Ella - Die Stille nach dem St...

By sibelcaffrey

469K 22.2K 6.5K

"Du kannst versuchen es zu leugnen, dich zu widersetzen und mich von dir fern zu halten. Ich werde aber nicht... More

Prolog
1. In der Zeit gefangen
2. Der Herr des Hauses
3. Retterin in der Not
4. Die neue Krankenschwester
5. Tatsächlich Zigeunerin?
6. Schlaflose Nacht
8. Gebrochen - Teil 2
9. Der leise Held
10. Der Ball
11. Nass im Regen
12. Der Brief an die Öffentlichkeit
13. Der Verehrer
14. Mi Casa Es Su Casa - Teil 1
15. Mi Casa Es Su Casa - Teil 2
16. Erschwerungen
17. Im Mondschein
18. Rendez-vous mit dem guten Freund
19. provokative Provokation
20. Nathan Kurt
21. Der Kampf - Teil 1
22. Der Kampf - Teil 2
23. Heimweh Teil 1
24. Heimweh Teil 2
25. Wie Du mir, so ich Dir
26. Neues kommt, Altes geht
27. Unerwartete Gäste
28. Du und ich
29. Alles findet seinen Platz
30. Wettlauf gegen die Zeit
31. Alles oder Nichts
32. Schicksal
33. Das Erwachen
34. Prinzipien, welche?
35. Die Zeit rückt näher
36. Liebe, der Zeit zum Trotz
37. Blick in die Zukunft (ENDE)
Epilog
FORTSETZUNG

7. Gebrochen - Teil 1

14.2K 666 220
By sibelcaffrey

Seit der Nacht im Krankenhaus waren einige Tage vergangen, ohne dass ich Mr Kurt wieder zu Gesicht bekam. Er war viel beschäftigt gewesen. Ich fand heraus, dass er zu einem der einflussreichsten Investoren und Börsenführer gehörte. Sein Vater baute zu seiner Zeit das Imperium auf, das er heute führte. Mr Kurt gehört neben dem Krankenhaus noch ein Bauunternehmen, die Maschinenproduktion, eine Waffen- und Rüstungsindustrie sowie zahlreiche kleinere Betriebe zum An- und Verkauf von Waren.

Kurz gesagt, er war reich – und ziemlich bekannt in der Gegend. Daher wunderte es mich nicht, dass er kaum zu Hause war. Wie sollte jemand noch durchblickten bei den ganzen Unternehmen?

Am frühen Morgen erhielten wir im Anwesen jedenfalls die Nachricht, dass er zum Abend mit Gästen nach Hause zurückkehren würde. Es sollten Generäle und Offiziere kommen. Ich vermutete stark, dass Mr Kurt seine Waffen an das Militär verkaufte – und an diesem Abend irgendwelche Geschäfte besprechen würde.

Sofort ging es drunter und drüber im Haus.

Mathilda und Hilde machten sich daran, das Essen zu kochen. Marie deckte im Speisesaal den Tisch, während Rosalie aus dem Hinterhof Feuerholz holte.

Ich hatte die Wahl einem von beiden zu helfen.

Da Rosalie und ich seit dem Zwischenfall in Mr Kurts Schlafzimmer kein Wort mehr miteinander gesprochen hatten, holte ich das Besteck aus der Küche und half Marie beim Decken. Wir waren rechtzeitig fertig mit den Vorbereitungen, als Peter hinauslief, um den Gästen das Tor zu öffnen.

Bei der Begrüßung standen alle in einer Reihe in der Eingangshalle. Nur ich versteckte mich in der Küche und tat so, als würde ich es plötzlich schrecklich wichtig finden die Suppe regelmäßig umzurühren. Ich biss mir auf die Unterlippe, während ich leise hinhorchte. Im Flur war lautes Gerede zu hören und schwere Schritte, als sie sich ohne Umschweife in den Speisesaal begaben.

Mathilda kam sofort in die Küche gestürmt, gefolgt von den anderen Hausmädchen. „Schnell, schnell, schnell." Sie nahm mir den Suppenkessel ab und schenkte die Suppe in ein halbes Dutzend tiefe Teller ein.

„Hilde und Ella servieren die Suppen!", ordnete sie an und legte die Teller auf zwei Tabletten ab.

Ich hob das schwere Tablett mit beiden Händen an und folgte Hilde, als sie aus der Tür trat. Da ich völlig konzentriert auf die Suppe starrte, damit sie nicht über den Tellerrand schwappte, sah ich nicht, wie Rosalie neben mir einen Arm hob und mir das Tablett mit einem Schwung aus den Händen riss.

Mit einem lauten Klirren fielen die Teller zu Boden und zerbrachen. Die heiße Suppe war auf alle umliegenden Gegenstände gespritzt, wobei ein Großteil auf meinem Kleid gelandet war. Es brannte mir die Haut an meinen Beinen weg. Ich sah sprachlos auf.

„Ups.", machte Rosalie und trat einen Schritt zur Seite, als Mathilda erschrocken dazukam. Ich hörte Mathildas Stimme wie aus der Ferne, denn mein Blick blieb wie angewurzelt an Rosalie haften. Sie erwiderte meinen Blick; Keine Reue. Ein kleines Lächeln umspielte ihren Mund. Das hatte sie mit voller Absicht getan. Aber warum?

„Ist schon gut, Mäuschen. Ich hätte nicht so hetzen sollen. Solche Unfälle können nun mal passieren.", drangen Mathildas Worte langsam und träge in mein Ohr. Hatte sie das allen Ernstes nicht mitbekommen? Sah denn hier niemand, was für eine Hexe Rosalie war?

„Das Servieren übernehmen besser Hilde und Rosalie.", bestimmte Mathilda als nächstes. „Lasst die Gäste nicht länger warten.", sagte sie an die beiden gewandt, „Wir räumen hier schon auf."

Marie hatte sich bereits hingekniet und sammelte die Scherben auf. Als ich mich vornüberbeugte, um ihr zu helfen, hielt Mathilda mich zurück.

„Du solltest dir besser etwas anderes anziehen.", schlug sie vor.

Ich nickte benommen.

„Geht es dir gut, Mäuschen?", fragte sie und musterte mich prüfend.

„Es ist nichts.", versicherte ich mit belegter Stimme.

Mathilda schien nicht überzeugt. „Wasch dir besser die Hände und das Gesicht. Das wird dir guttun."

Ich nickte und sah zu, wie Rosalie und Hilde mit neu gefüllten Tellern die Küche verließen. Rosalie nahm sich nicht die Gelegenheit mir einen hochnäsigen Blick zuzuwerfen, ehe sie aus der Küche verschwand.

Ich schüttelte innerlich den Kopf und ging dann auf mein Zimmer. Sie hatte ein Problem mit mir, gar keine Frage. Aber warum so plötzlich? Vorher ging sie mir einfach nur aus dem Weg...

Es war ein Kampf aus dem Kleid zu steigen und mir ein neues anzuziehen. Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als ich in die Küche zurückkehrte. Jedenfalls war der Fußboden wieder sauber und Hilde war bereits zurückgekehrt. Von Rosalie keine Spur.

„Wo ist Rosalie?", fragte ich. Ich musste sie unbedingt zur Rede stellen.

„Sie bleibt im Speisesaal für den Fall, dass die Gäste Wünsche haben oder bereits fertig mit der Vorspeise sind, um das schmutzige Geschirr einzusammeln.", erklärte Hilde, während sie Weinflaschen in Eis legte.

„Der Hausherr hatte nach dir gefragt.", sagte Marie, als würde sie sich gerade an etwas erinnern.

„Mr Kurt?", fragte ich verblüfft und vergas für einen Moment meine Wut gegenüber Rosalie. „Warum?"

„Du warst als einzige nicht bei der Begrüßung der Gäste anwesend. Er wollte wissen, ob alles in Ordnung ist.", antwortete Marie achselzuckend. Mein Blick wurde glasig, als ich an Rosalies Verhalten dachte. Sie war doch nicht etwa eifersüchtig gewesen...

Oder doch?

„Darüber wollte ich auch schon mit dir sprechen.", kam Mathilda dazwischen und riss mich aus meinen Gedanken, „Das gehört sich nicht!" Wie gewohnt schlug sie sich auf die Oberschenkel vor Entsetzen, „Beim Abschied bist du gefälligst dabei, junges Fräulein!"

„Selbstverständlich.", antwortete ich, aber ich war viel zu sehr von meinen Vermutungen eingenommen, als über irgendwelche Höflichkeitsformen nachzudenken. Ich wusste bereits von Rosalies geheimen Schwärmereien dem Hausherrn gegenüber, aber konnten ihre Gefühle denn so stark sein, dass sie gleich wegen einer Kleinigkeit ausflippt? Wie gut kannten sich denn Mr Kurt und Rosalie? Auf was basierten denn ihre Gefühle? Hatte er ihr in irgendeiner Weise Hoffnungen gemacht?

Ich dachte an die eiskalten, dunklen Augen von Mr Kurt und verwarf den Gedanken sofort wieder. Ich bezweifelte überhaupt, dass der Mann zu irgendwelchen Gefühlen fähig war, geschweige denn Liebe. Selbst wenn er ihr Hoffnung gemacht hatte, musste es unbewusst gewesen sein.

Als Rosalie wenig später mit den leeren Tellern zurückkehrte, legte ich meine Gedanken beiseite und stand auf. Ich ignorierte sie und hatte mir vorgenommen ihr nicht die Genugtuung zu geben, die sie sich durch ihr hinterhältiges Verhalten erhofft hatte. Daher meldete ich mich freiwillig zum Servieren der Hauptspeise.

„Bist du dir sicher?", fragte Mathilda besorgt, „Wenn du dich nicht wohl fühlst, kannst du mir hier in der Küche helfen."

„Es fehlt mir nichts.", versicherte ich ihr und sah ihr entschlossen in die Augen.

Nach kurzem Zögern nickte sie. Sie legte mir das duftende Essen auf das Tablett und mit Hilde zusammen verließen wir die Küche. Ich spürte Rosalies Blick in meinem Rücken, als ich die Tür hinter mir schloss.

Ich wusste, dass sie mich von Mr Kurt fernhalten wollte. Deshalb spürte ich tiefe Befriedigung, als ich in den Speisesaal trat.

Die Herren unterhielten sich und sahen gar nicht auf, als wir kamen. Zwei der Männer trugen Anzüge mit Hemd und Krawatte, während vier von ihnen Offizier-Kleidung trugen. Mr Kurt saß am anderen Ende des Tisches und sprach gerade zum Lauch. Und mit Lauch meinte ich Schmidt. Ich seufzte genervt bei seinem Anblick. Er konnte einem echt die Laune verderben und dabei saß er nur da und nickte eifrig, wenn Mr Kurt etwas sagte.

Hilde ging am Tisch entlang und legte vor jedem Gast ein Teller ab. Ich ging auf die andere Seite des Tisches und tat es ihr gleich.

„Haben Sie etwa ein neues Hausmädchen, Mr Kurt?", bemerkte ein Offizier quer über den Tisch hinweg.

Mr Kurt blickte zum ersten Mal auf und unsere Blicke kreuzten sich. Ich versuchte mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, aber wartete wie jeder andere am Tisch gespannt auf seine Antwort.

Er nickte. „Sie hat vor einigen Wochen hier angefangen."

„Dürften wir den Namen des hübschen Fräuleins erfahren?", fragte der Offizier und hob bittend eine Hand. Der Offizier hatte dunkles, kurzgeschorenes Haar und ein glatt rasiertes Gesicht. Seine braunen Augen lagen etwas weit auseinander, aber das machte ihn nicht weniger charmant. Er grinste schief, als ihm die anderen beistimmten.

Ich öffnete den Mund zur Antwort, als mir Mr Kurt zuvorkam. „Ihr Name ist Ella Blanc. Aber sie ist noch recht unerfahren und ein Amateur in ihrer Arbeit."

Ich biss die Zähne zusammen und straffte die Schultern bei seinen Worten. „Das ist ganz schön viel Meinung für so wenig Ahnung.", antwortete ich, woraufhin kurz völlige Stille im Raum herrschte, bevor im nächsten Augenblick schallendes Gelächter ausbrach.

Ich schmunzelte bei der Reaktion und legte Mr Kurt ein Teller vor die Nase. Er sah mich finster an. In seinen Augen kochte es. Ich klimperte unschuldig mit den Wimpern und schlich mich leise zu Hilde in eine dunkle Ecke im Zimmer. Diese warf mir einen Blick zu, der so viel sagte wie „Bist du lebensmüde?!".

Unglücklicherweise hatte Mr Kurt von seinem Platz eine perfekte Sicht auf mich, weshalb sein eiskalter Blick mich nicht losließ. Ich wusste, für meine Aussage würde ich früher oder später büßen müssen.

Die Herrschaften begannen zu essen.

Schmidt schien genauso verstimmt über meinen Witz zu sein wie sein Chef. Als sich unsere Blicke trafen, schnitt er wütend eine Grimasse, die ich genauso wütend erwiderte.

Zu meinem Pech hob Mr Kurt in dem Moment den Kopf und erwischte mich dabei wie ich Schmidt die Zunge ausstreckte. Sofort riss ich mich zusammen, aber sein Blick wurde bereits finsterer, als ohnehin schon. Vermutlich dachte er über meine mangelnden Manieren nach. Dabei hatte er nicht einmal gesehen, dass der blöde Sekretär angefangen hatte...

„Ella, du kannst doch sicher unseren Gästen später beim Entspannen ein Klavierstück vorzuspielen, oder?"

Oh oh.

Mein ganzer Körper spannte sich abrupt an. Erst in dem Moment erinnerte ich mich an die Aufgabe, die er mir vor einer ganzen Weile erteilt hatte.

„Ähm...", machte ich, nicht in der Lage zu antworten. Ich konnte jetzt schlecht neben den Gästen zugeben, dass ich nicht geübt hatte - aber genauso wenig konnte ich einwilligen!

Was sollte ich denn spielen?

Alle meine Entchen?

Mr Kurt hob den Kopf und zog fragend eine Augenbraue hoch. „Ja?"

Sein Blick durchbohrte mich. Er wartete nur darauf, dass ich etwas Falsches sagte.

Ich presste die Lippen zusammen. Dieser Arsch! Auf diese Weise wollte er sich rächen!

„Vielleicht ein andermal?", bot ich an mit der Hoffnung, er würde das Spielchen nicht weiter in die Länge ziehen.

„Ach, wieso denn?", kam einer der Männer im Anzug dazwischen. In seinen Augen funkelte etwas, das ich nicht definieren konnte, „Sei nicht schüchtern! Wir würden dich gerne spielen hören, meine Kleine."

Hatte der Typ schon Alkohol intus? Die Art wie er mich ansah, gefiel mir überhaupt nicht. Ich ballte die Hände zu Fäusten zusammen; Gleich würde ich ihm zeigen, wer hier seine Kleine war.

„Drängen wir sie nicht.", kam der nette Offizier dazwischen und hob beschwichtigend die Hände, „Das Mädchen ist noch neu. Wir sollten sie nicht gleich so überfordern. Wir werden in Zukunft noch viele Möglichkeiten haben ein Stück zu hören, wenn unsere Aufträge morgen gut laufen." Er hob sein Glas, worauf es ihm die anderen Männer gleichtaten. „Auf unsere erfolgreiche Zukunft!"

Laut lachend stießen sie an.

*~*~*~*~*~*~*~*~*

Der restliche Abend verlief ohne Vorfälle und ich konnte mich spät in der Nacht auf mein Bett fallen lassen. Ich schlief sofort ein und wurde am Morgen durch lautes Gepolter im Flur aufgeweckt. Völlig verschlafen warf ich mir den zu großen Morgenmantel von Mathilda über und trat hinaus.

„Was soll denn der Lärm?", fragte ich und rieb mir die Augen. Hilde blieb im Flur stehen und drehte sich zu mir um. Sie hielt einen Beutel mit Essen in den Händen.

„Der Hausherr wird für einige Tage ins Ausland fahren. Wir bereiten alles für die Abfahrt vor. Du solltest dich besser anziehen.", sagte sie und eilte hinaus.

Gähnend ging ich zurück auf mein Zimmer. Wieso machten sie so eine große Sache draus? Es war nicht das erste Mal, dass Mr Kurt für mehrere Tage abwesend sein würde.

Ich zog mich um und trat auf den Innenhof, wo jeder hektisch hin und her lief. Vor dem Tor stand eine Kutsche bereit.

Von Mr Kurt keine Sicht.

„Ich bezahle dich nicht zum rumstehen."

Ich schreckte auf und drehte mich zu Mr Kurt um. Wenn man vom Teufel spricht!

„Sie bezahlen mich gar nicht, Sir.", antwortete ich und versuchte meinen Herzschlag zu normalisieren.

Gekonnt ignorierte er meinen Einwand. „Mr Schmidt wird mich bei meiner Reise begleiten, daher wird dich für die nächsten Tage Peter zum Krankenhaus begleiten."

„Ich kann auch alleine gehen." Ich hatte das Gefühl, ich hatte diese Worte bereits 100 Mal gesagt. Aber merkwürdiger Weise nahm mich keiner ernst.

„Wie dem auch sei.", antwortete er trocken, „Während meiner Abwesenheit will ich, dass du die Klavierstücke übst, die ich dir gegeben habe."

„Sir, bei allem Respekt, wann soll ich das schaffen? Ich arbeite doch ständig."

„Von mir aus übst du nachts. Solange du es tust, während ich weg bin."

Ich seufzte.

Er stieg die Vorstufen hinab und drehte sich nochmal um, als wäre ihm etwas eingefallen, „Ich hoffe sehr, du unternimmst keine Dummheiten, während ich außer Stadt bin und versuchst wenigstens so zu tun, als hättest du Manieren."

„Wann habe ich Sie denn je enttäuscht, Sir?", fragte ich Wimpern klimpernd.

„Um mich enttäuschen zu können, müsste ich in erster Linie Hoffnung in dich stecken. Da das nicht der Fall ist, werde ich wohl kaum enttäuscht."

„Touché." Ich schnalzte mit der Zunge.

Er sah mich einen Moment ausdruckslos an, bevor er sich auf dem Absatz umdrehte.

Danach geschah alles sehr schnell. Schmidt wartete bereits in der Kutsche auf Mr Kurt. Dieser gab seinen Angestellten noch kurze Anweisungen und stieg dann ein. Peter hievte mit dem Kutscher die Koffer auf die Kutsche. Danach stieg der Fahrer ein und mit eine „Ha!" setzte sich die Kutsche in Bewegung.

*~*~*~*~*~*~*~*

Am darauffolgenden Tag arbeitete ich im Krankenhaus und wurde wie besprochen von Peter hin und zurück gebracht. Peter war eindeutig ein viel besserer und gesprächiger Begleiter als Schmidt.

Als wir nach einem langen Arbeitstag im Anwesen ankamen, wartete Mathilda bereits auf uns. Sie hatte sich herausgeputzt und sah für ihre armen Verhältnisse wirklich schick aus. Hinter ihr standen Marie und Hilde. Auch sie trugen hübsche Kleider und hatten sich sogar etwas Rouge auf die Wangen aufgetragen.

„Es gibt eine Hochzeit, die Straße herunter. Die Tochter des guten alten Mr Ambrose heiratet. Wenn wir nicht hingehen, wird es sehr unhöflich!"

Ich seufzte. „Ich bin völlig erschöpft, Mathilda. Es tut mir leid. Ich wünsche euch viel Spaß, aber ich bleibe lieber zu Hause."

Mathilda sah enttäuscht aus, aber drängte nicht weiter. Peter ließ sich von seiner Frau aus dem Haus schleifen. Hilde und Marie folgten ihnen kichernd und tuschelnd. Ich winkte ihnen noch zum Abschied, ehe ich die Tür schloss und mir das Tuch vom Kopf riss.

Mir war klar, dass ich mit Rosalie alleine im Haus war, doch schreckte mich das nicht ab. Ihr schien es genauso egal zu sein, denn sie ignorierte mich völlig. Ich war gerade im Begriff mir etwas zu essen zu machen, als es an der Eingangstür klopfte.

Verwirrt horchte ich hin.

Hatten Mathilda und die anderen etwas vergessen? Aber weshalb sollten sie über die Eingangstür kommen, wenn sie die Schlüssel für die Hintertür hatten? Ich runzelte die Stirn, als es erneut an der Tür klopfte.

Wieso machte Rosalie nicht auf?

Vermutlich dachte sie dasselbe über mich. Daher nahm ich mein Tuch und warf ihn mir wieder über den Kopf, bevor ich den Flur entlanglief und die Tür öffnete.

Überrascht sah ich dem Offizier von vor zwei Tagen an. Er grinste schief, nahm sich den Hut vom Kopf und verbeugte sich zur Begrüßung. „Einen schönen Abend wünsche ich!"

Ich knickste damenhaft zur Begrüßung, aber konnte ich meine Verwunderung nicht verbergen.

„Darf ich eintreten?", fragte er höflich.

„Ähm, natürlich, Mr...?"

„Wie unhöflich von mir!", stieß er hervor, „Levin Leonor mein Name."

Ich nickte und trat zur Seite, woraufhin er ohne Zögern eintrat. Ich schloss die Tür hinter ihm.

Er ging ohne Aufforderung ins Wohnzimmer über.

Ich folgte ihm mit einem gezwungenen Lächeln. „Mr Leonor, es tut mir leid Ihnen das sagen zu müssen, aber Mr Kurt ist zurzeit nicht da..." Ich ließ meinen Satz unbeendet in der Luft hängen, weil er eigentlich von Mr Kurts Plänen die Stadt zu verlassen wissen müsste. Sie hatten doch gemeinsam am Tisch gesessen und über diese Geschäfte gesprochen.

Weshalb war er also hier?

"Ich weiß, aber ich hatte Ihre Gastfreundschaft vergangenen Abend sehr genossen. Ich wollte vielleicht die Gelegenheit ergreifen und eins Ihrer Klavierstücke hören."

„Um diese Uhrzeit?", fragte ich verwirrt.

Er schien für einen Moment völlig verdutzt über meine schroffe Antwort. „Ich halte regelmäßig Patrouille im Stadtviertel des Krankenhauses, müssen Sie wissen, und hatte eben Schichtwechsel. Ich war also gerade in der Nähe und dachte mir, Ihre Gesellschaft wäre genau das richtige jetzt."

Ich wusste nicht viel von den Höflichkeiten des 19. Jahrhunderts, aber so viel wie ich inzwischen verstanden hatte, war es ganz bestimmt nicht angebracht gewesen, dass ein unverheirateter Mann um diese Uhrzeit mit einem Fräulein alleine war.

„Es wäre vielleicht besser, wenn Sie gehen, Mr Leonor.", sagte ich höflich aber bestimmt, „Mr Kurt sucht ohnehin nach einem Grund, um mich rauszuwerfen. Ich hoffe deshalb auf Ihr Verständnis."

Er lächelte, aber es erreichte seine Augen nicht. „Mr Kurt wird dich nicht rauswerfen. Dafür bist du zu hübsch."

Was zum...?

Verwirrt lächelte ich zurück und versuchte mir meinen wachsenden Unbehagen nicht anmerken zu lassen. Dann trat ich an die Wohnzimmertür, um sie für ihn zu öffnen und ihn hinauszubegleiten, aber plötzlich fühlte ich seine Hand an meiner Schulter.

Ich hielt abrupt in der Bewegung inne. Noch ehe ich mich zu ihm umdrehen konnte, hatte er mir das Tuch und meine Haare nach hinten gestreift, woraufhin mein Nacken völlig entblößt war.

„Was-?", stieß ich hervor, als er mir mit einem Mal einen Arm um die Mitte schlang und mich mit eisernem Griff festhielt.

„Was tun Sie da?", stieß ich entsetzt hervor, als er von hinten seinen Kopf in meine Halsbeuge vergrub. Ich stieß ihn angewidert und wütend von mir, aber sein Griff war fest. Als ich ihm versuchte den Ellenbogen in die Rippen zu rammen, packte er mich ohne Vorwarnung an den Schultern und drehte mich mit Schwung um. Ohne Zeit zu verschwenden vergrub er sein Gesicht wieder in meiner Halsbeuge. Ich keuchte auf und schlug ihn mit aller Wucht von mir, wobei ich am Saum meines Kleides stolperte und zu Boden fiel. Er sah mich von oben herab mit einem höhnischen Grinsen an. Er hatte mich genau da, wo er mich haben wollte. Dieses Arschloch!

„Was haben Sie vor?", rief ich entsetzt und wich zurück. Mein Herz pochte mir laut gegen die Brust. Aber er ließ mir keine Zeit mich zu beruhigen und warf sich vor mir auf die Knie. Ich schlug vergebens seine Hände weg, als er sich zu mir beugte und mich an den Oberarmen packte. „Lassen Sie mich los!", schrie ich, während er mir eine Spur von feuchten Küssen an meiner Wange hinab zum Hals hinterließ. Angewidert versuchte ich ihn mit Tritten wegzustoßen, aber er war zu stark. Er legte sich mit seinem ganzen Gewicht auf mich und stöhnte laut in mein Ohr. Oh mein Gott, keuchte ich innerlich.

„Hören Sie auf! Bitte!", schrie ich, kurz bevor er über dem Stoff des Kleides nach meinen Brüsten griff. „Lassen Sie mich los!" Aber das tat er nicht. Stattdessen riss er mir das Kleid gewaltsam auf - und noch nie in meinem Leben war ich so froh gewesen ein Korsett drunter zu tragen.

Er stöhnte ekelerregend auf. „So schön.", murmelte er gegen meine Haut.

„Bitte!", flehte ich, während er seine Brust gegen meine presste. Ich schubste ihn wie verrückt von mir, aber er bewegte sich kein Stück. Seine gierigen Hände griffen nach dem Saum meines Kleides und schoben es hoch. „NEIN!", schrie ich verzweifelt und versuchte mit meinen Beinen zu strampeln, aber er hielt sie zwischen seinen Knien gewaltsam fest. „Heute bist du mein.", krächzte er mit belegter Stimme und strich lüstern über meine nackten Beine. Ich wich angewidert seinem Blick aus, als er sich auf mir aufsetzte und sich selbst am Schritt packte. Er streichelte sich, während er mich ansah.

Oh Gott, bitte nicht!

Wieso hatte ich ihn reingelassen? Wieso?!

Ich hatte nicht gemerkt, wie mir Tränen die Wangen hinunterliefen. Ich schluchzte inzwischen wie verrückt. Meine Augen weiteten sich vor Entsetzen, als ich sah, wie er seinen Gürtel öffnete. „NEIN!", schrie ich immer und immer wieder und wandte mich verzweifelt unter ihm. Ihn schien es jedoch nur noch mehr anzuspornen. Ihm gefiel es, wie ich flehte und hilflos da lag. Er öffnete stöhnend den Bund seiner Hose und als ich dachte, dass es nun vorbei war und ich tatsächlich vergewaltig werden würde, ertönte ein leises aber markantes KLICK.

Der Offizier erstarrte in der Bewegung und wagte es nicht sich zu bewegen. Er kannte das Geräusch zu gut.

Überrascht sah ich durch den Schleier meiner Tränen auf die Waffe. Mein Blick schellte zu Rosalie, die neben uns stand und den Revolver mit festem Griff hielt.

Ich weiß, ich hatte vorher keine große Meinung von Rosalie, aber in dem Moment erschien sie mir wie ein Engel mit einem Heiligenschein.

„Aufstehen.", sagte sie in einem so kalten Ton, das selbst ich Angst bekam. Leonor ließ mich los, als hätte er sich an mir verbrannt und hob beschwichtigend die Hände. „Ganz ruhig, Kleine.", sagte er immer noch mit krächzender Stimme und sah mit großen Augen zu Rosalie auf. „Das Ding in deiner Hand ist kein Spielzeug." Er sprach mit ihr, als wäre sie ein Kleinkind, was ihr ganz und gar nicht zu gefallen schien. Sie legte beide Hände um den Revolver, um ihn ruhig halten zu können.

„Halt den Mund!", schnappte sie, „Steh endlich auf." Sie drückte ihm warnend den Revolver gegen die Schläfe. Sein gerade noch lustvoller Blick war nur noch ein aufgewühlter. Ich konnte ihm ansehen, wie er scharf nachdachte. Noch ehe er versuchen konnte, ihr mit einem Manöver die Waffe aus den Händen zu reißen, tritt ich ihm mit voller Wucht zwischen die Beine.

„Ohhh...!" Er keuchte schmerzverzerrt auf, krümmte sich winselnd und hielt sich die Weichteile.

„Du Drecksschwein!", zischte ich mit Genugtuung.

„Beweg dich aus diesem Haus.", knurrte Rosalie zustimmend und gab ihm gar nicht die Chance, sich richtig zu erholen. Sie drückte ihm die Waffe an den Rücken, während sie an seinem Arm zog. „Wird's bald!"

Schweratmend stand er auf, seine Hose hing ihm gefährlich auf der Hüfte, während er wackelig in Richtung Tür lief.

„Bei einer falschen Bewegung, puste ich dir die Birne weg!", zischte Rosalie und zeigte mit einem Kopfnicken in Richtung Tür. Er warf mir nochmal einen letzten wütenden Blick zu, als überlege er einen Kopfschuss zu riskieren, um mich hier und jetzt zu erdrosseln. Ich zog mir angewidert das Kleid vor der Brust zusammen. Ich nahm kaum noch wahr, wie Rosalie das Arschloch hinausbegleitete.

„Verpiss dich aus diesem Grundstück!". hörte ich noch ihre eiskalte Stimme von draußen, „Und wehe, ich sehe Sie noch einmal hier!"

Ich kraulte mich in der Ecke zusammen und versuchte meinen Herzschlag zu normalisieren. Die Tränen hörten nicht auf zu fließen, egal wie sehr ich mich anstrengte. Meine Hände zitterten unkontrolliert, während ich mir die zerzausten Strähnen aus dem Gesicht strich.

Als Rosalie wiederkehrte, legte sie den Revolver auf den Tisch und kam zu mir. „Komm her." Ihr Stimme so sanft, wie ich sie noch nie zuvor gehört hatte. Sie half mir auf die Beine, aber meine Knie gaben nach. Ich krallte mich Halt suchend an ihrem Kleid. Der Schock saß noch tief.

Es war so knapp.

„Wärst du nicht gekommen...", meine Stimme brach und ein weiterer Wall von Tränen strömte über meine Wangen. Ich hielt mir entsetzt den Mund bei dem Gedanken.

War das eben wirklich passiert?

„Shh.", machte Rosalie nur und strich mir beruhigend über den Rücken. „Alles wird wieder gut."

Mein Blick fiel auf den Revolver auf dem Tisch. Ich bekam augenblicklich eine Gänsehaut am ganzen Körper. „Woher hast du die Waffe her?", fragte ich krächzend.

Sie erstarrte. „Die gehört Mr Kurt. Er versteckt sie oben in seinem Arbeitszimmer."

Woher wusste sie das?

Im Moment war ich viel zu träge die Frage laut auszusprechen.

Rosalie hielt mich fest und führte mich vorsichtig aus dem Wohnzimmer. Ich merkte kaum, wie ich einen Fuß nach dem anderen setzte, als wir plötzlich im Bad waren. Sie wusch mir das Gesicht und die Hände, während ich wie betäubt dastand. Dann trocknete sie mich mit einem Handtuch ab und half mir auf mein Zimmer.

„Hör zu, Ella.", sagte sie, nachdem sie mich auf dem Bett absetzte, „Du darfst das auf keinen Fall jemanden erzählen."

Ich riss meinen Kopf hoch und sah sie fassungslos an. „Was?"

„Ella", sagte sie und kniete sich vor mich hin. Sie strich mir beruhigend über die Arme. „Dir wird keiner glauben, wenn es zu einer Befragung kommt. Dein Wort steht neben dem eines Offiziers! Du bist irgendein Mädchen, das plötzlich aufgetaucht ist. Dir wird keiner glauben." Ich sah ihr entsetzt in die grünen Augen. Sie schien fast so, als würde sie aus Erfahrung sprechen. Konnte es sein...?

„Hast du verstanden, Ella?", fragte sie und suchte meinen Blick. Ich nickte wie betäubt. Ich fühlte mich schrecklich dreckig. Wie in Trance rieb ich mir über die Arme, um den Schmutz zu entfernen, der nicht da war.

Was war nur passiert? 



*~*~*~*~*~*~*~*

Sei gegrüßt!

Es tut mir leid, dich mit einem Cliffhanger jetzt warten zu lassen.

Ich schreibe aber am Montag eine Klausur und kann deshalb erst Dienstag weiterschreiben. Ich verspreche, dass der zweite Teil des Kapitels spätestens Mittwoch morgen online sein wird. Ich hoffe, du kannst dich solange gedulden :3 das nächste Kapitel wird nämlich ganz schön... besitzergreifend.

Bleib wohl auf!

Cheerio!

Deine Miss Caffrey <3

Continue Reading

You'll Also Like

168K 10.3K 89
Ein vom Krieg durch Nachtwesen gespaltenes Reich, eine junge Frau die das Problem des ganzen zu sein scheint und ein erfahrener Ritter dem zu spät be...
Tialda By snowleopard074nit

Historical Fiction

45.6K 2K 29
Das junge Mädchen Tialda wird als Sklavin genommen, als die Dunja ihre Provinz erobern. Durch einige Umwege landet sie schließlich in dem Haushalt ei...
4M 182K 68
♧Das 3. Buch der Monteiro-Reihe.♧ 》18.03.16 #1 in Jugendliteratur《 》11.01.17 #1 in Humor《 Xavier Monteiro war stumm. Und das seit zehn Jahren. Sein...
364K 25.2K 67
Das Land ist zerstritten. Um die Anhänger des Königs zu stärken, sollen die nördlichen und südlichen Lordschaften durch die Hochzeit der jungen Lady...