Uralte Fassung (1): Twos - Di...

By MaraPaulie

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Achtung: Alte Fassung. Neue ebenfalls auf Account zu lesen. Nicht jedes Märchen beginnt mit »Es war einmal... More

Vorwort
Prolog
Kapitel 1 - Ticket der Freiheit
Kapitel 2 - Home Sweet Home
Kapitel 3 - Die Tallos
Kapitel 4 - Die verrückte Tanja
Kapitel 5 - Tränen aus Eis
Kapitel 6 - Verräter und Bruder
Kapitel 7 - Das Wintermädchen
Kapitel 8 - Die Herrscher der Gezeiten
Kapitel 9 - Grosser, böser Wolf
Kapitel 10 - Vom Märchen in rot
Kapitel 11 - Von Schnee im Haus und Rosen aus Feuer
Kapitel 12 - Erbe der Toten
Kapitel 13 - Von Verrückten und dem Labyrinth
Kapitel 14 - Der Bruder mit dem Schuppenkleid
Kapitel 15 - Des Winters Blut
Kapitel 16 - Der Junge, der mit der Sonne tanzt
Kapitel 17 - Augen ohne Liebe
Kapitel 18 - Die Völker aus den Büchern
Kapitel 19 - Trauriger Mörder, lass mich gehen
Kapitel 20 - Feuerraben
Kapitel 21 - Der Löwe und der Wolf
Kapitel 22 - Der Traum von Familie
Kapitel 23 - Der Pirat und die Prinzessin
Kapitel 24 - Von Barbaren und Märchen aus der Besenkammer
Kapitel 25 - Von toten Jungen und Mädchen aus Licht
Kapitel 26 - Der Lichterlord und die Antwort zum Hass
Kapitel 27 - Rote Raben und Bücher voller Schicksal
Kapitel 28 - Wer lauert in der Dunkelheit?
Kapitel 29 - Von Schläfern und Schlüsseln
Kapitel 31 - Namen von Macht
Kapitel 32 - Zum Lied des irren Geigers der Dämon mit dem Teufel tanzt
Kapitel 33 - Vom Meer zu den Wolken
Kapitel 34 - Geschichten, die ein Vöglein zwitschert
Kapitel 35 - Sturmgläser, tanzende Piraten und Jungen, die vom Himmel fallen
Kapitel 36 - Klyuss' Kinder
Kapitel 37 - Blau wie der Mohn, grün wie die Hoffnung und rot wie Blut
Kapitel 38 - Das Schicksal der Verfluchten
Kapitel 39 - Gejagte der Vergangenheit
Kapitel 40 - Blut fremder Brüder
Kapitel 41 - Spiel der Könige
Kapitel 42 - Es jagt und tanzt der Geistesblitzt
Kapitel 43 - Die Wahrheit wurde von einem Lügner erschaffen
Kapitel 44 - Vom Mörder, der die schwarze Orchidee fand
Kapitel 45 - Von Herrschern mit dem Flammenhass und Helden kleiner Klingen
Kapitel 46 - Wer wir sind und was wir tun
Kapitel 47 - Einmal Monster, immer Monster
Kapitel 48 - Das Versprechen von niemals und immer
Kapitel 49 - Das Wort 'böse'
Kapitel 50 - Der Herzkasper
Kapitel 51 - Freund oder Feind, alt oder neu, beide bleiben ewig treu
Kapitel 52 - Das Gedicht des Todes
Kapitel 53 - Die Reise der Wahrheit und des Sinns hinter allem
Kapitel 54 - Von Geschwisterbanden und letzten Zeilen
Kapitel 55 - Der Tempel der Orakel
Kapitel 56 - Mondkind
Kapitel 57 - Die erste aller Schöpfungen
Kapitel 58 - Vom Intrigieren, Dechiffrieren, Konferieren und fiesen Viren
Kapitel 59 - Glücksjagd und Königsmord
Kapitel 60 - Schattenlicht und Bernsteingold
Kapitel 61 - In der Schwebe
Kapitel 62 - Patron und Paladin
Kapitel 63 - Von Luftschlössern und Monstern unterm Bett
Kapitel 64 - Deine wunderschönen Lügen
Kapitel 65 - Von Namen und Masken
Kapitel 66 - Das blinde Recht
Kapitel 67 - Das blinde Herz
Kapitel 68 - Das blinde Glück
Kapitel 69 - Verfluchtes Kind mit Gold gekürt
Kapitel 70 - Als niemand schlief
Kapitel 71 - Der Gewissenlose
Kapitel 72 - Phönix
Kapitel 73 - Ein Goldstück für deine Gedanken
Kapitel 74 - Kriegsherr Regen
Kapitel 75 - Der Herrscher über alle Macht
Kapitel 76 - Alles ist gut
Kapitel 77 - Die Feinde des Schicksals
Kapitel 78 - Und wenn sie nicht gestorben sind...
Kapitel 79 - Lucky Strike
Kapitel 80 - ...dann leben sie noch heute
Epilog
Authornotes
Charakterverzeichnis
Illustrationen

Kapitel 30 - Geheimnis ohne Zeit

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By MaraPaulie

Kapitel 30

Geheimnis ohne Zeit


~Mile~

»Drei Tage wühlen wir jetzt schon in diesem Gemäuer. Ich habe beinahe zwanzig Bücher durchgelesen! So viele hab ich in meinem ganzen Leben noch nicht einmal in der Hand gehabt!«, brüllte Grumpy und trat in einen Stapel Bücher, der polternd umkippte und eine Staubwolke aufwirbelte.
Mile stand von seinem unbequemen Stuhl auf. Sein Körper fühlte sich ganz steif an. Er lief zu dem missgelaunten Zwerg und begann die Bücher wieder aufzustapeln, die Grumpy umgestossen hatte.
»Musst du denn gleich die Bibliothek verwüsten? Die Bücher haben dir nichts getan.«
Der Zwerg schnaubte. »Ich hätte mich nicht bereit erklären sollen, dir zu helfen. Nichts für Ungut mein Lichterlord.«
Mile verstand den Zwerg ja. Ihm selbst brummte ja auch schon der Schädel vor all den Büchern, doch was er las, war viel zu interessant, als das Mile sich darüber aufregen konnte. Das erste Mal erfuhr er etwas über diese Welt, die Herrscher und der ganze Rest. Das erste Mal verstand er.
Twos war eine Welt, die neben der sterblichen Welt existierte. Während es in der sterblichen Welt keine Magie gab, so strotzte die Märchenwelt nur von ihr. Magie.
Die Welten musste man sich wie zwei Strassen vorstellen. Sie liefen nicht parallel zueinander, was die Zeit beeinflusste. Die sterbliche Welt verlief schnurgerade, während die magische Welt wie eine plattgestampfte Achterbahn aussehen musste. Darum war ein Monat in der sterblichen Welt gleich einem Jahr in der Märchenwelt. Dieses Phänomen wurde „Der Strom der Zeit" genannt. Und diesen Strom der Zeit musste man sich als Fluss vorstellen, der zwischen den Strassen hindurchfloss. Ein Fluss aus Zeit, sozusagen.
Dann gab es da noch die Portale, mit denen man in die anderen Welten gelangte. Ein Portal wie das, durch welches Sabrina und er in diese Welt gelangt waren. Diese Portale tauchten immer im gleichen Takt auf und schlossen sich gleich darauf wieder. Die Portale waren wie Brücken, die über dem Zeit-Fluss aufgebaut wurden, doch überquerte man diese Brücken nicht rechtzeitig, so spülte der Fluss sie hinfort. Doch die Brücken konnte auch nicht jeder überqueren. Nur wer Magie in sich trug, oder damit in Berührung kam, konnte durch die Portale hindurch schreiten. Ohne Magie wurde man vom Strom der Zeit zerrissen.
De Strom der Zeit war vor unzähligen Jahren (unzählige in beiden Welten) gebildet worden. Von vier Herrschern. Vier. Die Urherrscher, wie man sie nannte. Zwei Frauen und zwei Männer. Mehr wusste er über die vier Herrscher nicht. Er wühlte nun schon seit er das erste Mal von den Urherrschern gelesen hatte, in Bücherregalen und Stapeln, fand aber keine weiteren Informationen. Es war zum verrückt werden!
»Wenn du nicht gerne liest, dann lass dich doch bei den Aufräumarbeiten einteilen. Oder bei den Pflegern der Schlafenden! Die brauchen sicher noch Hilfe«, neckte ihn Happy.
Der Doc stöhnte und zischte von seinem Ohrensessel zu ihnen herüber: »Jungs, haltet den Rand! Wir sind hier in einer Bibliothek! Da flüstert man!«
Happy verdrehte die Augen und widmete sich seinem Buch. Den Titel konnte Mile nicht entziffern doch auf dem Buchdeckel war das Bild von einem Auge und einem Pentagramm zu erkennen.
Mile lächelte. Red, die sieben Zwerge und einige anderen Rebellen hatten sich ihm angeschlossen, als er verkündet hatte, Informationen in der Bibliothek zu sammeln. Er selbst hatte die Auslese der Freiwilligen streng beobachtet. Die Arbeit die sie hier verbrachten war äusserst wichtig und streng geheim. Falls ein Lichterlord tatsächlich Fähigkeiten besass, von denen nicht einmal alte Völker wie die Drachen, Zwerge oder Elfen wussten, so durften dieses Wissen auf keinen Fall zu den Dunklen durchdringen. Top Secret also.
Nun huschten um die dreissig ausgelesene Helfer in der alten, verstaubten Bibliothek herum, die alle über dicken Büchern brüteten. Ihr Ziel? Infos über alles zu finden, was den Rebellen helfen könnte, die Dunklen zu besiegen. Infos über Flüche, wie diesen vermaledeiten Dornröschenschlaf. Infos über die Herrscher. Infos über ihn. Mile. Den Lichterlord. Infos über ihn und seine Schwester. Über seine Familie, egal ob schon lange tot oder in der Zukunft.
Bisher waren sie noch nicht wirklich fündig geworden. Hier und da hatte Mile sich ein paar der dicken Wälzer auf die Seite gelegt. Ein Geschichtsbuch, einige Chroniken, Lexikons und andere Sachbücher, aus denen er vielleicht noch mehr über diese Welt lernen konnte. Doch das meiste davon war für die Zwecke der Rebellen von Wert.
Buch um Buch stapelte Mile die am Boden liegenden Bücher wieder zum Turm. Warum musste Grumpy auch immer gleich so ausrasten?
Er legte „Zaubertränke brauen für Amateure" auf „Klingentornado" und „Rührei mit Dracheneiern" auf „Vampir und Mensch - Der Beziehungsratgeber". Er grinste. Das letzte Buch konnte doch nicht wirklich ernst gemeint sein! Twilight Real Life oder was?
Er nahm das Buch in die Hand und sah sich den Einband genauer an. Der Titel prangte in neutraler, weisser Schrift auf dem Deckel. Der Hintergrund war schwarz. Unter dem Titel war ein Vampirgebiss gemalt, das eine rote Rose zwischen die spitzen Beisser geklemmt hatte. Das Buch war richtig dick und das Papier war fleckig-gelb und sehr alt. Eigenartig... Abgesehen vom Einband schien das Schriftwerk älter zu sein als alle Bücher in dieser Bibliothek zusammen! Es roch sogar richtig alt. Modrig und nach Staub.
Mile schlug es auf.
Die Schrift war verschlungen, die Buchstaben mit schwarzer Tinte auf raues Papier geschrieben. Die Anfangsbuchstaben der Kapitel waren golden, hervorgehoben und verziert. Als Mile es durchblätterte stellte er fest, dass man immer wieder Bilder auf die Seiten gezeichnet hatte. Eines der Bilder fing sofort seine Aufmerksamkeit ein, als wäre sein Geist eine Biene, die von den bunten Farben des Blattes angezogen wurde.
Auf dem Bild war ein Baum zu sehen. Wie das Bild eines Kindes, so sah man einen Schnitt durch die Erde. Oben in der Höhe das Dickicht grüner Blätter und unten in der Erde rankten sich die Wurzeln. Über ihm schwebte eine Schildkröte, wie Mile sie schon hinter einem Panzerglas durch klares, blaues Wasser hatte schwimmen sehen. Im Zoo...
Links und rechts von dem Baum standen zwei Personen. Die Person rechts war klein und schmächtig. Und wunderschön. Es war eine Frau. Langes, blondes Haar wurde ihr, von einem Windstoss erfass, aus dem bleichen, feinen Gesicht geweht. Der silberne Kranz um ihren Kopf, konnte das goldene Haar nicht bändigen. Der Körper war in ein weisses Kleid gehüllt, das ebenfalls vom Wind mitgerissen wurde. Sie stand aufrecht da, den Oberkörper dem Betrachter zugewandt. Den Kopf hatte sie nach rechts gedreht. In den Händen hielt sie Pfeil und Bogen, mit denen sie Richtung Bildrand zielte.
Eisprinzessin.
Die Person, die rechts vom Baum stand, war er...
Der Lichterlord war gross. Seine Haare standen ihm wild vom Kopf ab. Auch er trug einen Kranz um den Kopf, doch der war schwarz wie Russ und stand lichterloh in Flammen. Er steckte in einer dicken, schwarzen Lederrüstung, die überall mit goldenen Flammenzungen verziert war. Der Mann stand da, wie die Herrscherin links von ihm. Aufrecht und kampfbereit. Sein Kopf war nach links gedreht. An seinem linken Arm war ein Schild befestigt. Den rechten hielt er in die Höhe, ein Schwert gen Himmel reckend.
Lichterlord.
Verwirrt starrte Mile das Bild an, bis er sie sah.
Die Anderen.
Die anderen Urherrscher.
Dort, wo der Baumstamm sich aufteilte in ein Netz aus Ästen, dort stand eine Frau. Und unten, in der Erde, zwischen dem Chaos aus Wurzeln, war ein Mann vergraben. Mit dem Kopf nach unten...
Die Frau im Baum schien zu schweben. Erst als Mile näher hinsah, erkannte er, dass sie von vielen winzigen Vögeln getragen wurde, die sich an ihr Kleid krallten. Ihre Haut hatte die Farbe von sanftem Karamell und ihr langes, schwarzes Haar fiel ihr in einem kunstvollen, geflochtenen Zopf um die schmale Schulter. Blumen waren in das dunkle Geflecht gesteckt worden. Sie war klein, kleiner als die Eisprinzessin. Auch sie war schlank. Bunter Stoff, der immer wieder mit Gold versetzt war, umschlang ihren Körper. Jetzt erkannte Mile auch, dass es kein Kleid war, was sie trug. Die Frau trug einen Sari, wie die Frauen in Indien. Auch ihre Haltung erinnerte an das Land der sterblichen Welt. Ihre Arme hatte sie in die Höhe gereckt, die Handflächen über dem Kopf aneinander gelegt. Sie sah nach oben, hinauf zu der Schildkröte, die aus unerfindlichen Gründen über dem Baum schwebte. Eine Waffe schien die orientalische Frau nicht zu besitzen.
Wer war diese Frau? Wenn sie eine der Urherrscher war, warum gab es in dieser Zeit nur noch zwei Herrscher?
Da er wohl kaum auf die Antwort der Frage kommen würde, wenn er weiterhin die Inderin anglotzte, wandte er sich dem Mann zu, der in der schwarzen Erde vergraben war.
Um den Mann herum lagen Knochen. Bleich und weiss klemmten sie zwischen den Wurzeln. Der Mann selbst war grösser als die Frau im Baum, jedoch kleiner als der Lichterlord. Seine Haare waren braun und glatt. Sie sahen aus, als hätte der Mann sie sich an den Kopf gegelt, denn sie klebten platt an seinem Kopf. Sein Gesicht war schmal und seine Wangenknochen traten stark heraus. Seine Hautfarbe sah sehr ungesund aus, aschfahl war das richtige Wort. Seine Gesichtszüge hatten etwas brutales, das sah man, obwohl der Mann den Kopf in den Nacken gelegt hatte, als würde er durch die Erde über den Bildrand hinausblicken könnte. Er trug ein schwarzes Hemd, schwarze Hosen und schwarze Stiefel. Dazu kam ein blutroter Umhang, dessen Stoff ihm von seinen Schultern herabhing... oder hinaufstreckte, als wäre die Erdanziehung ein Witz.. Die Gesetze der Schwerkraft schienen hier nicht zu gelten. Was die gruselige Erscheinung des Mannes noch untermalte, war der Totenkopf in seiner linken und die Sense in seiner rechten Hand.
Die vier Urherrscher. Das waren sie also. Er hatte das Buch also gefunden. Das Buch der Bücher.
Er klappte es zu und untersuchte den Einband. Er schien draufgeklebt worden zu sein, denn an einer Ecke löste sich das Papier des Einbands. Mile zog daran um es abzulösen. Stück für Stück wurde das richtige Cover sichtbar.
„Die Herrscher der Gezeiten" von den Gebrüdern Grimm.


~Sabrina~

»Es war in einer kalten Nacht, Wind pfiff über die See. Des Meeres kalte Hand sie brennt, der Sturm bekämpfte sie. Des Piraten grösster Freund und Feind, die Frau, die dunkle See.«
Sie lauschte Hooks leisem Gesang. Ihr Herzschlag wurde ruhiger und ruhiger. Das Feuer knackte und der Pirat sang.
»Ja, Piraten sind es, ohne Herz, Kinder dunkler See. Ein Leben voller Lug und Trug, die Hölle erwartet sie.«
Sie spürte, wie Hook ihr vorsichtig das Haar aus dem Gesicht strich. Beinahe vergass sie, wo sie war, was sie war. Da war kein Krieg, keine fremde Welt, kein Eis. Nur Hooks schöne Stimme in der Nacht.
»Da kommt der Teufel auf das Schiff und winkt dem Seemann zu. Der wendet sich verzweifelt um und sucht im Himmel Ruh. Zu den Sternen will er flüchten, zur Sonne will er fliehen, doch alle Sterne werden bleich, die Sonne will verglühen.«
Das Lied war traurig und schwer. Es passte zu der Lagerfeuer Atmosphäre. Die verlorenen Jungs schliefen bereits alle. Wendy und Mondkind hatten sich unter einer alten Eiche zusammengerollt. Und die Raben machten die Nacht unsicher. Von dem Meisterdieb und Peter fehlte jede Spur. Die beiden schoben gerade Wache. Doch obwohl Sabrina ihren Schlaf bitter nötig hat, bekam sie kein Auge zu. Sie hatte sich so lange auf dem weichen Moos Bett hin und her gerollt, ruhelos und schlaflos, bis Falk zu ihr herübergekommen und sich um sie gekümmert hatte.
»Da öffnet sich die schwarze See und Geister komm in Höh'n. Des Teufels raue Lachen nun in Seemannsohren dröhn. Der tote Pirat wird genommen, keiner hat gefragt, und donnernd schliesst das Meer sich wieder, die Götter haben versagt. So wird es jedem Wesen gehen, der sich ins Piratenleben wagt«, schloss er das Lied ab.
Sabrina schlug die Augen auf und lächelte.
»Brutal das Lied«, flüsterte sie.
Hook grinste. »Aber so ist es«, antwortete er. »Einmal Pirat, immer Pirat. Vergeben wird nicht. Der Preis für dieses Leben ist die Seele. Und der Teufel ist kein Berater. Der Teufel ist selbst ein Pirat. Er kauft deine Seele, reitet mit ihr auf den Wellen, bis dein Geist untergeht. Er trinkt dein Blut und springt dann, betrunken von dem dunkelroten Lebenssaft, über die Rehling um dann durch den schwarzen Ozean zu schwimmen, um von dem nächsten armen Kerl seine Bezahlung einzufordern.«
Sabrina schüttelte den Kopf. »Du glaubst also«, fragte sie, »dass deine Seele dem Teufel gehört?«
Falk zog seine Pistole und begann sie auseinander zu nehmen und sie zu putzen.
»Natürlich ist der Teufel hinter mir her. Ich bin nicht nur Pirat, ich bin ein Captain. Doch der Teufel kann mir nichts.«
»Und wie meinst du das jetzt?«, fragte Sabrina und setzte sich auf.
»Mein Dämon tanzt mit dem Teufel. Und so lange der irre Geiger spielt, ist das Lied, zu dem wir tanzen, noch nicht vorbei.«
»Aha.«
»Wer sagt, dass ein Pirat kein Poet sein kann?«
Sie verdrehte die Augen. Dann liess sie sich wieder in ihr Moosbett fallen und betrachtete den Sternenhimmel. Sie hatte dieses Mal nicht unter einem Baum schlafen wollen. Arillis war unter einem Blätterdach gestorben. Sie bevorzugte den Sternenhimmel. Vieleicht würde Polare, der blaue Mond sie diese Nacht vor schlechten Träumen bewahren. Am liebsten würde sie gar nicht mehr träumen. Nicht gut, nicht schlecht. Und vor allem nicht traumreisen!
»Ich glaube an so was wie Vergebung«, meinte sie nachdem sie einige Zeit ins Feuer gestarrt hatte.
Falk lachte leise. Dann sagte er mit rauer Stimme: »Wer könnte mir vergeben. Es gibt keinen Gott. Auch keine Götter, Sabrina. Es gibt allein den Herrn der Hölle und der macht seinen Job besser, als es jemals ein Gott den seinen tun könnte.«
»Hook, du bist hier. Du bist jetzt kein Verbrecher mehr. Auch wenn du für immer ein Pirat sein wirst, so bist du jetzt mein Pirat!«
Wieder lachte er. »Ich bin jetzt also ein Pirat im Auftrag der Herrscher. Freibeuter im Namen der Eisprinzessin.«
»Ganz genau.«
»Und doch bin ich, wer ich bin. Der Teufel tanzt noch immer. Wenn mein Dämon fällt, wird er mich auffangen. Der Teufel wird mich eines Tages kriegen«, knurrte er und entsicherte die Waffe.
»Gibt es keine Möglichkeit, den Teufel auszutricksen? Wie könntest du deine Seele zurückbekommen?«, fragte sie und suchte nach bekannten Sternbildern an dem neuen Sternenflies. Sie fand keines.
Falk liess sich Zeit mit seiner Antwort. Erst als Sabrina den Kopf hob, um zu sehen, ob er doch schon eingeschlafen war, redete er: »Dem Teufel ist es egal, wessen Seele er bekommt. Nur will er eine haben. Ich müsste ihm die Seele eines anderen bringen. Doch es müsste jemand sein, dessen Herz noch dunkler ist, als das meine.«
»Und wie willst du ihm diese Seele bringen?«
Hook lachte leise und freudlos. Er knurrte düster: »Indem ich töte.«
Sabrina schluckte. »Wieso glaubst du, dass es einen Teufel gibt? Woher willst du wissen, dass er dich mitnimmt, wenn du irgendwann stirbst«, fragte sie vorsichtig.
»Piraten erzählen Geschichten. So manches ist Seemannsgarn, so manches gelogen, so manches sind einfach nur Geschichten. Doch manchmal sind es wahre Geschichten. Jeder Seemann kennt den Tod. Viele haben ihm schon in die Augen gestarrt und sind nur knapp entkommen. Und jeder Pirat hat schon selbst getötet. Es ist einfach so. Und irgendwann wird niemand mehr das Märchen von Peter Pan kennen. Wenn ich in Vergessenheit gerate, dann werde ich sterblich sein. Und dann wird der irre Geiger zu Ende spielen. Der Tanz wird enden und der Teufel meine Seele fressen.«
»Welche Seele wäre deiner ebenbürtig, Hook? Welche würdest du dem Teufel im Tausch anbieten können?«
Hook grinste böse. »Medusa. Kein Herz ist dunkler und schmutziger als der Seeherrin ihres.«
Sabrina nickte. »Wir werden einen Weg finden.«
Hook nickte langsam. Er legte die Waffe neben sich. Als er ihren skeptischen Blick bemerkte meinte er frech grinsend: »Nur für alle Fälle. Jemand muss dich doch schliesslich vor dem Drachenreiter beschützen.« Dann legte auch er sich hin und drehte den Kopf zu ihr.
»Hast du Angst? Angst, dass er wirklich kommen könnte? Arillis war Erils Ein-und-Alles«, fragte sie den Piraten. Doch der lachte nur. »Ich bin ein Pirat. Das Einzige, wovor ich Angst habe, ist, dass die Meeresgöttin Klyuss mich in ihre Arme schliesst, nicht wieder loslässt und das Meer, mich verschlingt. Und dieser Elf erinnert mich zu sehr an ein trotziges Kind, dessen Lieblingsspielzeug kaputt gegangen ist. Dieser Erillion hat niemals genug Mumm in den Knochen, um es mit dir aufzunehmen Sabrina!«
»Danke«, flüsterte sie lächelnd.
Hook lächelte sein schiefes, spöttisches Lächeln und sah sie an.
Sie wünschte sich, die Zeit könnte stehen bleiben, nur diesen einen Moment einfangen.
Auf einmal spürte sie einen heftigen Schmerz in den Schläfen. Sie setzte sich auf und rieb sich die Stirn. Das Stechen verschwand und zurück blieb ein eigenartiges Summen in ihrem Kopf. Während sie so dasass und sich die Schläfen massierte, bemerkte sie auf einmal, wie still es geworden war. Zu still.
Die Grillen waren verstummt, nicht ein Käuzchen liess seinen kläglichen Ruf über den Wald schallen. Selbst das Feuer hatte aufgehört zu knacken.
So blickte sie auf und erstarrte vor Schreck.
Die Flammen, die zuvor fröhlich auf dem Haufen aus Brennholz getanzt hatten, waren erstarrt!
Sabrina wandte sich zu Falk um, doch auch der starrte, wie zu Stein geworden, unbeweglich in den Himmel zu den Sternen auf.
Sabrina stand auf und ging um das Feuer herum zu Mondkind. Doch selbst dieses seltsame Kind, das durch Träume reisen konnte und in Rätseln sprach von Drachen und Herzen und Schlüsseln, selbst Mondkind lag erstarrt im Gras unter der alten Eiche.
Erstarrt.
Als hätte jemand die Zeit gefrieren lassen.
Wie ihr Vater es ihr vorhergesagt hatte...
Nur wie stellte man die Zeit wieder an?
Eine leichte Panikwelle schien sie zu überrollen, doch Sabrina blieb standhaft. Wie ein Fels in der Brandung... Unruhig begann sie vor dem Lagerfeuer auf und ab zu laufen.
Wieso erklärte ihr nie jemand, was es mit ihren Fähigkeiten auf sich hatte? Seit sie die Zeit angehalten hatte, war da dieses Summen in ihrem Kopf... Doch nun wurde es immer leiser, als würde jemand den Lautstärke Regler langsam auf Lautlos drehen...
Im nächsten Moment waren alle Geräusche wieder da. Und sie schienen lauter in Sabrinas Ohren zu dröhnen als je zuvor.
Die Tiere der Nacht sangen weiter ihr düsteres Lied, die Sterne funkelten wieder, das Feuer tanzte und knackte und Hook rief erschrocken ihren Namen.
»Sabrina! Sabrina! Wie bist du so schnell da hingekommen? Du lagst doch eben noch neben mir!«


~Mile~

Mile lag in dem wunderbarsten Bett, das er jemals gesehen hatte. Nun gut, die Betten im Waisenhaus waren zerschrammt und die Matratzen waren abgenutzt und muffig gewesen. Bei den Tallos waren die Matratzen wiederum sagenhaft weich, doch dieses Bett hier... Wunderbar!
Es war nun sehr dunkel geworden. Ein weiteres Mal lernte er seine Gabe sehr zu schätzen, denn dank seinem Feuer hatte er genug licht, um zu lesen. Die Schrift war kaum zu entziffern, doch Mile gab nicht auf.
Das Buch war genau das, was er gesucht hatte. Es enthielt unglaubliche Informationen.
Vor vielen, vielen, vielen tausend Jahren hatte es vier Herrscher gegeben. Jeder der vier stand für eine Jahreszeit. Frühling für die Glaskaiserin, auch die fliegende Göttin genannt. Sommer für den Lichterlord. Herbst für den Kupferkönig, auch der sterbende König genannt. Und der Winter für die Eisprinzessin.
Jeder der vier Herrscher besass Gaben. Die Glaskaiserin konnte alles zum Leben erwecken, erschaffen und in manchen Fällen auch wiederbeleben. So erwachte unter ihrer Herrschaften das ganze Land wieder zum Leben. Der Lichterlord konnte mit seinem heissen Feuer der Sonne Kraft geben und das Land im Sommer von Kälte und Nässe befreien. Er ist ein Feuerbändiger und mit etwas Übung gelingt ihm das Kontrollieren von Elektrizität. Zudem waren seine Sinne schärfer als gewöhnlich. Ausserdem konnte er Fata Morganen, durch kontrolliertes erhitzen der Luft, erschaffen und damit andere sehen lassen, was er wollte. Der sterbende König war das genaue Gegenteil der Glaskaiserin. Er hatte die Macht, Leben zu nehmen wie er wollte. Er wird oft auch als Sensenmann bezeichnet. Der Kupferkönig hat die Gabe, ruhelose Seelen der Toten zu sehen und hat in manchen Fällen Kontrolle über sie. Der sterbende König ist ein Wesen, das zwischen Leben und Tod steht. Er ist weder tot, noch Lebt er wirklich. Er muss andere Wesen töten, um selbst am Leben zu bleiben. Die Eisprinzessin legt, nachdem der Kupferkönig dem Land die Lebensenergie entzogen hat, eine Decke aus Eis und Schnee über das Land. Sie ist zudem in der Lage, im Reich der Träume zu wandeln. Sie kann in manchen Situationen die Zeit beeinflussen. Und ihre telepathischen Fähigkeiten konnte Fluch oder Gabe sein.
Doch was wirklich irre war, war die Geschichte der Urherrscher.
Zuvor hatten die Herrscher viele Jahre gemeinsam Hand-in-Hand zusammengearbeitet. Doch nach vielen Jahren hatte es die ersten Probleme gegeben. Oft hatten Streitereien die Zusammenarbeit erschwert. Denn all die Macht, die die Herrscher hatten, es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis es einem der Herrscher zu Kopf steigen würde. Und so kam es, das der Kupferkönig von der Macht zerfressen wurde. Er tötete immer mehr, genoss es, dass seine Opfer litten, sich nicht wehren konnten, weil sie schwächer waren. Bald tötete er aus Spass, löschte ganze Dörfer aus, nur um sich bei Laune zu halten.
Darum wendeten sich die anderen Herrscher gegen ihn. Sie tricksten ihn aus und nahmen ihm seine Kräfte und versteckten sie an einem Ort, den er niemals finden könnte. Den Kupferkönig selbst verbannten sie in die Welt der sterblichen. Um ihn zu überwachen, kam die Glaskaiserin mit ihm. Jahre vergingen und die Urherrscher gerieten in Vergesslichkeit. Generation um Generation überlebte das Geschlecht des Lichterlords und der Eisprinzessin.
Bis jetzt. Bis hin zu ihm und seiner Schwester.
Er gähnte. Jetzt, wo er gefunden hatte, wonach er suchte, konnte er sich endlich den anderen Dingen widmen, die noch zu tun waren. Er musste den Wiederaufbau der Stadt unterstützen und zudem weiter den Kampf mit den Dunklen planen. Ausserdem wollte er diese Fata Morgana Sache noch weiter trainieren. Es würden anstrengende Wochen auf ihn zukommen.
Trotz der Müdigkeit versuchte Mile sich weiter auf den Text vor sich zu konzentrieren, doch die Buchstaben verschwammen ihm vor den Augen. Er musste sich nun insgesamt wirklich aufs Ohr hauen!
So liess er seine Flamme sterben, schob "Die Herrscher der Gezeiten" unter sein Kopfkissen, wo auch schon das Prophezeiungsbuch lag. Mile schloss die Augen.


~Sabrina~

Etwas zog ihr an den Haaren. Genervt schlug sie nach dem Störenfried. Ein empörtes Krähen war die Antwort auf ihre Attacke.
»Lass mich schlafen«, maulte sie und wälzte sich auf die andere Seite.
»Prinzessin, aufgewacht!«, knurrte es neben ihr - Es musste Hooks raue, verschlafene Stimme sein. Er schüttelte sie an der Schulter.
Verwirrt machte sie die Augen auf und blinzelte, um den Schlaf aus ihrem Blick zu verscheuchen. Das verschwommene Bild wurde schnell scharf und hektisch rappelte sie sich auf.
»Sie sind da!«, rief der Nachtmahr freudig und hopste auf und ab.
»Hyru«, sprachen vier Elfen, die sich in einer Reihe vor dem Lagerfeuer Aufgestellt hatten. Sie legten die Hand aufs Herz und verbeugten sich.
»Ähmm... Hyru«, erwiderte Sabrina den alten Gruss der Elfen.
Hook hatte sich bereits erhoben und streckte ihr seine Hand hin, um ihr aufzuhelfen. Sie blinzelte ihn dankbar an und ergriff sie. Seine meeresblauen Augen spiegelten den Gefühlsozean wieder, über den nun ein Unwetter tobte. Falk war äusserst nervös. Sicher war er besorgt, ob die Elfen einen Piraten akzeptieren würden.
Sabrina wurde von den Elfen gemustert. Sie musste keinen besonders erhabenen Eindruck machen. Ihre Haare waren leicht zerzaust und Moosfetzten hingen darin. Ausserdem fühlte sie sich dreckig. Um wenigstens das zu ändern tat sie, was sie jeden Morgen zu tun pflegte.
Ihre Haut wurde am ganzen Körper von einer dünnen Schicht Eis überzogen. Dann spannte sie die Muskeln an und das Eis zersprang zu winzigen kleinen Kristallen.
Einer der Elfen gluckste. Sein langer Ohrring, den er am linken Ohr trug klimperte. Sabrina sah ihn böse an. Sofort hörte er auf zu grinsen und nahm wieder die militärische, steife Haltung, wie die anderen Elfen an.
Allesamt trugen sie die gleiche Kleidung. Hellbraune Hemden aus Leinen und dunkelbraune Hosen aus Leder. Jeder trug zudem einen langen, dunkelgrünen Umhang, die eine perfekte Tarnung im Dickicht waren. An den Füssen trugen sie leichte Schnürschuhe aus schwarzem Leder. An einem Gürtel hatten alle einen Köcher hängen, in denen Pfeile und ein Bogen klapperten. Dazu steckten in dem Gürtel viele Messer neben angeknoteten Beutelchen. Hinter ihren spitzen Ohren sah Sabrina den Griff eines Schwertes ragen. Ein Schwert hatte also jeder von ihnen auch noch griffbereit auf den Rücken geschnallt.
Der grösste der Elfen hatte ein ungewöhnlich kantiges Gesicht für einen Elf. Er hatte lange, schwarze Haare, die er zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte. Seine Augen waren grau und kalt.
Neben ihm stand ein sehr kleiner und dürrer Mann. Sein Blick huschte nervös umher. Seine kurzen Haare waren rauchgrau.
Nummer drei war eine Frau. Ihre Haare waren lang, gewellt, kastanienbraun und wild. Einige kürzere Strähnen hingen ihr ins Gesicht, was die Intensivität ihrer Augen nicht weniger stark machte. Ihr Linkes war mintgrün, das Rechte himmelblau. Ihr Gesicht war sehr fein, ihre Haut war oliven. Ihr schlanker Körper war angespannt wie der einer Raubkatze, die zum Sprung bereit ist.
Der letzte der Vier war der mit dem Ohrring. Seine Haare waren kinnlang und dunkelbraun, wie seine Augen. Die Nase war spitz und sein Mund schien die ganze Zeit irgendwie belustigt zu zucken.
Alle Vier hatten sie ein Symbol auf die Brust gestickt. Es sah aus wie ein auf der Spitze stehenden Dreieck. Eine Art Wirbelsturm. Dieses Symbol zeichnete sie als Virid'agrus Soldaten aus. Das Elfen-Militär - Stürmerelfen genannt.
»Es ist eine Ehre, euch kennen zu lernen, Eisprinzessin. Eure Raben haben uns zu euch geführt. Wir haben bereits von den Umständen eurer Reise gehört. Unser herzliches Beileid. Der Verlust jedes Lebens ist eine schreckliche Sache«, meinte der Schwarzhaarige. Er war der Anführer dieser Truppe Stürmerelfen.
Es war, als hätten sich Ranken aus Dornen um ihre Organe gelegt. Bei den Worten des Elfs zogen sich die Ranken zu und Dornen bohrten sich in ihr Fleisch.
So setzte sie, wie schon früher in der sterblichen Welt, eine Maske auf. Eine Maske, die ihre Gefühle verdeckte. Sie nickte und zwang sich, zu sprechen.
»Es ist auch mir eine Ehre, Mitglieder der legendären Stürmerelfen kennen zu lernen. Ihr seid tapfere Krieger, wie ich gehört habe.«
Die Krieger nickten ihr respektvoll zu.
Darauf folgte peinliche Stille.
Eine Hand legte sich sacht auf ihre Schulter. »Sag was!«, zischte ihr Hook zu.
»Und was?«, zischte sie zurück. Hilfesuchend sah sie zu ihm auf. Hook grinste breit.
»Wenn ich dir helfe musst du mich küssen!«
»Du bist unglaublich kindisch, Pirat!«
»Dann halt nicht«, murmelte er Falk und wandte sich schulterzuckend ab.
»Aber wir wollten doch...«
»Du wirst es tun müssen!«
Sie seufzte und verdrehte die Augen. »Du bekommst deinen blöden Kuss!«, zischte sie und starrte ihn aus zusammengekniffenen Augen an. Die Elfen sahen etwas irritiert zu ihnen hinüber.
Hook beugte sich hinab zu ihrem Ohr. Er lachte leise. Sein Atem kitzelte sie an der Wange.
»Gib ihnen Befehle. Das sind Stürmerelfen. Das sind Soldaten. Sie tun was man ihnen sagt, solange man einen höheren Rang hat.«
Beinahe empört drehte sie sich zu ihm um.
»Das ist alles? Echt jetzt? Ich dachte, dass diese Typen selber irgendwelche Befehle haben und mich... beraten sollen, oder so. Du bist so ein... Mistkerl!«
Hook machte ein schmatzendes Knutschgeräusch und lachte in sich hinein.
Nun glotzten die Elfen erst recht. Der Anführer und der Grauhaarige waren ziemlich perplex, der mit dem Ohrring grinste blöd und die Frau war die einzige, die keine Emotion zeigte.
»Okay, ich will so schnell wie möglich raus aus diesem Wald, darum würde ich sagen, ihr Elfen führt uns jetzt. Klaro?«
Noch etwas verwirrt nickten die Elfen und begannen sogleich, den anderen beim Einpacken der Habseligkeiten zu helfen. Na bitte, es ging doch!
Hook grinste sie an und zwinkerte ihr zu. Sie grinste zurück und hakte sich bei ihm ein.
Endlich würden sie vorankommen!


~Mile~

Es war früher morgen, als Mile erwachte. Kalt und nass war sein erwachen. Er streckte sich wie eine Katze und stand auf. Er liess das Feuer über seine Haut kriechen und verbrannte damit jedes bisschen Schmutz und Dreck. Wer brauchte schon eine Dusche, wenn man sich jeden Morgen einfach kurz abfackeln lassen konnte?
Leider gingen dabei auch all seine Klamotten drauf, denn seinem Feuer hielt nun mal weder Wolle noch Leinen ab. Schwarze Asche rieselte auf den Teppichboden.
Er lief zu dem Schreibtisch, auf dessen Arbeitsfläche irgendjemand frische Wäsche gelegt hatte.
Er zog sich an und atmete den Duft der Seife ein, die noch immer an dem Stoff hing. Er roch so viele Dinge, der Duft war so intensiv! Der Duft nach der feinen Seife mit der die Waschfrau den Stoff an ihrem Waschbrett geschrubbt hatte, der Duft nach dem Wald, frisch und grün, durch den der flinke Bach sich geschlängelt hatte...
Mile entspannte sich.
Es war ein gutes Gefühl, mal wieder ein richtiges Dach über dem Kopf zu haben! Das Zeltlager war doch etwas unbequem gewesen...
Sein Zimmer war eines von vielen in dem grossen, alten Steinhaus. Das Steinhaus war Haus des Ex-Bürgermeistes. Mile hatte sich eines der Gästezimmer geschnappt, wie die anderen Monarchen. Auch Red lag irgendwo in diesem Haus. Sie schlief sicher noch...
Mile trat an das Fenster. E legte die Hände auf das Fensterbrett und spürte einen leichten Luftzug, der über seine Finger kroch. Das Fenster war nicht ganz dicht...
Er starrte hinaus auf die Strasse. Es war kaum etwas zu erkennen, so dicht war der Nebel.
Weiss, wie Schnee.
Mile sah sein Spiegelbild in der beschlagenen Scheibe. Das bleiche Gesicht mit den grossen, grünen Augen und dem roten Haar.
Rot wie Blut.
Wieder sah er hinaus auf die Strasse. Wenn er genau hinsah, konnte er durch den Nebel hindurch die Backsteine erkennen. Er erkannte sogar einen Wurm, der sich über den nassen Stein quälte. Er konnte förmlich die Organe in dem langen rosa Körper arbeiten sehen. Kein besonders appetitlicher Anblick morgens auf nüchternem Magen.
Auf einmal drängte sich Schwärze durch den weissen Dampf.
Schwarz.
Schwarz wie Ebenholz.
Reds Wolf Oskar bewegte sich mit der Eleganz eines Hirsches und den kraftvollen Bewegungen eines Löwen.
Oskar. Der Wolf.
Er war das erste Geschöpf, das Mile gesehen hatte, das aus Twos stammte.
Oskar schlich langsam über den Pflasterstein, dann setzte er sich hin und starrte hinauf zu Miles Fenster, als wüsste er genau, dass er beobachtet wurde.
Mile starrte in die goldenen Augen. Sie waren tief und ruhig, wie die von Red. Doch auch ihre Wildheit spiegelte sich in den Wolfsaugen wieder. Gut versteckt, aber sie war da.
Mile wandte sich vom Fenster ab. Er schnappte sich Kayat und klemmte die Lederscheide an seinen Gürtel.
»Sicher ist sicher«, murmelte er.
Er trat vorsichtig aus dem Zimmer. Die Tür fiel lautlos ins Schloss, doch die Dielen knarrten ein wenig. Auf Zehenspitzen schlich er die Wendeltreppe hinab. Er brauchte kein Feuer zu entzünden. Es war hell genug, um sich umsehen zu können. Ausserdem schienen seine Sinne wirklich immer schärfer zu werden. Wenn er sich anstrengte, konnte er hören, wie Drosselbart schnarchte, wie König Löwenherz leise im Schlaf knurrte und wie Dornröschen und ihr Prinz... Uuh... Ääh. Nein. Die waren aber früh dran...
Gequält liess er das übernatürliche Gehör auf Normalfunktion herunterfahren. Durch Wände hören zu können, war cool, aber so viel wollte er nun auch wieder nicht wissen.
Doch auf einmal kitzelte es ihn in der Nase. Ein Geruch.
Katze! Das Wort schoss ihm durch den Kopf.
Mile runzelte die Stirn. Er wollte einen Wolf treffen. Wieso Katze?
»Junger Herrscher, macht ihr einen morgendlichen Spaziergang?«, fragte jemand vor ihm.
Mile sah hinunter zu dem Treppenabsatz. Zwei leuchtende Augen blinzelten ihn an.
»Katmo? Was machst du denn hier?«, fragte er.
Der Kater begann zu schnurren und stütze sich auf seinen Degen.
»Ich bin eine eurer Wachen, Mylord. Ausserdem bin ich ein Kater, und Kater sind, wie ihr sicher wisst, nachtaktive Tiere...«
Mile nickte grinsend. »Natürlich!«, sagte er schnell.
Wenn jemand ihn im Schlaf erstechen wollte, würde den Killer ein Kater bestimmt nicht aufhalten können, egal wie intelligent und kräftig er auch sein mochte. Er war ein Kater.
So eilte Mile die restlichen Stufen hinab und vorbei an dem gestiefelten Kater, um durch den Flur, in den Salon, durch die Eingangshalle und raus in den Morgen zu treten.
Doch die Katze folgte ihm. Er hörte das leise „Tripp-Trapp" der winzigen Pfoten in den Lederstiefeln.
»Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist...«, versuchte er den Kater aufzuhalten. Katmo fauchte entschlossen und wetzte an ihm vorbei durch die Eingangstüre.
»Katmo! Nein!«, zischte Mile. Er folgte ihm auf leisen Sohlen.
Neben der Tür standen hier draussen noch zwei weitere Wachposten. Zwei Menschen. Beide schliefen. Neben ihnen lagen einige leere Flaschen. Tolle Wächter...
»Kater! Verdammt!«, doch es half nichts. Natürlich entdeckte der Kater den schwarzen Wolf sofort. Katmos Haare stellten sich auf, als hätte er in eine Steckdose gelangt. Fauchend stand er da, aufgeplustert wie ein behaarter Kugelfisch, den Degen über den Kopf schwenkend. Mile eilte zu ihm, bevor die Katze sich auf den Wolf stürzen konnte. Er erwischte den tollwütigen Kater an seinem Umhang und hielt ihn fest. Katmo klatschte zu Boden.
»Tut mir leid Kater. Das ist nicht unser Feind! Geh zurück ins Haus und bewache... die anderen Monarchen!«, seufzte Mile und schubste den Kater zurück zum Eingang.
»Einen verdammten Teufel tu ich!«, fauchte der Kater. »Ich lasse euch keine Minute allein mit diesem... Monster!«
Mile verdrehte die Augen. Typisch Katze!
»Tu das, Katze. Begleite uns. Aber schweige, Katze! Schweige!«, brummte es sehr tief. Tatsächlich hatte der Wolf gesprochen. Katmo knurrte noch ein garstiges: »Kater du blinde Töle!«, dann hielt er den Rand.
»Entschuldige...«, begann Mile. Dieser Wolf machte ihn irgendwie nervös.
»Katzen«, war die knappe Antwort des Wolfes.
Eine Weile trabten sie stumm nebeneinander her. Die Stadt war so still... Man konnte nur Katmo leise fluchen hören...
Nach einer Weile fragte Mile: »Wieso wolltest du mit mir sprechen Oskar? Ich habe dich noch nie ein Wort sagen hören...«
Der Wolf zog die Lefzen zurück, als würde er lächeln. Zwar wurde dadurch eine beängstigende Reihe spitzer, scharfer Zähne sichtbar, doch Mile gefiel die Interpretation des Lächelns besser...
»Wer sagt, dass ich mit dir reden will? Ich bin nur ein Wolf, der einen Spaziergang durch eine verwunschene Stadt im Nebel macht.«
»Das stimmt nicht«, beharrte Mile. Der Wolf gab ein grollendes Geräusch von sich, als würde er lachen.
»Kluger Kerl. Doch ich will eines klar stellen Mile. Ich war niemals hier. Ich habe niemals mit dir gesprochen. Das gilt auch für die Katze!«, knurrte er und wandte sich beim letzten Satz zu Katmo um, der wütend fauchte, jedoch ansonsten die Klappe hielt.
Mile nickte. In Ordnung.
»Auch Red sollte nichts davon erfahren!«
»Aber...«
»Nein!«, knurrte der Wolf und nun brach auch aus seinen goldenen Augen die Wildheit.
Schnell versicherte ihm Mile, zu schweigen wie ein Grab. Wer widerspricht schon einem Wolf, der so gross war, wie ein Pferd?
Oskar grunzte. Seine Krallen klickten auf den grossen Steinplatten, die nun den Boden bepflasterten.
Sie hatten einen grossen Platz erreicht. So was wie ein Rathausplatz. Nur das das Rathaus selbst eine Strasse weiter stand. Diese Stadt war wirklich eigenartig... Schon alleine dieser Platz! Gross und rund. Umgeben von riesigen Häusern, höher als er durch den Nebel sehen konnte. Der Marktplatz, wo auch die Bibliothek stand, war eher am Rande der Stadt gewesen. Dort waren die Häuser sechs bis zwölf Meter hoch gewesen, doch hier in der Stadtmitte glaubte man im New York des Mittelalters zu sein.
»Hier zu leben muss anstrengend sein. Hier sieht man kaum die Sonne«, stellte Mile geistesabwesend fest.
»Aramesia hat ihren Namen nicht umsonst«, mischte sich der Kater nun doch ein. »Aram ist der Gott, dessen Tempel ihr zertrümmert habt. Er wird der „Stille Gott" genannt. Der ist eigentlich so was wie ein Schatten, ein Sensenmann. Wer ihm folgt, darf mit Ehre abtreten, wer nicht an ihn glaubt, wird von ihm geholt und leidet einen qualvollen Tod. Er ist böse und muss beschwichtigt werden. Und „Esia" ist Felėen und bedeutet Asche. Es heisst, Aram verteile die Asche der Toten in der Stadt. Darum ist es hier so grau, daher kommen all die Schatten. Und zu einer bestimmten Zeit schenkt der Stille Gott ihnen etwas Leben in Form von dem Sonnenlicht, das in der Mitte des Tages jede Ecke der Stadt erreicht. Aramesia bedeutet also Arams Asche. Die Asche des Stillen Gottes.«
Mile war beeindruckt. Zwar war das ganze ziemlich gruselig, aber wer glaubte schon an alte Götter...
»Toll«, knurrte der Wolf und trabte weiter durch die Nebelsuppe. Katmo zischte herablassend.
»Was ist denn nun so wichtig? Was willst du mir erzählen?«, fragte Mile, um den Faden wieder aufzunehmen.
»Was weisst du über... Red?«, fragte er düster.
»Sie ist eine tapfere, wunderschöne...«
»Erspar mir deine Schwärmerei. Ich will wissen, was du von ihr weisst. Wer ist sie? Was ist sie?«, unterbrach ihn Oskar barsch.
Mile zögerte. »Ich weiss, dass sie Rotkäppchen ist. Aber um ehrlich zu sein, was sie ist, kann ich nicht sagen. Sie ist kein Werwolf oder so was, aber auch kein Mensch. Ihr Vater war ein Werwolf. Er wurde von Jägern getötet, denn sie dachten, er hätte Reds Grossmutter zerfleischt. Mehr hat sie nicht erzählt. Aber ich weiss, dass sie von den Dunklen gefoltert wurde. Und dann konnte sie irgendwie fliehen...«, meinte Mile. Etwas frustriert wurde ihm bewusst, wie wenig das war. Er wusste praktisch nichts von Red und trotzdem war sie nach Sabrina der wohl wichtigste Mensch in seinem Leben geworden...
»Red hat viel durch gemacht. Ich bin hier, um dir zu erklären, wer sie ist. Ich denke, das ist meine Aufgabe. Ich tue das nicht für dich, Lichterlord. Ich tue es für Red.«
Mile blinzelte verwirrt. »Wieso soll das deine Aufgabe sein?«, fragte er skeptisch.
»Red war zu lange allein. Sie braucht jemanden an ihrer Seite, der auf zwei Beinen geht und nicht am ganzen Körper behaart ist. Du musst erfahren, wer sie ist und vor was sie sich so fürchtet. Sie wird sich niemals an jemanden binden können, wenn sie diese Sache nicht endlich überwindet. Du musst ihr helfen und das kannst du nicht, wenn dieses düstere Geheimnis zwischen euch steht!«, murmelte Oskar. Doch noch immer verstand Mile nicht. Er war nicht überzeugt.
»Ich weiss, du und Red seid schon ewig befreundet, aber...«
»Wir sind nicht befreundet«, knurrte der Wolf knapp.
Mile hob eine Augenbraue. »So?«, fragte er überrascht.
»Nein. Wir sind verwandt.«
Mile lachte. Dann sah er den Blick des Wolfes. Todernst. »Wie zur Hölle...?«, platzte es aus ihm heraus.
»Wir sind Hybriden. Ich bin Reds Zwillingsbruder. Unser Vater war ein Werwolf, unsere Mutter ein Mensch. Normalerweise ist das Werwolf-Gen dominanter. Es gibt auch Fälle, wo es auch ganz untergeht und die Kinder rein menschlich sind. Aber es gibt auch Wesen wie mich und Red«, erklärte... Reds... Ja, ihr Bruder.
»Dann seid ihr so was wie Freaks?«, maunzte Katmo.
»Du hast so viel Feingefühl wie ein fliegender Backstein«, seufzte Mile und sah den Kater tadelnd an. Katmo zuckte die schmalen Schulter und nieste.
»Wir sind Fehler der Natur. Eigentlich sollte es uns gar nicht geben. Der Kater hat nicht Unrecht. Wir sind Anomalitäten. Missgeburten«, meinte Oskar.
Mile schüttelte heftig den Kopf. Er konnte sich noch gut erinnern, wie verletzt Red gewesen war, als Rosanna die Barbarentochter sie eine Missgeburt genannt hatte. »Sag das nicht!«, rief er empört.
Der Wolf lachte tief und rau. »Nicht alle Wesen denken wie du, Lichterlord.«
Mile rümpfte die Nase und versuchte, sich einen rassistischen Zentaur vorzustellen. Das ganze klang einfach viel zu sehr nach einer Harry Potter-Parodie.
»Darum macht ihr also ein Geheimnis daraus. Weil ihr sonst... von anderen Wesen gejagt oder verachtet werdet?«, fragte Mile.
Der Wolf war in der Mitte des Platzes stehen geblieben, reckte den grossen Kopf in die Höhe und atmete entspannt die kühle Morgenluft ein.
»Nein, nicht nur darum. Nachdem Red und ich uns den Rebellen angeschlossen hatten, war es viel besser geworden. Wir fanden sogar einige Freunde, so wie die sieben Zwerge. Doch dann kam der Tag, an dem Reds Trupp von den Soldaten der Dunklen überfallen worden war. Sie nahmen sie mit sich und lange Zeit hatte sie niemand gesehen oder etwas von ihr gehört. Sie hat mir bis heute nicht erzählt, was sie mit ihr in diesen Folterkammern angetan haben«, erklärte der Wolf düster.
»Wie ist sie entkommen?«, fragte Mile. Damals als Hänsel und Gretel mit Pinocchio entkommen waren, hatte Red angedeutet, dass niemals jemand aus den Kerkern entkäme, ausser die Dunklen wollen es so.
»Jemand half ihr. Jemand, dem Red nun etwas schuldet.« Etwas Dunkles legte sich über die Augen des Wolfes.
»Sie schuldet ihrem Befreier etwas. Könnte schlimmer sein...«, meinte Mile. »Sie hätte... tausende von Jahren im Koma liegen können!«
Der Wolf schüttelte den Kopf. »Nicht bei ihrem Retter. Eine Schuld bei ihm ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Pakt mit dem Teufel.«
Mile schluckte. Seine Sorge wuchs. »Wer?«, fragte er. »Wer hat den Preis für ihr Leben so hoch gesteckt?«
Der Wolf knurrte düster. »Rumpelstilzchen!«


~Sabrina~

Sie war so aufgeregt, wie ein Kind am ersten Schultag.
Dieser Wald war anders. Die Bäume waren älter und grösser, das Leben pulsierte hier nur so. Virid'agru. Die Heimat der Elfen...
Die Blätter rauschten im Wind. Hatte der Winter diesen wunderschönen Wald jemals kahl werden lassen? Unvorstellbar.
In der Ferne klangen dumpfe Trommelschläge. Stimmen fielen ein und sangen auf Felėen mit, doch Sabrina schaffte es nicht, die nötige Konzentration aufzubringen, um die Worte zu übersetzen.
Wieso sie diese Sprache überhaupt verstand, war ihr ein Rätsel. Anscheinend hatten ihre Eltern manchmal in der Elfensprache geredet. In ihrem Unterbewusstsein verankert war diese Sprache dann in ihr vergraben gewesen. Und nun war sie wieder an die Oberfläche gedrungen.
»Die Elfen haben sich alle am Eingang der Stadt versammelt. Es wird ein grosses Fest geben. Es ist schon beinahe zweihundert Jahre her, seit das letzte Mal ein Herrscher in diesem Wald war«, erklärte ihr Bree, so hiess die Elfe mit den verschiedenfarbigen Augen.
Bree...
Man sprach den Namen nicht wie im Englischen aus, sondern wie er geschrieben wurde.
Ihre Stimme war so wunderschön, wie sie selbst. Klar und hell. Doch sie wirkte sehr hart, als würde sie keine Emotionen besitzen. Ein bisschen erinnerte Bree Sabrina an sich selbst. Sie selbst war vor einem halben Jahr genauso gewesen. Sehr kalt. Sie hatte niemanden - abgesehen von Mile - an sich heran gelassen... Jetzt sah sie Bree und war erschrocken, wie sehr sie sich doch verändert hatte in dieser Zeit.
Schweigend liefen sie weiter. Sie lauschten dem Gesang, der ihre Geister zum Fliegen brachte.
Immer lauter, immer lauter wurden die Trommeln und die Stimmen.
Ab und zu schnappte Sabrina ein Wort, sogar ganze Sätze auf, die sich in ihren Geist brannten.
»Tė samura heltri ljem panzrė, sri ties lore lajantrofėlun tria trakaz lolamėe...«
So verlässt man heiliges Himmelszelt, wo Lords Flammenzunge die Hölle erleuchtet...
»Wovon handelt dieses Lied?«, fragte Sabrina die Elfe leise.
Ein winziges Lächeln huschte über das feine Gesicht.
»Es ist eine alte Elfen-Legende, die auf der Lehre der ältesten Religion Arkans, des Enigmanums beruht. Sie spielt in der Zeit der ersten Herrscher. Damals hat das Volk der Elfen den Lebensbaum gerettet. Er war verbrannt worden, doch mit der Magie des gesamten Elfenvolkes konnte aus der Asche ein neuer Baum wachsen. Der Sprössling soll irgendwo, tief unter der Erde zu einem gewaltigen Baum herangewachsen sein und seine Wurzeln halten die ganze Welt zusammen.
Es heisst, die Weltenschildkröte trüge alle Welten auf ihrem Panzer durch den reissenden Strom der Zeit. Der Weltenbaum wächst auf ihrem Rücken. Seine Wurzeln umschlingen alle Welten und binden sie an den Panzer Tibelias. Sein Stamm soll wie der Zeiger einer Sonnenuhr funktionieren und Tag und Nacht in den Welten bringen. Sein Blätterdach ist dicht und stark und beschützt die Welten in seinen Wurzeln vor dem Strom der Zeit, der die Welten sonst mit sich reissen würde.«
»Was?«, fragte Sabrina etwas erschlagen. Zu viele Informationen!
»Tibelia die Weltenschildkröte, die die Welten auf ihrem Panzer durch den Strom der Zeit transprotiert. Der Weltenbaum, der auf ihrem Rücken wächst, beschützt die Welten. Das ist die Lehre des Enigmanums. Meiner Meinung nach sind das nur alte Geschichten. Früher glaubten alle Elfen an diese Religion. Heute sind es nur noch wenige. Aber zerbrecht Euch nicht den Kopf darüber, Herrscherin. Es ist nichts Besonderes. Nur gewöhnlicher Religions-Humbug...«, winkte Bree ab.
Sabrina zuckte mit den Schultern.
Und dann sah sie die Elfen.
Hoch oben in den Ästen von gigantischen Bäumen, die Stämme hatten, deren Durchmesser die Länge eines Busses betrug.
Dryadre, die Hauptstadt der Elfen.
Eine Stadt in der Höhe.
Eine Stadt in den Bäumen.
Dryadre war eine gewaltige Stadt aus Baumhäusern.


------------------------

Hier ist das 30. Kapitel.

Jubiläum!!! ^^

Endlich hat Sabrina Virid'agru und die Hauptstadt Dryadre erreicht. Die Reise hat sich ein bisschen gezogen, ich weiss xD

Ich habe nun schon oft zu hören bekommen, meine Kapitel seien echt lang. Tut mir leid, aber ich kann nicht anders... Habe ich angefangen, ist das Aufhören schwer ;P

Ich hoffe, das hält euch nicht vom Lesen ab :F

Und bitte kommentiert ein bisschen.^^ Das würde mit so eine Freude machen!

Voten ist natürlich auch erlaubt ;)

Bis zum nächsten Kapitel,

Eure Dreamy

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