Uralte Fassung (1): Twos - Di...

By MaraPaulie

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Achtung: Alte Fassung. Neue ebenfalls auf Account zu lesen. Nicht jedes Märchen beginnt mit »Es war einmal... More

Vorwort
Prolog
Kapitel 1 - Ticket der Freiheit
Kapitel 2 - Home Sweet Home
Kapitel 3 - Die Tallos
Kapitel 4 - Die verrückte Tanja
Kapitel 5 - Tränen aus Eis
Kapitel 6 - Verräter und Bruder
Kapitel 7 - Das Wintermädchen
Kapitel 8 - Die Herrscher der Gezeiten
Kapitel 9 - Grosser, böser Wolf
Kapitel 10 - Vom Märchen in rot
Kapitel 11 - Von Schnee im Haus und Rosen aus Feuer
Kapitel 12 - Erbe der Toten
Kapitel 13 - Von Verrückten und dem Labyrinth
Kapitel 14 - Der Bruder mit dem Schuppenkleid
Kapitel 15 - Des Winters Blut
Kapitel 16 - Der Junge, der mit der Sonne tanzt
Kapitel 17 - Augen ohne Liebe
Kapitel 18 - Die Völker aus den Büchern
Kapitel 19 - Trauriger Mörder, lass mich gehen
Kapitel 20 - Feuerraben
Kapitel 21 - Der Löwe und der Wolf
Kapitel 22 - Der Traum von Familie
Kapitel 23 - Der Pirat und die Prinzessin
Kapitel 24 - Von Barbaren und Märchen aus der Besenkammer
Kapitel 25 - Von toten Jungen und Mädchen aus Licht
Kapitel 26 - Der Lichterlord und die Antwort zum Hass
Kapitel 27 - Rote Raben und Bücher voller Schicksal
Kapitel 28 - Wer lauert in der Dunkelheit?
Kapitel 29 - Von Schläfern und Schlüsseln
Kapitel 30 - Geheimnis ohne Zeit
Kapitel 31 - Namen von Macht
Kapitel 32 - Zum Lied des irren Geigers der Dämon mit dem Teufel tanzt
Kapitel 33 - Vom Meer zu den Wolken
Kapitel 34 - Geschichten, die ein Vöglein zwitschert
Kapitel 35 - Sturmgläser, tanzende Piraten und Jungen, die vom Himmel fallen
Kapitel 36 - Klyuss' Kinder
Kapitel 37 - Blau wie der Mohn, grün wie die Hoffnung und rot wie Blut
Kapitel 38 - Das Schicksal der Verfluchten
Kapitel 39 - Gejagte der Vergangenheit
Kapitel 40 - Blut fremder Brüder
Kapitel 41 - Spiel der Könige
Kapitel 42 - Es jagt und tanzt der Geistesblitzt
Kapitel 43 - Die Wahrheit wurde von einem Lügner erschaffen
Kapitel 44 - Vom Mörder, der die schwarze Orchidee fand
Kapitel 45 - Von Herrschern mit dem Flammenhass und Helden kleiner Klingen
Kapitel 46 - Wer wir sind und was wir tun
Kapitel 47 - Einmal Monster, immer Monster
Kapitel 48 - Das Versprechen von niemals und immer
Kapitel 49 - Das Wort 'böse'
Kapitel 50 - Der Herzkasper
Kapitel 51 - Freund oder Feind, alt oder neu, beide bleiben ewig treu
Kapitel 52 - Das Gedicht des Todes
Kapitel 53 - Die Reise der Wahrheit und des Sinns hinter allem
Kapitel 54 - Von Geschwisterbanden und letzten Zeilen
Kapitel 55 - Der Tempel der Orakel
Kapitel 56 - Mondkind
Kapitel 57 - Die erste aller Schöpfungen
Kapitel 58 - Vom Intrigieren, Dechiffrieren, Konferieren und fiesen Viren
Kapitel 59 - Glücksjagd und Königsmord
Kapitel 60 - Schattenlicht und Bernsteingold
Kapitel 61 - In der Schwebe
Kapitel 62 - Patron und Paladin
Kapitel 63 - Von Luftschlössern und Monstern unterm Bett
Kapitel 64 - Deine wunderschönen Lügen
Kapitel 65 - Von Namen und Masken
Kapitel 66 - Das blinde Recht
Kapitel 67 - Das blinde Herz
Kapitel 68 - Das blinde Glück
Kapitel 69 - Verfluchtes Kind mit Gold gekürt
Kapitel 70 - Als niemand schlief
Kapitel 71 - Der Gewissenlose
Kapitel 73 - Ein Goldstück für deine Gedanken
Kapitel 74 - Kriegsherr Regen
Kapitel 75 - Der Herrscher über alle Macht
Kapitel 76 - Alles ist gut
Kapitel 77 - Die Feinde des Schicksals
Kapitel 78 - Und wenn sie nicht gestorben sind...
Kapitel 79 - Lucky Strike
Kapitel 80 - ...dann leben sie noch heute
Epilog
Authornotes
Charakterverzeichnis
Illustrationen

Kapitel 72 - Phönix

920 70 34
By MaraPaulie


Kapitel 72

Phönix


~Mile~

Alles ging so schnell, dass er erst verstand, was geschehen war, als er sich bereits im freien Fall befand.
Er schrie, ruderte mit den Armen. Die Kristallfassade des Palastes stürzte gefährlich nahe an ihnen vorbei.
Der Nebel hatte sich verzogen, doch die Sicht war noch immer stark beschränkt. Tempus brannte und Asche und Staub verschmutzten die Luft. Es reichte jedoch, um die Oberfläche des Wassergrabens, die immer näher kam, unter ihnen zu erkennen. Schwarzes, schmutziges Wasser, das bei einem Sturz aus dieser Höhe zu Beton werden würde...
Hänsel, der ihn fest umklammert hielt, brüllte irgendetwas, doch die Luft riss ihm die Worte von den Lippen. Er vernahm nur Fetzen. »Halten... Zauber... Chance... Körper...«
Mile schüttelte den Kopf, er verstand kein Wort. Der Druck auf seinen Ohren wurde immer schlimmer... Hänsel grub eine seiner Hände in Miles Haare und drückte seinen Kopf auf seine Schulter. Der heisse Atem des Dämonenschlächters blies ihm ins Ohr, als er ihm zuraunte: »Vertrau mir! Entspann die Muskeln! Versteck meine und später die Leiche meiner Schwester!« Drei knappe Anweisungen, jede wahnwitziger als die andere. Doch so weit der Weg nach unten auch war, das Ende ihres Falls war nahe und somit hatte Mile eine Entscheidung zu treffen.
Vertrau mir!
Mile schloss die Augen, entspannte seine Muskeln. Er spürte, wie Hänsel ihn mit seinen Baumstammarmen-und Beinen umschloss und ihn an sich drückte. Dann schlugen sie auf, Hänsel brach, knackte, quetschte, riss... Als das schwarze Wasser über sie hereinbrach, war Hänsel zertrümmert und Mile... lebte...

Trotz des Opfers des Dämonenjägers war der Aufschlag hart gewesen und hatte ihm den Atem aus der Lunge gequetscht. Sein erster Impuls war, nach Luft zu ringen, doch nur mit sehr viel Selbstbeherrschung gelang es ihm, den Instinkt zu unterdrücken und sich auf die schwarze Brühe zu besinnen, in der er schwamm. Wo oben und unten war, liess sich nicht durch Licht enträtseln, so dick war sie, nichts war zu sehen.
Mile packte den Dämonenjäger, der drohte, abzusinken, am Arm und begann mit der letzten Kraft, die die Verzweiflung aus ihm wringen konnte, nach oben zu schwimmen.
Seine Lunge schmerzte, sein Körper schrie nach Sauerstoff. Er drückte das Wasser mit Tritten und Schlägen nach unten. Seine Finger streiften etwas. Glatt, schmierig, schuppig...
Als ihn wieder etwas berührte, diesmal am Kinn, war er sich sicher, dass hier noch etwas war und dass er diesem etwas blind ausgeliefert war.
In der Hoffnung, so wenigstens ein wenig Licht zu bekommen, liess er Hitze in seine freie Hand fahren, bis diese zu Glühen begann.
Vor ihm schwebte das feingeschnittene Gesicht einer Frau. Sie war sehr jung, doch ihr Haar war so weiss wie das einer alten Frau. Sie war blass, selbst die Lippen waren farblos. Die Nase war klein und spitz, was die klaren, bis auf die Pupillen gänzlich weissen Augen unproportional gross wirken liess. Als sie den Kopf neugierig schräg legte, sah Mile, dass ihre Ohren kleinen Flossen ähnelten.
Eine Meerjungfrau?
Das Wesen streckte seine blassen Finger nach ihm aus und nun fiel das Licht auch auf die grazilen Schultern, geschwungenen Brüste und die schmale Taille, wo die weisse, makellose Haut in silbernen Schuppen überging, die schimmerten, als wären sie aus Perlmutt. Sie berührte sein Gesicht, strich ihm über Stirn, Nase und Mund. Als sie ihm ein scheues Lächeln schenkte, konnte er nicht anders, als es zu erwidern, was ihres noch breiter werden liess. Und breiter. Bis sie grinste und Reihen an Haifischzähnen entblösste.
Mile zuckte zurück, doch es war zu spät. Das Wesen packte ihn am Hals und drückte zu. Das Gesicht, das er zuvor als fein und schön empfunden hatte, war nun eine hässliche Fratze mit weit aufgerissenem Maul und Augen, die stumpf waren wie die eines Fischs, ohne Verstand, da waren nur die bestialischen Triebe...
Mile zappelte, versuchte, sich loszureissen, doch der Griff der Bestie war wie ein Schraubstock.
Seine Hand, die zuvor ein sanftes Glühen verströmt hatte, wurde heller und heller und Mile sah, dass dieses Wesen nicht allein gekommen war. Mindestens zehn weitere zogen ihre Kreise um ihn und lachten ihre Fratzen. Und plötzlich war da auch die schreckliche Atemnot zurück, die er beim Anblick der schönen, nackten Frau ganz vergessen hatte.
»Du dämlicher Bock!«, konnte er Red und Sabrina sagen hören und er musste ihnen zustimmen.
Eine der anderen Bestien löste sich aus der Strudelartigen Formation und wollte sich auf Hänsel, den Mile noch immer mit der linken Hand umklammerte, zu schaffen machen. Er sah, wie sie die Zähne in sein Bein schlug, sie spitz wie Nadeln durch die Lederrüstung schnitten und ein roter schweif aus der Wunde trat.
Das Blut schien die Mordlust in den Wesen ausser Kontrolle geraten zu lassen. Sie stiessen spitze, gurgelnde Schreie aus und warfen sich auf sie, bissen, was sie zu fassen bekamen.
Mile trat und schlug, doch im Wasser hatte er keine Chance. Seine einzige Rettung, war sein Feuer.
Er schloss die Augen, sandte all seine Energie in seine glühende Hand. Ein gleissendes Licht schoss aus ihr hervor, er spürte, wie das Wasser um ihn herum zu brodeln begann, hörte die panischen Schreie der Ungeheuer, als diese von seiner Hitze verbrüht wurden...


~Sabrina~

Der schwere, scharfkantige Stahl schnitt ihr in den Hals und die eingesetzten, rohen Obsidianklumpen drückten ihr gegen die Knochen.
»Stellt euch an der Wand auf. Eine Bewegung, solltet ihr euch auch nur am Arsch kratzen wollen – ihr habt sofort einen Pfeil im Bauch!«, bellte der Werwolf, der Befehlshaber der Krieger war, denen die Dunklen sie übergeben hatten.
Nachdem Hänsel sich mit Mile aus dem Fenster geworfen hatte, war alles sehr schnell gegangen. Die Dunklen hatten sie in eine Ecke des Saals getrieben, so weit von den Fenstern entfernt, wie möglich. Dann hatten sie eine Tür, die Hedwig mit einem Zauber verborgen hatte, geöffnet und die Soldaten, die sich dahinter aufgestellt hatten, eingelassen.
Bei diesen handelte es sich nicht mehr um umgedrehte Zivilisten, es waren ihre eigenen Leute. Werwölfe, Vampire, Morack, Nekromaner und vereinzelte abtrünnige Angehörige von Völkern, die man auch unter den Rebellen antraf.
Diese Wachen hatten sie dann in den Kerker geführt. Genauer in einen Vorraum, leer und kahl. Dort hatten sie sich aufstellen müssen und jeder von ihnen hatte einen stählernen, mit Obsidianen besetzten Ring um den Hals geschnallt bekommen.
»Ausziehen!«, verlangte der Mann.
»Wie?«, fragte Aschenauge, dem es als einzigem gewährt wurde, Regenjäger zu stützen.
Regenjäger sah schlimm aus. Valyn war es zwar erlaubt gewesen, ihn notdürftig zu versorgen und mit ein paar Zaubern zu verhindern, dass er verblutete und die Wunde sich entzündeten, doch das dämmte die Gefahr nur gering. Sein rechtes Bein endete knapp zehn Zentimeter über dem Knie. Er war zwar wieder bei Bewusstsein, doch er konnte sich kaum aufrecht halten. Er war bleich wie ein Laken, zitterte, schwitzte und machte ein Gesicht, als würde er jeden Moment wieder die Besinnung verlieren.
»Ausziehen!«, wiederholte der Befehlshaber und einer seiner Untergebenen spannte drohend seinen Bogen. Als sich niemand der Xilsar rührte, brüllte er: »Ja, alles ausziehen! Jetzt!«
Sabrina bückte sich und knüpfte ihre Schule auf, zog sich die Socken von den Füssen. Sie machte sich an ihrem Plattenkragen zu schaffen, hatte jedoch Schwierigkeiten, die Schnalle zu finden.
»Warte, ich helfe dir«, murmelte Falk, der sich eben das schwarze Hemd über den Kopf gezogen hatte. »Hier.« Er schob ihr eine Hand unter den Kragen und öffnete geschickt die Schnalle.
»Weg da!«, brüllte es hinter ihnen und Falk bekam einen so heftigen Schlag vor die Brust, das es ihn von den Füssen riss.
»Er hat mir nur..«
»Es könnte mir nicht egaler sein«, fauchte der Mann und seine gelben Wolfsaugen sprühten Funken. Er spuckte ihr vor die nackten Füsse. An Falk gewandt zischte er: »Noch ein falscher Schritt und dein Kopf ziert die Zinnen der Stadtmauern!«
Die Kieferknochen des Piraten traten vor, doch er beherrschte sich und nickte.
Irgendwann lagen all ihre Kleider, sowohl Rüstung, als auch Hemden und Hosen vor ihr im Staub.
»Umdrehen!«
Bastard...
Mit Armen und Händen bedeckte sie, was ging und drehte sich zu den Soldaten um, die noch immer mit Pfeilen auf sie zielten. Sie wagte nicht, sie anzusehen, also sah sie unsicher zu Falk.
Der Pirat verbarg seine Blösse und damit einhergehende Schutzlosigkeit keineswegs. Da, wo die Keule des Befehlshabers ihn zuvor getroffen hatte, leuchtete seine Haut rot wie ein Fuchspelz, doch er schenkte dem Schmerz keine Beachtung. Seine Schultern waren gestrafft, die Haltung aufrecht. Die Narben, die er selbst als Mahnmale für sich selbst wahrnahm, schimmerten im Licht der Fackeln, die an den kahlen Backsteinwänden angebracht waren. Herausfordernd reckte er sein Kinn vor und schenkte ihren Feinden das spöttischste Lächeln, das er auf Lager hatte.
Sein Auftreten machte Eindruck auf sie und sie beschloss, es ihm gleichzutun. Nur ihre Hände liess sie, wo sie waren. So sehr entblössen wollte sie sich nun doch nicht.
»Was jetzt?«, rief der Hutmacher, der ebenfalls wieder bei Bewusstsein war. Wütend zuckte sein Blick zwischen seinem geliebten Zylinder auf dem Boden und den Soldaten hin und her. »Müssen wir jetzt die Arschbacken spreizen, damit ihr nachsehen könnt, ob wir eine Waffe im...«
»Ruhe!«, brüllte der Werwolf. Er deutete Katmo, Valyn und Bree, vorzutreten. Sie gehorchten, der Kater mit eingezogenem Schwanz, Valyn mit zittrigen Knien und Bree erhobenen Hauptes.
»Exekutieren. Unsere Zellen sind voll genug.«
»Nein!«
»Halt!«
Die Xilsar schrien entsetzt auf.
Der Befehlshaber zog erbost die Brauen zusammen. »Gebt mir einen Grund, diese traurigen Gestalten am Leben zu lassen!«
»B-Bree ist eine Kriegerin«, brabbelte Sabrina drauf los. »Dreht sie um! Sie... sie wird nützlich sein, ganz bestimmt!«
Der Werwolf zog die Nase kraus. »Elfen sind nicht so leicht umzudrehen.« Er verengte die Wolfsaugen zu Schlitzen. »Wobei, sie sieht ganz passabel aus. Vielleicht hat Dracula noch Verwendung für sie. Er hat momentan diese Vorliebe für Elfen...«
Bree schüttelte den Kopf. »Ich wähle den Tod!«, verkündete sie, doch ihre Worte wurden einfach ignoriert. Zwei Soldaten zerrten sie aus dem Raum.
»Und die beiden?«, knurrte der Befehlshaber und nickte in Richtung von Valyn und Katmo.
»I-ich bin Heiler!«, stammelte Valyn und fiel auf die Knie. »Bitte, ich... tue alles.« Er deutete auf Regenjäger, der tatsächlich erneut das Bewusstsein verloren hatte. »Ich kann den Jungen retten!«
Der Werwolf biss auf seiner Unterlippe herum. »Der Kleine ist einer der Söhne des Sonnenkönigs, nicht wahr?«
Sabrina nickte. »Herrscherfamilie. Die Dunklen wollen uns lebend!« Sie schickte ein Stossgebet gen Himmel, dass ihr Gegenüber nicht wusste, wer dem Rabenjunge das Bein abgebissen hatte.
»Gut...« Der Werwolf spuckte aus und scheuchte den jämmerlich dankenden Valyn zurück in die Reihe. »Und was soll der Fellball?«
Der Kater, der nun weder gestiefelt, behütet noch bewaffnet war, fauchte drohend: »Verräter seid ihr alle! Habt den Herrschern den Rücken gekehrt! Meine Krallen werden euch richten!«
Der Befehlshaber verdrehte gelangweilt die Augen. »Fanatiker. Rauben mir den Nerv und sind auch schwierig umzudrehen. Brauchen wir nicht.«
Red schüttelte heftig den Kopf. »Er ist ein Märchen! Ein Wesen aus Tinte!«
»Das spielt keine Rolle. Exekution!«
»Nein!«, rief Sabrina voller Wut und sie spürte, wie die Macht der Herrscher ihre Stimme füllte. »Lasst ihn in Ruhe!«
Die Bogenschützen wandten die Blicke von dem Kater und starrten nun sie an.
»Hah! Netter Versuch, aber daraus wird nichts!« Der Werwolf riss einem der Soldaten den Bogen aus der Hand, legte an und schoss.
Katmo machte einen Buckel und wich dem ersten Schuss aus. Der zweite streifte ihn an der Hüfte. Der dritte grub sich in das schwarze Fell, Katmo jaulte, knickte ein.
Red gab ein Geräusch von sich, das wie ein Winseln klang. Sie fiel vor dem Katzenkörper auf die Knie und strich über das bebende Fell. Das erste Mal fielen Sabrina die Narben auf, die den Rücken der Roten bedeckten. Einige waren sicherlich alte Kampfwunden, andere wirkten, als wären sie absichtlich in die Haut geritzt worden, sahen aus wie Runen...
»Weg da!«, knurrte einer der Soldaten, doch Red hörte nicht auf ihn. Sie beugte sich zu den Ohren des Katers vor und flüsterte: »Vielleicht werden wir uns wiedersehen, tapferster Krieger der Herrscher der Gezeiten.« Sie beugte sich weiter vor und drückte den Pfeil tiefer in das Fleisch des Animanoren, beendete sein Leiden.
»Weg hab ich gesagt!«, knurrte der Soldat und trat Red gegen die Schulter, sodass sie rücklinks in den Staub fiel.
Die Hybridin fixierte ihn mit dem Blick. Aus zusammengebissenen Zähnen stiess sie eine Reihe féelenischer Worte aus: »Rés tem tria horo ties celot'iru. Sil'ahsír en pahsí, clotyr kas, marsia zanoyè!«
Rosanna, Valyn und Jeremy Topper sprachen den Segen in den Worten der gängigen Zunge nach: »Nun ist die Zeit des Abschieds. Ruhe in Frieden, reise sicher, komme wieder!«
»Und da heisst es, Katzen haben sieben Leben«, knurrte der Befehlshaber und zog die Nase hoch.
Red schniefte und richtete sich wieder auf. »Das werdet ihr büssen!«
»Werden wir sehen. Anziehen!« Mit diesen Worten winkte der Werwolf mit starrer Mine eine weitere Gruppe Soldaten in den Raum, die ihnen ein paar Klamotten vor die Füsse warfen.
Die Xilsar taten, wie ihnen befohlen war, während ihre Rüstungen und Katmos Körper weggebracht wurden.
Ihre neuen Kleidungsstücke waren Lumpen. Zerrissen, fleckig und unangenehm kratzig. Das meiste bestand aus braunem Leinen, das roch, als würde ein Teil ihrer Vorbesitzer noch drankleben.
Nun steckte Sabrina in einem viel zu weiten Hemd, dessen rechter Ärmel bis zum Ellbogen fehlte und das so starr war, das es ihr wie ein Schirm abgestanden wäre, hätte sie es sich nicht mit einer Kordel um die Taille binden können. Die löchrige Hose war ihr ein wenig zu gross, doch sie war froh, dass sie ihr die Bewegungsfreiheit gab, die ihr ein Rock nicht gewährt hätte. Schuhe oder gar Socken gab es keine.
»Gut«, knurrte der Werwolf und rieb sich zufrieden die behaarten Hände. »Wer ist denn jetzt noch übrig?« Er besah sich die Gefangenen und deutete schliesslich auf Rosanna. »Häuptlingstochter. Mögliches Druckmittel. Magieunbegabt. Steckt sie in die Zelle mit der Elfe, solange der Graf sie nicht umbringt, kann er von der auch trinken.«
Zwei Soldaten traten vor und packten Rosanna, die sofort zu zetern begann. Erst als einer der beiden ihr mit der Faust in die Schläfe hieb und sie damit ins Land der Träume beförderte, verstummte sie.
Der Werwolf deutete auf Oskar. »Den brauchen wir. Flösst ihm Wasser ein, dreht ihn um!«
Red schüttelte den Kopf. »Fasst ihn nicht...«
»Ruhig, Red, ich schaffe das schon«, wies Oskar sie mit ruhiger Stimme zurück und ging ohne Widerstand mit den Soldaten mit.
Scheinbar zufrieden mit seinem Werk betrachtete der Befehlshaber die restlichen Xilsar. »Gut. Was übrig ist, steckt ihr in den Bunker, so wie die Herrscher es vorgesehen haben.«
Beim Wort Herrscher kochte erneut Wut in Sabrina auf. So liessen die Dunklen sich also von ihren Gefolgsleuten nennen. Falsche Herrscher!

Es war genauso, wie Sabrina es in Erinnerung hatte. Die Schreie, die Verzweiflung, die Hände, die sich zwischen den Gitterstäben nach ihr ausstreckten, das Flehen und Betteln... Dies war der düsterste Ort, den sie kannte, schlimmer als die Starre.
Vielleicht war es gut, dass sie diesen Weg bereits kannte. Somit wurde sie nicht von dem Leiden übermannt und konnte denen helfen, die es waren.
Die Xilsar schleppten sich vorwärts, im strikten Tempo, das die Soldaten ihnen vorgaben. War man ihnen zu langsam, bekam man es mit dem stumpfen Ende eines Speers zu tun, der einem gegen die Rippen gestossen wurde. Regenjäger keuchte, stöhnte und weinte leise. Alle anderen brachten keinen Laut über die Lippen, er wäre sowieso von den Klagelauten der anderen Gefangenen untergraben worden. So lauschten sie nur.
Falk, der selbst schon mehr Leid gesehen und vermutlich sogar verursacht hatte, als die meisten von ihnen, war der einzige der Xilsar, dessen Gesichtsfarbe nicht die eines Lakens war. Das Blut war ihm in den Kopf geschossen, seine Kiefer malten, die Stirn war von Falten zerfurcht. Er war wütend und sie verstand ihn. Sie verstand ihn nur zu gut. Das hier war einfach nicht fair.
Irgendwann gelangten sie in den Teil der Kerker, die für magiebegabte Wesen oder Gefangene, die von den Dunklen als besonders wichtig eingestuft wurden, vorgesehen waren.
Sie spähte durch die mit Obsidian versetzten Gitterstäbe. Da waren Elfen, einige Menschen – vermutlich Hexen oder Magier, Individuen der Grauen Völker und viele weitere.
Links von ihr erklang ein Scheppern, als sich etwas gegen das Gitter warf. »Sabrina!«
Fast hätte sie ihn nicht erkannt. Ihn, den Jungen, der sie ins Verderben geführt hatte, der Verräter der Rebellen, der Gewissenlose. Pinocchio...
Wie vom Blitz getroffen blieb sie stehen und starrte in die schokoladenbraunen Augen, deren Blick sie früher für reine Unschuld gehalten hatte, doch nun nur noch Durchtriebenheit erkennen konnte.
Er sah schlimm aus. Schmutzig, blutbesudelt, mit Schürfungen und Blutergüssen übersäht. Doch Sabrina spürte kein Mitleid. Vielleicht sollte sie sich dafür verachten und vielleicht würde das Leben sich irgendwann an ihr rächen, doch sie fühlte einen Anflug von Genugtun und hatte nicht einmal ein schlechtes Gewissen.
»Es tut mir Leid«, wimmerte der Achtjährige und verschluckte sich an seinen Schluchzern.
Einer der Soldaten hieb ihr mit seinem Speer gegen den Oberarm. »Weiter!«
»Ich habe getan, was sie wollten, was sie mir beigebracht haben«, rief der Kleine ihr hinterher. »Ich habe gelogen und gelogen und habe getan, was sie wollten. Alles, aber... sie geben mir Jiminy nicht zurück! Und Babbo...« Die Stimme des Kindes wurde leiser, als man die Xilsar weitertrieb, doch seinen letzten Satz, den der Junge selbst kaum über die Lippen brachte, verstand sie noch. Und nun hatte sie Mitleid und ein bohrendes schlechtes Gewissen. »Und sie haben Babbo geköpft...«


~Mile~

Er wusste nicht, wie es ihm gelungen war, aus dem Wasser zu brechen und das ohne Hänsels Leiche loszulassen. Das einzige, über das er einen Gedanken verschwenden konnte, war dieses grossartige Gefühl, Sauerstoff in die Lunge zu saugen, was das grässliche Feuer in seiner Kehle löschte und die weissen Schneeflocken, die sich um sein Sichtfeld gesammelt hatten, wegwehte.
Luft war gut, selbst Feuer brauchte sie, um tanzen zu können.
Als er genug geatmet hatte, begann er, an das Ufer zu schwimmen. Dafür musste er unter Hänsels Körper tauchen. Der Burggraben war steil und bestand aus scharfkantigen Steinen, doch Mile zögerte nicht. Mit allem, was von seiner Kraft übrig geblieben war, warf er Hänsel auf die Steine, ignorierte das Blut, das sofort hinab-und ihm entgegenrann und zog sich an den Felsen hoch.
Er warf sich über die Kante, zerrte Hänsel hinter sich her, dann fiel er und blieb liegen, atmete und weinte ein wenig. Weinte über das Erlebte, die Verluste, seine Lieben und den Fall der Rebellion.
Um ihn war alles weiss. Der Wasserdampf, der noch immer von dem Wasser im Burggraben aufstieg, verhüllte seine Umgebung und der Boden, auf dem er lag, war weich, denn er war mit heller Asche bedeckt. Kurz wagte er, die Augen zu schliessen, zu ruhen.
Er lauschte Kanonenschüssen, weit entferntem metallischem Klirren, Schreien und... Schritten... Schritte, klirrende Sporen auf Stein. Und sie näherten sich, waren bereits nah...
Er rappelte sich hoch, sah sich um. Schwarze Silhouetten traten aus dem Nebel und erst glaubte Mile, sich in einem durch den Sauerstoffmangelnden erträumten Schattenspiel zu befinden, bis er sich entsann, hellwach zu sein.
Fahrig sah er sich nach etwas um, das er als Waffe benutzen konnte. Hänsel!
Er vermied es, den Dämonenjäger genauer zu betrachten, ignorierte das verkochte Fleisch und die verdrehte Pose, in der der Tote lag. Viel an den Dämonenjäger erinnern tat nicht mehr.
Mit brennenden Augen riss er Hänsel das Chepesch aus der Halterung am Rücken, wog es kurz in der Hand, um ein Gefühl für die Waffe zu bekommen, dann stellte er sich breitbeinig hin, die Knie angewinkelt, zum Sprung bereit.
Langsam kamen die Schatten näher, lösten sich aus dem Dampf und gaben sich mit einem lauten Brüllen als Feinde zu erkennen. »Holt euch seinen Kopf!«
Sie griffen an. Mile zählte fünf, soweit er es auf die Schnell beurteilen konnte. Zwei Moracks, zwei Werwölfe und ein Menschen, der sich aber schnell als Schwarzmagier entpuppte.
»Ich hoffe, du hast bei deinen Göttern ein gutes Wort für mich eingelegt, Red«, brummte er und liess in seiner freien Hand eine Flamme erwachen.
Einer der Moracks preschte vor, ein Beil schwingen. Mile hechtete zur Seite, machte eine Rolle vorwärts, nutzte den Schwung, um wieder auf die Füsse zu kommen, drehte sich und grub seine gebogene Klinge zwischen die Schulterblätter des Monsters. Er hatte gut gezielt, hatte direkt zwischen die Halswirbel getroffen.
Mit einem Schmatzen riss er die Waffe aus dem bräunlichen Fleisch, während er einem der Werwölfe in Tiergestalt, der sich von links an ihn herangepirscht hatte, eine Flammenwand entgegenschleuderte. Das Fell fing augenblicklich Feuer und der Wolf gab Geräusche von sich, wie Mile es noch nie zuvor von einem Tier gehört hatte.
Der Magier hatte seinen ersten Zauber vollendet. Aus dem Stab, der die Quelle seiner Macht zu sein schien, fuhren Blitze auf ihn zu. Mile hatte Glück, er schaffte es, jedem einzelnen von ihnen auszuweichen. Auf den letzten Blitz, der etwas verzögert kam, wartete er. Er beschwor in sich die gleiche, bebende Hitze, die die Geschosse ausstrahlten, reckte die freie Hand in die Höhe und fing den Blitz aus der Luft, wickelte ihn sich um die Finger, als wäre er ein Spinnennetz, das er aus einem imaginären Gebälk wischen wollte. Der Blitz tanzte um seine Finger und auf einmal spürte er, wie die Energie des Blitzes auf ihn überging, ihn weckte und kräftigte. Ohne lange zu zögern warf er den zitternden Lichtstrahl auf seinen Erschaffer zurück, was diesen sofort ausschaltete.
Der Werwolf in Menschengestalt, liess sich davon nicht einschüchtern. Er hob sein Schwert und fiel Mile von rechts an, doch damit hatte der junge Lichterlord schon gerechnet. Er fing die gegnerische Klinge erschreckend spielendleicht mit dem Chepesch ein, verdrehte es so, dass sein Gegner gezwungen war, die Waffe fallen zu lassen, stiess die eigene vor. Das Blut spritzte ihm ins Gesicht.
Nun war nur noch ein Morack übrig. Ein besonders gewaltiger Vertreter seiner Art mit Hauern wie ein Wildschwein und den Hörnern eines Stiers. Er stand vielleicht zwanzig Meter von ihm entfernt, hatte sich während der Blitzangriffe des Magiers in Sicherheit gebracht. Mile sprintete auf ihn zu. Die Bestie lachte, schwang ihren Hammer, dessen Kopf so gross war wie ein Autoreifen, über seinem Schädel, liess ihn kreisen, brüllte, doch Mile bremste nicht. Im Gegenteil, er beschleunigte, das Blut kochte in seinen Adern, der Rauch kratzte in seinem Hals, auch er schrie. Der Hammer fuhr auf ihn nieder, von nahem war er noch viel grösser... Er sprang, der Hammer grub sich in die Erde, Mile drehte sich in der Luft, nutzte den Schwung und liess seine Klinge durch den Hals seines Feindes gleiten.
Er rollte seinen Sprung ab, prallte gegen eine Hauswand. Keuchend liess er sich an ihr hinabgleiten und beobachtete, wie der Morack seinen Hammer losliess, sich an den Hals griff, unfähig das Blut zu stoppen, das ihm zwischen den Fingern aus den aufgerissenen Schlagadern quoll. Er fiel, gurgelte etwas Unverständliches und gleichwohl klar hasserfülltes, dann erschlaffte er und das Blut versiegte...
Mile schüttelte den Kopf, das Haar klebte ihm in der Stirn. Blut. Er stützte sich auf das Chepesch, während er sich aufrichtete. Killer. Er rieb sich übers Gesicht, verschmierte die warme Flüssigkeit. Versteck meine Leiche!
Er riss eine offenstehende Tür aus dem Eingang des Hauses, gegen das er sich eben gelehnt hatte. Er schleifte sie zu der Leiche des zweiten Moracks und zog diesem den Gürtel aus den Riemen der weiten Lederhose. Da die Hüfte des Moracks einen ordentlichen Radius besessen hatte, war der Gürtel entsprechend lang. Er band ihn um die Klinke und eine der Angeln der Tür und legte ihn sich um die Brust. Mit dieser notdürftigen Trage konnte er Hänsel noch immer schneller transportieren, als wenn er ihn selbst schleppen würde.
»Und jetzt weg hier«, knurrte er, nachdem er seine leblose und dennoch wertvolle Fracht geladen hatte, »bevor noch mehr von der Sorte hier auftauchen.«
Er stapfte los, die Tür scharrte unter dem Gewicht von Hänsels Körper über den Pflasterstein. Er war nicht sonderlich weit gekommen, da hörte er jemanden seinen Namen rufen. »Mile? Mile, bist du es?«
Sofort machte er eine Satz rückwärts, riss das Chepesch aus seinem Gürtel und versuchte auszumachen, woher die Stimme gekommen war.
»Ist er es?«, fragte eine nasale Stimme skeptisch.
»Mir scheissegal, ich kann nicht mehaaaaaaahr!« Der Satz endete in einem zweistimmigen Schrei und neben Mile plumpste etwas in die Asche.
Er wirbelte herum und hob seine Klinge.
»Nicht! Wir sind's doch nur!«, jammerte der Dämon und schlug die Klauen vor die grossen, gelben Glubschaugen.
»Ihr? Wie...?!« Fassungslos sah Mile auf das weisse Kaninchen und den Traumdämon hinab, die sich eben hochrappelten und die Asche von den Kleidern klopften.
»Ich habe Flügel, vergessen? Und bevor ich mich von den Dunklen umlegen lasse, mache ich von den Dingern gebrauch«, erklärte Faritales. »Und der da«, quengelte er und zeigte auf Sero, »hat sich an mich rangeschmissen, ich hätte beinahe die Balance in der Luft verloren.«
»Welche Balance?«, schnauzte das Kaninchen zurück und zuckte verächtlich mit der Hasenscharte.
»Ihr... konntet fliehen?« Mile war noch immer völlig fassungslos.
»Ja, haben wir doch gesagt!«, maulte Fari und bohrte in seinem Ohr. »Als Hänsel sich mit dir aus dem Fenster geworfen hat, hab ich keine Zeit verloren und bin hinterher. Aber dieses Kaninchen hat mich irgendwie am Schwanz zu fassen gekriegt. Aber ich konnte das Risiko, erwischt zu werden, nich eingehen, also hab ich den blöden Fellball einfach mitgenommen. Raus, aus dem Fenster und weg. Unser Weg nach unten war aber um einiges langsamer als der eure, wie ich sehe. Zum Glück sind wir jetzt endlich unten angekommen, ich hätte keine Sekunde länger ausgehalten!«
»Ein Wunder, das wir noch leben, bei den läppischen Lederbälgen von Flügeln!«, kommentierte Sero.
Gerne hätte Mile den beiden vorgeworfen, was für Feiglinge sie seien, doch er brachte es nicht übers Herz, denn wenn er ehrlich war, spürte er nichts als Erleichterung, die beiden bei sich zu haben.
Faritales zog den Finger aus dem Ohr und wischte sich den Schmalz an seinem Gambeson ab. »Wegen diesem scheiss Nebel haben wir dich nicht gleich erkannt. Aber wir haben dich gegen diesen fetten Morack kämpfen sehen. Und da dachte ich mir, das kann doch nur Mile Beltran sein, der Künstler mit Klinge und rot!«
Mile schluckte. »Wir hatten wohl Glück.«
»Glück würde ich das nicht nennen«, brummte Sero, der um Mile herumgehopst war und sich Hänsels Überreste besehen hatte. »Was hat ihn denn so zugerichtet?«
»Der Sturz ins Wasser und... da waren irgendwelche Meerjungfrauen, die haben uns fressen wollen, da habe ich das Wasser kochen lassen und...«
»Keine Meerjungfrauen«, knurrte Sero. »Das waren Nixen. Bösartige Wesen ohne Verstand. Die Dunklen haben sie im Burggraben angesiedelt...« Das Kaninchen sprang auf die Tür und drückte mit einer Pfote auf Hänsels Brust. »Der Sturz hätte sich auf ihn aus dieser Höhe schlimmer auswirken müssen. Erstaunlich...«
»Er hat vor dem Aufschlag irgendetwas von einem Zauber gesagt. Ausserdem ist er ein Dämonenjäger. Ich habe im Palast gesehen, wie er irgendwas auf seine Runen geträufelt hatte.«
»Werden Schutzzauber gewesen sein...« Das Kaninchen blickte auf. »Er hat Euch gerettet, Mylord.«
»Scheint so«, brummte er mit trockener Kehle. »Und... nenn mich Mile.«
»Und was jetzt?« Faritales beäugte ihn kritisch. »Willst du zurück?«
Mile schluckte. Was war sein Plan? »Ich weiss nicht«, murmelte er wahrheitsgetreu. »Aber bevor ich irgendeinen weiteren Schritt plane, muss ich Hänsel in Sicherheit bringen.«
»Tut mir Leid, Kumpel, aber da gibt es nicht mehr viel zu retten...«, brummte der Dämon vorsichtig.
Mile schluckte und nickte. »Er hat mich darum gebeten. Er... ist ein Tintenwesen, der Tod auf Zeit, sein Körper wird sich irgendwann regenerieren und... Wir verstecken ihn!«
»Ich glaube nicht, dass es so ein Versteckt gibt. Nichts wird so eine lange Zeit...«
»Das meinte ich nicht. Nur bis... das hier zu Ende ist...«
Faritales und Sero tauschten einen Blick. Der Dämon schniefte. »Ich glaube, das ist es schon...«
»Was denn?«, schnaubte Mile. »Ihr gebt einfach so auf? Alles? Die Rebellen, die Zukunft? Faritales, was ist mit Sabrina?«
»Ich will niemanden aufgeben, glaube mir. Vor allem nicht Sabrina! Aber... wir haben verloren. Das war die letzte Schlacht der Rebellen. Und sie ist verloren.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein! Das akzeptiere ich nicht, nicht eine Sekunde. Ich lasse sie nicht im Stich, ich gebe nicht auf, das kann nicht sein!«
»Stur wie die Eltern«, seufzte Sero. »Gut, dann machen wir das Beste draus.« Sein Näschen zuckte, er schien nachzudenken. »Früher hätten wir die Leiche eines Tintenwesens in das Inkoleum gebracht, aber die gibt es ja heute nicht mehr...«
»Sie haben doch nicht etwa das Inkoleum geschändet?!«, zischte der Nachtmahr durch die Zähne.
Mile schüttelte den Kopf. »Das was?«
Leicht befremdet blinzelte das Kaninchen. »Die Ruhestätte jener, die den Tod nur vorübergehend erfahren.«
»Er meint Tintenwesen, die tot auf Zeit sind«, erklärte Faritales. »In alten Zeiten hat man dort all die verstorbenen Märchenfiguren gesammelt. Dort liegen sie in ihren Glassärgen und überdauern die Jahrtausende, bis ihre Körper wieder bereit sind, als Gefäss für ihre Seelen zu dienen. Das ist ein Ort, heiliger als jeder Tempel des Enigmanums. Die Dunklen werden doch nicht gewagt haben, ihn...«
»Haben sie auch nicht. Sie haben es nur... geschlossen und verfallen lassen«, unterbrach ihn Sero.
»Wäre seine Leiche dort sicher?«, fragte Mile. »Kommen wir dorthin?«
Das Kaninchen kratzte sich hinter einem Schlappohr. »Ich bin mir nicht sicher. Ja, sicher wäre er dort... Das Inkoleum ist auch nicht sonderlich weit entfernt, aber es kann sein, dass dort gekämpft wird...«
»Gekämpft wird vermutlich überall«, knurrte er. »Wir riskieren es.«
Fari grunzte. »Hah! Deine Schwester hat sich oft über deinen Leichtsinn beklagt, aber wir haben wohl keine andere Wahl. Sterben werden wir vermutlich sowieso.«

Tempus, das einstmals strahlende Kapitol Arkans, hatte grossen Schaden vom Krieg und der Usurpation der Dunklen erlitten. Die Geschosse der Katapulte der Rebellen hatten Löcher in Häuser und Krater in Strassen gerissen. Überall brannten Gebäude, Schutt machte so manche Gassen unbegehbar. Da waren Leichen, manche trugen die grauen Rüstungen der Soldaten der Dunklen, andere steckten in den Lumpen von Bauern. Zivilisten, durch den Fluch ihrer Diktatoren in den Tod getrieben. Das schlimmste waren die Kinder. Tote Kinder, ein Anblick, der Mile beinahe alle Kraft geraubt hätte.
»Sie machen vor nichts halt«, murmelte Faritales. »Und der Tod kennt keine Moral.«
»Es war doch geplant, die Unschuldigen zu verschonen, sie nur zu verletzen«, flüsterte Mile und wandte den Blick von dem leblosen Körper eines Mädchens ab, die nicht älter sein konnte als dreizehn. Vielleicht war es das blonde Haar, aber sie erinnerte ihn an Sabrina. Er hätte bei dem Gedanken, dass sie nun in der Gewalt dieser sechs Bestien war, am liebsten losgeheult. Doch er riss sich zusammen. Seine Schwester war nicht mehr das Mädchen, die sich zu Beginn ihres Abenteuers noch hinter seinem Rücken versteckt hatte. Sie war stark und mutig, selbstbewusster geworden. Oh ja, sie war eine stahlharte Nuss, die Dunklen würden sie nicht knacken. Ausserdem hatte sie Falk, Red, Jeremy und die Rabenbrüder an ihrer Seite. Sie würde das schaffen, er vertraute ihr.
»Es gibt nicht mehr viele Kinder«, meinte Sero bedrückt. »In so eine Welt setzt man kein unschuldiges Leben. Es warten nur Hunger und Elend. Und die, die zur Welt kommen, sterben meist schon im Säuglingsalter...«
»Soldaten!«, fauchte Faritales plötzlich.
Sofort duckten die drei sich hinter eine Mauer, die einst eine Hauswand gewesen war. Hänsel auf seiner Trage liess Mile auf der Strasse liegen. Die Toten kümmerten nicht.
Die Grauen stapften an ihnen vorbei. Es handelte sich um umgedrehte Zivilisten, nur mit Mistgabeln und Schürhaken bewaffnet. Einer von ihnen zog einen bewusstlosen Gefangenen hinter sich her, schleifte ihn einfach durch den Dreck.
Sie hatten Glück, die Soldaten sahen sie nicht...
»Sie nehmen Gefangene?«, flüsterte ihm der Dämon, der sich auf seine Schulter gesetzt hatte, ins Ohr.
Mile betrachtete das Opfer des Trupps genauer. Er war so über und über mit Staub und Asche bedeckt, dass nicht richtig beurteilen konnte, um welche Spezies sich bei ihm handelte. Vielleicht ein Mensch oder Elf, möglicherweise ein Hybrid.
In ihm kam das altbekannte Gefühl einer Eingebung auf. »Finden wir es heraus!«
Bevor einer der Beiden ihn aufhalten konnte, schlich er sich aus ihrem Versteck, pirschte sich an den Trupp an, beschleunigte, sprang und schlug dem ersten der Grauen mit der Faust in den Nacken. Der Soldat knickte ein, seine Kampfgefährten wirbelten herum, zückten ihre Waffen.
Knapp wich er einer Heugabel aus, packte das Gerät am Schaft und riss es der Frau, die viel zu feingliedrig war, um ihm die Stirn bieten zu können, aus der Hand und hieb ihr in der gleichen Bewegung den Knauf des Chepeschs in die Schläfe. Auch sie brach zusammen.
»Aufhören!«, rief er und wich einer Sense aus, die ihm beinahe den linken Arm abgetrennt hätte. »Ich will niemanden verletzen!«
Doch die verfluchten Soldaten schienen ihn nicht einmal zu hören. Die fünf, die noch übrig waren, stürmte auf ihn los.
Mile hatte die Wahl. Unschuldiges Blut oder sein Tod. Seine Entscheidung war nachvollziehbar, doch er hasste sich dafür.
Er machte es schnell. Er erschlug zwei Männer, den dritten konnte er mit einem Tritt und einem Genickschlag ausser Gefecht setzen, doch von den beiden Frauen, die mit einem Dreschflegel und einem Schürhaken auf ihn losgingen, konnte er nur eine retten. Die andere musste er...
Killer.
Es war ihm nicht egal. Aber es war das kleinere Übel... oder?
Oder?
Er hasste sich noch mehr, als er die Frage von sich schob und die Blicke des Kaninchens und Dämons auf sich spürte.
»Seht nach ihm«, knurrte er und deutete in Richtung des noch immer bewusstlosen Gefangenen.
»Hoffentlich war er es wert«, antwortete Sero und Mile schluckte, als er etwas in der Stimme des Kaninchens entdeckte, was er nur als Verachtung deuten konnte.
Killer.
Er bückte sich und drückte den Toten die Lider zu.
»Junger Mann, Mensch. Scheint keine äusseren Verletzungen zu haben«, rief Fari ihm zu.
Mile gesellte sich zu ihnen, begutachtete den Menschen selbst. Er war völlig mit Asche und Staub bedeckt. Er schien beinahe so gross zu sein wie er selbst. Er hatte ein schmales Gesicht, markante, breite Kiefer, eine Stubsnase, tiefliegende Augen und leichte Segelohren. Obwohl Mile sich sicher war, den Mann noch nie zuvor gesehen zu haben, kam er ihm seltsam bekannt vor...
Er bückte sich zu dem Staubmann herab und tätschelte ihm die Wange. »Hey, aufwachen!« Als der Mann nicht reagierte, drückte Mile sein Ohr auf seine Brust. Sein Herz schlug, und wie! Es schien regelrecht zu rasen!
»Wer ist das?«, fragte das Kaninchen. »Warum rechtfertigt das Leben dieses Kerls den Tod von all diesen Unschuldigen?«
Ja, eindeutig Verachtung...
»Ich... weiss es nicht. Ich hatte eine Eingebung und...«
»Eingebung?!«, schnaubte das Kaninchen, doch es besann sich gleich darauf. »Die Wege des Herrschers scheinen wohl unergründlich.«
Mile ging nicht auf ihn ein. »Wir nehmen in mit«, knurrte er und war selbst von der Kälte in seiner Stimme überrascht.
Ohne ein weiteres Wort schnitt er die Fesseln des Mannes auf und schleppte ihn zu seiner Trage, wo er ihn neben Hänsel bettete.
Wortlos gingen sie weiter, versteckten sich vor Soldatentrupps, vermieden eine Konfrontation. Das Chepesch blieb in seiner Halterung stecken und Mile sandte ein Stossgebet gen Himmel, es möge für heute genug Blut geflossen sein.


~Sabrina~

Der vergessene König raste hinter dem Obsidiangitter. Seine Pracht war genauso umwerfend, wie das letzte Mal, als sie den Bunker mit den drei Zellen betreten hatte. Doch bevor sie sich im Staunen verlieren konnte, wurde sie gepackt, etwas Kaltes legte sich an ihren Hals. »Komm bloss nicht auf dumme Ideen, Eisprinzessin!« Der Soldat, der sie bedrohte, zog einen Schlüsselbund hervor und machte sich an dem Metallhalsband zu schaffen, dessen Obsidiane sie in Schach hielten.
Sabrina spannte sich an. Sobald die schwarzen Steine weg waren, würde sie diesen Kerl zermalmen!
Doch sobald der Obsidian sie nicht mehr berührte, war es um sie geschehen. Sie hatte vergessen, welche Wirkung Cernunnos bei ihrem letzten Aufenthalt auf sie gehabt hatte. Und auch dieses Mal zwang die Präsenz des weissen Hirschs sie in die Knie.
Falk, der ihr am nächsten stand, konnte sie gerade noch festhalten, als sie vornüberkippte. »Sabrina?«, murmelte er alarmiert und stützte sie, als sie in die Hocke ging.
Warum Cernunnos diese Wirkung auf sie hatte, wusste sie selbst nicht genau. Zwar hatten die Orakel ihr damals berichtet, wer der weisse Hirsch war - Die erste aller Schöpfungen der ersten Eisprinzessin, ein Wesen, das mit ihrem Blut verbunden war – doch das war keine Erklärung für das, was sie fühlte. Sie spürte ihn, den Geist des Hirsches. Sie spürte seine Angst, sein Leiden, diese Welle an Emotionen, der sie nicht stand halten konnte, die sie erbarmungslos mit sich riss, in sie eindrang, sie ertränkte...
»Sabrina!«
Falks Hände auf ihrem Gesicht, er strich ihr das Haar aus der Stirn, schüttelte sie.
Wie ein Fisch klappte sie den Mund auf und zu, versuchte sich zu erklären, doch bevor sie auch nur einen Ton herausbrachte, riss ihn jemand von ihr weg.
»Steckt sie in die Zellen. Das Mädchen kommt zu ihm...«
Sie spürte, wie sie hochgehoben, getragen wurde...
Ihre Freunde protestierten, als man sie in die beiden äusseren Zellen trieb.
Geschrei wurde laut, als man die Gitter des Hirschs aufschloss. Mit Speeren versuchten die Soldaten, das Wesen in Schach zu halten, das in blinder Panik um sich trat.
Sie flog und landete hart auf dem spärlich gestreuten Stroh. Hinter ihr fiel die Zellentür ins Schloss.
»Sabrina, steh auf! Du musst aufstehen, der Hirsch...«
Mit Mühe stiess sie die Emotionen des weissen Königs von sich, erlangte die Herrschaft über ihren Körper zurück, kämpfte sich auf die Knie...
Ein silberner Huf traf sie unterm Kinn, ihre Zähne knallten aufeinander, sie wurde gegen die Zellenwand geschleudert, ihr Kopf schlug gegen den rauen Stein und sie fiel ins Nichts...


~Mile~

Die Götter interessierten seine Gebe nicht, der Himmel war taub.
Als sie das Inkoleum, das einem gotischen Dom aus grauem Gestein glich, erreichten, tobte auf dem Platz davor bereits ein Kampf. Eine Schar Rebellen schlugen sich mit der Grauen Garde, die in unbestreitbarer Überzahl war.
Im Getümmel glaubte Mile das bekannte Gesicht von einigen der Verlorenen Jungs zu entdecken und eine der kämpfenden Elfen war zweifellos Sookie, an deren Seite er schon in Aramesia gekämpft hatte. Der Rest bestand grösstenteils aus Hybriden.
Ohne zu zögern zog Mile das Chepesch und eilte seinen Verbündeten zu Hilfe. Dieses Mal fiel ihm das Töten leicht, denn diese Feinde waren keine Zivilisten, den tauben Göttern sei Dank!
In ihm brodelte es. Er sah das kleine, blonde Mädchen vor sich. Tot, tot, tote Unschuld. Dieses Mal unterdrückte er das Feuer in ihm nicht, erlaubte dem Flammenhass, sich seiner zu bemächtigen. Er verbrannte, erschlug, schlitzte auf, liess das Blut spritzen, malte schreckliche heisse, blutige Bilder in den Staub. Künstler mit Klinge und rot. Killer. Mile der Erbarmungslose.
»Mile, Cousin! Was zum Teufel machst du hier?«
Er wirbelte herum und schlitzte zwei abtrünnigen Elfen die Gurgel durch, dann hielt er inne und sah sich nach dem um, der ihn gerufen hatte. Er entdeckte Schwalbentänzer, der sich mit verbissener Miene einem Werwolf zur Wehr setzte. Mile eilte ihm zu Hilfe und brach dem Wolf mit einem geübten Handgriff das Genick.
»Schwalbentänzer, was machst du hier? Wo ist Nimmertiger?«
Der Rabenjunge schüttelte den Kopf. »Solltest du nicht im Palast sein und...«
»Lange Geschichte. Wo ist dein älterer Bruder?«
Schwalbenjäger deutete mit dem Schwert und Mile folgte der Klinge mit dem Blick. Er entdeckte den jungen König samt schief sitzender, gestolener Krone, wie er mit einer Waffe, wie Mile sie noch nie zuvor gesehen hatte, wie ein Wilder auf seine Feinde einstach. Besagte Waffe war ein Schwert, das an beiden Enden des Griffs eine lange, dünne Klinge besass. Wie ein Propeller liess er es kreisen, gab so seinen Gegnern keine Chance, ihn zu erreichen. Blitzschnell sprang er vor, stach mit dem vorderen Ende zu und dann gleich zurück, um den Soldaten, der versucht hatte, die Chance zu nutzen und sich von hinten an ihn heranzuschleichen, ebenso aufzuspiessen.
»Was für eine Waffe ist das?«, hauchte er. »Und wie...«
»Nimmertiger wurde zum Nachfolger unseres Vaters erzogen. Glaubst du, er hat nicht gelernt, zu kämpfen? Das Doppelschwert hat Vater schon geführt.«
Ein Morack hatte sie entdeckt und unterbrach ihr Gespräch mit einem Brüllen. Er stürmte auf sie los, doch Mile machte ihm mit einem gezielten Feuerball den Gar aus.
»Meine erste Frage?«
Schwalbentänzer nickte, stützte sich auf sein Schwert und nutzte die Verschnaufpause, sich um eine Schnittwunde an seinem Arm zu kümmern. »Wir haben es geschafft, die Stadtmauer zu durchbrechen. Die Hybridenarmee hat sich in vier Gruppen gespalten. Was soll ich sagen, wir haben es bis hierher geschafft, wollten uns so weit, wie es geht, zur Barriere durchkämpfen, aber dann sind wir direkt in dieses Wespennest geraten und – Pass auf!« Schwalbentänzer stiess ihn zur Seite. Ein Pfeil sauste haarscharf an Miles Schulter vorbei und grub sich stattdessen in die Brust eines Mannes, der sich von hinten an sie herangeschlichen hatte.
»Danke«, brummte Mile. »Was hältst du davon, wenn wir unser Gespräch später weiterführen?«
Der Rabenjunge grinste böse und stürzte sich wieder ins Gefecht.
Mile machte weiter, wo er aufgehört hatte. Er war der Lichterlord, erfüllt vom erbarmungslosen Flammenhass, sein Schwert säte Schmerz und Tod.
»Mile!«, begrüsste ihn einer der verlorenen Jungs. Es war Tatze, der unermüdlich mit einem Dreizack auf alles einstach, was ihm zu nahe kam. Seine Unfähigkeit, Reden zu schwingen, kompensierte der Junge mit seinem Kampfgeschick. »Hast du Wendy gesehen?« In der Stimme des jungen Mannes schwang Panik.
Er schüttelte den Kopf. Wendy? Wendy in dem blauen Kleid? »Sie ist hier?«
Tatze wurde von der Keule eines grausig aussehenden Zwerges am Kinn getroffen. Das warf ihn von den Füssen. Ehe der Zwerg Tatze ins Jenseits befördern konnte, war Mile zur Stelle und zündete ihm den Bart an. Das Feuer frass ihn...
Er half Tatze auf, der Blut und etwas, das verdächtig nach einem Zahn aussah, ausspuckte. »Ja«, murmelte er und verzog das Gesicht vor Schmerz. »Sie hat sich nicht davon abbringen lassen und ich Idiot habe es zugelassen! Sie kann kämpfen, so ist es nicht, aber ich habe sie verloren!«
Mile nickte. »Ich werde nach ihr Ausschau halten!«
Das Massaker hinderte ihn an jeder weiteren Konversation. Seine widerliche, dunkle Seite kam ihm heute zu Gute. Die Pflastersteine schwammen in Blut.
Tatsächlich schien sich der Kampf zugunsten der Rebellen zu wenden. Miles furiose Kampfkraft trug massgeblich dazu bei. Er war nicht nur in der Lage, schneller und tödlicher zu kämpfen, er steigerte ausserdem die Moral der Rebellen. Zehn Minuten später flohen die letzten Grauen vom Schlachtfeld.
»Hinterher!«, verlangte Nimmertiger und scheuchte ein Dutzend seiner Leute los, um die Fliehenden zu verfolgen. »Lasst keinen übrig, sonst verraten sie, wo wir sind. Kehrt später hierher zurück!«
Die restlichen Überlebenden begannen, das Schlachtfeld nach Verwundeten abzusuchen. Die Hellelfen hatten alle Hände voll zu tun.
»Wendy?«, brüllte Tatze und humpelte, gleich nachdem er seinem letzten Gegner sein Schwert aus der toten Brust zog, drauflos.
»Warte, ich helfe dir«, bat Mile dem verlorenen Jungen an und stützte ihn. Gemeinsam wanderten sie zwischen den Leichen umher, suchten nach dem braunen Lockenschopf von Wendy.
»Oh Himmel, da!«, rief Tatze irgendwann und deutete auf die Leiche eines Moracks, unter dessen rechtem Arm ein Bein hervorragte.
Mile fackelte nicht lange, packte den Morack und rollte ihn unter grosser Kraftanstrengung vom Körper des Mädchens, das er begraben hatte.
»Wendy! Wendy! Lebst du noch?!« Vor lauter Sorge hatte Tatze sein verwundetes Bein ganz vergessen. Er rannte zu seiner Geliebten, fiel auf die Knie, schüttelte sie, heulte.
Wendy, das hübsche, blasse Mädchen, deren Kettenhemd zu gross für ihre zarte Erscheinung schien, tat keinen Wank.
Mile schlug die Hand vor den Mund. War sie etwa...?
Das Mädchen mit den Korkenzieherlocken hustete. »T-Tatze!«
Der verlorene Junge weinte und lachte gleichzeitig. »Danke, oh Himmel.«
Er half ihr hoch, umarmte sie, küsste sie und sie tat es ihm gleich, lächelte erschöpft.
»Nicht! Weg! Schütze auf dem Dach!«
Mile drehte sich um. Mitten auf dem Platz stand der Staubmann, auf irgendetwas über ihnen deutend.
Er folgte dem ausgestreckten, aschgrauen Finger. »Weg! Tatze!«
Doch es war zu spät. Der Schütze auf dem Dach schoss seinen Pfeil ab und er traf.
Ein Ruck ging durch den zarten Körper, die Korkenzieherlocken schwappten über Tatzes Schulter, flossen seine Brust hinab, versickerten in Blut und Asche.
Tatze, der noch nicht einmal begriffen hatte, was eben Schreckliches geschehen war, galt der nächste Schuss. Auch er traf.
Tatze starb gleich neben seiner Liebe.
Der Schrei puren Entsetzens des Staubmanns, dessen Stimme klang, als hätte er sie eben zum ersten Mal seit Jahren wieder benutzt, ging ihm durch Mark und Bein.


~Sabrina~

Ihre Sicht war verschwommen, nur Schemen tanzten vor ihren Augen.
Als sie versuchte, sich aufzurichten, schoss ihr ein heisser Schmerz durch den Körper, dessen Epizentrum ihr Hinterkopf war. Als sie es berührte, war es nass und kalt. Ihre Finger waren rot.
»Sabrina!« Dumpf, weit entfernt drangen Stimmen zu ihr durch.
Sie blinzelte, drehte den Kopf, was ihre Welt seltsam verschob und sie einen Moment mit Unsicherheit, wo oben und unten war, erfüllte. Langsam wurde ihr Blick klarer und als sie wieder sehen konnte, verstand sie nicht. Sie befand sich auf engstem Raum mit einem riesigen, weissen Hirsch, der sie aus dunklen, allwissenden und schrecklich traurigen Augen beobachtete. Das wunderschöne Tier hatte sich in eine Ecke zurückgezogen, lag in einer unnatürlichen Pose auf der Seite, Sein Geweih war in dem Gitter verkeilt.
Vorsichtig, um das Wesen nicht mit einer hastigen Bewegung aufzuscheuchen, rutschte sie rückwärts.
»Cernunnos?«, flüsterte sie und ihre Stimme klang fremd in ihren Ohren.
Der Bauch des Tiers hob und senkte sich schneller.
»Sabrina? Hörst du uns?«
Sie drehte sich in die Richtung, aus der die Stimme kam. Dicke, schwarze Gitter trennten sie von dem runden Raum dahinter. Ähnliche Gitter lagen auch links und rechts an den Wänden. Hinter ihnen erkannte sie dunkle Gestalten, im spärlichen Licht nicht mehr als Schatten.
»J-Jeremy?«, stammelte sie verwirrt.
»Herrjeh, sie ist wieder bei uns!«
»Bei Klyuss, geht es dir gut?«
Die Stimmen kamen aus der rechten Zelle. »Ja, ich glaube schon.«
Der Hirsch vor ihr schnaubte unruhig, seine Hufe scharrten hilflos über den Boden. Er schien sich nicht befreien zu können, das Geweih steckte fest.
»Ich verstehe nicht ganz... Was ist passiert? Das Letzte, an was ich mich erinnern kann, ist, dass wir in diesen Bunker sind und dann... nichts...«
»Du bist zusammengeklappt, hast was gestammelt. Irgendwas von einem vergessenen König und einer ersten Schöpfung.« Die Stimme kam von links und musste einem der Rabenbrüder gehören. Da ihre Stimmen alle sehr ähnlich waren, erkannte sie Nebelfinger nur an der ruhigen Klangfarbe, die den anderen fehlte.
»Die verdammten Soldaten haben dir diesen Obsidianhalskragen abgenommen und dich einfach mit diesem tollwütigen Hirsch in eine Zelle geworfen und die Tür zugemacht. Wenn ich die in die Finger kriege!« Er schwieg einen Augenblick, dann fragte er: »Was ist eigentlich mit dem Hirsch? Er ist so ruhig...«
»Er muss sich beim Toben in der Zelle mit dem Geweih im Gitter verkeilt haben. Jetzt kann er sich jedenfalls nicht gross rühren.«
»Aye, gut so! Halt dich von ihm fern, er ist gefährlich!«
»Hey Sabrina, hier ist übrigens jemand, der behauptet, dich zu kennen und der sich als ein Freund bezeichnet«, rief Nebelfinger ihr zu und sie konnte ein feines Lächeln in seinen Worten schwingen hören.
Sie runzelte die Stirn. »Wer?«
»Hallo, Wintermädchen. Muss leider feststellen, dass dein Plan, mit dem du uns alle retten wolltest, wohl gescheitert ist.«
Die Worte klangen hämisch, doch Sabrina erkannte den Sprechenden sofort und wusste daher, dass sie alles andere als bösartig gemeint waren. »Herzkasper!«
»Ja«, antwortete ihr Freund aus einem vergangenen Abenteuer gedehnt und kehlig.
»Du lebst! Zum Glück! Wie ist es dir ergangen?«
Der namenlose Narr liess sich Zeit mit seiner Antwort. »Sorge dich nicht, es geht mir bestens.«
Sabrina schluckte. »Er lügt, oder?«
Nebelfinger seufzte. »Valyn hat sich schon um ihn gekümmert, aber... er sieht schlimm aus.«
»Ich werde es überleben«, brummte der Narr genervt, ohne genervt zu sein.
»Aber was ist mit dir geschehen, was haben sie dir angetan?«
Der Narr schwieg eine Weile, bis er schliesslich antwortete: »Ein andermal. Sagen wir einfach, es war nicht die erfreulichste Erfahrung meines Lebens...«
»Ich hasse sie!«, fauchte sie. »Oh herrjeh und was ist mit Regenjäger?«
»Hat sich stabilisiert«, antwortete ihr eine neue Stimme und anhand des melodiösen Akzents erkannte Sabrina, dass es sich um den Elf Valyn handelte. »Er braucht jetzt vor allem Ruhe. Ich habe ihn mit Schlummertulpe gefüttert, er ist ruhiggestellt. Desinfiziert habe ich ihn mit Klarkrautsaft, das muss reichen, um eine Infektion zu verhindern. Wenn nicht...«
»Es hat geklappt, klar?«, schnaubte ein weiterer der Rabenbrüder und aufgrund der Ruppigkeit erkannte sie Aschenauge.
»Den anderen geht es soweit gut?«, fragte sie in die Runde und war erleichtert, als alle ihr den Umständen entsprechend gute Antworten gaben.
»Was meinst du, wie es Mile geht?«, fragte auf einmal Red geradeheraus und Sabrinas Herz wurde ein Stich versetzt. Sie sah wieder vor sich, die Hänsel ihn mit sich gerissen hatte, durch das Fenster in die Tiefe.
»Die Dunklen machen vor nichts Halt, nicht einmal mehr Märchenfiguren lassen sie Leben. Katmo... ich... ich habe Angst um Mile!«
»Kinder, es geht ihm ganz sicher gut!«, beruhigte sie Jeremy Topper. »Hänsel war treu, er hätte Mile niemals etwas angetan. Ich glaube eher, er hat ihn gerettet! Sabrina, ist dir übrigens aufgefallen, dass auch dein kleiner Dämonenfreund nicht unter uns ist? Und Sero ist auch verschwunden, was aber auch nicht weiter verwunderlich ist, er ist ein riesen Feigling!«
»Faritales?« Sabrina wusste nicht, ob die Abwesenheit des Nachtmahrs etwas Gutes oder Schlechtes bedeuten sollte.
»Die kleine Ratte wird Reissaus genommen haben«, knurrte Falk düster.
»Er wird uns nicht im Stich lassen«, meinte sie und war von ihrer eigenen Zuversicht überrascht. So viel Optimismus hätte sie sich in ihrer misslichen Lage nicht zugetraut.
»Aye, das hoffe ich für diesen unnützen...«
Falk unterbrach sich, als auf einmal die Tür des Bunkers aufschwang und rasselndes Metall die Ankunft von Soldaten versprach.
Sabrina rappelte sich auf, sie wollte ihrem Feind nicht auf dem Boden kniend gegenübertreten, doch als sie erkannte, wer ihnen Besuch abstattete, bereute sie es, aufgestanden zu sein, denn ihre Knie wurden weich.
»Heiliger Klabautermann, du!« Falk begleitete seine Worte mit einer wüsten Geste seiner Hand.
Erillion Aquèlliere aus dem Lande Virid'agru, Drachenreiter, abtrünniger Oberster Offizier der Rebellen, Häscher der Dunklen und verifiziertes Oberarschloch der Nation erwiderte Falks Gebärden mit einem milden, arroganten Lächeln.
Sabrina hätte kotzen können. Und dieses Lächeln hatte sie einmal als attraktiv empfunden. Wie bodenlos bescheuert und naiv sie doch gewesen war. Verdammte Scheisse!
»Hyru, junge Eisprinzessin«, begrüsste Eril sie mit seinem schmierigsten Lächeln und machte eine Verbeugung, die so übertrieben war, dass sie jeglichen ehrbaren Sinn verlor. Mit einem Kopfnicken meinte er: »Wie ich höre und sehe, hast du der Ratte, die du aus irgendeinem Kanal gefischt hast, noch immer keine Manieren beigebracht?«
»Die Ratte wird dich und deine Manieren so grün und blau schlagen, dass du glatt als Aquaner durchgehen wirst, du widerwärtiger, dürrer...«
Eril und die beiden Soldaten, die er als Begleitung mitgebracht hatte, lachten laut. »Komm doch!«, meinte Eril und trat vor Falks Zelle. »Krüppel, willst mich mit deinem Armstumpf prügeln?«
»Aye! Lach nur, Elf. Lach, so lange du noch kannst!«
»Vergeude deine Zeit nicht, Falk. Das ist der Snob nicht wert!«
Erils graublaue Augen verengten sich zu Schlitzen. »Ach, Schatz, sag doch so etwas nicht. Glaub mir, später wirst du dir noch wünschen, du hättest mehr Zeit damit verbracht, mit mir zu reden, bevor... Na ja, ich will dir die Überraschung nicht verderben.«
»Du rührst sie nicht an, Bastard!«, knurrte Falk und Sabrina lief ein Schauer über den Rücken. Seine Stimme war eigenartig ruhig, tiefer als sonst, rauer und so düster, wie sie es noch nie erlebt hatte. »Ich töte dich.«
Wieder lachte Eril, doch dieses Mal war es nicht echt. »Süss ist er.« Angewidert musterte er Sabrina. »Hätte trotzdem nicht erwartet, dass du mit einem Killer in die Kiste steigen würdest.«
»Ich bitte dich, Eril. Das ist unter deinem Niveau.«
Der Elf schmunzelte traurig. »Du kennst mich nicht. Noch weniger als früher.« Er winkte sie ans Gitter. »Komm her!«
»Einen Teufel werde ich!«
Eril seufzte, gab einem der Soldaten ein Zeichen. Dieser knüpfte sich eine Armbrust vom Gürtel und zielte in die rechte Zelle.
»Sabrina, ich will diesem Gesockse, das du als deine Freunde siehst, nichts tun. Sie sind mir egal. Aber wenn du mir ungemütlich wirst, werde ich es auch. Und dann gibt es Konsequenzen.«
Sie antwortete nicht, starrte ihn nur an.
»Gut, wie du willst. Amir, knall den Piraten ab!«
Der Schütze legte einen Bolzen an, zog die Sehne zurück und...
»Ist gut, kannst deine Machtspielchen einstellen!« Sie machte einen Schritt auf das Gitter zu.
»Du tust jetzt, was ich sage, Sabrina, keine Sperenzchen mehr!« Er trat ebenfalls ans Gitter und hielt ihr etwas hin, was wie eine einzelne Handschelle aussah, aus dunklem Metall und mit eingesetzten Obsidianen. »Hand raus!«
Widerwillig gehorchte sie und streckte ihm den linken Arm hin.
»Braves Mädchen. So und jetzt: hinknien! Gesicht gegen die Wand.«
Wieder tat sie wie ihr geheissen, während sie den Drang, ihm gehörig eine zu klatschen unterdrückte.
Hinter ihr wurde das Gitter aufgeschlossen. Grob packte Eril sie an der Schulter, drehte ihr den rechten Arm auf den Rücken und stiess sie aus der Zelle. Cernunnos beachtete er nicht einmal.
»Willst du dich von deinem Killer noch verabschieden?«, raunte er ihr ins Ohr. Er war ihr so nah, dass ihr sein altbekannter Duft nach Tannennadeln und Harz in die Nase stieg. Ein Geruch, mit schlechten Erinnerung für immer zerstört.
Er stiess sie vor sich her vor die rechte Zelle, in der Jeremy Topper, Falk und Red steckten. Er drückte sie gegen die Gitterstäbe, dass es wehtat.
Falk trat an sie heran. »Halte durch, Prinzessin!«
»Siehst du das, Pirat? Ich mache mit ihr was ich will, und du kannst nichts aber auch gar nichts dagegen tun!«
Sie spürte seinen Mund viel zu nahe an ihrem Gesicht. Sachte biss er ihr ins Ohr.
Falk, der sowieso schon auf hundertachtzig war, konnte sich sichtlich kaum noch beherrschen. Der pure Hass stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Ich nehme dich aus wie einen Fisch!«
Eril lachte seltsam erheitert. Bildete sie es sich nur ein oder mischte sich zu dem Harzgeruch eine Alkoholfahne? War Eril etwa betrunken?
»Ihr habt verloren, Pirat. Und die Sieger dürfen mit den Verlieren machen, was sie wollen!« Er biss sie wieder, dieses Mal fester und sie verzog das Gesicht.
Dunkelheit legte sich über die Züge des Piraten.
Noch fester, kaltes Blut lief ihre Ohrmuschel entlang.
Falk schlug gegen das Gitter, dass es donnerte.
»Das Reicht, Erillion!«, schaltete der Hutmacher sich ein. »Hast du denn gar keine Würde mehr?«
Der Schmerz in ihrem Ohr liess nach. Eril löste sich von ihr. »Wir gehen.« Er stiess sie voraus.
»Nein!«, zischte Falk. Seine Stimme war seltsam kalt. »Du wirst sie nicht mitnehmen!«
Eril reagierte nicht mehr. Er gab seinen beiden Gefolgsleuten ein Zeichen und dann gingen sie.
Noch lange, nachdem sie den Bunker verlassen hatten, konnte Sabrina das Donnern der Gitterstäbe hören, wenn Falk sich genau wie Cernunnos zuvor gegen sein Gefängnis warf.


~Mile~

Seine Tränen frassen Striemen in den Staub und legten helle Haut frei.
Der Staubmann war vor den Leichen der tragischen Liebenden zusammengebrochen, zitterte, weinte, krallte die Hand in die Brust, wo sein Schmerz herkam.
»Kanntet Ihr die beiden?«, fragte Mile, der sich neben dem Staubmann niedergelassen hatte.
Er schüttelte den Kopf.
»Warum weint Ihr dann?«
Der Staubmann blinzelte, zu dem Leid in seinem Gesicht, mischte sich Verwirrung. Er blickte ihn aus warmen, braunen Augen an. »Ich weiss es nicht.«
Mile schluckte trocken. »Und wer... wer seid Ihr?«
Der Mann schlug die Hände vors Gesicht. »I-ich weiss es nicht!«
Er winkte einen der Überlebenden zu sich heran. »Bring mir Wasser!«, befahl er.
»Aber Mylord, das Wasser ist knapp, unsere Vorräte, wir... müssen sparsam...«
»Bring mir Wasser!«, wiederholte er entschlossen und wandte sich wieder dem Staubmann zu.
»Wisst Ihr gar nichts mehr?«
Er zuckte mit den Schultern und wischte sich über die Oberlippe – er hatte Nasenbluten.
»Was ist das Letzte, an das Ihr Euch erinnern könnt?«
»Nichts, ich...«
»Kommt schon, da muss etwas sein!«
Der Staubmann wischte sich über die Augen, verschmierte die Asche noch mehr. »Es ist nur... ein Gefühl...«
»Sprecht!«
»Als würde man fallen und... Erlösung...«
Mile nickte. »Und was geschah dann?«
Der Mann blinzelte. »Wärme... nein... Hitze! Es hat... gebrannt...«
Wieder nickte der junge Lichterlord.
»Euer Wasser, Mylord!« Der Hybride, dem er eben so harsch einen Befehl an den Kopf geworfen hatte, hielt ihm einen glucksenden Lederschlauch hin.
»Danke!« An den Staubmann gewandt fragte er: »Darf ich etwas überprüfen? Es wird nicht wehtun, versprochen.«
Der Mann blinzelte, nickte.
Mile stand auf und hielt dem Staubmann den Wasserschlauch über den Kopf, liess ihm das Wasser über den Schopf laufen.
»Ich weiss, wer du bist.«
Der Mann wischte sich das Wasser aus den Augen. Seine Hand hatte sich um die blassen Finger der toten Wendy geschlossen. Immer wieder fuhr er ihr durch die schönen Locken. »Wer?«
Mile kniete sich wieder neben ihn, strich ihm das nasse, orangenrote Haar aus der Stirn. »Du bist ein Wunder, Staubmann. Du bist der Junge, der vom Himmel fiel, direkt in ein brennendes Haus. Du bist ein Phönix, aus der Asche wiedergeboren. Du bist eine wundervolle Geschichte. Du bist vergebend. Du bist der Junge, der endlich erwachsen wurde. Dein Name ist Peter Pan.«


------------------------

Hallo meine liebsten Leser,

UND?! Hat es euch gefallen? Seid ihr geflasht? Konnte ich euch mal wieder überraschen? Seid ihr gespannt, wie es weitergeht? Habt ihr eine Idee, was als nächstes passieren wird?
Habt ihr eine Theorie, was mit Peter geschehen ist? Was denkt ihr über Mile? Killer? Was glaubt ihr, wird Sabrina erwarten? Und wueeh, Eril die alte Pissnelke ist auch wieder da!
Und bitte hasst mich nicht, weil ich Hänsel und Katmo und Wendy und Tatze umgebracht habe. Ich hab so ein schlechtes Gewissen und es tut mir so leid und harrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr, aber es musste sein.

Wie immer ist dieses Kapitel unter grossem Aufwand entstanden, zwar sind es dieses Mal nur 18 Seiten, aber ich muss mich an meinen Skript halten ;) Der sieht nämlich genau vor, wann was passiert ;P
Und ich wollte, dass nach all diesen Toden und Toten wenigstens etwas Schönes passiert.

Ich hoffe, ihr seid trotzdem zufrieden mit mir :3

Begleitsong: Runner's High – XamVolo
(Hört sich eigentlich irgendwer die Musik an? xD)
Alleine das Video ist echt sehenswert, richtig schöne Aufnahmen!

Ich würde mich riesig über eure Votes freuen und noch viel mehr über Kommentare! :D
Empfehlt die Geschichte euren Freunden (so lange ihr sie warnt, dass der Anfang noch totaler Kiri-Käse ist) und macht einen Handstand. Wenn ihr in der Schweiz lebt: Trinkt Bio Schweizer Alpenkräutereistee von der Migros, ich lieb das Zeug, ich geb mir das bald intravenös.
Genug Lebensweisheiten!

Gehabt Euch wohl,
Eure Dreamy

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