Bis(s) zum Erwachen - Wie ein...

By FieneFifi

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Die Volturi sind verschwunden und Bellas Leben scheint perfekt - bis sie aufwacht und feststellen muss, dass... More

Prolog
Alles auf Anfang
Erklärungsversuche
Kleine, bescheidene Dreierrunde
Ein Gespräch für die Zukunft
Ungewissheiten [Edward Cullen]
Altbekannte Biostunde
Geschwisterliebe
Ein merkwürdiges Mädchen [Edward Cullen]
Die Suche nach der Lichtung
Flammendes Häuschen
Mitternachtsgespräch
Ein kleiner Hoffnungsschimmer?
Die fast-Werwölfe
Worte und ein Ausrutscher [Edward Cullen]
Alle lieben Bella ... nur er nicht
Gewissensbisse [Alice Cullen]
Krankenbesuche
Konkurrenz [Edward Cullen]
Schreckliche Klarheiten
Woche eins
Woche zwei
Woche drei
Woche vier [Edward Cullen]
Woche vier
Woche fünf
Woche sechs - Unverhofftes Wiedersehen
Glück ... oder doch nicht?
Liebesschwüre ... irgendwie
Noch immer nächtliches Flüstern
Diskussion [Edward Cullen]
Schmerzendes Glück
Das Kochbuch der Unsterblichen
Zu weit gedacht [Alice Cullen]
Zu weit gedacht [Edward Cullen]
Es wird niemals so weit kommen
Einer gegen drei
Drei Worte
Epilog
Fortsetzung: Schatten der Nacht

Klavierklänge und leise Worte

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By FieneFifi

Ich konnte beim besten Willen nicht glauben, was ich da sah.

Dort unten, genau unter meinem Fenster, stand ein wunderschöner Flügel. Das Mondlicht schimmerte geheimnisvoll auf das schwarze Klavier und brachte eine unsagbar traumhafte Stimmung hervor. In dem Gewebe der himmlischen Töne verflochten wippte ich im Takt mit und erwischte mich dabei, wie ich summte. Die Tränen tropften von meinem Kinn, und jedes Mal, wenn die Melodie fast unerträglich süß wurde, ergossen sie sich umso schneller aus meinen Augen. Es war ein Schlaflied, mein Schlaflied, und ich hatte ihn auch in der Wirklichkeit dazu inspiriert. Meine Sicht wurde durch die Tränen verschleiert, und doch sah ich ihn gestochen scharf, wie er auf einem kleinen Hocker vor den aus Elfenbein gefertigten Tasten saß und seine Finger anmutig über sie gleiten ließ.

Ohne auf das zu achten, was er spielte, sah er zu mir hoch, ein Lächeln auf den Lippen, dass mein Herz wieder belebte und es tausendfach so schnell schlagen ließ wie gewöhnlich. Seine Augen glänzten herrlich goldbraun und bekamen durch das weiße Licht des Mondes einen Silbernen Schimmer, die violetten Augenringe, die sich sonst immer unter seinen Augen abzeichneten, waren kaum zu erkennen. In diesem hellen Schein wirkte seine Haut schon beinahe gespenstisch blass, doch zugleich auch wunderschön und seine elegant geschwungenen, rosafarbenen Lippen bildeten einen lieblichen Kontrast zu dieser. Sein bronzefarbenes Haar kräuselte sich in den sanften Wogen des Windes. Der graue Pullover, den er trug und der sich wegen des Kragens bis zu seinem Hals hin bäumte, verdeckte seine Brust zwar, doch trotzdem wurde seine muskulöse Marmorhaut darunter betont. Mir schnürte es die Kehle zu, so gerührt war ich.

Eine ganze Weile lang stand ich so da, während sich die Noten meines Schlafliedes um mich hüllten und ich zu Edward hinunterblickte. Er schenkte mir sein schönstes Lächeln, ich ihm meine Tränen und Hingabe. Irgendwann, es schien eine Ewigkeit vergangen zu sein, die trotzdem viel zu kurz gewesen war, ließ er das Lied – mein Lied – ausklingen. Noch einen kurzen Moment verweilten seine Finger auf den Tasten, dann erhob er sich von dem kleinen Hocker und blickte erwartungsvoll zu mir hoch.

„Bella“, sagte er, seine Stimme war unendlich sanft. „Darf ich?“ Mit einem Kopfnicken in meine Richtung zeigte er mir, dass er mein offenes Fenster meinte.

Immer noch tropften die Tränen von meinem Kinn. „Liebend gerne“, schluchzte ich und trat einen Schritt zurück.

Blitzschnell hockte er auf dem Fenstersims und sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. Die plötzliche Nähe war berauschend, und nur ein sehr starker Impuls in mir konnte verhindern, dass ich mich noch weiter zu ihm beugte. Ich hatte vermutet, er würde sich sofort zurückziehen, da meine Verlangen meist so gut von meinen Augen abzulesen waren, als würde man sie in einem Buch lesen. Doch er tat es nicht. Er verharrte einfach in dieser Haltung, während sein Atem über mein Gesicht kitzelte. Was für ein himmlisch köstlicher Duft! Ich konnte meine Beherrschung gerade noch halten, doch selbst wenn sie siegen würde, wäre es bald mein Herz, das mich durch seine heftigen Schläge gegen meinen Brustkorb näher zu ihm bringen würde …

Ich trat mit wackligen Gummibeinen noch einen Schritt zurück und schon stand er mit einer doppelt so schnellen Bewegung vor mir auf dem Parkettfußboden. Ich zitterte am ganzen Körper, doch diesmal schien mich meine Sprache nicht vollkommen verlassen zu haben.

„Ähm … hi“, stammelte ich.

Er grinste mich an. „Hallo.“

Ohne den Blick von seinem wunderschönen Gesicht zu wenden, setzte ich mich auf mein Bett und stützte mich nach hinten mit den Händen ab. Er stand noch immer im Raum und starrte mich an. Obwohl ich wusste, dass Vampiren nicht die Glieder wehtaten, wenn sie lange standen, wollte ich ihm die Möglichkeit bieten. Vielleicht wollte er ja auch neben mir sitzen, doch ich wusste noch immer nicht, woher sein plötzlicher Umschwung bezüglich meiner Wenigkeit kam.

„Willst … du dich setzen?“ Ich machte eine Handbewegung auf die Stelle neben mir und klopfte zweimal darauf.

Sofort saß er neben mir. „Gern.“

Wieder übermannte uns eine Welle des Schweigens und der zwischenmenschlichen Spannungen, diesmal jedoch waren sie so stark, dass sie mich beinahe umzuhauen drohten. Ich verlor mich und meinen Verstand in seinen Augen, die mich zu hypnotisieren schienen. Ab und zu berührte ein Hauch seines Atems meine Haut und mein Herz stolperte. Meine Augen brannten, denn ich wollte keinen einzigen Augenblick dieses Moments versäumen und deswegen blinzelte ich nicht. Als ich es dann doch tat – und auch noch viel länger, als es normal gewesen wäre – erschien wieder das Grinsen auf seinem Gesicht.

Er war es dann, der das Schweigen mit nur einem Wort brach. „Überrascht?“

„Das ist gar kein Ausdruck.“ Ich schluckte.

„Naja, das war meine Absicht“, gab er zu und sein Grinsen verwandelte sich in das schiefe Lächeln, das ich so liebte.

Jetzt musste auch ich lächeln. „Nun, dann darf ich dir hiermit verkünden, dass du es geschafft hast.“

„Ach ja?“

„Soll ich jetzt Beifall klatschen?“, fragte ich ihn und zog die Augenbrauen hoch.

Wieder trat dieses schelmische Grinsen auf seine Lippen. „Nein, ich glaube dir auch so. Und“, fügte er beinahe beiläufig hinzu, „wie ich dich so kennengelernt habe, schätze ich, dass du jetzt ungefähr zweitausend Fragen hast, mit denen Du mich gerne sofort bombardieren möchtest … richtig?“

Ich machte ein gespielt erstauntes Gesicht. „Sag mal, kannst du etwa Gedanken lesen?“

Dieser Spruch war eigentlich ziemlich fies, wenn man bedachte, dass ich die Einzige war, die vor Edwards Gedankenlauschereien geschützt war, doch er nahm es locker. Das hoffte ich zumindest.

„Meistens schon“, murmelte er. „Aber bei dir … Funkstille.“

„Das tut mir leid.“

Er kicherte. „Ich weiß nicht, ob ich dir das so einfach glauben kann. Wenn ich mich recht erinnere, hat Alice einmal zu mir gesagt – oder zumindest angedeutet – dass deine Gedanken ziemlich, nun ja, direkt sind, dass sie sehr genau zeigen, was du willst. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass du sehr erpicht darauf bist, dass ich erfahre, woran du gerade denkst.“

Ich errötete, als mir klar wurde, woran ich gerade dachte. Seine samtene Stimme, sein perfektes Antlitz hatte mich wieder zurück auf Esmes Insel gebracht, oder, um es präziser zu sagen, in eine Nacht auf Esmes Insel. Würde er das sehen können, ich würde mich in Australien verstecken, meinen Namen umändern lassen und so tun, als wäre ich ein Känguru. Also schüttelte ich langsam den Kopf, um ihm zu antworten.

„Obwohl“, sinnierte er und in seinen Augen funkelte etwas auf, „ich brauche deine Gedanken nicht, um das herauszufinden. Dein Gesicht sagt mehr als genug. Du denkst an …“

„Schon gut, schon gut, ich gebe zu, ich bin froh, dass du nicht alles weißt, was ich denke. Und ich weiß auch, dass ich so offen bin wie ein Buch.“ Ich seufzte.

Ich sah ihn mitleidig an und er begann zu kichern. Ich konnte nicht anders, als einfach mit einzustimmen. Dann fiel mir eine Frage ein, die ich dringend loswerden musste.

„Also, Edward“, fing ich leise an, „verrätst du mir eines?“

Er nickte. „Klar.“

„Warum genau hast du ein Klavier vor mein Fenster geschleppt?“ Wieder musste ich lachen, als mich der irrwitzige Gedanke durchfuhr, dass er das nur für mich gemacht hatte.

„Ich wollte dir zeigen, wozu du mich inspiriert hast“, beteuerte er mir, seine Augen voller Ernst.

Ich zog eine Braue hoch. „Ein Klavier?“, fragte ich vorsichtig.

„Es macht mir nichts aus, es hierherzubringen. Ich hätte hunderte solcher Flügel tragen können, ohne Probleme, wie du sicherlich weißt.“

„Angeber“, sagte ich und sah zu Boden. „Und dann noch eine sehr … nun ja, wichtige Frage: Warum bist du so plötzlich zurückgekehrt? Seit wann bist du wieder da? Und warum bist du heute“ – ich sah an den leuchtenden Wecker auf meinem Nachttisch und stellte fest, dass es schon Viertel nach eins war – „okay, gestern einfach so gegangen, als du mich vor Mike gerettet hast?“ Die Worte sprudelten einfach so aus meinem Mund, ohne dass ich sie stoppen konnte.

„Das ist mehr als eine Frage“, stellte er lächelnd fest.

Ich wartete schweigend.

Er holte tief Luft. „Wieso ich von hier ging, weißt du ja bereits …“ Er wartete auf eine Reaktion von mir.

„Ja klar.“

„Gut“, fuhr er fort. „Und, ich bin mir nicht sicher, ob Alice dir sagte, wo ich gewesen war. Also, wenn ich etwas erzähle, was du bereits weißt, nehme es einfach als Bestätigung von Alices Visionen.

Als ich das Krankenhaus verließ, fuhr ich mit der Absicht, mich zu verabschieden, zum Haus meiner Familie. Als ich dann in der Einfahrt ankam, wurde mir bewusst, dass ich mich zu sehr schämte, um Carlisle, Esme und den Anderen von meinem Vorhaben zu erzählen, deswegen sprach ich mit niemandem und hinterließ nur einen Zettel, bevor ich ging. Ich weiß nicht, was sie wirklich fühlten, als sie ihn lasen, denn in ihren Köpfen wollten sie mir weißmachen, es hätte ihnen nichts ausgemacht. Aber das spielt jetzt keine Rolle, ich weiche vom Thema ab.

Ich fuhr also nach Denali, um dich zu vergessen. Mir gefiel es nicht, dass du in meinem Kopf rumspuktest, ganz zu schweigen von der Tatsache deines köstlichen Dufts und deiner Gedankenstummheit. Schon vom ersten Tag an, als du den Platz in Biologie neben mir besetzt hattest, glaubte ich, dich zu hassen. Deinetwegen war ich kurz davor gewesen, alle Menschen um uns herum – dich eingeschlossen – zu töten, nur damit ich von deinem Blut kosten durfte. Wie ich es geschafft habe, zu widerstehen – bitte frage mich nicht! Vielleicht war es der Gedanke an das Monster, dass ich niemals sein wollte, in welches ich mich aber zweifellos verwandelt hätte, hätte ich so eine mörderische Tat begangen. Oder vielleicht war es auch Carlisles enttäuschtes Gesicht, das ich vor mir sah, als ich mit den Gedanken spielte, wen ich wohl zuerst töten müsste. Und vielleicht war es aber auch die Neugier, die du bei mir ausgelöst hast, das Geheimnis, dass du noch immer in dir trägst, welches mich davon abhielt, etwas so Schreckliches zu tun.

Auch, dass du so schnell Alices Aufmerksamkeit auf dich zogst, passte mir nicht in den Kragen, weswegen auch dieser Streit in dem kleinen, abgeschatteten Raum hinter dem Sekretariat stattfand. Und, dass ich damals deine Gefühle verletzt habe, tut mir noch immer leid. Aber nur der bloße Gedanke daran, ich wäre derjenige, der nichts wusste und ein einfaches Menschenkind“ – er grinste mich an – „könnte mich mit ihrem Wissen schlagen, machte mich taub vor Wut. Aber diese galt nicht nur allein dir, auch Alice bekam viel davon ab. Und als sie sich dann immer wieder mit dir verabredete, in den Mittagspausen nicht mehr mit uns am Tisch saß, sondern dir Gesellschaft – und wie ich jetzt auch weiß, Beistand – leistete, verstärkte meinen Unmut nur.“

Er machte eine kurze Pause und ließ mir somit Zeit, meine Atmung zu regulieren. Als ich ihn dann nach einer Weile erwartungsvoll ansah, fuhr er fort.

„Du kamst ständig in Schwierigkeiten“, erzählte er leise und ich hing an seinen Lippen, „und schienst beinahe ein Magnet für Ärger und Unfälle aller Art zu sein – mir wird immer noch übel, wenn ich an dieses schreckliche Bild von dem Van, der rasend schnell auf dich zuschliddert, sehe. Und da begann es, merkwürdig zu werden, also glaubte ich zumindest. Ich spürte in mir einen gewissen Beschützerinstinkt, der mir immer wieder einbläute, ich müsste dich retten, du wärst nicht sicher unter deiner blassen, transparenten, verletzlichen Haut. Die Alarmglocken schrillten unaufhaltsam laut in meinem Kopf, immer wenn ich daran dachte, was dir gerade in diesem Moment passieren könnte. Auch jetzt hören sie nicht auf, zu läuten, denn ich bin es gerade, der deine größte Gefahr darstellt.“

„Ich habe keine Angst vor dir“, unterbrach ich ihn flüsternd.

Edward verzog seinen Mund zu einem sarkastischen Grinsen. „Ich sagte ja, ein Magnet für Ärger und Unfälle aller Art … Wo war ich? Achja, nun als ich bemerkt hatte, dass du mir doch nicht ganz so egal warst, wie ich anfangs glaubte, sondern dass du mir sogar alles andere als egal warst, begann ich, mir mehr und mehr Gedanken zu machen, was wohl das Beste sei. Doch dabei dachte ich nur an mich und meine Bedürfnisse, stellte dich hinten an. Das bekam ich dann noch einmal lautstark von Alice zu hören, aber egal.

Ich glaube, ich rede um den heißen Brei herum, doch eines muss ich noch sagen, bevor ich deine eigentlichen Fragen beantworte. Als ich dann im Krankenhaus in dein Zimmer geplatzt bin, um dir deine Schmerzmittel zu bringen, und diesen … Jacob auf dem Bettrand sitzen sah, wie er deine Hand hielt und die Art ertragen musste, wie er dich anstarrt … ich weiß auch nicht, was in diesem Moment in mich gefahren ist, doch merkwürdigerweise stellte ich mir dutzende Möglichkeiten vor, wie ich ihn kurzer Hand zur Strecke bringen könnte. Sieh mich nicht so erschrocken an, du hast ja bemerkt, dass dies nicht passiert ist. Aber es hätte geschehen können.

Und da …“, murmelte er leise und sah mir eindringlich in die Augen, „… da merkte ich zum ersten Mal in meinem ganzen Leben, was Eifersucht ist. Ich kochte innerlich vor Wut auf diesen Jungen, in klitzekleine Stücke hätte ich ihn reißen können, ohne dass er es hätte bemerkt. Ich spürte den Drang in mir, ihn von dir wegzustoßen und mich an seiner Stelle zu platzieren. Dazu kam noch, dass er bescheid wusste, und ich reimte mir zusammen, dass du ihm von mir, meinem Wesen und meiner Gabe erzählt hattest. Es ärgerte mich, doch nicht, weil eine Person, die nichts mit mir zutun hatte, davon wusste, sondern weil ich erkannte, wie nahe er dir steht. Es machte mich rasend, in seinen Gedanken sehen zu müssen, wie sehr er dich liebte, doch gleichzeitig zeigte mir seine Sichtweise auch, wie bezaubernd du bist. Er sah dich anders, als ich es getan habe, in deiner Gegenwart fühlte er sich wohl, nicht so wie ich, der sie gemieden hatte. Für ihn warst du perfekt, ich sah dich nur als wertloses Menschenkind – bis dahin. Und als ich dann aus dem Raum schritt, wurde mir bewusst, dass ich dem ein Ende bereiten musste.

Das Szenario, dass darauf folgte, kennst du ja bereits. Nun sind wir wieder an dem Punkt angelangt, an dem ich nach Denali fuhr und mir so meine Gedanken machte. Jeden Abend saß ich draußen und schaute in den Sternenhimmel, doch die kleinen Lichtpunkte am dunkelblauen Horizont blieben mir verborgen. Ich sah immer nur dein Gesicht vor meinen Augen, deine Augen, wie sie mich fragten, warum ich dir das zumutete. Zu gern hätte ich dir geantwortet, doch ich wusste die Lösung selbst nicht. Tag für Tag, Nacht für Nacht folgte mir Tanja – eine der Vampire, die dort leben und mit denen meine Familie eng befreundet ist – und fragte mich, wie es mir ging und warum ich zu ihnen geflüchtet war, doch eine Antwort bekam sie nie. Ich entschied, dass es sie nichts anging. Auch anderweitig beanspruchte sie meine Nerven, doch das war nicht der Grund, weswegen ich zurückkehrte.

In diesen fünf Wochen, da ich dich nicht gesehen habe, empfand ich eine so enorme Sehnsucht in mir, dass es kaum auszuhalten war. Ständig sorgte ich mich um dich, fragte mich, ob es dir gutging, was du wohl gerade tatest oder ob du mich nicht schon längst vergessen hattest. Letzteres wurmte mich jede Sekunde, in der ich mich mehr und mehr mit diesem Gedanken befasste. Ich stellte mir vor, wie du dich diesem Jacob hingegeben hast, wie ihr glücklich wart, vielleicht zusammen am Strand saßt, in der Sonne, wo ich nie sein konnte, wenn andere Menschen anwesend waren. Es brachte mich jedes Mal beinahe um, doch ich dachte weiter darüber nach, um mich zu reizen und letztendlich dazu zu bringen, nach Forks zurückzukommen. Als ich mir dann eingestehen musste, dass dieses Vorhaben geklappt hatte, war ich einerseits beschämt, andererseits froh.

Zurück kam ich dann am Sonntagmittag, also vorgestern“, sagte er und kicherte kurz auf. „Ich traf Alice, bevor ich das Haus erreichte, und die sagte mir, ich solle noch nicht nach Hause kommen und mir erst ansehen, was ich bei meiner Familie angerichtet hatte. Als ich das tat, ließ die Reue nicht lange auf sich warten. Es war beinahe so, als wäre Esme in Trance, Carlisle sprach mit niemandem, Jasper saß allein an dem großen Tisch in unserem Esszimmer und Rosalie verkroch sich in ihrem Zimmer. Der Einzige, der mit meinem Verschwinden klar zu kommen schien, war Emmett. Er saß freudestrahlend auf der Couch in unserem Wohnzimmer, sah sich ein Baseballspiel nach dem anderen an und grölte jedes Mal mit, wenn seine Lieblingsmannschaft einen Punkt erzielte. Was mich dazu brachte, noch nicht gleich zu ihnen zu gehen, weiß ich nicht, doch ich verschwand in den Wald zu meinem Lieblingsplatz.

Um nicht von meinen Geschwistern gesehen zu werden, da mir diese Flucht doch ein bisschen peinlich war, brach ich schon sehr früh auf und rannte einfach zur Schule. Es musste früh sein, denn wie du dich sicher erinnerst schien die Sonne und hätte mich jemand gesehen, wie ich glitzernd über die Kreuzungen rase, wäre ich in Schwierigkeiten gekommen. Ich machte mir keine Gedanken darüber, was wäre, wenn mich dann jemand in der Unterrichtszeit als schimmerndes Etwas enttarnen würde, denn der Einzige Grund für mein Auftauchen in diesem Gebäude warst du. Ich wollte eigentlich einfach nur sehen, ob es dir gutgeht, wollte – wie versprochen – nicht länger in deinem Leben rumpfuschen und einfach von der Ferne Acht auf dich geben.“

Wieder grinste Edward. „Naja, das aus der Ferne zu tun war dann wohl nicht mehr so einfach, als ich sah, wie elend du dich fühltest. Doch als dann dieser … Newton auf dich zukam, mit dir redete und dir eintrichtern wollte, er wäre besser für dich als ich, platzten bei mir alle Fäden. Ich würde nie behaupten, ich wäre sicher für dich, doch ich kann mit beinahe hundertprozentiger Überzeugung sagen, dass Newton keinen Deut besser war. Wie er dich überreden wollte, wie er auf dich zukam und dich dann küssen wollte … Ja, ich konnte dich nicht länger nur von weitem beschützen, ich musste eingreifen. Ich nahm mir vor, ihn nur von dir zu entfernen und nichts weiter zu tun, denn wie schon gesagt, hatte ich dir ein Leben ohne Störung meinerseits versprochen. Doch du warfst dann die ganzen guten Vorsätze über Bord, obwohl du eigentlich nichts tatest. Du sahst mich nur an mit einem Blick, der mein kaltes Herz zum Schmelzen brachte. So voller Freude und Hoffnung hatte ich noch nie in meinem Dasein einen Blick gesehen, wie du ihn mir schenktest.

Ich war hin und hergerissen. Auf der einen Seite war da die Vernunft, die mir sagte, ich sollte die Finger von dir lassen, es würde ein schreckliches Ende folgen, wenn ich mich jetzt umdrehte. Und auf der anderen Seite war da mein Verlangen, dass danach strebte, mich umzudrehen und zu dir zu eilen, dir alles zu erklären und dich um Verzeihung zu bitten. Und plötzlich fand ich eine passable Lösung. Für diesen einen Moment würde ich die Vernunft siegen lassen, doch in dieser Nacht würde ich alles tun, damit du verstehst, warum ich wie gehandelt hatte. Es zerriss mich beinahe, dich zurückzulassen mit deinem stummen Flehen, das mich noch jetzt verfolgt.

Und jetzt sitze ich hier, habe mir alles von der Seele – oder besser, von dem Körper – gesprochen und unten steht mein Klavier. Ich bin auch jetzt gerne dazu bereit, dich um Verzeihung zu bitten. Wenn du gestattest?“

Ich konnte mich nicht rühren, die Emotionen jagten rasend schnell durch mein Herz und brachten es zum Schweben. Wieder kullerten kleine Tropfen aus meinen Augen an meinen Wangen hinab, und mir wurde bewusst, dass ich eindeutig zu viel weinte. Nie hätte ich in Worte fassen können, was jetzt in mir vorging, was ich jetzt fühlte, denn diese Gefühle waren zu stark und mächtig für ein einziges, gebrechliches Wort, sogar ein Satz aus abertausenden Worten hätte sie nicht in sich bändigen können. Doch ich wollte es auch gar nicht, im Gegenteil. Ich genoss es, wie es in mir rumpelte und polterte, mir gefiel es, wie die schönen Emotionen in meine Adern gepumpt wurden und mich somit in jeder noch so kleinen Faser erwischten.

Eine ungeheure Gänsehaut erreichte mich, als er seine eiskalten Finger um meine Hand legte, und ich konnte mir nur zu gut vorstellen, wie es sich für ihn anfühlen musste. Auf seinen Lippen war ein Lächeln, in seine Augen trat die Reue.

„Bella …“

Ich schluckte laut. „Ed … Edward?“

„Hiermit möchte ich dich wahrhaftig und ganz offiziell um Verzeihung bitten. Würde ich dir auch nur einen Gefallen tun können, und sei er noch so erniedrigend oder unmöglich, ich würde ihn für dich erledigen, um dir zu beweisen, dass ich es ehrlich meine.“ Er holte noch einmal tief Luft. „Isabella Marie Swan, verzeihst du mir?“

Ich konnte nicht begreifen, was er da gerade gesagt hatte. „Ich …“, murmelte ich und schüttelte wehmütig den Kopf, „ich träume.“ Wäre ja nicht das erste Mal …, ging es mir durch den Kopf.

„Du träumst nicht“, versuchte Edward mir weiszumachen, und für diesen einen Augenblick glaubte ich es ihm.

Somit nickte ich. „Also, wenn ich nicht träume, dann … dann verzeihe ich dir.“

„Das ist schön“, flüsterte er und verzog seine Lippen zu dem süßen, schiefen Lächeln, dass mich jedes Mal – so wie jetzt auch – aus der Bahn warf.

„Und …“, begann ich zaghaft, „… verzeihst du mir denn auch?“

Er fing schallend an zu lachen. „Was soll ich dir denn verzeihen?“

„Naja, dass ich einfach so in dein Leben geplatzt bin und alles durcheinander gebracht habe, zum Beispiel.“

„Ach, und selbst wenn, das war es mir wert.“

Ich stutzte. „Was war es dir wert?“

„Dafür, dass jetzt alles ein wenig chaotisch ist, habe ich dich kennengelernt“, sagte er mit so viel Inbrunst, dass es mein Herz wieder zum vollkommenen Stillstand brachte und mein Atem dafür doppelt so schnell ging und mich zum Keuchen brachte.

„Und das war es dir tatsächlich wert?“, fragte ich ihn und lachte selbst. „Manchmal wäre ich froh, ich würde mich selbst nicht kennen.“

„Natürlich war es das.“

„Naja, wenn du das sagst.“

Nach einer Weile räusperte sich Edward. „Und, verrätst du mir als Gegenleistung auch etwas?“

Alles, was du willst, hätte ich antworten können, doch gerade im entscheidenden Moment, da diese Worte meinen Mund verlassen wollten, zügelte ich mein vorlautes Geplapper. „Hmm okay.“

„Wieso … „, begann er, schien dann aber doch anders anfangen zu wollen. „Also, Alice hatte mir gesagt, dass du nach meiner Abreise nicht mehr die Bella warst, die sie gekannt hatte. Vergleichbar mit einer leeren Hülle, die nichts mehr fühlte außer … Schmerz, so hatte sie es mir erklärt. Und ich möchte gern wissen, warum das so war.“

Ich war hin und hergerissen. Einerseits war ich erleichtert, dass er nicht die schlimmere, wichtigere Frage gewählt hatte – nämlich die, warum ich alles wusste. Andererseits war ich bestürzt und wusste nicht, was ich ihm antworten sollte. Die Wahrheit? Oder vielleicht eine Lüge? Nun, Letzteres wäre schlecht, denn er verstand es besonders gut mir alles von der Nasenspitze abzulesen. Doch die Wahrheit war für mich umso schrecklicher … schrecklicher deshalb, weil, würde er es erfahren, wäre ich vielleicht wieder die, die allein gelassen wurde. Bei ihm wusste man ja nie, wann der Gedanke der Vernunft Oberhand gewann. Widerwillig entschied ich mich dann doch für die Wahrheit, obwohl ich sie nicht so stark ausdrücken würde, wie sie wirklich war.

„Naja … du bedeutest mir eben … viel“, brachte ich mühsam heraus und sah ihn hilfesuchend an.

In seine Augen trat das mir bekannte, leidenschaftliche Glühen. Seine Stimme war nur ein Hauch, als er sprach. „Wie viel bedeute ich dir?“

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