Sprechende Hände

By lonelydesertflower

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»Welche Sprache sprichst du, wenn du nicht hören kannst?« fragte ich ihn, aber er sah mich einfach stumm an u... More

Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Epilog
SPIN-OFF IST VERÖFFENTLICHT
Fortsetzung
UPDATE !

Kapitel 15

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By lonelydesertflower

»Wie lange ist es her,
dass er so gelacht hat...?«
*

Nachdem ich Toprak auf dem Foto von Muezza erkannt hatte, war ich natürlich nicht schlafen gegangen. Ich hatte mir mein Laptop mit aufs Balkon genommen, meine Kopfhörer reingesteckt und mir Videos im Internet angeschaut, wie man Türkische Gebärdensprache am besten lernt. Mir wurde sofort klar, dass ich das nicht über das Internet lernen konnte. Offensichtlich brauchte man einen Tandem-Partner.

Trotzdem hielt mich das nicht davon ab, einige Zeichen zu lernen. Ich suchte mir einen Ausdruck aus, den ich Toprak als erstes zeigen wollte, wenn ich ihn vor der Akademie treffen würde. Fast die ganze Nacht saß ich draußen auf dem Balkon und schlürfte Tee, während ich gleichzeitig Zeichen auswendig lernte.

Mit sehr wenig Schlaf, aber dafür genug Aufregung, hatte ich es dennoch rechtzeitig geschafft. Und nun stand er vor mir.

Mit meinen Armen um seinen Hals geschlungen, schlug mein Herz so fest gegen meinen Brustkorb, dass er es wahrscheinlich auch spürte.

Ich schluckte schwer, denn ich bereute sofort, was ich hier gerade tat. Er schien meine Umarmung nicht zu erwiedern und stand einfach da. Wie konnte ich in so einer Situation jetzt loslassen und in sein Gesicht schauen?

Abrupt löste ich die Umarmung und verdeckte meinen Mund. Er sah mich verwirrt, aber dennoch amüsiert an. In diesem Moment entschied ich mich zu sagen, was mir am meisten Angst machte.

»Keine Ahnung, wieso ich hier bin« begann ich und hielt meine Hand weiterhin vor meinen Lippen »aber bei dir fühle ich mich sicher. Obwohl ich skeptisch und vorsichtig sein sollte. Ich meine... wie heißt du denn jetzt eigentlich?«

Er merkte, dass ich zu ihm sprach. Mein Mund bewegte sich immerhin, doch er konnte es nicht lesen. Er zeigte auf seinen eigenen Mund und schüttelte fragwürdig seinen Kopf. Ich fuhrt fort, weil ich noch etwas sagen musste. Und das würde nur funktionieren, wenn er es nicht hörte.

»Bitte sei ungefährlich« flüsterte ich »Bitte sei ungefährlich und erlaube mir, bei dir zu sein. Denn ich... ich muss dich einfach kennen lernen.«

Er schien zu verstehen, was ich vorhatte und stand still da. Er wartete auf mich und ließ mir Zeit. Beobachtete vorsichtig, was ich jetzt tun würde. Sein Blick war diesmal nicht auf meine Lippen gerichtet, sondern auf meine Hände, denn ich hob beide hoch und tat, was ich geprobt hatte.

»Ich will mich vorstellen«, zeigte ich ihm in langsamen Bewegungen, »damit wir uns kennen lernen.«

»Ist das dein Ernst?« rief sein Zwilling plötzlich von hinten und brachte mich zum Aufzucken. Er stand unmittelbar direkt hinter mir und stöhnte genervt.

»Oh, Gott! Du hast mich erschreckt!« rutschte es mir raus. Wie konnte es sein, dass er sich so nah an mich geschlichen hatte, ohne sich bemerkbar zu machen? Außer, er stand schon seit einer Weile da, aber das konnte nicht sein.

»Was machst du hinter mir?!« wollte ich wütend wissen.

»Ehm« machte er eingebildet »Ich übersetze ihm hier seit einer halben Stunde was du laberst, obwohl du doch Gebärden kannst?!«

Oh, mein Gott. Ich drehte mich wieder um und erwischte sein kurzes Grinsen, bevor er wieder ernst zu mir schaute. Alles, was ich gebeichtet hatte... Er hat alles gehört. Nein, also... Verstanden. Was auch immer!

»Seit wann stehst du da schon?« nuschelte ich zu seinem Zwilling, damit er meine Lippen nicht las.
»Wenn du wissen willst, was genau ich übersetzt habe, dann kann ich dich beruhigen. Wir sind zusammen hierher gekommen. Also« er runzelte seine Stirn und tat so, als ob er überlegen würde »Ich habe ihm so gut wie alles übersetzt.«

Schnell verdeckte ich mein Gesicht mit den Händen zu und schüttelte den Kopf. Bitte, Gott, lass mich im Boden versinken. Das war viel zu peinlich. Als ob meine unerwiederte Umarmung nicht peinlich genug wäre, hatte sein Zwilling ihm auch noch alles übersetzt und ihm das Ganze erzählt, was ich ohne Bedenken gebeichtet hatte. Aber es war meine Schuld. Seine Gehörlosigkeit ausnutzen, um meine Gefühle loszuwerden, war mehr als egoistisch von mir.

»Ja, so sieht's aus« sagte sein Zwilling plötzlich. Konnte er auch Gedanken lesen?

Ich entfernte meine Hände vom Gesicht und erkannte, dass die Zwei miteinander sprachen. Durch... Gebärdensprache. Das Ganze war so tonlos, dass ich für einige Sekunden dachte, die Beiden lassen mir einen kurzen Moment Zeit, meine Peinlichkeit zu vergessen. Dabei waren sie mitten im Gespräch. Jetzt war mir das noch peinlicher, weil ich wissen wollte, was sie jetzt zu Reden hatten. Ging es um mich?

Toprak hörte auf zu Gebärden und wandte sich zu mir. Seine lachenden Augen waren glücklich über meine Anwesenheit. Das bildete ich mir nicht ein. Es war offensichtlich. Oder?

»Willst du wirklich« flüsterte er mit seiner rauen Stimme und er hatte sofort meine Aufmerksamkeit »dass wir uns kennen lernen?«

In mir tobte ein Sturm. Erwartungsvoll wollte er die Antwort meiner Lippen. Aber ich entschied mich, zu zeigen, was ich stundenlang gelernt hatte.

»Nur«, begann ich vorsichtig zu gebärden, »Wenn du es auch willst.«

Lächelnd zeigte er seine Zähne und nickte freudig.

»Wie lange ist es her, dass er so gelacht hat...« hörte ich seinen Zwilling auf türkisch flüstern, aber ich tat so, als ob ich es nicht gehört hätte.

Toprak bat mich mit in die Akademie zu kommen. Wie sein Zwilling kurz erklärt hatte, sollte es gleich einen Islam-Kurs für gehörlose Kids geben. Toprak hatte vor einigen Jahren seinen Zwilling dazu gebracht, für ihn in der Moschee zu übersetzen und ein Vater eines gehörlosen Kindes, hatte dies während der Predigt gemerkt. Seither war die Anfrage so sehr gestiegen, dass es diesen Kurs nun regelmäßig gab.

Nach und nach kamen immer mehr Kinder zwischen 8 und 15 Jahren in das helle Klassenzimmer hinein. Sie alle freuten sich total, Toprak zu sehen. Er kniete sich hin und unterhielt sich mit den Kindern. Ich brannte danach, zu wissen, was sie redeten, so freudig wie sie alle aussahen.

An die enorme Stille müsste ich mich wohl gewöhnen, denn keiner gab einen Ton von sich. Man hörte nur... Ich hörte nur Schritte und manchmal schnipsende Hände, wenn jemand Gebärden zeigte. Alle setzten sich dann an die U-Förmige Tischreihe. Da ich nichts verstehen konnte, begab ich mich nach ganz hinten in die Ecke und versuchte nicht aufzufallen.

Ich kam mir vor, wie eine Hörende, in einer Welt voller Gehörlosen. Alle samt hatten sie meinen Respekt und vor allem meine Bewunderung.

In einem Land zu leben, dessen Sprache man nicht kann, ist vielleicht nicht leicht, aber es ist definitiv möglich. Doch in einer Gesellschaft zu leben, die vom Hören abhängig war, schien mir eine Latte zu hoch zu sein. Aber die Kinder hier taten es. Sie waren glücklich und hoffnungsvoll und waren gekommen, um sich weiter zu bilden.

Mit kurzen Gesichtszügen und in schnellen Bewegungen, erzählten ihre Hände, was ihre Zungen nicht betonen konnten. Aufmerksam beobachtete ich, wie Toprak mit den Kindern umging.

Nachdem der Imam aus der Nachbarschaft antraf, stand Toprak auf und sie umarmten sich. Der Imam warf seinen Arm um ihn und wandte sich zu den Kindern.

»Euer Bruder Yusuf ist für kurze Zeit aus Deutschland gekommen und wollte nicht gehen, ohne euch zu besuchen« erzählte der junge Imam den Kindern und wartete darauf, dass der hörende Zwilling mit dem Übersetzen fertig war.

Auch der Imam nannte Toprak nicht Toprak. Ständig wurde er Yusuf genannt. Auch Doktor Yılmaz hatte es getan. Ich nahm mir vor, sofort zu fragen, wieso das der Fall war, denn diese Zwillinge waren nicht unbedingt zum Verwecheln ähnlich...

Plötzlich hoben alle Schüler die Hände hoch und schüttelten sie in der Luft. Später würde ich erfahren, dass das ein tonloser Applaus ist. Verwirrt beobachtete ich die Kinder und blickte fragend nach vorne zu Toprak. Ein amüsiertes Grinsen hatte sich in seinem Gesicht breit gemacht. Ich bemerkte, wie alle zu mir schauten und weiter mit den Händen wackelten.

»Jetzt komm schon nach vorne, Züleyha« stöhnte der Zwilling, der sich an die Tafel gelehnt hatte.
»I-Ich?«
»Ja... Wer sonst? Oder kannst du etwa doch nicht gebärden?«

Ich stand auf und quetschte mich an den Stühlen vorbei, an den Fenstern entlang, bis ich vorne war. Langsam hörten die Kinder auf zu winken und der Imam wies mich an, in der Mitte zu stehen.

So aufgeregt war ich nicht einmal in der Universität bei meinen Präsentationen gewesen. Immerhin konnte ich mich dort ausdrücken. Aber hier?

»Stell dich nicht so an« drängelte der Zwilling leise von der Seite. Die Klasse hingegen ließ mir Zeit. Ich überlegte nicht lange, denn es gab nur zwei Sätze, die ich gebärden konnte.

Ich will mich vorstellen, damit wir uns kennen lernen. Nur, wenn du es auch willst.

Die Kinder lächelten und zeigten mir den Daumen hoch, Ja.

»Mein Name ist...«

Ich drehte mich um und sah verlegen zu Toprak. »Wie buchstabiere ich meinen Namen?« flüsterte ich. Er las meine Lippen und nickte. In seiner Hand hielt er ein Stück Kreide und reichte sie mir.

Züleyha Elif, schrieb ich auf die schwarze Tafel und drehte mich zur Klasse. Die Kids machten alle die selbe Bewegung und ich nahm an, dass es Willkommen oder sowas bedeutete. Anschließend legte ich eine Hand auf mein Kinn und öffnete meine Handfläche nach vorne, »Danke«. Das war die erste Gebärde, die mir Toprak beigebracht hatte.

Toprak lächelte, als ob er es süß finden würde. Habe ich es falsch gemacht?
»Nein« lachte sein Zwilling und verbesserte mich »Diese Kinder verstehen die deutsche Gebärdensprache nicht.«

Verlegen sah ich zu den Kindern, die mir alle die selbe Gebärde zeigten: Mit der rechten Hand machte sie das O.K. Zeichen und hielten es sich waagerecht an den Hals, als ob sie sich zwicken würden.

Der Unterricht begann und der Imam fuhr fort, wo er wohl letzte Woche aufgehört hatte. Währenddessen stand der Zwilling direkt neben ihm und übersetzte. Hin und wieder meldeten sich Kinder und stellten ihm mit Gebärden Fragen, die er zur Sprache brachte, damit der Imam antworten konnte.

Einer der jüngsten Kinder, ein blondhaariger Junge namens Görkem, stellte eine ziemlich lange Frage, die der Zwilling zur selben Zeit übersetzte.

»Hallo, Imam Hamza. Ich habe eine Frage« fing der Zwilling an und las konzentriert die Hände von Görkem. »Diese Frage ist vielleicht dumm, aber ich muss es wissen. Werden wir im Paradies hören können?«

Der Imam lächelte Görkem zu und antwortete ihm, während der Zwilling für ihn das Gebärden übernahm. »Görkem, das ist eine sehr schöne Frage. Das Paradies-«

Plötzlich schoss die Tür auf und knallte gegen die Wand. Ich war die Einzige, die einen kurzen Schrei von sich gab. Mit knallrotem Gesicht und geballten Fäusten trat Ünal in das Klassenzimmer hinein.

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