„Er hat was?!", quietschte Mara, als ich ihr nach dem Essen von dem Kuss erzählte. „Ich wusste es!"
„Jetzt schrei nicht so laut, dass es gleich die ganze Schule weiß!", bremste ich sie hastig, obwohl wir bei geschlossener Tür in ihrem Zimmer saßen. Aber man wusste nie. Bekanntlich hatten Wände ja Ohren.
„Oh und er hat gesagt, du sollst ein dunkelblaues Kleid tragen?"
„Habt er."
„Oh, oh, oh, du wirst wunderschön aussehen. Ich weiß da schon was."
„Mara, bitte", versuchte ich, ihre Begeisterung zu bremsen. Natürlich hatte ich nichts dagegen, wenn sie mich hübsch machte, denn ihren Schminkkünsten hatte ich nichts entgegenzusetzen, aber man musste nicht übertreiben. Außerdem war es nicht mein Ziel, aufzufallen wie ein mit zu viel Glitzer bestreutes Einhorn.
„Das wird schon werden."
Komischer Weise war ich die Ruhigere, während meine Freundin sich aufführte, als wäre sie diejenige, die von Will eingeladen worden war.
„Deine Ruhe will ich haben", meinte Mara und atmete tief ein.
„Ich bin ganz ruhig."
Ich lachte über ihren Versuch, sich einzukriegen und den Rest des Tages verbrachten wir tatsächlich damit, Pläne für den Ball zu schmieden. Außerdem erzählte sie mir, dass sie danach für eine Woche zu ihren Eltern fahren würde, um mit ihnen Silvester zu feiern. Soweit hatte ich noch nicht einmal im Ansatz geplant und hoffte, einfach einen gemütlichen Abend mit meiner Mum zu verbringen.
Pünktlich zur Nachtruhe fiel ich in mein Bett und ließ den Tag Revue passieren. Verträumt rief ich mir das Gefühl von Wills Lippen auf meinen ins Gedächtnis und schlief mit einem glücklichen Lächeln ein.
Hochmotiviert und selbst überrascht von mir, saß ich am nächsten Vormittag im Bus in die Stadt. Meine Mum hatte mir nach dem Frühstück eine unfassbare Summe Geld mit den Worten: „Für deinen ersten Weihnachtsball." in die Hand und einen liebevollen Kuss auf die Haare gedrückt. Jetzt freute ich mich wirklich auf den Tag mit Mara, die ununterbrochen vor sich hin plapperte.
In Ottawa herrschte reges Treiben, denn jeder schien vor den Feiertagen noch letzte Besorgungen machen zu wollen. Bis Weihnachten waren es nur noch drei Tage und die festliche Stimmung lag bereits jetzt in der Luft. Dazu kämpfte sich auch noch die Sonne zwischen den Wolken hervor und brachte den Schnee zum Glitzern. Eigentlich konnte der Tag gar nicht besser werden.
Ich hakte mich bei Mara unter und gemeinsam schlenderten wir die Sparks Street entlang, eine schöne Fußgängerstraße mit vielen Cafés und Geschäften, in der sich die Menschen nur so tummelten. Der Geruch von Kaffee und heißer Schokolade stieg mir in die Nase und ich seufzte.
Dann zog Mara mich auch schon in den ersten Laden, in dessen Schaufenster die schönsten und auch noch teuersten Kleider hingen.
„Bist du sicher, dass das der richtige Laden ist?", fragte ich skeptisch und ließ meinen Blick über die Stangen voller traumhafter Kleider schweifen, deren Wert meine Vorstellungen sowie den Inhalt meines Portemonnaies bei weitem überstiegen.
„Ganz sicher", entgegnete Mara mit leuchtenden Augen und dirigierte mich in den hinteren Bereich des Geschäfts.
Überwältigt von der Schönheit der Kleider, stand ich einfach nur doof da. Ich würde mich niemals für eines entscheiden können, aber zum Glück hatte ich ja Mara.
Meine Freundin hatte mein Dilemma bereits erkannt und scannte in rasendem Tempo die dunkelblauen Kleider.
„Das hier", sagte sie, zog einen Kleiderbügel hervor und drückte ihn mir in die Hand.
„Da sind die Umkleiden, aber wage nicht, es wieder auszuziehen, bevor ich dich nicht gesehen habe." Damit steuerte ich auf die Kabinen zu, den Bügel fest umklammert. Hinter dem Vorhang schlüpfte ich aus meinen Klamotten und stieg gespannt in den Traum von einem Kleid. Der Stoff schmiegte sich kühl an meine Haut, floss sanft um meine Beine und funkelte wie ein Sternenhimmel.
„Es ist perfekt!", quiekte Mara plötzlich hinter mir und ich fuhr zusammen. Sie zog den Reißverschluss an meinem Rücken zu und erst dann wagte ich einen Blick in den Spiegel. Das Kleid war schulterfrei und bis zur Taille mit schillernd silbernen Steinen besetzt. Danach floss es in einem tiefdunklen Blau bis zum Boden. Meine Kette würde hervorragend dazu passen.
„Es ist wirklich perfekt", flüsterte ich und strich verträumt über den Rock.
Nachdem auch Mara ein wunderschönes Kleid gefunden hatte, dass das grau ihrer Augen zum Leuchten brachte, bezahlten wir und traten hinaus in das rege Treiben.
Dann statten wir auch dem Schuhladen noch eine Besuch ab und gönnten uns in einem der niedlichen Cafés eine Stärkung. Bepackt mit Tüten und mit schmerzenden Füßen kehrten wir am Nachmittag zurück zur Akademie, wo wir mit Ethan und Will einen kleinen Filmmarathon im Zimmer meiner Mum einlegten, die in Besitz eines Fernsehers war. Es wurde ein lustiger Abend. Wir lachten viel, regten uns über „The Wanted" auf und verputzten eine wahrscheinlich nicht gesunde Menge an Süßigkeiten, die Ethan von seinen Eltern hatte geschickt bekommen.
Auch die nächsten Tage bis Weihnachten vergingen wie im Flug. Die Akademie erstrahlte in einem festlichen Glanz, denn jeder hatte mitgeholfen, Girlanden, Kugeln und Lichterketten aufzuhängen. Und schließlich war es soweit.
Will holte mich auf meinem Zimmer ab und für einen winzigen Augenblick schien er regelrecht überrumpelt von meinem Anblick.
„Du siehst umwerfend aus", flüsterte er und hauchte mir einen zarten Kuss auf die Lippen.
„Du auch. Und fröhliche Weihnachten."
Und wie. Er trug eine einfache, dunkle Jeans, ein Hemd in derselben Farbe wie mein Kleid und darüber ein schwarzes Jackett.
„Dann wollen wir mal den Saal unsicher machen", meinte er augenzwinkernd.
Hand in Hand mit Will betrat ich den geschmückten Speisesaal.
„Wahnsinn", hauchte ich und beeindruckt. Um uns herum glitzerte und funkelte alles in warmen Tönen und der Geruch von geschmolzener Schokolade stieg mir in die Nase. Eine riesige Tanne stand mitten im Saal, leuchtend vor lauter Lichterketten. Schüler und Lehrer in traumhaften Kleidern unterhielten sich lachend und ich entdeckte meine Mum, die sich lächelnd mit Mara unterhielt, während Ethan an seiner Krawatte herumzupfte.
„Ja, es ist jedes Jahr der Wahnsinn", meinte Will. „Aber warte, bis du das Essen probiert hast. Die Köche übertreffen sich immer wieder auf 's Neue." Er lachte und mir wurde warm ums Herz.
„Komm, ich besorg uns einen Punsch, bevor Direktorin Frey auftaucht."
„Aber ..."
„Natürlich ohne Alkohol ... obwohl ..."
„Will", ermahnte ich ihn grinsend und boxte gegen seine Schulter.
„Au", machte er und rieb sich gespielt verärgert die Stelle.
„Liebe Schüler und Schülerinnen, liebe Kollegen, willkommen zu unserem alljährlichen Weihnachtsball", ertönte plötzlich Elara Freys klare Stimme und wir drehten uns zu der kleinen Bühne vor dem Weihnachtsbaum.
„Tja, das war es wohl mit deinem Punsch", flüsterte ich und er verzog den Mund.
„Das ist alles deine Schuld."
„Geeeenau." Wir sahen uns an uns und ich spürte, wie mir meine Wangen warm wurden. Schnell wandte ich meinen Kopf nach vorne und konzentrierte mich auf die Direktorin, die mal wieder alle in den Schatten stellte. Der Stoff ihres weinroten, schulterfreien Abendkleides schmiegte sich eng an ihren Körper und floss ab Mitte der Oberschenkel locker um ihre Beine. Eine schlichte, zierliche Silberkette lag glitzernd um ihren Hals und ein weiteres Mal konnte ich über ihre atemberaubende Schönheit nur staunen.
„Eine Sache zuvor", fing sie an und ihr Gesicht war ernst. „Die Anzahl von Schülern und Lehrern, denen ihre Magie entwendet wurde, hat seit dem Fest der Elemente rapide zugenommen und ich habe die Sicherheitsvorkehrungen der Akademie verstärken lassen. Sowohl meine Wächter, als auch Agenten der AFE sind auf dem Gelände unterwegs. Trotzdem verkürze ich die Nachtruhe ab heute auf 20:30 Uhr. Danach befinden sich alle Schüler und ich betone alle, auf ihren Zimmern. Derjenige beziehungsweise diejenigen, die für diese unglaublichen Überfälle verantwortlich sind, sind äußerst gefährlich und ich möchte nicht noch mehr Elementarys verlieren."
Nachdrücklich ließ sie ihren Blick durch den Saal wandern, indem Totenstille herrschte und eine lose Haarsträhne aus ihrer schönen Hochsteckfrisur fiel ihr übers Gesicht. Sie strich sie hinters Ohr und lächelte dann leicht.
„Und nun lasst uns den Abend genießen. Fröhliche Weihnachten."
Sofort setzte aufgeregtes Gemurmel ein.
„20:30 Uhr?!", drang Maras aufgeregte Stimme an mein Ohr, als meine Freundin sich zu uns durchdrängelte. „Und was ist mit Spaß? Wenn ich schon um halb neun in meinem Zimmer sitze, dann langweile ich mich doch zu Tode! Na klar, Sicherheit geht vor, aber für die, die sowieso keine Magie mehr haben, könnte sie doch wohl eine Ausnahme machen oder nicht? Dann hätte zumindest ich noch ein bisschen Freude an dieser Schule."
„Mara!", empörte ich mich, doch sie zog nur die Augenbrauen hoch.
„Was denn?"
„Das meinst du doch nicht ernst?"
„Doch. Keine Magie, heißt uninteressant für wen auch immer, heißt logischer Weise: keine Gefahr für mich."
„Hast du was getrunken?", wollte ich wissen.
„Nie im Leben!", wehrte Mara entschieden ab und begann dann zu lachen. „Hannah, das war ein Witz."
Ich verzog das Gesicht. „Ist bei mir wohl nicht angekommen."
„Jetzt entspann dich wieder und tanz ein bisschen mit deinem Traumprinzen." Sie zog mich in eine Umarmung und ich war besänftigt.
„Falls du mich suchst, ich plündere jetzt das Buffet." Damit wirbelte sie davon und ich seufzte. Seit Mara ihre Magie verloren hatte, war sie noch quirliger geworden, als vorher.
„Willst du tanzen?", fragte Will leise und legte von hinten die Arme um mich. Ich schauderte und nickte. Gemeinsam schlenderten wir zur Tanzfläche und ich bemerkte Ashley, die mir einen eifersüchtigen Blick zuwarf.
„Ignorier sie einfach", raunte Will und das tat ich gerne. Dann zog er mich an sich und ich legte meine Hände auf seine Schultern. Im sanften Takt der Musik, bewegten wir uns langsam hin und her, während sein warmer Atem auf meiner Haut kitzelte. Ich blickte ihm in die eisblauen Augen, die mich hypnotisierend fixierten und verlor mich in ihren Tiefen. Dieser Moment war einfach perfekt und ich wünschte, er würde niemals enden. Dann senkte er den Kopf und seine Lippen berührten meine. Schmetterlinge flatterten in meinem Magen, während unsere Bewegungen verklangen und seine Wärme mich umhüllte, wie eine weiche Decke.
„Wow", hauchte ich, als wir uns lösten und er bedachte mich mit einem verschmitzten Lächeln.
„Mrs. Frey, ein Anruf für Sie. Es ist James. Irgendetwas scheint ihn zu beunruhigen."
Ich horchte auf und der magische Moment zwischen Will und mir verflog wie Asche im Wind. Unauffällig suchend drehte ich den Kopf und entdeckte die Direktorin unweit von uns am Rande des Saals. Sie telefonierte und mit jeder Sekunde, die verstrich, wurde ihr Gesicht ernster.
„Ich komme sofort", verabschiedete sie sich und reichte das Handy Derek, dem es zu gehören schien. Dann lief sie auf die Tür zu. Blitzschnell traf ich eine Entscheidung.