefühl von seinen Händen nicht los. Ich versuchte nicht mehr dran zu denken und doch schien nichts anderes meine Gedanken zu füllen.

Wie Rosalie mir geraten hatte, erfuhr niemand von dem Vorfall. Ich hielt es für mich, aber merkte auch, wie es mich von innen zu zerfressen schien.

Im Krankenhaus war ich völlig neben der Spur. Ich bekam kaum mit, wenn mir Oberschwester Helene Anweisungen gab oder wie ich einen Patienten behandelte. Ich hatte sogar einmal die Symptome eines Patienten völlig missinterpretiert und hätte fast falsche Maßnahmen ergriffen, wenn Doktor Thomas nicht rechtzeitig eingeschritten wäre. Glücklicherweise nahm er es mir nicht übel und meinte, dass sich jeder mal täuschen könnte. Ich widersprach nicht.

Ich nahm es einfach hin.

Auch im Anwesen lief nichts wie früher. Ich brauchte länger als sonst um meine Arbeit zu verrichten. Natürlich entging Mathildas mütterlichen Augen nichts. Sie fragte mich fast stündlich, ob es mir gut ginge. Und zwei Mal war ich zu erschöpft, um es länger für mich zu behalten und war gerade dabei, ihr alles zu erzählen, als Rosalie dazwischenkam und das Thema wechselte. Sie warf mir einen warnenden Blick zu und sagte mir, ich solle mich gefälligst zusammenreißen.

Vermutlich hatte sie recht; Es war immerhin nichts passiert. Nicht wirklich. So weit kam er nicht - zum Glück.

Aber warum fühlte ich mich dann so schrecklich?

Warum konnte ich mich nicht erholen, obwohl bereits Tage vergangen waren?

„Hörst du, Mädchen?", riss mich Mathilda aus meiner Trance. Wir saßen gemeinsam am Esstisch in der Küche. Ich sah auf mein unberührtes Essen.

„Wie bitte?", fragte ich nach kurzem Zögern.

Mathilda seufzte ungeduldig. „Der Hausherr wird morgen wieder kommen. Hast du schon seine Bettwäsche gewechselt?"

Ich dachte einen Moment nach. Hatte ich?

„Ja. Ja, ich denke schon.", antwortete ich nachdenklich und stocherte im Essen herum.

„Was soll hier 'ich denke schon' heißen, Fräulein? Hast du oder hast du nicht?", fragte sie fassungslos.

Ich konnte mich ehrlich nicht mehr erinnern. Sie muss mir meine Verwirrung angesehen haben, denn sie seufzte nur. „Du machst das besser jetzt. Egal, ob du es schon getan hast. Wir sollten sicher gehen."

Ich nickte nur und stand auf.

„Ich meine doch nicht jetzt sofort, Mädchen. Iss erst zu Ende. Dein Essen ist schon ganz kalt."

Oh.

Ich setzte mich wortlos wieder hin und begann zu essen. Es war wirklich schon kalt. Ich spürte Mathildas Blick auf mir ruhen, aber ich sah nicht auf. Damit sie sich jedoch nicht noch mehr unnötige Sorgen machte, zwang ich mich meinen Teller zu leeren. Es wäre mir fast wieder alles hochgekommen, wenn ich nicht mit einem Schluck Wasser nachgespült hätte.

Nach dem Abendessen holte ich die frische Bettwäsche aus dem Waschraum und stieg dann auf das Schlafzimmer von Mr Kurt, nur um mich dort erschöpft auf das große Bett fallen zu lassen. Beim letzten Mal hatte ich die Wäsche auch nicht gewechselt und Mr Kurt schien nichts bemerkt zu haben. Daher machte ich mir nicht erst die Mühe. Meine Finger waren ohnehin viel zu taub, um die einzelnen Knöpfe zu öffnen.

Ich war froh, dass ich am nächsten Tag im Krankenhaus arbeiten würden. Das hieße nämlich, dass ich Mr Kurt nicht sofort sehen müsste, wenn er nach Hause kam.

Der Gedanke ihm gegenüber zu treten, gab mir ein mulmiges Gefühl.

Ich würde versuchen das Wiedersehen soweit wie möglich hinauszuzögern.

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

Am nächsten Morgen wachte ich sehr früh auf. Ich wollte vermeiden auf Mr Kurt zu stoßen und zog mich daher eilig um. Als ich auf den Flur trat, schlich ich zu Peter und Mathildas Schlafzimmertür. Ich klopfte leise an, aber als keine Antwort kam, klopfte ich etwas kräftiger. Es war völlig still im Raum. „Peter!, zischte ich leise, „Peter, wach auf, ich muss zum Krankenhaus."

Ich öffnete die Tür einen Spalt und spähte vorsichtig rein.

Huh? Das Bett war leer. Niemand da.

Sie konnten unmöglich schon wach sein. Mathilda weckte mich normalerweise, wenn sie selbst aufstand, damit wir das Frühstück vorbereiteten. Peter wiederum stand normalerweise erst zum Frühstücken auf.

Daher machte ich mich auf die Suche nach ihm. Ich schlich den Flur entlang bis zur Eingangshalle. So leise wie möglich versuchte ich die Eingangstür zu öffnen.

„Wohin des Weges, junges Fräulein?"

Ich erstarrte bei der nur allzu bekannten Stimme. Das konnte nicht sein!

Ich drehte mich ganz langsam um und blickte in die ausdruckslosen, dunklen Augen von Mr Kurt. In der einen Hand hielt er eine Tasse Tee, die andere Hand hatte er in die Hosentasche gesteckt. Sein Haar völlig wirr, aber er schien ganz entspannt. Er stand am Türrahmen zum Wohnzimmer und hatte fragend eine Augenbraue gehoben.

„Seit wann sind Sie denn schon zurück, Sir?", fragte ich perplex mit belegter Stimme.

„Ich mag es nicht, wenn du mir Gegenfragen stellst. Du sollst antworten."

Ich schluckte schwer und sah zu Boden.

„Ich wollte zum Krankenhaus.", antwortete ich kleinlaut. Ich sah aus dem Augenwinkel, wie er seine Taschenuhr herausholte.

„So früh?", fragte er. Ich biss mir auf die Unterlippe. „Denkst du nicht auch, dass du hier noch etwas zu erledigen hast, bevor du gehst?"

„Inwiefern?"

„Zum Beispiel meine Bettwäsche.", sagte er ganz kühl, „Ich bin heute morgen um 4 Uhr angekommen, nur um festzustellen, dass sie nicht gewechselt wurde. Als Mathilda mir aber einen Tee gemacht hat, hätte sie schwören können, dass du letzten Abend mit frischer Bettwäsche auf mein Zimmer gegangen bist. Weshalb also ist sie nicht sauber?"

Seine Bettwäsche war mir ehrlich gesagt völlig egal. Ich fühlte mich aber schrecklich unwohl und hatte wieder das plötzliche Gefühl von Schmutz an mir. Geistesabwesend rieb ich mir den Arm. Ich wollte nur noch so schnell wie möglich hier weg. „Sie haben recht.", sagte ich daher, „Ich erledige das sofort."

Ich ging gerade drei Schritte in Richtung Treppe, da stellte er sich wie eine Mauer vor mich. Überrascht sah ich in seine dunklen Augen. Unter seinem forschenden Blick fühlte ich mich ganz unbehaglich. Fast schon entblößt. Sein Blick konnte so eindringlich und entmutigend sein. Es spürte sich fast so an, als würde er alles über... den Vorfall erfahren, wenn ich ihm zu lange in die Augen sah.

Ich wich zurück.

„Was ist los?", forderte er mit eiskaltem Ton zu wissen.

Es herrschte kurze Zeit Stille.

Da ich überall hinsah, nur nicht zu ihm, wusste ich nicht, was er tat. Aber ich spürte seinen Blick auf mir.

Ich schluckte schwer. Mein Hals war staubtrocken. „Nichts, Sir. Was soll los sein?"

„Du hattest zwei Mal die Gelegenheit mir zu widersprechen oder einen deiner Sprüche auszulassen. Aber du hast es nicht getan. Es ist ganz offensichtlich, dass etwas los ist."

Sein Ton war weder wütend noch besorgt, sondern viel mehr ernst und fordernd.

Ich runzelte die Stirn.

Komm, Ella, sag es ihm. Erzähl ihm, was passiert ist, dann hast du es endlich von der Seele! Erzähl ihm, wie dreckig seine Geschäftspartner sind! Erzähl ihm, wie scheinheilig sie sind. Erzähl es ihm, damit... er dir dann nicht glaubt.

„Ich... Ich muss ins Krankenhaus.", sagte ich also stattdessen.

„Das Einzige, was du jetzt musst, ist meine Frage zu beantworten."

„Ich verstehe das Problem nicht, Sir. Ich tue doch, was Sie sagen. Ich dachte, Sie mögen es nicht, wenn ich widerspreche." Meine Stimme klang ganz kratzig. So viel wie jetzt hatte ich in den letzten Tagen nicht gesprochen.

„Aha." Er nahm einen Schluck von seinem Tee, „Also hattest du während meiner Abwesenheit einen plötzlichen Sinneswandel und weißt dich ab sofort zu benehmen? Soll ich das wirklich glauben?"

Ich seufzte leise. Ich wollte durchaus widersprechen und ihm meine Meinung sagen, aber mir fehlte einfach die Kraft dazu. Ich war viel zu benommen für eine Diskussion mit ihm. „Ich mache mir nur Sorgen wegen meiner Patienten.", log ich, „Deshalb will ich so schnell wie möglich ins Krankenhaus." - und weg von Ihnen.

Er sah mich ausdruckslos an.

„Wenn es so dringend ist, solltest du wohl besser gehen. Die Bettwäsche wird Mathilda wechseln."

Huh? Ich war nicht darauf vorbereitet, dass er mich so leicht gehen ließ. Um ehrlich zu sein, hatte ich sogar erwartet, dass er meine Lüge durchschaut und mich zwingt die Wahrheit zu sagen. Ich wusste nicht, ob ich erleichtert oder enttäuscht sein sollte...

Natürlich erleichtert, Ella! Mach, dass du da wegkommst!

„Peter!", rief Mr Kurt, wobei ich überrascht zusammenzuckte.

Wie aus dem Nichts kam Peter von draußen durch die Eingangstür reingestolpert. „Ja, mein Herr."

„Begleite Fräulein Blanc zum Krankenhaus."

Dieser nickte. „Aber natürlich, mein Herr." Er setzte sich seinen Ausgehhut auf. „Komm, Kleines."

Ich warf Mr Kurt einen letzten Seitenblick zu, als er ohne ein weiteres Wort im Wohnzimmer verschwand. Okay, ein klein wenig war ich auch enttäuscht gewesen...

Ich seufzte und ließ mich von Peter hinausführen.

Die kühle Luft ließ mein Tuch hin und her fliegen. Auf der Straße angekommen, begann Peter wieder von seinen Geschichten aus der Jugend zu erzählen. Ich war ganz froh, dass er die Unterhaltung überwog, somit musste ich nicht viel mehr tun als nicken und lächeln. Ich war ohnehin damit beschäftigt alle zwei Sekunden über meine Schulter zu gucken.

Während wir durch die Straßen liefen, verließ mich nie das Gefühl beobachtet zu werden. Aber immer, wenn ich mich umsah, war da nichts. Daher versuchte ich das bedrückende Gefühl einfach zu ignorieren.

Kurze Zeit später gewann ohnehin etwas völlig anderes meine Aufmerksamkeit.

Wir waren nicht mehr weit bis zum Krankenhaus, als mein Blick auf zwei Offiziere fiel, die an der Straßenkreuzung standen und sich mit irgendwelchen Standverkäufern unterhielten.

Ich blieb abrupt stehen. Mein Herz schlug mir wie wild gegen die Brust. Ich brauchte sein Gesicht nicht sehen, um zu wissen, dass Mr Leonor dort stand. Glücklicherweise war er in ein Gespräch verwickelt, weshalb er mich nicht gesehen hatte.

„Was ist denn, Kleines?", fragte Peter überrascht darüber, dass ich plötzlich stehengeblieben war.

„Nichts.", hauchte ich und lief mit schnellen Schritten an ihm vorbei. Als meine Hände unkontrolliert zu zittern begannen, verkrampfte ich sie miteinander. Ich mochte es nicht zugeben, aber ich hatte... Angst. Ich peilte direkt den Haupteingang des Krankenhauses an, wobei mein Blick immer wieder zum Offizier huschte. Fast so, als hätte er meinen Blick gespürt, sah er plötzlich auf. Mir rutschte das Herz in die Hose, als er mich erblickte. Ich wich seinem Blick sofort aus und lief förmlich mit eiligen Schritten ins Krankenhaus und verabschiedete mich mit einem knappen „Wir sehen uns später" von Peter.

Ich ging eilige durch die Gänge und geradewegs in die Umkleide. Dabei ließ ich mich von niemanden ansprechen.

Dort angekommen, versuchte ich um meine Fassung zu ringen und atmete heftig.

Das war so unfair!

Ich litt jeden gottverdammten Tag seit der Nacht und hatte Albträume, während dieses Arschloch seelenruhig durch die Straßen spazieren konnte, als wäre nie etwas passiert. Er konnte lachen und mit Menschen reden, die hochachtungsvoll von ihm dachten. Dabei war er nicht mehr wert als ein Stück Scheiße.

In mir kochte die Wut, als sich Tränen in meinen Augen bildeten.

Nein, Ella, du wirst nicht weinen! Ich drängte die Tränen fort und atmete tief durch. Zeig keine Schwäche!

Er würde damit nicht durchkommen. Wer weiß, ob er sowas nicht schon bei anderen Frauen getan hatte! Wer weiß, ob er es nicht weiter versuchen wird? Oh Gott... Wer weiß, wie oft er damit durchgekommen war...

Meine Gedanken überschlugen sich. Verzweifelt vergrub ich das Gesicht in den Händen und versuchte mich mit ganzer Kraft wach zurütteln. Es reichte! Ich konnte so nicht leben. Ich musste mich jemandem anvertrauen, sonst würde ich wahnsinnig werden. Bei der nächsten Gelegenheit würde ich mit jemandem sprechen. Absurderweise kam mir dabei sofort Mr Kurt in den Sinn. Warum auch immer, wollte ich, dass er es wusste...

Aber erstmal musste ich mich zusammenreißen. Ich war jetzt im Krankenhaus und kranke Menschen brauchten meine Hilfe. Daher atmete ich einmal tief durch, ehe ich mir die Krankenschwester-Uniform anzog und aus der Umkleide trat. Da ich mir nun fest vorgenommen hatte, drüber zu sprechen, erfüllte mich bereits eine tiefe Erleichterung – fast so, als hätte ich schon drüber gesprochen. Allein der Gedanke, dass ich mich nicht zurückhalten müsste, tat bereits gut.

Ich ging durch den Gang, um meine Visite bei einem meiner Patienten zu beginnen. Dabei holte ich noch einen Pflegewagen mit allen nötigen Utensilien aus einem Abstellraum und schob ihn vor mich her, als Leonor plötzlich am anderen Ende des Ganges erschien. Mir gefror das Blut zu Eis bei seinem Anblick. Er fixierte mich mit den Augen und ich wusste sofort, er war meinetwegen hier.

Ich hielt den Wagen so sehr fest, dass mir die Knochen hervorstachen. Ich war völlig angespannt, als er geradewegs auf mich zu zielte. Geschmeidig lief er durch den Gang, als wäre nichts. Er lächelte mich an, aber ich sah die Wut in seinen Augen, als er nähertrat.

„Was eine Überraschung.", sagte er schelmisch, „Du bist also Krankenschwester."

Ich zwang mich ihm in die Augen zu sehen, ohne auszuweichen. Unter keinen Umständen würde ich ihm die Genugtuung geben. Er sollte nicht wissen, was für eine Angst ich verspürte. „Was willst du?", fragte ich und war überrascht, wie ruhig ich dabei klang.

„Ist es nicht offensichtlich?", fragte er mit einer gehobenen Augenbraue zurück, „Dich."

Ich knirschte mit den Zähnen, als die Wut in mir langsam die Angst vertrieb. Dieser miese Hurensohn.

„Irgendwie gefällt es mir, dass du nicht nur ein Hausmädchen bist.", sagte er leise, während sein Blick an meinem Körper hinabglitt, „Du kannst also viel mehr, als nur eine Position einnehmen." Ich verstand die Zweideutigkeit in seiner Aussage, was mich nur wütender macht. Er trat gefährlich näher. Dabei verschwand für keine Sekunde das Lächeln auf seinen Lippen. Von außen sah es vielleicht so aus, als würden wir eine nette Unterhaltung führen.

„Scher dich zur Hölle, du Hackfresse.", spuckte ich leise und war froh, dass der Utensilienwagen zwischen uns stand, als das Lächeln verschwand. Im Augenwinkel behielt ich die Schere im Blick, die ganz oben auf dem Wagen lag.

„Ich weiß doch, dass du es auch willst.", flüsterte er und warf mir einen süffisanten Blick zu. Angewidert verzog ich das Gesicht. Das schien ihn zu provozieren, denn er schnappte plötzlich ohne Vorwarnung vor und hielt den Wagen fest, den ich schob. Sofort krallte ich mir die Schere und wich zurück. „Wag es ja nicht.", zischte ich, „Ich brauche nur einmal zu schreien und jeder würde angerannt kommen. Du hast hier keine Chance."

„Du brichst mir das Herz.", sagte er mit einem Blick auf die Schere, „Du verstehst mich völlig falsch. Ich habe es doch nicht eilig, meine Schöne. Ich kann warten. Ich werde schon noch meine Gelegenheit bekommen."

Ich musste mich stark konzentrieren, damit mir die Hände nicht zitterten. In seinen Augen sah ich, wie ernst er es meinte. Ich wusste, dass er mich verfolgen würde. Er würde nichts unversucht lassen, bis er mich vergewaltigen konnte.

Auch wenn ich mir meine Furcht nicht anmerken lassen wollte, wich ich zurück, als er den Wagen bei Seite schob und nichts mehr zwischen uns lag. Ich spürte die Wand an meinem Rücken, während er näherkam. Drohend hob ich die Schere.

„Was geht hier vor sich?"

Die kühle Stimme erfüllte den ganzen Flur. Eine Flut der Erleichterung durchströmte mich und ich hätte fast vor Freude geweint. War er mir gefolgt?

Ich brauchte nicht über die Schulter des Lieutenants zu blicken, um zu wissen, dass Mr Kurt dort stand.

Leonor drehte sich langsam zu ihm um. „Mr Kurt.", begrüßte er ihn mit einem aufgesetzten Lächeln auf den Lippen.

„Lieutenant.", erwiderte dieser mit ruhiger Stimme und trat auf uns zu. Sein Blick wanderte von Leonor zu mir und dann auf die Schere. Er zog die Augenbrauen zusammen und sah mich fassungslos an.

Nein. Warte. Du sollst nicht sauer auf mich sein! Sondern auf diesen Dreckskerl!

Ich senkte die Schere und machte den Mund auf, um mich zu erklären, aber Leonor kam mir zuvor. „Sie haben eine sehr temperamentvolle Angestellte, Mr Kurt, das muss ich sagen.", lachte er, als wäre nie etwas gewesen, „Sie hat sich sofort von mir provoziert gefühlt."

Mr Kurts Blick verfinsterte sich. Ich konnte es nicht fassen! Er glaubte ihm das!

„Entschuldigen Sie, Lieutenant, Ella kennt ihre Grenzen nicht und handelt häufig unüberlegt.", erklärte Mr Kurt. Mir fiel die Kinnlade runter. Das konnte doch nicht wahr sein.

„Das ist überhaupt kein Problem. Ich habe bereits versucht zu erklären, dass ein Missverständnis vorliegt, aber sie wollte nicht hören."

„Ja, das klingt ganz nach ihr.", stimmte Mr Kurt zu, „Ich werde dafür sorgen, dass sich das nicht wiederholen wird, Lieutenant."

„Schon gut. Sie brauchen nicht zu streng mit ihr zu sein.", entgegnete dieser beschwichtigend. Dann sah er zu mir herüber und durchbohrte mich mit einem vielsagenden Blick. „Sie ist noch recht jung. Sie weiß nicht, was gut für sie ist. Manchmal sollte man einfach den Mund halten."

Ich wusste, dass die letzten Worte eine Drohung waren. Mir pochte das Herz wie wild. Ich war dermaßen wütend über diese Situation. Wie konnte es sein, dass ich so ungerecht behandelt wurde?!

„Überlassen Sie das mir.", erwiderte Mr Kurt kühl, „Wir wollen Sie nicht weiter aufhalten, Lieutenant."

Dieser nickte nur zur Antwort, warf mir einen letzten Blick zu, ehe er auf dem Absatz kehrt machte. Ich hatte gar nicht die Gelegenheit ihm einen wütenden Blick zuzuwerfen, als ich schon unsanft am Arm gepackt wurde. „Ella, auf ein Wort.", knurrte Mr Kurt leise und zog mich mit sich in den nächstbesten Raum.

Mit einem Knall warf er die Tür hinter uns zu. Er kochte vor Wut. Ich fühlte mich absurderweise hintergangen. Dabei war Mr Kurt der letzte Mensch auf dieser Welt, der mir Verständnis entgegenbringen würde. Was hatte ich denn auch anderes erwartet?!

Er schellte vor, griff nach meinem Handgelenk und schüttelte die Hand schmerzhaft, bis ich gezwungenermaßen die Schere fallen ließ. Mit einem Klirren fiel es zu Boden.

„Du hattest gerade nicht das vor, wonach es aussah, oder?!", knurrte er kaum in der Lage sich zu beherrschen.

„Lassen Sie mich los." Es sollte eine Aufforderung sein, aber es klang vielmehr wie ein Flehen in meinen Ohren. Meine Stimme klang so fremd. Ich konnte das alles nicht länger ertragen. Wie war ich jetzt die Schuldige geworden, die Rechenschaft abgeben musste?! War das genau der Punkt gewesen, vor dem Rosalie mich warnen wollte? Waren die Männer in dieser Zeit immer die Gewinner? Würde man ihnen immer alles glauben, egal was sie taten?

„Ella, was hattest du vor?!", verlangte er zu wissen und riss mich aus meinen Gedanken, „Wolltest du auf Lieutenant Leonor losgehen?!"

Ich schluckte schwer und wich seinem Blick aus. Er packte mich harsch am Oberarm.

„Du antwortest mir besser, denn mein Geduldsfaden ist zum Zerreißen nahe!", zischte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, „Hast du völlig den Verstand verloren, Mädchen?!"

Ich ließ seine Worte über mich ergehen.

„Warum?!", knurrte er ungeduldig und schüttelte mich, „Warum würdest du so etwas tun?!

Ich presste die Lippen zusammen. Wein auf keinen Fall, Ella! Auf keinen Fall!

Als ich nichts sagte, stieß er ungeduldig die Luft aus. „Antworte gefälligst, Ella! Warum?!"

„Lassen Sie mich los!", stieß ich aus und zog an meinem Arm, aber er ließ nicht los. Stattdessen wurde sein Griff fester. Ich zog scharf die Luft ein.

„Hat er dich beleidigt?", fing er an zu raten, „Hat er etwas herablassendes Frauen gegenüber gesagt? Was hat er getan, dass du eine verdammte Schere auf ihn richten musstest?!"

Es herrschte einen Moment vollkommene Stille. Ich hielt es nicht länger aus. Ich spürte, wie mir die warmen Tränen in die Augen schossen. Das hatte ich nicht verdient! Ich wollte mich nur verteidigen. Niemals wäre ich wirklich auf ihn losgegangen mit der Schere. Er sollte nur Abstand halten. Mehr nicht.

Ich sah zu Mr Kurt auf. In seinen Augen wütete ein Sturm. Es war nicht auszumachen, was in ihm vorging.

Eine Träne, die ich nicht zurückhalten konnte, lief mir die Wange hinab.

Sein steinharter Blick erstarrte. Er ließ seinen Blick über mein Gesicht gleiten, ehe er die Augenbrauen zusammenzog. Mit einem Mal hatte sich etwas geändert.

„Hat er-", seine Stimme, die eben noch eisig durch die Luft schnitt, war nun nicht mehr als ein Flüstern, „Hat er etwa versucht dich zu... berühren?"

Er brauchte es nicht zu erklären.

Ich verstand sofort, was er meinte.

In meinem Hals bildete sich mit einem Schlag ein fester Knoten. Und ehe ich es verhindern konnte, liefen mir die Tränen in Strömen die Wange hinab.

Seine Augen weiteten sich.

Er hatte seine Antwort.

Er ließ mich los und wich zurück. Meine Knie gaben augenblicklich nach und ich sank zu Boden. Sein Atem beschleunigte sich hörbar und ein animalischer Laut drang tief aus seiner Kehle.

„WIESO HAST DU MIR DAS NICHT GESAGT, ELLA!", brüllte er voller Zorn und hatte die Hände zu Fäusten geballt.

Ich wusste seine Wut galt nicht mir.

Aber die plötzliche Erleichterung, es endlich von der Seele zu haben, ließ mir die Tränen kommen.

Mr Kurt fasste sich an die Stirn und ging vor mir hitzig auf und ab. Er hatte völlig die Fassung verloren. Er schien völlig vor den Kopf gestoßen, als wäre das, das letzte, was er vermutet hätte.

„Wann?", bellte er wütend.

„Vor fünf Tagen.", antwortete ich leise wimmernd.

Er zog scharf die Luft ein und blieb abrupt stehen.

„Und wo?"

Ich schluckte schwer und sah zu Boden. Vor meinem geistigen Auge liefen die Szenen ab und ich bekam eine Gänsehaut. „Bei Ihnen zu Hause..."

Ein gefährliches, knurrendes Geräusch entwich ihm tief aus der Kehle. „Das wird er bereuen... Das wird er bitter bereuen..."

. Ich vergrub das Gesicht in den Händen. Mir war klar, dass ich nichts Falsches getan hatte, aber ich fühlte aus unerklärlichen Gründen große Scham.

Erst zu diesem Zeitpunkt merkte ich, was für eine große Last ich mit mir getragen hatte.

Ich zuckte heftig zusammen, als Mr Kurt sich wortlos zu mir gekniet hatte und mir eine Hand auf den Oberarm legte. Mit großen Augen sah ich ihn an, als er mir mit dem Handrücken die Tränen wegwischte. Er war schon fast... zärtlich. Ich schluckte schwer.

Er zog mich mit sich auf die Beine. Meine Knie gaben jedoch sofort wieder nach, woraufhin er mir eine Hand um die Taille legte um mich zu stützen.

Ich hielt den Atem an.

Erst zu dem Zeitpunkt merkte ich, wie gefährlich nahe wir uns waren. Ich konnte seinen Atem an meiner Stirn spüren.

Ich verbot mir jedoch jeden Gedanken darüber, wie gut es sich anfühlte von ihm gehalten zu werden. Er war nach wie vor mein Hausherr und Chef. Ich durfte das auf keinen Fall vergessen.

„Du fährst jetzt besser nach Hause.", brach er schließlich die Stille, „Heute wirst du nicht arbeiten."

Ich schluckte schwer und versuchte mich zu sammeln. Als ich zu ihm aufsah, hatte er einen versteinerten Ausdruck im Gesicht. „Und Sie?"

Er sah mich ernst an. „Ich habe einiges zu erledigen."

Langsam löste ich meine verkrampften Finger von seinem Mantel und sah ihn forschend an. Er erwiderte meinen Blick und ließ mich langsam los. In seinem Blick lag etwas, das ich nicht deuten konnte.

„Ich sollte besser gehen." Er wich zurück, aber ließ mich nicht aus den Augen. Wir sahen uns an. Mehr war es nicht.

Und doch fühlte es sich nach sehr viel an.

Ehe ich mich versah, drehte er sich um und stürmte aus dem Zimmer. Ich sah ihm lange nach. Was war passiert?

Ich legte mir eine Hand über die Brust. Ich fühlte mich unfassbar leicht. Das Gefühl war unbeschreiblich.

Als hätte ich all meine Sorgen ihm übertragen und durfte jetzt wieder - ich selbst sein.

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

An diesem Abend tat ich etwas, das ich vorher noch nie getan hatte;

Ich wartete auf ihn.

Ich hatte mit den anderen bereits zu Abendgegessen und mit Mathilda einige Stunden vor dem Kamin gesessen, bevor sich die anderen zum Schlafen begeben hatten.

Ich allerdings nicht. Ich ging in der Eingangshalle auf und ab.

Bei jedem Wiehern eines vorbei galoppierenden Pferdes horchte ich hin mit der Annahme, Mr Kurts Kutsche stehe vor dem Tor. Aber dem war nicht so.

Es begann draußen zu regnen. Die Wanduhr schlug bereits Mitternacht. Es war nicht ungewöhnlich, dass er spät oder gar nicht kam. Dennoch wartete ich.

Aber er kam nicht.


*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

Na duuu? *schlägt die Beine über und nippt genüßlich an ihrem Tee*

Wie du bestimmt gemerkt hast, hab ich den Cover gestern Abend geändert. (Obwohl ich echt dringend lernen musste haha)

Ich hatte es auf den Rat einer Leserin getan. Ein großes Dankeschön an dieser Stelle! 

Ich weiß nicht, ob ich es nochmal änder irgendwann, aber im Moment ist mir das Schreiben viel wichtiger :P Aber wenn du Vorschläge hast, immer her damit! 

Ich habe echt wie wild an diesem Kapitel geschrieben, mein Finger sind schon ganz wund. Die Zeilen flogen so dahin! Es kommen auf jeden Fall noch viele Überraschungen auf Ella und Mr Kurt zu ;) In meinem Kopf schwirrt es nur so von Ideen. Ich hoffe, du bleibst gespannt dabei!

Ich verbleibe mit den besten Grüßen, du wunderbare Person!

Deine Miss Caffrey <3

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