Red Snow

By MementoKore

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Der Boden dieses Landes wird seit Jahrhunderten vom Blut eines endlosen Krieges getränkt. Zwei Fraktionen, As... More

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Nachwort

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By MementoKore

Faith fiel erst als sie schon längst rannte auf, dass sie ja eben noch eine Wunde am Bein gehabt hatte. Auch diese war durch das Amulett verschwunden. Umso praktischer, denn hätte sie jetzt noch gehinkt wäre diese Rettungsmission dem Scheitern geweiht und sie alle wären tot. Doch so wie es jetzt war kamen sie alle flink voran, bald schon kam die Stadtmauer näher und das Ziel zu entkommen war zum Greifen nah. Die Templer waren in ihren dicken Rüstungen viel schwerfälliger als die Assassinen. Sie hatten trotz ihrer Verletzungen gute Chancen. Cade, der immer noch Faiths Hand hielt um sie ja nicht verlieren zu können, setzte sich etwas von den anderen ab. Er hatte sein Pferd hier in der Nähe stehen gelassen. Es könnte ihren Vorsprung um einiges vergrößern. Und da die anderen so schnell hier gewesen waren mussten sie auch mit Pferden gekommen sein. Jedoch blieb keine Zeit, sich abzusprechen. Cade zog Faith mit in eine andere Richtung. Wenn sie sich aufteilten würden die Templer sowieso doppelt verwirrt sein und sich ebenfalls aufteilen. Der Assassine lief in die nächste Gasse hinein, Faith folgte ihm einfach schweigend. Das Pferd stand noch dort wo er es stehengelassen hatte. "Los, hoch!" Er half Faith auf das Pferd und stieg dann selber auf den Rücken des Tieres. Noch während die ersten Schritte von Verfolgern in den Straßen ertönten stieß er dem Pferd die Fersen in die Seite sodass es vom Stehen direkt in den Galopp überging und die engen Gassen der statt entlangsauste. Der Schnee dämpfte das Hufgeklapper, einige Leute, die in den Straßen umherliefen und von den Reitern überrascht wurden sprangen erschrocken zur Seite. Das Pferd tat schwer daran, auf dem rutschigen Untergrund keine Fehltritte bei so hoher Geschwindigkeit zu machen. Die Templer gaben die Verfolgungsjagd schon halb auf, einige blieben stehen, andere rannten noch hinterher. Die anderen Assassinen hatten die beiden längst aus den Augen verloren, nun ging es nur noch darum, sicher aus der Stadt zu kommen. Cade spornte das Pferd weiter an. Als sie das Stadttor passierten gaben auch die letzten Templer die Jagd auf und blieben stehen. Es war geschafft, sie waren entkommen.

Erst als die Stadt nur noch wie eine winzige Darstellung ihrer selbst hinter ihnen lag parierte Cade das Pferd in eine ruhigere Geschwindigkeit durch. Der dunkle Hengst schüttelte seine Mähne und schnaubte, während er weiße Atemwölkchen in die Luft zauberte. Faith saß vorn im Sattel und klammerte sich an einem Lederriemen fest während sie sich vorsichtig gegen Cade lehnte. Der lenkte das Pferd vage in die Richtung von Ace' Haus. Das Pferd lief inzwischen gemütlich durch die schneeweiße Landebene. "Wo sind die anderen?", fragte Faith irgendwann leise und sah sich um. Cade ließ ebenfalls kurz den Blick schweifen, doch er erkannte sie nirgendwo. "Ich weiß nicht." Faith hatte ein schlechtes Gewissen dabei, sie zurückgelassen zu haben. "Sie werden doch nicht tot sein?" Cade seufzte müde während seine Miene gleichzeitig weiche Züge annahm. "Keine Sorge, ich bin mir sicher sie sind nicht ohne Fluchtplan aufgetaucht." Faith schwieg daraufhin, doch es hatte ihre Zweifel noch längst nicht vertrieben. Sie ritten eine Weile und ihre Finger und Zehen wurden bereits kalt. Hier und da sahen sie Wälder, die an die Schneeebene angrenzten. "Bist du stark verletzt?", wollte Faith dann irgendwann wissen. Überrascht von der Frage antwortete der Assassine: "Nein, nicht schlimm." Faith glaubte ihm nicht wirklich, aber irgendwie war sie trotz allem zu müde, um noch einmal nachzuhaken. Sie seufzte nur leise und sah sich weiter um. Irgendwann tauchten weitere Gestalten im Schnee auf. Es ging gerade bergauf und die Bäume waren zurückgewichen. Synva lag immer noch sichtbar aber klein am Horizont hinter ihren Rücken. Als Cade die berittenen Gestalten bemerkte hielt er an. Auch Faith versuchte zu erkennen, wer diese Personen waren. Da der Wind auf der Höhe zugenommen hatte und den liegenden Neuschnee immer wieder aufwirbelte war es schwer, die Gestalten aus dieser Entfernung auszumachen. Doch es schien so als hielten sie auf die beiden zu. Waren es Ace und die anderen? Cade stieg ab während Faith oben sitzen blieb und versuchte, in der beißenden Kälte nicht vollkommen auszukühlen. Auch wenn ihre Wunden verschwunden waren fühlte sie sich immer noch als hätte sie zu viel Blut verloren. Außerdem hatte sie trotz allem schon länger nichts mehr gegessen und war körperlich ziemlich erschöpft. Der Wind ließ sie zittern. Auch Cade, der selbst noch einige schwere Wunden von den letzten Tagen mit sich trug, deren Zustände sich beim Kampf mit Aed nicht gerade verbessert hatten, kämpfte damit, aufrecht stehenzubleiben. Trotzdem hielt er die Zügel fest in der Hand und sah sich nach den herannahenden Gestalten um. Die Pferde trotteten stur dem unbarmherzigen Wind entgegen. Ihre Mähnen flatterten in den Böen, genauso wie die Kleidung der Reiter. Je näher sie kamen desto mehr konnte Cade ausmachen. Er war sich inzwischen sicher, dass es sich um fünf Personen handelte. Fünf? Es waren sechs Überlebende gewesen. War einer bei Arvana geblieben? Wäre durchaus möglich. Mit starrem Blick behielt er die Pferdekarawane in dieser Schneewüste im Auge. Irgendwann meinte er dann wirklich, Kapuzengestalten erkennen zu können. Sein Herz machte einen kleinen, hoffnungsvollen Satz. Natürlich war es nur ein geringer Sieg angesichts der blutigen Niederlage die sie eben erst hinter sich hatten. Doch es war wohl etwas Hoffnung wert. Als die Gestalten die beiden Assassinen erreichten stieg der vorderste ab. Es war tatsächlich Ace, der die Gruppe wohl einmal mehr geleitet hatte. Er zog die Kapuze ab und fuhr sich durch die feuchten, blonden Haare. "Geht es euch beiden soweit gut? Heath hat keine Verbände dabei, deshalb sollten wir so schnell wie möglich zurück zum Haus. Folgt uns einfach." Cade nickte nur. Er war die ganze Nacht durchgeritten, war gestern noch halbtot gewesen und hatte nun - wenn auch auf eine mehr als unerwartete und absurde Weise - seinen Erzrivalen niedergestreckt. Erschöpfung und Müdigkeit durchströmte ihn gleichermaßen wie eine  friedliche, endgültige Ruhe. Es war fast schon befreiend. Er setzte sich wieder in den Sattel und ließ das Pferd den anderen hinterherlaufen. Dabei sah er gedankenverloren in den schneeweißen Himmel. Zusätzlich zum aufgewirbelten Schnee begann es nun erneut zu schneien. Die meisten von ihnen trugen ihre Kapuzen zum Schutz vor den Schneeflocken, doch Cade hatte seine abgezogen und den Kopf leicht in den Nacken gelegt. Er beobachtete die mit Leichtigkeit im Wind tänzelnden, rein weißen Schneekristalle, wie sie langsam aber beständig zu Boden segelten. Alles war weiß, die Bäume, die Ebene, selbst der Himmel, die Berge in der Ferne, der Horizont und Synva hinter ihnen. Es barg fast schon eine anmutige Ruhe in sich, die Cade automatisch in sich einsog. Solche Momente waren selten - zwischen all den Kämpfen, dem Trubel und dem Tod einmal ein wenig Ruhe und Frieden zu erfahren. Er schloss die Augen und genoss die Stille. Der Schnee dämpfte jedes Geräusch, genauso wie er die Sicht in einen weichen, weißen Schleier hüllte. Die stechende Kälte auf Cades Haut wich einer kühlen Taubheit. Immer noch spürte er die pochende, schmerzende Wunde in seiner Brust. Doch es schien keinen Einfluss mehr auf ihn zu haben. Er wusste, dass er überlebt hatte. Er hatte den Angriff auf seine Familie überlebt. Er hatte die Missionen überlebt, alle, die er jemals aufgetragen bekommen hatte, mal mehr und mal weniger verletzt. Er hatte den Angriff auf das Hauptquartier überlebt und genauso die tödliche Wunde, eben diese, die in diesem ruhigen Moment unter dem dicken Verband lag und brannte. Er war dem Tod noch nie so nah gewesen wie die letzten Tage, auch wenn dieser ihn schon sein ganzes Leben begleitet hatte. Und trotzdem war er jetzt hier. Er hatte viele Freunde verloren, viele Verbündete. Genauso hatte er viele Feinde sterben sehen oder sie selbst niedergestreckt. Doch jedes Leid, all die Trauer die er bei den Verlusten verspürt hatte, zählte nun nicht mehr. Es war wie das Ende eines langen, schweren Kapitels und ein frischer Neuanfang. Sie hatten viel verloren, doch längst nicht alles. Es gab immer noch Möglichkeiten, die Dinge wieder anzupacken. Die Bruderschaft war noch längst nicht am Ende. Und das würden sie den Templern auch beweisen. Sie waren vielleicht nicht viele, doch die Stärke der Assassinen hatte noch nie auf ihrer Anzahl basiert. Sie würden andere Wege finden, neue Leute für ihre Sache gewinnen, den Orden neu aufbauen. Cade hätte wieder ein Zuhause. Ohne dass er es bemerkte stahl sich ein schwaches Lächeln auf sein Gesicht. Es war nicht das Ende.

Als sich die Sonne bereits schon wieder dem Horizont näherte erreichten sie das Haus von Ace und seiner Familie. Alle brachten ihre Pferde in den Stall und versorgten die Tiere mit etwas Fressen. Danach wanderte einer nach dem anderen ins Wohnhaus hinein, um sich dort die verdiente Entspannung zu verschaffen. Zuvor musste sich jedoch jeder einer Untersuchung von Heath unterziehen. Nun fand Cade auch heraus, wer von ihnen hiergeblieben war. Es war Deargh gewesen, der einhändig vermutlich nicht viel hätte ausrichten können. Er nickte dem verwundeten Assassinen kurz zu, als er ihm über den Weg lief. Cades medizinische Untersuchung dauerte wohl am längsten, denn im Gegenteil zu den mehr oberflächlichen Kampfverletzungen der anderen stellte die Stichwunde in Cades Brust immer noch eine ernsthafte Gefahr dar. Diesmal ließ der Meisterassassine sich stillschweigend verarzten, denn er war immer noch viel zu müde und in sich gekehrt, um jetzt noch mit Heath zu diskutieren. Nachdem die Wunde mit einer blutungsstillenden Paste bestrichen und der Verband erneuert worden war durfte auch er gehen. Sofort machte er sich auf die Suche nach Faith. Er hatte noch so viele Fragen. So viele unausgesprochene Wörter die in seinem Kopf herumgeisterten.

Faith hatte die anderen erst wenig zu Gesicht bekommen. Sie hatte sie auch noch nicht gegrüßt. Schnell hatte sie sich von den anderen getrennt und war, nachdem sie sich ein wenig am Feuer aufgewärmt hatte, draußen vor's Haus gelaufen. Dort stand sie nun im von Schritten plattgedrückten Schnee, der eiskalt glitzernd dalag, und starrte in die Richtung, in der die Hauptstadt wie ein steinernes Nest in der Landschaft ruhte. Die Sonne, die in den letzten Stunden den vom Nebel blassen Himmel zu einem klaren, blauen verwandelt hatte, berührte nun schon den Horizont. Die vom Schnee gepuderten Bäume und Büsche, die vorhin noch ausgesehen hatten wie weißer Rauch, der die Landschaft verdeckte, färbten sich nun durch das Licht der untergehenden Sonne blutrot. Auch der auf dem Boden liegende Schnee glich nun einem Meer von orange-roten Kristallen. Sie war so sehr in Gedanken versunken, dass sie die eisige Kälte kaum bemerkte. Die letzten Tage kamen ihr so unwirklich vor. Es war so viel so schnell hintereinander passiert. Das konnte doch unmöglich alles wahr sein - oder doch? War sie wirklich tot gewesen? Hatte sie ihre Eltern gesehen? Und wie sollte es nun weitergehen?
Sie wurde von knirschendem Schnee aus ihren Gedanken gerissen. Sofort sah sie sich nach der Quelle der Schritte um, die hörbar den Schnee noch weiter zusammendrückten. Sie erkannte die dunkle Gestalt von Cade hinter sich. "Du hast kaum gesprochen, seit wir zurück sind", bemerkte Cade mit möglichst neutraler, analytischer Stimme. Jedoch konnte er die leicht besorgte Miene nicht ganz verstecken. Faith versuchte, ihn beruhigend anzulächeln, doch ihr Gesicht war so kalt und taub dass sie es kaum hinbekam. Stattdessen sah sie wieder in die Richtung Synvas. Dorthin, wo wohl alles begonnen hatte. "Keine Sorge, ich bin nur verdammt müde", murmelte sie mit leiser Stimme. Ein merkwürdiger Glanz lag in ihren Augen. Jetzt und hier, während sie so auf die letzten Monate zurückblickte, bemerkte sie erst, wie lang ihre Reise gewesen war. Zuvor war sie kaum mehr als ein Kind gewesen, nun war sie geistig viel weiter gewachsen. Sie hatte so viel gelernt - so viele neue Personen getroffen. Und so viele wieder verloren... Faith warf Cade einen kurzen Blick zu, als auch dieser begann zu schweigen. Er sah aus als würde ihm eine Frage auf dem Herzen liegen, doch er könnte sie nicht aussprechen. Vermutlich wollte er wissen, was sie erlebt hatte während sie tot gewesen war. "Cade, ich soll dir etwas mitteilen...", sprach die Assassine jetzt vorsichtig das Thema an. "Als ich tot war ... da habe ich deine Eltern und deine Schwester gesehen. Und ... Benji hat mir aufgetragen, dir auszurichten, dass sie alle stolz auf dich sind." Sie sah ihm ruhig in die Augen. Sie wollte ihn weder verunsichern noch schlimme Erinnerungen hervorrufen. Sie erwartete fast schon, dass seine Miene wieder hart werden und er einfach nur knapp nicken würde. Doch stattdessen spiegelten seine Augen kurz etwas Erstauntes, fast schon Fassungsloses wieder und wechselten dann wie seine Miene zu einem weichen Ausdruck. Er schwieg kurz. Er glaubte ihr. Egal wie unerwartet ihn diese Nachricht traf - er wusste, dass sie so etwas nicht erfinden würde. Wieso sollte sie? Und statt alte Erinnerungen heraufzubeschwören weckte es wärmende Gedanken an die geborgene Kindheit. Sein Vater war niemals ein schlechter Vater gewesen. Seine Familie hatte ihn niemals schlecht behandelt. Sie waren alle einfach nur zur früh von ihm getrennt worden. Und das hatte ihm besonders als Kind schwer zu schaffen gemacht. Doch zu hören, dass sie alle glücklich waren und ihn, wenn auch ohne dass er es bemerkte, weiter durch sein Leben begleiteten gab ihm Hoffnung. Er nickte leicht. "Danke." Faith blinzelte kurz erfreut und drehte sich dann ganz und nicht nur mit dem Kopf zu Cade um. "Und was war nun das Amulett?" Cade legte den Kopf leicht schief und musterte sie für einen Moment nachdenklich. Er hatte dieses wertvolle, einzigartige magische Artefakt gerade erst entdeckt gehabt und gleich wieder verloren. Wie kurz doch solche bedeutungsvollen Momente waren. "Es war ein Ring, den mein Vater mir gegeben hatte bevor er starb", erklärte er ruhig und verschränkte die Arme. "Ein Ring? Kein Amulett? Hm..." Faith runzelte leicht die Stirn. Spielte wohl nun keine Rolle mehr. "Also sind wir nur noch acht Assassinen?", wechselte sie dann das Thema und sah Cade fragend an. Der nickte leicht. "Bis jetzt nur Ace, Vaughn, Deargh, Elora, Viola, Heath und wir beide, genau. Und ich denke das wird sich auch nicht mehr ändern..." Ein leicht bitterer Ton lag in seiner Stimme. Die Assassine seufzte leicht und ließ den Blick erneut über die winterliche Landschaft schweifen. "Ich vermisse die anderen, Cade...", murmelte sie plötzlich. Wie eine unerwartete Welle überrollte sie plötzlich die kalte Klarheit, dass die meisten ihrer Freunde und ihrer Familie nun tot waren. Dass ihr einstiges Zuhause genauso wie ihr neues in Schutt und Asche lag. Ihr war fast alles genommen worden. Bevor sie es selbst wahrnahm bemerkte Cade längst, dass sich in ihren Augen helle, klare Tränen sammelten und ihre kühlen Wangen hinunterliefen. Während sie stumm weinte legte Cade mit einem Seufzen seine Arme um sie, küsste sie sanft auf die blasse Stirn und zog sie in eine Umarmung. Er wusste genau, wie sie sich fühlte. Trotz der Minusgrade standen beide stillschweigend da, gingen ihren eigenen Gedanken nach und genossen die wärmende Gegenwart des jeweiligen Gegenübers.

Als Cades Fingerspitzen begannen, taub zu werden, löste er die Umarmung vorsichtig. "Du solltest lieber wieder ins Haus bevor du zu einem Eiszapfen wirst. Die anderen wollen dich sicher auch noch sehen." Er setzte ein schwaches Lächeln auf und wartete darauf, dass Faith sich in Bewegung setzte. Das Mädchen strich sich schnell eine Strähne aus dem Gesicht, nickte zustimmend und huschte dann zurück ins angenehm warme Haus. Cade folgte ihr nachdem er kurz über die Schulter gesehen hatte. Während der rötliche Feuerball am Himmel nun kaum noch zu sehen war verdunkelte sich das Blau über ihm immer weiter sodass man schon die ersten Sterne sehen konnte. Ein friedlicher Anblick. Mit einem leisen Seufzen ließ er die Szenerie hinter sich und betrat ebenfalls das Haus. Im kleinen Gebäude herrschte erschöpfte Ruhe. Die Last der letzten Tage lag auf all ihren Schultern. Als Faith mit Cade das Wohnzimmer betrat sahen die Personen, die sich dort aufhielten, neugierig auf. Cade erkannte Arvana und Kalevi, wie sie zusammen auf einer Eckbank saßen und ein Kartenspiel spielten. Ace stand mit verschränkten Armen vor dem Ofen und starrte mit einem müden, ausgelaugten Blick in die gelben Flammen. Alle von ihnen waren von Erschöpfung, Müdigkeit und Trauer geprägt. Die meisten Gesichter im Raum waren blass, ausgemergelt und mit glanzlosen, fahlen Blicken bestückt. Faith fühlte sich selbst ja kaum anders. Als Ace bemerkte, dass die beiden den Raum bertreten hatten, verließ er seinen Posten am Feuer und lief auf sie zu. Zuerst umarmte er Faith, dann klopfte er Cade auf die Schulter. "Ich hätte nicht gedacht dass ich euch nochmal sehen würde. Zumindest nicht hier unter den Lebenden." Cade nickte leicht. "Es war unglaubliches Glück." Ace huschte ein kurzes, verschmitztes Lächeln über's Gesicht. "Entweder das oder Schicksal", meinte er und zwinkerte spielerisch. Cade schüttelte wenig überzeugt den Kopf, schwieg aber und warf Faith einen kurzen Blick zu. Erst jetzt bekam sie die echte Hoffnung zu spüren, die ihr die Überlebenden verliehen. Sie waren nicht allein und die Templer hatten es nicht geschafft, alle von ihnen zu töten. Es gab noch Hoffnung.
"Wir sind alle sehr froh, dich lebend zu sehen, Faith", wandte der blonde Assassine sich nun an das Mädchen. Sie sah auf und lächelte Ace dann an. "So geht es mir auch. Es ist schön, euch alle wiederzusehen", erwiderte sie mit sanfter Stimme und ließ ihren Blick über die bekannten Gesichter schweifen. Da sie Deargh nicht kannte und Vaughn ihr immer noch nicht sympathisch war lag ihr Augenmerk eher auf den weiblichen Anwesenden. Viola und Heath saßen am Tisch und unterhielten sich mit gesenkten Stimmen. Ab und zu blickten sie zu den drei Stehenden, jedoch nur um sich zu vergewissern dass sie niemand angesprochen hatte. "Wo ist Elora?" Faith erinnerte sich, dass Cade gesagt hatte dass sie noch lebte. Doch sie war nicht hier. Wäre auch merkwürdig gewesen, denn wie sie Elora kannte blieb sie sowieso nie gern in Gesellschaft anderer. "Sie ist in ihrem Zimmer und ruht sich aus. Ein Templer hat sie ziemlich erwischt, aber es ist keine gefährliche Wunde." Die Blondhaarige nickte erleichtert. Also war ihr wenigstens eine ihrer alten Freundinnen geblieben. Es war für sie immer noch kein greifbarer Gedanke dass die anderen jetzt einfach aus ihrem Leben verschwunden waren. Noch hatte sie die Erinnerungen viel zu lebhaft vor Augen. Damals, als sie mit Kadir, Aed und Cade aus Synva geflohen war... sie erinnerte sich an so viele Details. An die darauffolgenden Tage. Wie sie alle schnell zu guten Bekannten und dann zu Freunden geworden waren. So viele neue Gesichter. Faith war für einen Moment tief in Gedanken versunken. Die Trainingsstunden in den Sommertagen, die Missionen, ihr erster Todessprung... Alles schien ihr, als wäre es erst gestern gewesen, und trotzdem hatte sie in ihrem Innern das Gefühl als sei es schon Jahre her. Die beiden Assassinen schienen ihre Geistesabwesenheit zu bemerken und sahen sich kurz fragend an, dann lief Ace zurück zum Feuer. "Falls ihr Hunger habt könnt ihr etwas essen. Und ihr solltet ausgeruht sein für morgen, also geht nicht zu spät ins Bett." Er begann, seine Finger an der Hitze der Flammen zu wärmen. "Wieso das denn? Wo gehen wir hin?"
"Zurück zum Hauptquartier. Wir müssen es auf jeden Fall nochmal durchsuchen." Ace hob den Kopf und warf den beiden einen entschlossenen aber ruhigen Blick zu. "Denkst du wirklich, dass das so eine gute Idee ist?", fragte Cade zögernd und warf Faith einen besorgten Blick zu. Wie er es sich zusammengereimt hatte hatte Faith eben erst die Verstorbenen gesehen. Da wäre es sicher nicht von Vorteil für ihren psychischen Zustand, gleich dorthin zurückzukehren, wo die körperlichen Überreste der Toten verblieben waren. "Wir sollten so schnell wie möglich zurück - bevor die Templer auf die Idee kommen, im Quartier nach Geheimgängen und wichtigen Dokumenten zu suchen." Ace' Stimme war sanft aber bestimmt. Er war nun vermutlich der älteste und gleichzeitig ranghöchste in der Gruppe der Überlebenden und übernahm somit automatisch die Aufgabe, wichtige Entscheidungen zu treffen. "Aber wir müssen doch nicht alle mit?", setzte Cade erneut den Versuch an, eine Möglichkeit zu schaffen, durch die wenigstens Faith von der Mission verschont bleiben würde. Ace verstand, worauf der Meisterassassine hinauswollte, doch er schüttelte trotzdem fast schon mitfühlend den Kopf. "Wir brauchen alle. Gerade diejenigen, die wenig verletzt sind. Und Faith ist unverletzt. Falls dort immer noch Templer herumlungern sollten wir wenigstens Leute dabei haben die einem Kampf länger als ein paar Minuten standhalten." Cades Blick wurde kühl, ja fast schon verachtend. Auch wenn er wusste, dass Ace recht hatte, wollte er Faith trotzdem um jeden Preis aus der Situation heraushalten. Das Mädchen, das nun aus der geistigen Versunkenheit wieder zurückgekehrt war ins Hier und Jetzt, sah nachdenklich zwischen den beiden hin und her. Das würde noch in Streit enden. Sie griff nach Cades Hand und drückte diese sanft. "Ist schon okay, Cade. Ich werde das schon überleben." Sie setzte die aufmunterndste Miene auf die sie in diesem Moment zustande bringen konnte. Cade sah ihr kurz mit dem undeutbaren, abwägenden Blick in die Augen, den er so oft benutzte, dann seufzte er jedoch nur und nickte ergeben. "Meinetwegen... Aber mir gefällt der Gedanke trotzdem nicht." Faith grinste leicht, kommentierte das aber nicht sondern sah Ace abwartend an. Der Assassine bedachte sie mit einer dankenden Miene. "Nun gut, dann bis morgen früh, nehme ich mal an?" Faith nickte hastig. Sie spürte schon seit Stunden die bleierne Müdigkeit in ihren Gliedern. Sie brauchte dringend Schlaf. Mit ein paar wenigen, höflichen Worten verabschiedeten sich die beiden und verließen das warme Wohnzimmer. Draußen war es inzwischen völlig dunkel, nur der Schnee glitzerte prachtvoll im kalten Mondlicht. Es schneite immer noch leicht, sodass sich nach und nach die Spuren in der Schneelandschaft wie in Luft auflösten. Aus den Schornsteinen des Hauses drang Qualm. Ace' Haus stellte den letzten Rückzugsort der Assassinen dar. Doch so konnte es nicht für immer bleiben.

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