Bis(s) zum Erwachen - Wie ein...

By FieneFifi

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Die Volturi sind verschwunden und Bellas Leben scheint perfekt - bis sie aufwacht und feststellen muss, dass... More

Prolog
Alles auf Anfang
Erklärungsversuche
Ein Gespräch für die Zukunft
Ungewissheiten [Edward Cullen]
Altbekannte Biostunde
Geschwisterliebe
Ein merkwürdiges Mädchen [Edward Cullen]
Die Suche nach der Lichtung
Flammendes Häuschen
Mitternachtsgespräch
Ein kleiner Hoffnungsschimmer?
Die fast-Werwölfe
Worte und ein Ausrutscher [Edward Cullen]
Alle lieben Bella ... nur er nicht
Gewissensbisse [Alice Cullen]
Krankenbesuche
Konkurrenz [Edward Cullen]
Schreckliche Klarheiten
Woche eins
Woche zwei
Woche drei
Woche vier [Edward Cullen]
Woche vier
Woche fünf
Woche sechs - Unverhofftes Wiedersehen
Glück ... oder doch nicht?
Klavierklänge und leise Worte
Liebesschwüre ... irgendwie
Noch immer nächtliches Flüstern
Diskussion [Edward Cullen]
Schmerzendes Glück
Das Kochbuch der Unsterblichen
Zu weit gedacht [Alice Cullen]
Zu weit gedacht [Edward Cullen]
Es wird niemals so weit kommen
Einer gegen drei
Drei Worte
Epilog
Fortsetzung: Schatten der Nacht

Kleine, bescheidene Dreierrunde

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By FieneFifi

Jake hatte den Blick auf seine ineinander verschlungenen Hände gerichtet. Ab und zu spürte ich seine Augen auf mir ruhen, neugierig und verwirrt, wie es schien, doch nach wenigen Sekunden schaute er wieder nach unten. Nur zu gern hätte ich meine Hand ausgestreckt, sie über seine gelegt und ihn angelächelt. Doch gab es einen Grund für mich, das zu tun? Ich schien gerade in einem Tief zu stecken. Der Traum meines Lebens, die Sache, die es lebenswert gemacht hatte, hatte sich als wirklicher Traum, als Trugbild, als Hirngespinst erwiesen. Wie toll. Die Menschen, die für mich oberste Priorität gehabt hatten, waren so weit von mir entfernt. Sie waren unerreichbar – naja, einer von ihnen saß neben mir, doch der zählte nicht wirklich, er war ja erreichbar. 

Meine Gedanken waren eindeutig zu kompliziert. Ich seufzte. Wie oft hatte ich das an diesem Tag schon getan?

„Du vermisst sie, nicht wahr?“

Jake riss mich aus meinen Gedanken. „Hmm?“

„Naja, die Cullens und … wie hieß sie …?“

Noch ein Seufzer. „Nessie.“

Er nickte. „Genau. Es muss schrecklich für dich sein.“

Ungläubig schaute ich ihm ins Gesicht. Ich wusste, was ich an seiner Stelle getan hätte, würde mir jemand so etwas skurriles erzählen, und das wäre sicherlich nicht das, was er tat. Er glaubte mir tatsächlich. Ich schüttelte den Kopf. Das war alles so unwirklich. Er machte Scherze.

„Jake, das ist nicht witzig“, sagte ich bissig.

„Was denn?“

Ich funkelte ihn an. „Du machst deine Scherzchen, denkst, ich hab mir das alles nur ausgedacht. Du glaubst gar nicht, was ich dafür geben würde, wäre es wirklich nicht wahr!“

Blödmann, fügte ich in Gedanken noch dazu.

Wie dumm war ich eigentlich gewesen? Er kannte mich noch nicht einmal, und ich rannte gleich mit einer solchen Geschichte zu ihm. Ich war wirklich seltendämlich. Und blind! Hatte ich ernsthaft gedacht, er würde mir das abkaufen, ohne mich gleich für geisteskrank zu halten? Das war doch absurd. 

„So denkst du von mir?“, fragte er, jetzt auch wütend. Er schüttelte langsam seinen Kopf, die Augen auf mich gerichtet. „Gute Voraussetzung für eine Freundschaft, findest du nicht? Es gibt einen Grund, weswegen ich noch hier sitze und nicht im Wartezimmer eines Psychiaters. Vielleicht kommst du selbst drauf, wenn du dich ganz doll anstrengst!“, fügte er noch hinzu, langsam und deutlich sprechend, als wäre ich ein Kleinkind.

„Na los, sag schon!“, forderte ich.

Er lachte bitter. „Denk doch mal nach!“

„Ach, jetzt bin ich auch noch nicht schlau genug, um es zu begreifen? Ist es das?“ Mir war klar, dass ich jetzt überreagierte, aber ich war total frustriert. Wahrscheinlich würde ich jeden Moment platzen, wenn auch nicht auf die in-tausend-kleine-Stückchen-zerfetzen-Art, aber doch so, dass es als Wutausbruch gelten konnte.

Seine Stimme wurde lauter. „Das habe ich doch gar nicht gesagt!“

Mittlerweile hatten wir angehalten und standen auf dem Parkplatz des Supermarktes.

„Oh, es war deutlich genug, um es zu verstehen“, sagte ich, jetzt ein wenig kleinlaut.

Jake schnaubte, drehte sich von mir weg und öffnete die Beifahrertür.

„Wo gehst du hin?“, fragte ich ihn. Plötzlich hatte ich Angst, er könnte meinen mittelschweren Ausbruch zu ernst nehmen und genug von mir haben – jetzt schon. Das wäre … unsagbar grauenvoll. Mir tat mein Aussetzer furchtbar leid.

Er schien meine Gedanken in meiner Stimme zu hören, denn er drehte sich um, streckte seinen Kopf in das Fahrerhaus zurück und lächelte. „Ich werde nicht abhauen, keine Sorge. Aber falls du dich erinnerst, ich hatte einen Auftrag.“

Ich nickte. „Ja, stimmt. Soll ich mitkommen?“

„Ich reiße wirklich nicht aus!“

Ich umfasste den Griff der Fahrertür und drückte ihn nach unten. „Ich komme trotzdem mit.“

Noch einmal schüttelte er den Kopf, dann lehnte er sich vom Auto weg und wartete darauf, dass ich um den Chevy herum zu ihm kam. Die Luft um mich herum war eisig, aber es schneite nicht – ein Glück. Ich hasste Schnee. Wie auf ein Stichwort fing es an zu Nieseln. Regen hasste ich auch. War das ein böses Omen? Oder einfach nur typisch für diesen Ort? Als ich entschied, dass es letzteres sein musste, stockte mein Atem.

Mein Blick fror sich an etwas fest, dass sich nur ungefähr zwanzig Meter von uns entfernt befand. Es war ein Auto. Ein silbern glänzendes, fehl am Platz zwischen den anderen rostigen Autos wirkend. Es war ein Volvo, um genau zu sein. Mein Herz setzte völlig aus.

Ich stellte mir bildlich vor, wie sich die Tür dieses Autos öffnen und ein 17-jähriger junger Mann aussteigen würde. Kein gewöhnlicher 17-Jähriger, das war klar. Sein bronzefarbenes Haar, das sich in der kalten Luft kräuseln würde, seine blasse Haut und seine Augen wie flüssiges Karamell würden einen atemberaubenden Kontrast zu seinen schwungvollen, rosa gefärbten Lippen bilden und diese würden wie so oft zu meinem allerliebsten, schiefen Lächeln geformt sein. Die Lederjacke, die er immer trug und deren Ärmel für mich viel zu lang waren, würde sich genauso wie sein elfenbeinfarbener Pullover so an seine kalte, marmorne Brust schmiegen, dass es mir die Gedanken verdrehte.

Vom einen Moment auf den anderen prasselten tausende Bilder auf mich ein. Wie er mich das erste Mal nach dem Biologie-Unfall nach Hause gefahren hatte … Wie er mich vor diesen Typen in Port Angeles gerettet hatte … Die folgende Autofahrt, in der er mir erzählte, dass er ein Vampir war … Die vielen Morgen, an denen er mich von der Schule abgeholt hatte … Der Tag, an dem er mich das erste Mal seiner Familie vorgestellt hatte … Die Fahrt zum Abschlussball … All das hatte sich irgendwie in diesem eigentlich unbedeutenden Auto abgespielt. Es war für mich immer selbstverständlich gewesen, es gehörte einfach zu ihm. Deswegen hatte ich nur einen Gedanken: Edward Cullen musste in diesem Moment hier sein, in diesem Auto.

Doch es nagten Zweifel in mir. Was sollten sie schon in einem Supermarkt in La Push tun? Gut, sie könnten einkaufen gehen, so wie es normale Menschen taten. Doch wenn das stimmte, dann musste das heißen, dass sie tatsächlich Menschen waren. Nicht mehr und nicht weniger, nichts Übernatürliches, keine Vampire. Einfach nur … Menschen.

Menschen, die auch ohne diese bezaubernde, magische Wirkung zu gut für mich waren.

Erst als mir schwarz vor Augen wurde und meine Beine zittrig wurden, merkte ich, dass ich immer noch nicht wieder angefangen hatte, zu atmen. Mit einem kräftigen Atemzug füllte ich meine schmerzhaft zusammengepressten Lungen mit Luft, doch trotzdem sackte ich auf den bereits nassen Boden hinab. Allmählich konnte ich wieder etwas sehen, die Schwärze, die meine Sicht verdeckt hatte, war verschwunden, doch trotz alledem sah ich noch unscharf, selbst für die menschlichen Verhältnisse. 

Irgendwo, ganz weit weg, hörte ich Jake etwas rufen, aber ich verstand es nicht. Es war, als wäre ich unter Wasser oder in eine Schalldichte Mauer gehüllt, die mich von allem abdeckte, was um mich herum passierte. Das einzige, was ich wahrnahm, war die Parklücke, auf die ich starrte, in der vor wenigen Sekunden noch ein silbern blankgeputzter Volvo gestanden hatte, und das Loch, das sich durch mein Herz fraß. Es war nicht das gleiche Loch wie damals, in meinem Traum, als Edward gesagt hatte, er wollte mich nicht mehr; dieses hier und jetzt war schlimmer. Es zeigte, dass es die Menschen, die ich über alles liebte, wahrscheinlich gar nicht gab. 

Eine Lücke war entstanden. Jedoch war die auf diesem Parkplatz schneller und leichter zu füllen, als die, die ich ab jetzt in mir trug. Diese konnte ich sicherlich niemals füllen, mit nichts auf der Welt war das möglich. So leid mir dieser Gedanke tat, aber selbst Jake, meine Sonne, konnte sie nicht ausstopfen, er würde es womöglich sogar noch schlimmer machen. Jetzt erschien mir die Idee, es könnte alles noch einmal so passieren, wie es für mich schon geschehen war, lächerlich und unmöglich. In meinem Traum hatte ich diese Worte schon längst abgeschafft, denn jedes Mal, wenn ich sie benutzte, erwiesen sie sich als falsch; doch nun war das anders. Jetzt passierte die Realität.

Und die Realität war, dass das silbern blankgeputzte Auto niemals auf diesem Platz gestanden hatte. Die Realität war, dass mein Verstand mir Dinge vorgaukelte, die nicht vorhanden waren.

Das Letzte, was ich mitbekam, war mein Kopf, der hart und dumpf auf dem nassen, kalten Beton aufschlug, und Jakes Hand, die sorgsam über meine Wange strich …

~~~~~***~~~~~

Es klopfte und die Tür zu meinem Zimmer öffnete sich.

Es war Charlie.

„Hier, Bella“, sagte er mit einem kleinen Tablett in der Hand, „dein Tee. Himmel, du siehst immer noch ganz grün aus“, fügte er noch hinzu, als er mich anschaute.

Ich schnaubte. „Danke für das liebe Kompliment, Dad“, sagte ich.

Jake lachte. „Er hat Recht. Du siehst echt gruselig aus.“

Er saß auf meiner Bettkante, während ich in drei Decken gehüllt auf der durchgelegenen Matratze meines Bettes lag und mich von meinem Ohnmachtsanfall erhohlte. Ich war mir nicht sicher, wie ich nach Hause gekommen war, doch ich glaubte, Jake hatte mich in meinen Transporter gehievt und hierher gefahren. Wenn ich mir vorstellte, wie erschrocken und besorgt Charlie gewesen sein musste, zuckte ich zusammen. Der Arme. Kaum war ich da, schon hatte er Ärger mit mir. Naja, das schien ja nur typisch für mich zu sein.

Vorsichtig nahm ich die heiße Tasse Tee in meine abgekühlten Hände und sofort strömte die Wärme durch jeden meiner Finger bis hin zu meinen Armen und Schultern. Nur mein Herz berührte sie nicht, monoton schlug es in meiner Brust und schmerzte. Ich verbot mir jede Erinnerung an die Dinge, die ich eine Stunde vorher vor Augen gehabt hatte; das ließ die Verzweiflung etwas abflauen. Ich zwang mir ein Lächeln auf die Lippen, immer wenn Jake versuchte, mich aufzuheitern, oder wenn Charlie beschloss, nach mir zu sehen.

„Denkst du“, begann ich nach einer Weile des Schweigens, „Billy wird sauer sein, wenn du mit leeren Händen nach Hause kommst?“

Er schmunzelte. „Wenn ich erzähle, dass es einen Notfall gab, wird er es sicherlich nicht sein.“

„Gut. Ich dachte schon, ich müsste Schuldgefühle haben.“ Ich versuchte mich an einem Lachen, scheiterte aber maßlos. „Wie kommst du denn überhaupt nach Hause? Ich kann dich doch jetzt nicht mehr fahren. Obwohl …“, sinnierte ich, doch er unterbrach mich.

„Ich hab schon Charlie gefragt, es ist kein Problem für ihn, mich nach La Push zu bringen.“

Ich nickte. „Oh. Okay.“ Dann war es wieder still.

Träge drehte ich meinen Kopf zur Seite, sodass ich aus dem Fenster schauen konnte. Es war kein schöner Anblick. Der Niesel von vor ein paar Stunden hatte sich in strömenden, gegen Fensterscheiben donnernden Regen verwandelt. Der Wind peitschte gegen das Hausdach und die Bäume des nahestehenden Waldes bogen sich unter seinen Böen gefährlich in alle Himmelsrichtungen. Dunkle Gewitterwolken zogen auf und obwohl ich nicht so zuverlässig wie Alice sein konnte, vermutete ich, dass es bald Blitzen und Donnern würde. Ich schauderte. Dann durchfuhr mich ein kurzer, schmerzhafter Stromschlag.

Alice.

Ich nahm einen langen Atemzug, dennoch zogen sich meine Lungen und Rippen so krampfhaft zusammen, dass sie mir das Gefühl gaben, zu ersticken. Normalerweise hätte ich jetzt zu hyperventilieren angefangen, doch dass hätte Jake beunruhigt, also wartete ich die endlos langen und qualvollen Sekunden ab, bis es sich von selbst wieder legte. Es dauerte länger als erwartet, doch irgendwann atmete ich ein weiteres Mal ein und das Brennen verschwand.

Jake sah mich verdutzt an. „Was machst du da?“

Ohne es zu merken, hatte ich meinen Brustkorb mit den Armen umschlungen, so fest, dass es selbst durch die drei Deckenlagen zu erkennen war. Diese Geste kam zumindest mir bekannt vor. Nicht auseinander fallen. Ganz bleiben. Das hatte ich damals versucht, als … Ich schluckte.

„Bauchschmerzen“, sagte ich, auf Jakes Frage hin.

Er sprang auf. „Soll ich Charlie holen? Er hat sicher irgendwas, Medikamente oder so.“

Schnell griff ich nach seiner Hand und wollte ihn zurück aufs Bett ziehen.

„Nicht nötig“, versuchte ich ihn zu überzeugen. „Ist schon besser. Mir war nur grad so komisch übel.“

„Wenn du das sagst.“ Er setzte sich wieder auf die äußerste Kante und gab acht darauf, mich nicht einzuengen.

Ich schlug einen heitereren Tonfall an, was mir wider Erwarten sogar gelang. „Du kannst ruhig ein wenig mehr in die Mitte rutschen. So viel Platz brauche ich nun auch wieder nicht.“

„Ich nehm dich beim Wort“, sagte er und ließ sich neben mich plumpsen. 

Die plötzliche Nähe schien ihm nichts auszumachen. Mir eigentlich auch nicht, aber da war etwas, irgendetwas, wovon ich noch nicht wusste, was es war, das mich störte. Seine dunkelbraunen Augen zogen mich in unbekannte Tiefen, als ich in sie sah, und ließen mich für einen winzigen Augenblick alle Sorgen, allen Schmerz und alle Qual vergessen. Sie ließen mich einfach nur Bella sein. Genau das war es, was verkehrt war. Eigentlich war es richtig, nur für mich war es so ungewohnt und nicht richtig. Ich war Bella. Einfach nur Isabella Marie Swan, niemand sonst. Kein Vampir, kein Mädchen, dass von einem Vampir abgöttisch geliebt wurde, einfach nur ich. Und das tat so verdammt weh. Dieser Gedanke war es, der sich wie ein Messer in mein Herz bohrte. 

„Du scheinst dich ja mächtig wohl hier zu fühlen“, flüsterte ich ohne wirklich zu wissen, warum ich das tat.

„Und wie.“ Er grinste.

Ich hab die Augenbrauen. „Ich merk’s.“

Zaghaft strich er mir eine Strähne aus meinem Gesicht. Die Wärme und Zärtlichkeit, die von dieser Berührung ausging, ließen mich erzittern. Zuerst ignorierte ich das Rumoren in meiner Magengegend. Anderes war jetzt wichtiger. Zum Beispiel dem Impuls zu widerstehen, ihm um den Hals zu fallen. Es herrschte schon genug Chaos, das ich nicht selbst angerichtet hatte, da musste ich nicht auch noch welches hinzufügen. Doch schließlich, als seine große Hand unter der Bettdeckenschicht eine von meinen umschloss, war die Übelkeit nicht mehr zu verdrängen. Es lag nicht an Jake selbst. Es lag an dem Durcheinander in mir.

Rasch entzog ich ihm meine Hand, hielt sie mir vor den Mund und rannte los. 

„Jake, tut mir-!“, doch mehr brachte ich nicht heraus, bis ich mich über die Toilette beugte und mich heftig erbrach.

Als das schummrige Gefühl endlich nachließ und ich wieder ohne Gleichgewichtsstörungen stehen konnte, sah ich, dass Jake im Türrahmen vom Badezimmer stand und mich besorgt beobachtete. Der konnte sich wirklich keinen besseren Zeitpunkt aussuchen, um mich anzustarren, oder?

„Spanner“, schimpfte ich, als ich mich über das Waschbecken lehnte, um mir den Mund auszuwaschen.

Sofort trat der Schalk wieder in seine Miene. „Findest du mich ehrlich so zum kotzen?“

Ich funkelte ihn nur finster an, doch bei seinem strahlend schönen Grinsen war das gar nicht so einfach. Letztendlich gab ich mich geschlagen und taumelte mit einem Arm über seiner Schulter, um nicht zu Boden zu krachen, zurück ins Bett. Ich schlürfte einen Schluck Tee, dann ließ ich mich wieder in die weichen Kissen fallen.

Jake sah mich unschuldig an. „Wirst du wieder ins Bad rennen und dich übergeben, wenn ich mich jetzt neben dich lege?“

„Das lag nicht an dir, wirklich!“, beteuerte ich ihm. „Es ist nur so viel los in mir. So viel Chaos.“

„War das ein Nein?“

Ich lächelte, diesmal ohne eine Fratze zu schneiden, und hielt die Decken hoch, sodass er darunter schlüpfen konnte. Er nahm das Angebot dankend an und schon lag er wieder neben mir, diesmal die Arme unter dem Kopf verschränkt, den Blick nach oben gerichtet.

„Charlie war sehr einsam, bis du kamst“, begann Jake plötzlich zu erzählen. „Na gut, ab und zu kam er zu uns und schaute sich mit uns ein Spiel an, aber das war es dann auch schon. Er lebte praktisch für seinen Job. Es blieb ihm ja nichts anderes. Keine anderen Freunde, mit denen er oft wegging, keine neue Frau, mit der er etwas unternehmen konnte.“ Bei den Worten ‚neue Frau‘ biss er die Zähne zusammen. „Und ich sehe, wie er jetzt ist, weil du da bist. Er strahlt förmlich. Du kannst dir sicherlich gar nicht vorstellen, wie du ihm gefehlt hast.“ Er lächelte mich an. Ich konnte es nicht erwidern.

Jetzt starrte auch ich an die Decke, während ich mir vorstellte, wie es wohl für Charlie ohne mich gewesen sein mochte. Vielleicht nicht sonderlich lecker, bei seinen Kochkünsten. Ich schmunzelte. Mir fiel auf, dass ich mich das in meinem Traum nicht gefragt hatte. Es war selbstverständlich gewesen, dass er mich aufnahm. Natürlich war ich davon ausgegangen, dass er sich freute, aber hatte ich mir auch nur ansatzweise vorstellen können, wie sehr? Selbst wenn es nur ein Traum gewesen war, auf einmal kam mir alles, was ich ihm da zugemutet hatte, schrecklich unfair vor. Er muss sich scheußlich gefühlt haben. Armer Charlie. Trotz dass es idiotisch war, kullerte eine kleine, verlassene Träne meine linke Wange hinunter. Als ich schniefte, drehte Jake seinen Kopf zu mir und sah mich bestürzt an.

„Was hast du?“ Seine Stimme war so weich und zärtlich, dass es mir fast das Herz zerriss.

Ich wischte die Träne mit meinem Handrücken weg und schüttelte langsam den Kopf. „Nichts.“

„So sieht es mir aber nicht aus“, sagte er und schnaubte.

Ich lachte kurz und bitter auf. „Ich komm mir nur so schäbig vor“, sagte ich.

Er zog eine Augenbraue hoch. „Schäbig?“

„Schäbig“, stimmte ich ihm zu und nickte. „Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, wird mir wieder schlecht. Für mich war es so normal, hier zu sein. In meinem Traum, meine ich. Es war so selbstverständlich, dass ich gar nicht daran gedacht habe, wie es Charlie geht. Dass er sich wahrscheinlich mehrere Löcher in den Bauch freut, weil ich da bin. Ich will gar nicht wissen, wie es für ihn damals gewesen sein musste, als meine Mom und ich gegangen sind …“ Ich schluckte. „Naja, ich kann ja jetzt wenigstens versuchen, nicht zu viel Unsinn anzustellen. Er soll sich nicht so viele Sorgen machen.“

Jake grinste. „Dann bist du aber heute kläglich daran gescheitert.“

„Ich weiß“, brummte ich. „Aber niemand ist fehlerfrei, oder?“

„Doch, ich kenne einen.“

Ich auch, dachte ich und mein Magen zog sich zusammen. Ich bezweifelte, dass Jake seinen Namen nennen würde, denn vielleicht waren sie nicht das, was die Legenden besagten. Wieder überkam mich diese Übelkeit, doch diesmal widersetzte ich mich ihr erfolgreich.

„So?“, fragte ich. „Wer denn?“

Jetzt ertönte wieder sein bellendes Lachen. „Na ich.“

Ich blähte meine Backen auf und drehte mich von ihm weg. „War ja klar. Du bist eindeutig zu selbstverliebt.“

„Wenn du das sagst.“

Dann war es wieder still. Manchmal spürte ich, wie seine Hand zuckte und er sie nach meiner ausstrecken wollte, doch er tat es nicht. Sorgsam darauf bedacht, genug Abstand zu mir zu halten und mich nicht zu bedrängen, lag er neben mir. Beide starrten wir nach oben, und während ich in meinen Gedanken versunken war, lauschte ich seinem Atem. 

Ich hatte einen Entschluss gefasst, einen Plan geschmiedet. Mir war klar, dass ich, würde mein Plan nicht aufgehen und Edward nicht da sein mit seiner ganzen verwirrend perfekten Familie, womöglich wahnsinnig werden würde. Von der Klippe springen war nichts dagegen, wie ich mir dieses Gefühl vorstellte. Es reichte noch nicht einmal an die vielen Monate Zombie-Dasein heran, die ich durchlebt hatte, als ich dachte, Edward hätte genug von mir. Nichts war vergleichbar mit dem, was ich mir ausmalte.

Morgen, an meinem angeblich ersten Schultag in Forks, würde ich sie aufsuchen. Angenommen, sie waren Vampire. Alice würde in die Zukunft gesehen und mich entdeckt haben. Vielleicht, wenn ich ganz viel Glück hatte, würde sie sogar das gesehen haben, wovon ich geträumt hatte. Das würde mir vieles erleichtern. Sie würde mir eine Antwort auf meine abertausenden Fragen geben und hoffentlich auch eine auf die wichtigste: Würde die Zukunft für mich so enden, für immer mit Edward zusammen zu sein? Wenn ja, wie würde der Weg dahin aussehen, bevor ich an dieses Ziel kam? Und wenn nicht, was könnte ich tun, um das zu ändern? Gab es dann überhaupt noch eine Chance für mich, dieses rosige und wunderschöne Leben zu führen?

Ein weiterer Gedanke schoss mir in den Sinn. Option zwei. Meine Zukunft mit Jake. Sachte drehte ich den Kopf zu ihm und beobachtete ihn, doch so, dass er es nicht merkte. Klar, es würde für mich niemals so sein wie mit Edward, doch wäre ich trotzdem glücklich? Konnte ich, wenn ich nicht mit demjenigen zusammen sein konnte, den ich liebte, mit dem zufrieden sein, der mich liebte? Ich drehte mich wieder weg und vergrub diesen Gedanken vorerst. Ich würde nicht mehr daran denken, bis es nicht so weit wäre, es einzusetzen. Es war nicht gerecht Jake gegenüber, ich würde ihn nur ausnutzen und das war das Letzte, was ich erreichen wollte. Ich konnte ihm das nicht antun, und ich selbst könnte nicht damit leben, es getan zu haben. Aber in deinem Traum war es so, drang eine Stimme zu mir, wahrscheinlich mein Gewissen. Du hattest ihn darin schamlos benutzt ohne rot zu werden, sprach die Stimme weiter. Ja, das stimmte. Aber ich hatte gelitten. So grausam gelitten, dass ich gedacht hatte, es hätte diesen Fehler wettgemacht. 

„Bella?“, hörte ich jemanden rufen. Erst nach einigen Sekunden merkte ich, dass es Charlie war und er in meinem Zimmer stand.

Ich stützte mich auf meinen Händen ab und setzte mich aufrecht hin. „Ja?“

Er legte sich eine Hand in den Nacken und schaute etwas verlegen zu Boden. „Ich wollte nur fragen, ob es okay ist, wenn ich den Pizzaservice rufe. Du weißt ja, dass meine Kochkünste nicht berauschend sind.“

„Klar“, sagte ich und schmunzelte. 

Er nickte und ging wieder hinaus.

„Jake?“, fragte ich.

Neben mir brummte es. „Hmm?“

„Isst du noch mit uns oder musst du nach Hause?“

Er lachte. „Was hättest du denn gern?“

„Ich hoffe, du hast Hunger.“ Wir grinsten uns an, dann gingen wir nach unten und aßen gemeinsam, in unserer kleinen, bescheidenen Dreierrunde.

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