Sprechende Hände

By lonelydesertflower

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»Welche Sprache sprichst du, wenn du nicht hören kannst?« fragte ich ihn, aber er sah mich einfach stumm an u... More

Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Epilog
SPIN-OFF IST VERÖFFENTLICHT
Fortsetzung
UPDATE !

Kapitel 11

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By lonelydesertflower

»Verfolgst du mich etwa?«
*

»Was hast du dir dabei gedacht, Züleyha?« flüsterte Elvan und setzte sich auf mein Krankenbett.

Nachdem ich ihr alles in Ruhe erzählt hatte, sah sie mich verwundert an und schüttelte ihren Kopf. »Ein wildfremder Mann, der nicht einmal hören kann! Und du besuchst ihn dann noch einmal...«

»Elvan« flüsterte ich, damit meine Mutter im Badezimmer nichts mitbekam »Wenn du mir eine Predigt halten willst, dann ist das jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt dafür.«

»Also siehst du ein, dass du leichtsinnig gehandelt hast?«
»Gibst du Ünal etwa Recht?!«
»Nein, du Idiot, ich bin auf deiner Seite!« verteidigte sie sich schnell und überlegte kurz, wie sie es besser ausdrücken könnte, dass es dumm von mir gewesen ist, Toprak zu besuchen. Oder heißt er etwa Yusuf?
Nachdem sie mich kopfschüttelnd abcheckte, sah sie mir direkt in die Augen, als ob sie mir etwas einreden wollte.

»Züleyha... Du kennst nicht mal seinen echten Namen. Du weißt nichts über ihn. Mag sein, dass er dir in der Nacht aus der Klemme geholfen hat, aber das sagt nichts über ihn aus. Ich muss dir das alles doch nicht erklären. Du bist klug genug, um zu wissen, dass-«

Meine Mutter trat plötzlich aus dem Badezimmer raus und blickte zu uns, überrascht, über unsere Stille. Sie schien nichts gehört zu haben, dennoch hatte ich das Gefühl, als ob sie über alles Bescheid wusste. Vielleicht hatte ihr Banu etwas erzählt, oder sogar Ünal. Skeptisch kam sie an mein Krankenbett und lächelte Elvan kurz an. Sie verstand und machte meiner Mutter Platz, so dass sie sich hinsetzen konnte.

»Züleyha, kızım« begann sie und hielt vorsichtig meine Hand »Lassen wir am besten ein wenig Zeit vergehen. Zumindest, bis deine Verletzung verheilt ist. Dann können sich die Familien in Ruhe treffen.«

Meine Mutter war von Natur aus dominant und glaubte immer das Richtige zu wissen. Auch wenn sie wirklich falsch lag, wie zum Beispiel genau jetzt, oder das unschuldige Bild, das sie von Banu hatte, und noch vieles mehr.

Ich seufzte lang und schüttelte meinen Kopf »Mama, du verstehst nicht. Die Familien haben nichts mehr zu bereden. Die Zeit wird nichts daran ändern, dass ich mit so jemandem wie Ünal, nichts mehr zu tun haben will.«

Die ruhige Einstellung meiner Mutter war längst verflogen und nun zog sie ernst ihre Augenbrauen zusammen. Ihre leichten Falten zeigten jahrelange, erschöpfende Schichtarbeit. Sie hatte es nie einfach gehabt. Und nun hatte sie auch noch mich am Hals. Als sie tief einatmete, wusste ich, dass sie nun beginnen würde, mit mir zu schimpfen.

»Und du bist also perfekt?« fragte sie ironisch und wurde lauter »So jemand wie Ünal, meinst du also? Bist du denn besser als er? Fräulein Züleyha besucht irgendeinen fremden Mann im hintersten Viertel der Stadt und ruft ihn dann ins Krankenhaus?!«
»Was?!«
»Ja! Deine Schwester Banu hat mir alles erzählt! Wieso kannst du nicht einmal verantwortungsvoll mit einem so ernstem Thema umgehen, wie sie es tut?!«
»Wie Banu? Was hat das alles jetzt mit ihr zu tun! Mama, versteh' doch endlich! Ünal ist kein guter Umgang!« Ich spürte die Tränen kommen, aber hielt sie nicht auf, sondern ließ sie einfach meine Wangen herabrollen »Mama, muss ich jedes Mal Weinen, um dir zu beweisen, dass ich etwas ernst meine?!«

Sie schwieg und beobachtete mich urteilend. Irgendetwas sagte mir, dass auch meine Tränen nichts an ihrer Meinung über mich ändern würden. Trotzdem musste das Alles raus, also fuhr ich fort, wo ich stehengeblieben war. Ich zeigte auf meinen linken Oberarm und brauchte das Patientenhemd kaum hoch zu ziehen, denn die Flecken waren deutlich zu erkennen.

»Das hat Ünal getan, Mama« erzählte ich mit einer klaren Stimme »Beschuldigt hat er mich für Betrug und Lügen, die erfunden waren. Kurz bevor er die Glasscheibe seines Autos zertrümmert hatte. Mit seiner bloßen Faust.«

Meine Mutter schüttelte ihren Kopf und stand vom Krankenbett auf. Schnappte sich das Tablett von meinem Beistelltisch und sammelte benutzte Gläser. »Lächerlich, wie du versucht, das Ganze auf Ünal zu schieben.«

»Was?!«

Sie stellte sich an das Ende meines Bettes und starrte gelangweilt zu mir herab. »Du musst das nicht tun, kızım. Du musst nicht lügen.«
»Ich lüge nicht. Es ist die W-«
»Wieso!« brüllte meine Mutter plötzlich und brachte das Tablett mit dem Geschirr in ihren Händen zum Klappern. Ihr Geschrei hatte sich abgesetzt und sie fuhr fort, ehe die Ruhe von mir gestört werden konnte.

»Wieso? Wieso sollte Ünal, erstens, sein eigenes Fenster einschlagen. Zweitens. Wieso sollte Ünal dein Laptop und deine Kamera kaputt machen. Drittens. Wieso sollte Ünal, unser Ünal« betonte sie und hob eine Augenbraue hoch »Wieso sollte er dich danach packen und in einen Laden zerren? Mitten in der Nacht?«

Mit offenem Mund bewunderte ich das hinterlistige Werk einer ganz bestimmten Person. Ünal hatte seinen Job gut hinbekommen und hatte Banu super überzeugt. Er hatte alle Assen im Ärmel und spielte belanglos gegen meinen Schlussstrich.

»Er hat deinem Vater bereits alles erzählt« fuhr sie fort »Wie du ausgerastet bist, dass du alleine mit Banu nach Istanbul fliegen müsstest. Weißt du, so warst du schon immer.«
»Entschuldige mal- Was?!«
»Als Kind hast du es nie gewollt, dass Banu mit zu Elvans Geburtstag kommt. Ich dachte immer, dass du dich geändert hast, aber scheinbar bist du immer noch die Selbe.«

»Also glaubst du diesem Aggro? Aber nicht mir? Deiner Toch-«
»Du kannst nicht klar denken. Anstatt dich bei Ünal zu bedanken, dass er deinen Hintern gerettet hat und diesem kranken Psycho keine Anzeige für das kaputte Fenster erstattet hat, nutzt du diese Gelegenheit, um alles auf Ünal zu schieben.«
»Nein, Mama!!«
»Sei nicht so bockig, Züleyha und gib es zu. Du bist zu unreif, um diese Verlobung durchzuziehen. Sprich es einfach aus und gut ist's.«

(zwei Monate später)

»Bist du aufgeregt?«
»Oh mein Gott, total.«
»Nur ein bisschen Salz, sonst kotzt er!«
»Kein Tabasco! Bist du verrückt?«

Die Kapazität unserer kleinen Wohnung war mehr als ausgelastet. Als ob die stickige Hitze im Mai nicht reichen würde, saßen locker fünfzig Menschen verteilt im Wohnzimmer, im Flur und sogar auf unserem Balkon.

Die Familie Eşkazan war im Namen Mahmuds gekommen, um die Hand von Banu anzuhalten. Meine Schwester hatte es durchgezogen und meine derzeitige Unbeliebtheit genutzt, um unsere Eltern davon zu überzeugen, dass sie es ernst meinte.

Nachdem Banu ihrem Zukünftigen, Mahmud, seinen salzigen Kaffee überreicht hatte und das Söz abgeschlossen wurde, war es Zeit für das Essen. Ich weigerte mich zusammen mit Ünal Eşkazan am selben Tisch zu sitzen, also begab ich mich in die Küche und stocherte in meinem Nudelsalat herum.

Freuen konnte ich mich für Banu kaum. Nach all dem, was sie gegen mich getan hatte, konnte ich außer Enttäuschung nichts für sie empfinden, obwohl ich mir Mühe gab ihr zu vergeben.

»Kann ich bitte 'ne neue Gabel haben?« hörte ich plötzlich Ünal fragen. Er stand im Türrahmen der Küche und winkte mit einer Gabel in der Hand.
Iss doch mit deinen Händen, dachte ich innerlich.

»Dort ist die Schublade« antwortete ich und trank aus meinem Glas. Langsam lief er zur Theke, aber ich bemerkte, dass sein Blick immer noch an mir hing. Gerade, als ich hoffte, er würde einfach verschwinden, atmete er ein und redete.

»Hab gehört, du hast deine Bachelorarbeit fertig geschrieben...«

Ich strengte mich an und versuchte nicht in seine Richtung zu schauen. Daran musste ich mich wohl gewöhnen. Durch Banu würde er alles aus meinem Leben mitbekommen, ob ich es wollte, oder nicht. Dennoch konnte ich entscheiden, wie ich ihm gegenüber handelte. Deshalb ignorierte ich seine Bemerkung und trank wieder aus meinem Glas. Ünal stöhnte genervt und öffnete die Schublade. Kurz darauf wandte er sich aber wieder zu mir und begann zu fragen.

»Also, fliegst du mit Banu und Mahmud mit nach Istanbul, nächste Woche?«

Wieder ignorierte ich ihn und betrachtete meinen Teller. Wie lange würde er denn brauchen, um die Küche zu verlassen? Früher oder später müsste er verstehen, dass er es vergessen sollte. Nach all dem, was er getan hatte...

»Was hast du gestern wieder in Südstadt gemacht?« wollte er plötzlich wissen.
»Kümmer dich um deinen eignen Mist, Ünal!« fauchte ich flüsternd, damit unsere Familien im Esszimmer nichts hörten »Verfolgst du mich etwa?«

Ünal kam an den Küchentisch und nahm gegenüber von mir Platz auf einem Stuhl. »Sei nicht so laut, sonst hören sie uns.« Ich konnte es nicht fassen, wie er sich einfach einbildete, wieder in meinem Leben zu sein.

»Und, nein« meinte er locker »Es gibt andere Wege, zu wissen, wo du dich gerade befindest.«
»Was bildest du dir eigentlich ein?«
»Gar nichts« er verschränkte seine Arme vor seiner Brust und grinste frech.

Das war's. Meine Geduld war am Ende und ich verstand nicht, wieso ich mir das noch länger gefallen ließ. Ich stand auf und nahm meinen Teller und Besteck. Gerade als ich sie in die Spüle gelegt hatte, spürte ich Ünals Anwesenheit dicht hinter mir. Ich drehte mich um und erschrak, weil Ünal nun direkt vor mir stand. Schnell hob er seine große Hand an meinen Mund, da ich kurz davor war, vor Schreck zu schreien. Er blickte zu mir runter und kam einen weiteren Schritt näher. Mit meinen Händen versuchte ich ihn mit aller Kraft wegzudrücken, aber er schaffte es sich dagegen zu lehnen.

»Ich wollte doch nur kurz etwas sagen, aber du zappelst wie immer rum« meinte er gelangweilt und entfernte seine Hand.

»Sag es und verschwinde!!« flüsterte ich wütend.

Ünal schmunzelte kurz und lief rückwärts zurück zur Tür. Mit der Gabel in seiner Hand winkte er mir zu und sagte

»Ich fliege mit nach Istanbul.«



*kızım bedeutet meine Tochter

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