Plötzlich Indianer - Eine Zei...

By Booky_2017

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Die siebzehnjährige Marie hatte sich so sehr auf die Kursfahrt mit ihrem Englisch-Leistungskurs gefreut, der... More

Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 4
Kaptel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Epilog
Zugabe

Kapitel 3

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By Booky_2017

Ein ohrenbetäubendes Poltern. Das war das Erste, was ich wahrnahm, als ich wieder zu mir kam.

Ich riss die Augen auf. Um mich herum schien die Welt unterzugehen. Blitze zuckten am Himmel und Donnerschläge krachten direkt über meinem Kopf. Und es regnete! Es war, als hätten sich alle Schleusen des Himmels geöffnet. Bereits jetzt war ich vollkommen durchnässt. Dabei hatte ich keine Ahnung, wie lange ich überhaupt schon hier war. Wo war überhaupt hier? Und was war mir passiert?

Ich fröstelte und versuchte mich zu orientieren. Das Letzte, an das ich mich erinnern konnte, war der Kristall in der Höhle. Und dieses Kribbeln, der Stromstoß der mich durchfahren hatte. Dann musste ich ohnmächtig geworden sein.

Aber wie war ich hierhergekommen? Und wo waren die anderen? Hatten sie mich nicht gesucht?

Ich roch den Duft von nassem Waldboden und spürte feuchte Erde unter meinen Fingern. Der nächste Blitz beleuchtete hohe, schlanke Baumstämme um mich herum, die auf einem Berghang hinaufkletterten. Ich musste mich also immer noch in den Schwarzen Bergen befinden.

Mühsam richtete ich mich auf meine Knie auf und bemerkte ein Gewicht  an meinem Rücken. Der Rucksack! Mir fiel ein, dass ich am Morgen ein Regencape eingepackt hatte, weil meine Wetter-App für heute Gewitter angekündigt hatte. Und dann fiel mir ein, dass mir mein Handy in der Höhle aus der Hand gefallen war. Auch das noch! Ich hoffte, dass es jemand gefunden und am Eingang abgegeben hatte.

Mit zittrigen Händen öffnete ich den Reißverschluss und suchte nach dem wachsartigen Material. Nachdem ich das Regencape über meinen Kopf gezogen hatte, atmete ich tief durch. Zumindest verschaffte es mir ein wenig Erleichterung von dem beinahe schmerzhaften Prasseln der Regentropfen.

Wieder krachte ein Donnerschlag direkt über mir. Ich schrie, doch gleich darauf erstickte der Schrei in meiner Kehle. Denn weiter oben am Hang hatte ich ein Geräusch gehört, das aus dem Gebüsch dort zu kommen schien. Zwischen dem Rauschen des Regens und dem Poltern des Donners war eindeutig ein Knacken zu vernehmen gewesen, als wäre jemand auf einen am Boden liegenden Zweig getreten. Mein Herz pochte schneller. Ein Suchtrupp? Holten sie mich hier raus?

Dann folgte ein tiefes, kehliges Brummen, das mir einen Schauer über den Rücken jagte. Ich starrte angestrengt in das Gebüsch, konnte aber in der Dunkelheit und bei dem strömenden Regen nichts erkennen. Aber das hatte nicht geklungen wie ein Mensch ...

Sofort stiegen Bilder von Bären und anderen großen Raubtieren vor meinem inneren Auge auf. Ich musste an „Das Mädchen" von Stephen King denken, das ich schon mehrmals gelesen hatte. Darin verirrte sich ein kleines Mädchen in einem der weitläufigen Wälder der USA und wurde von einem riesigen Monsterbären verfolgt.

Schluss mit dem Kopfkino! Heutzutage würde sich wohl kaum ein Bär in dieser Touristengegend blicken lassen. Trotzdem zitterte ich am ganzen Körper und war mir nicht sicher, ob es die Angst oder die Nachwirkungen des Stromschlags waren, den ich in der Höhle erhalten hatte.

Noch ein Brummen — eher ein Knurren, dann ein erneutes Knacken im Unterholz.

Ich versuchte, auf die Beine zu kommen. Sollte ich um Hilfe schreien? Oder würde ich damit das ... was auch immer es war ... auf mich aufmerksam machen?

Beim nächsten Blitz fuhr ich so heftig zusammen, als hätte er mich getroffen. In der Sekunde der Helligkeit sah ich den Umriss einer massigen Gestalt aus dem Gebüsch treten, das nur wenige Meter über mir am Hang lag. Die Gestalt hatte eindeutig einen großen pelzigen Kopf und eine furchterregende Schnauze gehabt. Und nun war es wieder dunkel und ich konnte sie nicht mehr sehen.

Voller Panik ergriff ich die Flucht. Den Rucksack auf dem Rücken rannte ich in Riesensätzen den Abhang hinunter. Dornensträucher kratzten meine nackten Beine, kleine Äste schlugen mir ins Gesicht, aber ich merkte es kaum. Mein eigener heftiger Atem machte mir Angst, weil das Keuchen beinahe so klang, als sei mir der Bär schon auf den Fersen. Aber ich nahm mir keine Zeit, mich umzudrehen. Wie gehetzt sprintete ich weiter, halb sprang, halb rutschte ich über den feuchten Nadelboden.

Dann passierte es, schneller, als ich überhaupt reagieren konnte. Mein rechter Fuß schlitterte einen Meter über den abfallenden Berghang, stieß gegen etwas Hartes, verklemmte sich ... und im nächsten Moment lag ich bäuchlings auf dem Boden und ein stechender Schmerz fuhr durch meinen Knöchel. Ich schrie auf und blieb liegen, unfähig mich zu bewegen. Mein Gesicht war auf den feuchten Waldboden gepresst, ich roch die Erde, die modrigen Kiefernnadeln vom Vorjahr, spürte die kalte Nässe an meiner Wange. Ich kniff die Augen fest zusammen. Würde der Bär jetzt kommen und mich töten?

Eine unendlich lange Zeit geschah gar nichts. Ich hörte nur das Tröpfeln des Regens, der langsam nachzulassen schien, und das sich entfernende Grollen des Donners. Langsam und äußerst vorsichtig zog ich mein rechtes Bein an und umfasste mit den Händen meinen schmerzenden Knöchel. Tränen traten mir in die Augen, so sehr tat es weh. Er war doch nicht etwa gebrochen?

Ich versuchte, mich wieder aufzurichten. Der Bär schien nicht da zu sein. Entweder er war mir nicht gefolgt, oder ich hatte ihn tatsächlich abgehängt. Als ich in die Richtung schaute, aus der ich gekommen war, traf mich beinahe wieder der Schlag. Keine zwei Armeslängen von mir entfernt hatte sich eine große, schwarze Gestalt aufgebaut, die ich in der Dunkelheit nur im Umriss erkennen konnte. Aber es war eindeutig kein Vierbeiner. Diese Erkenntnis ließ meinen ersten Schock verebben. Ein Mensch! Jemand, der mich retten würde.

„Hallo", rief ich ihr entgegen.

Es kam keine Antwort.

Ich verengte die Augen. Die Blitze tanzten jetzt weiter entfernt am Horizont, doch ihr Leuchten erhellte selbst jetzt noch die Umgebung. Und in diesem Leuchten sah ich, dass der Fremde — ein Mann — keine Kleidung trug. Bis auf eine Art Tuch vor dem Schritt war er ... nackt!

Entsetzt wich ich zurück und rutschte mit meinem Po über den Waldboden. Der Mann stand da wie eine lebende Statue, aber irgendwie hatte ich das dumpfe Gefühl, dass seine Augen mich genau fixierten, dass sie mich sogar in den dunklen Intervallen zwischen den Blitzen wahrnehmen konnten.

„Hallo", wiederholte ich etwas kleinlauter. Dann erinnerte ich mich, dass er vermutlich kein Deutsch sprach, und versuchte es in Englisch. „I am Marie and I lost my way", sagte ich. Es klang absolut kläglich.

Er antwortete noch immer nicht. In einer fließenden Bewegung drehte er mir den Rücken zu und zog gleichzeitig ein Messer aus seinem Gürtel.

„Der Bär", rief ich unwillkürlich. Es war die einzige Erklärung für die plötzliche Reaktion des Mannes, obwohl ich noch nichts sehen konnte. Hatte der Fremde etwas gehört? Zwar hatte er ein Messer, aber dadurch fühlte ich mich auch nicht sicherer. Man konnte einem ausgewachsenen Bären wohl kaum mit einem Messer beikommen. Außerdem gefiel es mir ganz und gar nicht, nachts allein im Wald einem nackten Mann mit Messer zu begegnen. Mein Herz puckerte so laut, dass ich das Knacken und Rascheln im Unterholz nur gedämpft wahrnahm.

Doch der Fremde hatte es eindeutig auch gehört. Er drehte sich wieder zu mir um, überwand mit einem langen Schritt die Entfernung zwischen uns. Ich konnte gar nicht so schnell reagieren, wie er mich unter den Kniekehlen und Schultern packte und anhob. Ich wollte schreien, doch es kam kein Ton aus meiner Kehle.

Der Mann trug mich wie ein Kind auf den Armen und sprang mit großen Sätzen den Abhang hinab. Ich konnte nichts weiter tun, als mich verzweifelt an ihm festzuklammern. In dem Moment hatte ich mehr Angst davor, herunterzufallen und dem Bären wiederzubegegnen, als vor diesem seltsamen Typen. Seine regennasse Haut fühlte sich kalt und glatt unter meinen Fingern an, als ich meine Arme um seinen Hals schlang. Ich schloss fest die Augen und biss die Zähne zusammen, damit sie bei dem Auf und Ab-Hüpfen seiner Schritte nicht aufeinanderklapperten.

Endlich hielt er an. Ich atmete stoßweise, als wäre ich diejenige, die einen Fünfhundertmeter-Sprint hinter sich hätte, noch dazu mit Last. Er hingegen hatte seinen Atem unter Kontrolle, wenn sich seine Brust auch etwas stärker hob und senkte als zuvor.

Er ließ mich herunter. Ich biss die Zähne zusammen, als sich mein verletzter Knöchel unter meinem Gewicht beschwerte. Trotzdem wich ich rasch einen Schritt zurück, bevor ich mich umblickte. Das Gewitter war nun ganz abgezogen und die einzige Lichtquelle kam vom Mond, der jetzt durch die aufbrechende Wolkendecke auf uns herabschien. Wir befanden uns an einem kleinen Bach, der gluckernd in seinem Bett aus Steinen den Berghang hinabfloss. Am Ufer des Bachs stand eine seltsame, kuppelförmige Konstruktion — wie ein Iglu, nur ohne Schnee, stattdessen schien sie aus Ästen und Zweigen zu bestehen, über die einige Lederdecken gelegt waren. An einer Seite war die Decke nach oben geklappt und offenbarte eine Art eine Eingang.

Ich schielte zu meinem ... was war er, mein Retter? Warum hatte er noch immer keinen Ton von sich gegeben? Was wollte er von mir? Im fahlen Schimmer des Mondlichts wirkte seine Haut dunkel und ich bemühte mich, nicht auf seinen entblößten Oberkörper zu starren, die Arme, die mich getragen hatten. Er war nicht aufgepumpt wie ein Bodybuilder, eher schlank und auf eine sehnige Art muskulös. Und er trug seine pechschwarzen Haare zu langen geflochtenen Zöpfen gebunden — wie ein Indianer.

Spielte der hier etwa Indianer? Wo war ich da nur hineingeraten?

Ich versuchte, seine Miene zu deuten, aber sein Gesicht lag im Schatten und war unleserlich. Er streckte seinen Arm aus und deutete auf die Öffnung zu seinem Iglu aus Ästen. Wie nannte man das noch gleich? Tipi? Nein, das waren doch die Zelte. Wigwam vielleicht? Es war ein ziemlich kleiner Unterschlupf. Vielleicht gerade mal drei Meter im Durchmesser. Ich warf einen Blick hinein und erkannte darin eine Feuerstelle, in der sich allerdings nur noch rote Glut befand. Ich umschlang meinen Oberkörper mit meinen Armen. Mir war kalt. Wie gern hätte ich jetzt ein Lagerfeuer!

Als hätte er meine Gedanken gelesen, schlüpfte der Mann an mir vorbei in seine selbstgebaute Höhle und legte neue Äste auf die Feuerstelle. Während er die Glut wieder anfachte, blickte er erneut auffordernd zu mir hinüber.

Zögernd humpelte ich näher. Was sollte ich auch sonst tun? Mitten in der Nacht würde ich nie allein aus diesem Wald herausfinden und zurück zu der Höhle oder sonst irgendeiner Stelle, an der Menschen lebten. Zivilisierte Menschen. Trotzdem war mir ganz und gar mulmig zumute. Er hatte noch immer kein einziges Wort gesagt!

Der Boden im ‚Iglu' war weicher, als ich vermutet hatte, offenbar mit Wildlederdecken ausgelegt. Mein Begleiter hatte sich im Schneidersitz vor der Feuerstelle niedergelassen und ich nahm ihm gegenüber die gleiche Haltung ein, nachdem ich Regencape und Rucksack abgelegt hatte. Ich starrte in die mit Steinen begrenzte Kuhle. Rauch zog mir in die Nase und kurz darauf flackerte eine kleine Flamme auf, die sein Gesicht in ein tanzendes Licht warf ... beinahe dämonisch.

Ich erschauderte. Nein, das war doch Unsinn. Wenn er mir etwas antun wollte, hätte er es schon längst getan. Ich wagte einen erneuten Blick in sein Gesicht. Bei genauerem Hinsehen war es gar nicht mehr so gruselig, auch wenn seine Miene ein wenig abweisend wirkte. Er hatte ein schmales, längliches Gesicht mit hohen Wangenknochen und einem vollen Mund. Verdammt, er sah gar nicht so schlecht aus. Sein Alter war undefinierbar, aber er war noch jung. Vielleicht zwanzig, schätzte ich vorsichtig. Als er aufblickte und mich mit seinen dunklen Augen musterte, spürte ich, wie ich rot wurde, und war dankbar für die Dunkelheit.

Er deutete auf meinen rechten Knöchel, den ich unbewusst mit meinen Händen umklammert hielt. Ein dumpfer, pulsierender Schmerz ging noch immer davon aus, aber er war nicht mehr so scharf wie am Anfang. Doch als ich meine Hände wegzog, sah ich deutlich, dass er ein wenig angeschwollen war. Ich verzog das Gesicht, schüttelte aber den Kopf. Es würde schon gehen — bis morgen, wenn ich hoffentlich einen Arzt aufsuchen könnte.

Auf einmal streckte er seinen Arm aus und berührte mit seinen Fingern einen Zipfel meines Regencapes. Die Art, wie er das Material befühlte und dabei die Stirn runzelte, machte mich stutzig. Als hätte er noch nie ein Regencape gesehen. Dann wanderte sein Blick über meinen ganzen Körper, meine durchnässten Shorts und die Fleecejacke, die mir am Körper klebte. Zwar spürte ich die sanfte Wärme des Feuers, aber kalt war mir immer noch. Trotzdem würde ich mich garantiert nicht vor ihm ausziehen.

Er zog eine Decke hinter sich hervor und reichte sie zu mir herüber, sah mich dabei auffordernd an. Unsere Blicke trafen sich. Seine Lider waren halb gesenkt, trotzdem brannten seine Augen wie glühende Kohlen. Ich zögerte, wusste aber nicht genau, warum. Schließlich nahm ich die Decke entgegen.

„Thank you", murmelte ich.

Ich wickelte mich darin ein und das weiche, ledrige Material half sofort ein wenig dabei, die Kälte aus meinen Knochen zu vertreiben. Nur gut, dass es Sommer war.

Ein Muskel neben seinem Mundwinkel zuckte kurz, als ich die beiden Worte aussprach. Und endlich sagte auch er etwas. Jedenfalls öffnete er den Mund und es kamen ein paar Laute hervor, aber er hätte genauso gut chinesisch sprechen können, so viel verstand ich. Es klang in etwa so wie "Waschi-Tschu". Seine Stimme war angenehm tief, aber das machte die Fremdheit seiner Worte leider nicht wett. Ich starrte ihn nur an und schüttelte den Kopf.

Auch das noch. Wir konnten uns nicht verständigen! Wie sollte ich ihm erklären, dass ich zurück zu der Höhle finden musste? Oder zumindest zum Mount Rushmore. Den würde er doch kennen? Ich würde es ihm zur Not aufmalen. Aber momentan fehlte mir dafür die Kraft. Ich wurde mit einem Mal so müde ... so müde. Konnte kaum noch die Augen offenhalten.

Ich wollte nicht einschlafen. Nicht hier, mit einem Fremden in einem winzigen Unterschlupf im Wald. Aber vielleicht würde ich einfach nur ganz kurz die Augen zumachen.

Nur ganz kurz. Ich ließ mich seitlich zu Boden sinken, zusammengerollt in Embryonalstellung, in die Lederdecke eingemummelt. Mir fiel ein, dass ich meinen Rucksack nicht unbeaufsichtigt lassen sollte. Ich schob ihn rasch unter meinen Kopf, um ihn als Kissen zu verwenden, und das war das Letzte, was ich bewusst tat.

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