Spanisches Temperament und an...

By Ansgel97

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Teil 2 der Hohnstein-Reihe Man möchte fast annehmen, auf Hohnstein wäre Ruhe eingekehrt. Nach einem halben Ja... More

Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6

Kapitel 1

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By Ansgel97

Kapitel 1

Mit geschlossenen Augen lehnte ich an der Stallwand neben dem Boxenfenster und ließ die warme Augustsonne auf mich hinab scheinen. Noch immer genoss ich jeden einzigen Sonnenstrahl auf meiner gebräunten Haut und versuchte dieses Gefühl in mich aufzunehmen, um es für regnerische Herbsttage zu speichern. Dass es nicht klappte, stellte ich jedes Jahr wieder fest, sobald die ersten dunklen Wolken den herbstlichen Himmel bedeckten und für ungemütliche Stimmung sorgten. Und doch versuchte ich es jedes Jahr wieder, unermütlich und vielleicht ein wenig kindlich naiv. Dabei war ich 16 Jahre alt, wurde demnächst noch ein Jahr älter und hatte fast den ganzen Sommer wie eine verantwortungsbewusste Erwachsene gejobbt. Ja, richtig gehört. Zusätzlich hatte ich sogar noch etwas Geld verdient, mein eigenes Geld und nicht das, was mein Vater jeden Monat für meine Zukunft anlegte. "Für dein Studium und dein erstes Auto. Du wirst es irgendwann gut gebrauchen können.", sagte er immer, wenn das Gespräch darauf kam. Studium... Darauf kam er jetzt. Ich war doch gerademal in der 11. Klasse, wie sollte ich denn jetzt schon wissen, was ich studieren wollte. Dennoch fragte jeder Erwachsene spätestens ab der 4. Klasse einmal jährlich danach, was man denn werden wollte, wenn man groß war. Als ob das heutzutage so einfach wäre. Ich hatte in der 4. Klasse keine richtige Antwort darauf gehabt und hatte sie auch heute noch nicht. Und damit war ich mit ziemlicher Sicherheit nicht vollkommen allein auf dieser Welt.

Hufgeklapper, das immer näher kam und schließlich nah bei mir verebbte, veranlasste mich dazu, meine Augen zu öffnen. Eine dunkle Pferdenase baumelte dicht vor meinem Gesicht und bließ mir warmen Atem entgegen. Augenblicklich zeichnete sich ein breites Grinsen auf mein Gesicht.

"Will.", gab ich erfreut von mir. Der Engländer lächelte von seinem Pferd auf mich herab.

"Schön, dich wiederzusehen, Isa. Wie waren deine holidays?" Er klopfte Cherno den Hals und schwang sich aus dem Sattel.

"Wunderbar. Fünf Wochen Föhr. Es war der pure Pferdesommer. Und Casi hat unglaubliche Fortschritte gemacht." Beinahe wäre ich ins Schwärmen gekommen und hätte jede Einzelheit erzählt, die ihn aber wahrscheinlich gar nicht wirklich interessierten. Doch ich hielt mich im Zaum. So wunderschön es auch gewesen war. Fünf Wochen auf der grünen Insel in der Nordsee. Fünf Wochen jeden Tag Arbeit mit Pferden. Zwar auch fünf Wochen höllischer Muskelkater, doch das hatte ich gern in Kauf genommen.

Gleich am zweiten Ferientag hatte mein Vater mich nach Föhr gefahren. Lissa hatte Casi und mich vom Hafen abgeholt und dann wurde mein Wallach in seiner reservierten Box neben Griffin einquartiert und ich auf ihrer Schlafcouch. Ihr Fuchs schien sich an seinen braunen Kumpel zu erinnern und hatte ihn freundlich angebrummelt als er vollkommen fertig von der langen Hängerfahrt die Stallgasse entlang getapst war. Schon beim Einladen in den Hänger hatte er ein wenig gestreikt, als wollte er mir mitteilen, dass es so langsam mal gut war mit dem ständigen herumgefahre. Doch zu seinem Glück durfte er nun erst einmal fünf Wochen Urlaub machen, an unzähligen Wettrennen am Strand teilnehmen und die Seele bei gemütlichen Inselritten baumeln lassen.

Ich hatte bei den Gruppenausritten als zweiter Aufpasser mitgeholfen, hatte Boxen gemistet und Pferde geputzt. Mein Lohn war natürlich einerseits eine kleine Finanzspritze, aber auch täglicher Reitunterricht, wenn ich ihn wünschte - aufgrund von Muskelkater hatte mir dann aber meist doch jeder zweite Tag gereicht. Seit dem Vergleichsturnier hatten Castello und ich uns weiter entwickelt. Ich vertraute ihm mehr als je zuvor und er vertraute mir, dass ich nichts von ihm verlangen würde, was er nicht auf bewältigen könnte. Nie hatte ich mich mehr mit einem Pferd verbunden gefühlt. Wir festigten unsere Fähigkeiten in Springen und Dressur, arbeiteten hart dafür, meine Hilfen noch geringer und seine Ausführungen noch schöner zu machen. Jonne Hansen, Lissas Vater, war ein außerordentlich guter Reiter und wohl das beste, was mir hätte passieren können. Zwar war seine Lehrmethode Zuckerbrot und Peitsche, doch das war ich ja bereits von Liam durchaus gewohnt.


"Das ist schön zu hören. Hat Liam denn nun überhaupt noch etwas zu tun oder darf er euch noch ein paar Tipps geben?", entgegnete Will lächelnd und betrachtete Casi, der mittlerweile seine Nase aus dem Boxenfenster streckte und versuchte, den großen Rappen anzustupsen.

"Der hat doch immer was zu meckern.", antwortete ich scherzhaft und zwinkerte ihm zu.

"Wohl wahr." Kurz lachte der Englischlehrer amüsiert auf, dann musste er wohl über sich selbst den Kopf schütteln. "Hast du schon gesehen, dass wir uns wohl nicht mehr im Klassenraum sehen werden?" Nun wirkte er fast etwas betrübt. Ich nickte.

"Aber man wird sich schonmal über den Weg laufen und wenn ich mal wieder Mist baue, komme ich eh zu dir.", grinste ich.

"Ja, und ich darf das dann wieder gerade biegen." Er verdrehte gespielt genervt die Augen, musste dann aber doch lächeln.


"Isa!", schallte es auf einmal über das halbe Internatsgelände. Ich musste mich ersteinmal in alle Richtungen umblicken, ehe ich bemerkte, dass es vom Rücken des auf uns zu trabenden Friesen kam. Knapp vor uns kam er zum stehen, das blonde Etwas sprang ab und schmiss sich mir um den Hals.

"Hab dich auch vermisst, Liz.", japste ich in der Umarmung und drückte sie von mir, als ich tatsächlich kaum noch Luft bekam.

"Oh. Mein. Gott. Wir haben uns so lange nicht gesehen. Und du hast nichtmal 'ne blöde Postkarte von deiner Insel geschickt. Ich war vollkommen abgeschnitten von der Zivilisation und wurde von meinen englischen Cousins belagert - drei ganze Wochen lang. Wir müssen uns so viel erzählen. Am besten gehen wir morgen ausreiten.", sprudelte es nur so aus ihr heraus, während sie wie ein Honigkuchenpferd strahlte. Immer noch etwas überrumpelt nickte ich, sah kurz hilfesuchend zu Will, der aber nur amüsiert grinste und seinen Rappen tätschelte, die neugierig La Bamba beäugte.

"Alles klar. Dann gehen wir morgen Nachmittag ausreiten. Meinst du, du kannst dir das aber noch erlauben? Jetzt, wo du in der zwölften Klasse bist und das Abi schon an die Boxentür klopft?", brachte ich schließlich hervor und spielte mit meinen letzten Worten auf die Abschlussansprache fast aller meiner Lehrer an, die uns erklärt hatten, dass ab nächstem Jahr alles klausurrelevant und wichtig war und wir unbedingt am Ball bleiben mussten - blablabla... Ich sagte mir immer, es hätten auch schon blödere als ich das Abi geschafft. Der Schluss daraus war, dass es wohl so schwer nicht sein konnte.

"Fein, fein. Dann bis morgen. Bamba möchte jetzt in seine Box und schlafen und ich muss noch meine Koffer ausräumen. Fühlt sich fast an, als wäre ich hier wieder neu eingezogen mit dem ganzen Kram." Sie seufzte, lächelte uns beiden nochmal zum Abschied zu und lief dann mit dem hinter ihr her trottenden Friesen in Richtung Stalltür.


"Also Elizabeth scheinen die Ferien ja wirklich neue Energie gegeben zu haben.", kommentierte der Engländer das Gesehene.

"Nein, die ist immer so - nur im Unterricht nicht.", lachte ich und schüttelte grinsend den Kopf. Irgendwie hatte ich Liz auch ein wenig vermisst. Ihre aufgedrehte Art und ihre bloße Anwesendheit machten dieses Internat zu einem besseren Ort. Wie sollte bloß das letzte Jahr komplett ohne sie werden? Ich mochte es mir gar nicht vorstellen.


Nachdem ich mich irgendwann von Will verabschiedet hatte, führte mich mein Weg auch erst einmal in mein Zimmer, wo riesige Koffer darauf warteten, ausgepackt zu werden. Ich musste meine Möbel noch vom Staub befreien und nach dem Abendessen durfte ich auch noch den Karton mit Casis Zubehör in seinen Spind räumen. Unzählige Schabracken, Fliegenhäubchen, Gamaschen, Streichkappen und Bandagen. Valerie hatte leider Gottes ihre Freude daran gefunden, für mich die neue Eskadron-Kollektion zu kaufen. Und davon natürlich alles - von Schabracke über Bandagen bis zum passenden Halfter mit Strick, die Abschwitzdecke nicht zu vergessen. Casi kam sich schon vor wie ein Tussenpferd, aber ich musste leider zugeben, dass die neue Frau meines Vaters tatsächlich Geschmack bewiesen hatte. Ich ertappte mich sogar dabei, sie vielleicht ein ganz klein wenig zu mögen - verdammt!

Als ich die Zimmertür aufschloss und öffnete, ströhmte mir sofort der vertraute Duft dieses Raumes entgegen, den ich jetzt schon ein halbes Jahr bewohnte. Sophie schien noch nicht angekommen zu sein, denn ihr Bett lag noch immer unangetastet da, ihr Schrank war leer. Dagegen standen meine beiden riesigen Koffer einschließlich dem Umzugskarton von Casi mitten im Raum. Seufzend legte ich den ersten Koffer hin und begann damit, den Inhalt in meinen Schrank zu räumen.


Um kurz vor Sechs war ich endlich fertig. Zwei Stunden ausräumen, putzen, aufräumen. Die Koffer hatte ich zu den Staubmäusen unter dem Bett gesteckt. Den Karton erst einmal vors Fußende geschoben. Dann hatte ich mich auf den Weg in den Speisesaal gemacht. Es herrschte bereits reger Betrieb als ich eintrat. Ankömmlinge wurden überschwänglich begrüßt, alle tauschten sich über ihre Ferien aus und plauderten in einer Lautstärke, die tatsächlich ungewöhnlich war für diesen Raum - und es war schon sonst nie besonders leise.

Wieder vollkommen in der Routine angekommen stellte ich mich an der Essenschlange an, entschied mich für das vegetarische Gericht und schnappte mir noch einen Nachtisch und ein O-Saft-Trinkpäckchen. Bevor ich mich überhaupt umsehen musste, rief jemand meinen Namen und winkte mir zu - natürlich Liz. Lächelnd gesellte ich mich zu ihr, Luke und Eva.

"Hi, ihr Drei.", grüßte ich in die Runde.

"Hi, du Eine.", kam es von Luke zurück, der nur frech grinste. Die Finger seiner linken Hand waren mit denen von Eva verschränkt. Sie wirkte noch immer schüchtern, doch je länger sie mit Luke zusammen war, desto aufgeschlossener wurde sie. Und ich hatte das Gefühl, dass wir im nächsten Jahr noch ziemlich viel Zeit miteinander verbringen würden - schließlich waren wir ja auch in einer Klasse.

"Und wie waren eure Ferien?", richtete ich mich an die beiden, die mir gegenüber saßen.

"Ich war mit meinen Eltern im Ostseeurlaub und durfte mir anhören, wie sehr ich mich doch von ihnen entfernt habe. Ich wohne 200 Kilometer weg von ihnen, was erwarten sie denn? Dass ich jeden Tag anrufe und ihnen aus meinem Tagebuch vorlese? Was ein furchtbares Völkchen..." Ich konnte nicht anders als anfangen zu lachen. So wie Luke bei seinem Bericht gestikulierte und sich aufregte, ließ es sich nicht verhindern. Dabei hatte ich beinahe eine Ladung O-Saft über den Tisch verteilt, aber ich hatte es doch noch rechtzeitig schlucken können.

"Das ist gar nicht so sehr zum Lachen. Ich darf mir das schon seit zwei Wochen anhören.", meldete sich Eva kichernd zu Wort. "Da ist er nämlich bei mir zuhause eingefallen, aber meine Eltern habens gut aufgenommen."

"So wie der aussieht wundert mich das aber!" Liz grinste Luke nur herausfordernd an.

"Ey, jetzt werd hier mal nicht persönlich, Missy!", lachte dieser.

"Ich? Niemals!"


Als ich wieder nach oben ging, um Casis Sachen zu holen, musste ich feststellen, dass Sophie noch immer nicht da war. So langsam machte ich mir tatsächlich etwas Sorgen. Sonst war sie doch immer überpünktlich am Tag vor Schulbeginn. Ich zückte mein Handy und schrieb ihr schnell eine Nachricht.

Alles klar bei dir? Wann kommst du?

Nachdenklich schleppte ich den Karton in die Sattelkammer zu meinem Spind. Ich sortierte die neuen Schabracken oben auf den Stapel und die älteren nach unten. Die nutzlose passende Abschwitzdecke verschwand erst einmal in den tiefen meines Schrankes und der Rest kam an seinen vorgesehenen Platz.

Der Karton landete in einem Altpapiercontainer und ich beschloss, es für heute gut sein zu lassen und mich in mein Zimmer und in mein Bett zu bewegen.

Bevor ich mich entgültig schlafen legte, sah ich noch einmal auf mein Handy - keine Antwort von Sophie.

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