Riptide [LESEPROBE]

By NinaLealie

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„Dein heutiges Verhalten war der letzte Tropfen des überlaufenden Fasses. Pack deine Sachen." Als Jassys Vate... More

Riptide als Buch!
Teil 1 der Leseprobe
Teil 2 der Leseprobe
Teil 3 der Leseprobe
Teil 4 der Leseprobe

Teil 5 der Leseprobe

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By NinaLealie


„Hattet ihr eine angenehme Fahrt hierher, Jasmin?", fragte Sofia, die hinter uns lief.

Bevor ich die Chance hatte, auch nur über eine Antwort nachzudenken, drehte Nesim sich schon gespielt empört zu Sofia um und schimpfte sie: „Mensch, hast du etwa schon vergessen, dass sie nicht Jasmin genannt werden will?"

Gegen meinen Willen musste ich grinsen.

„Ups, stimmt ja. Entschuldigung, Jasmin", sagte Sofia, grinste mich frech an und ließ eine Kaugummiblase platzen.

Ich musste ebenfalls schmunzeln und stieß ihr mit dem Ellbogen in die Rippen, woraufhin sie noch mehr lachen musste.

Während wir in den dritten Stock liefen, wollten Nesim und Sofia anfangen, mich mit Informationen über das Internat zu überschütten.

„Also, der Unterricht beginnt um acht Uhr morgens."

Weiter kam Nesim allerdings nicht, denn schon nach diesem ersten Satz fuhr ich müde dazwischen: „Hey, tut mir leid, aber können wir mit der Einführung warten, bis ich eine heiße Dusche hinter mir habe und in trockenen Klamotten stecke?"

„Oh, sorry, das war jetzt wirklich bisschen krass von uns", sagte Sofia entschuldigend, während Nesim vor uns an einer Tür stehen blieb.

Sie zog eine dunkelblaue Plastikkarte heraus, die die Größe einer Kreditkarte hatte, und zog sie durch den Schlitz eines kleinen Gerätes, das neben dem Türschild an der Wand befestigt war. Mit großen Augen beobachtete ich, wie ein kleines grünes Licht kurz an dem Gerät aufblinkte und die Tür sich hörbar entriegelte.

Holla, wo waren wir denn hier gelandet? Sowas kannte ich nur aus Hotels.

Tja, auch Internate sind wohl inzwischen im 21. Jahrhundert angekommen!, wusste meine innere Stimme mal wieder einen äußerst schlauen Kommentar beizutragen.

„Das Türsystem ist abgefahren, oder?", sagte Sofia neben mir grinsend, die meinen Blick wohl genau gesehen hatte. „Jeder schaut so, wenn er das anfangs sieht. Man gewöhnt sich aber schnell daran und eigentlich ist es echt ziemlich cool. Auf den Karten stehen nämlich keine Zimmernummern. Wenn man die Karte also mal verliert, braucht man keine Angst haben, dass jemand in dein Zimmer einbricht. Bei Schlüsseln ist das schon eine andere Sache, schließlich hat jeder seinen individuellen Anhänger dranhängen und so weiter, sodass man da leichter herauskriegt, wessen Schlüssel man hat."

Ich musste Sofia zustimmen. Das System ergab wirklich Sinn.

„Deine Karte liegt auf deinem Schreibtisch, ich habe sie dir schon aus dem Sekretariat geholt. Komm rein, willkommen in unserem Reich!", frohlockte Nesim und ließ sich auf eins der Betten sinken.

Ich blieb bei der Tür stehen und sah mich um.

Der Raum war erstaunlich groß. Gegenüber von der Tür war ein großes Fenster, das auf den hinteren Teil des Internatsgeländes hinausging. Von hier aus konnte man das Fußballfeld, das sich ja neben dem Parkplatz befand, und zwei Beachvolleyballfelder sehen.

Vor dem Fenster standen ein sehr langer Schreibtisch, an dem man locker zu dritt Platz hatte. Rechts und links an den Wänden standen die Betten. Rechts zwei und links eins.

Gott sei Dank keine Schullandheimhochbetten, dachte ich seufzend.

Das Zimmer sah bequem aus. Die Wände waren in einem warmen Beige-Ton gestrichen, die Mädels hatten Lichterketten aufgehängt und Stehlampen aufgestellt, die das Zimmer abends sich in ein gemütliches Licht tauchten.

Links neben mir ging es ins Badezimmer. Ich seufzte abermals auf. Ein eigenes Badezimmer! Eine versiffte Gemeinschaftsdusche war das Letzte, was ich jetzt gebrauchen konnte.

„Das hier ist dein Bett", sagte Sofia und deutete auf das hintere Bett auf der rechten Seite neben Nesims Bett.

Langsam ging ich darauf zu und ließ mich darauf nieder, als ich sofort wieder hochschoss.

„Ich muss aus dem Zeug raus", erinnerte ich mich selbst und schüttelte mich kurz.

„Gut erfasst, Sherlock", lachte Nesim.

Dankend gab ich Nesim ihre Jacke zurück, dann versuchte ich, mich aus meinem Pullover zu schälen, doch irgendwie war ich zu schwach dazu. Der Tag hatte mich bisher ganz schön fertig gemacht – und er hatte ja eigentlich gerade erst begonnen.

„Na, komm, ich helfe dir", sagte Sofia und zog mir das Sweatshirt über den Kopf.

Die Jeans war da schon das größere Problem. Wer schon einmal versucht hat, eine nasse, enge Jeans auszuziehen, wusste, wovon ich sprach. Mit vereinten Kräften schafften wir es dann doch.

Als ich mich aufrichtete und nach meinem Koffer griff, entfuhr Nesim leise: „Oh Gott, du bist ja total abgemagert!"

Sie schlug sich eine Hand vor den Mund und riss die Augen auf.

„Oh Gott, entschuldige bitte, das habe ich so nicht gemeint", sagte sie bedrückt und senkte den Blick.

Ich zog schnell den Reißverschluss meines Koffers auf und griff nach meinem Waschbeutel.

„Handtücher sind im Badezimmer, rechte Tür links unten", informierte mich Sofia.

Ich hatte den schockierten Blick aus ihren braunen Augen gesehen, doch sie hatte sich schneller gefangen als Nesim. Diese saß auf ihrem Bett und tat so, als würde sie ihr Kopfkissen richten.

„Danke", flüsterte ich und lief schnell ins Badezimmer, ohne eine von beiden anzusehen.

Ich zog ein Handtuch aus dem Schrank und stieg in die Dusche. Als ich das heiße Wasser auf meinem Körper spürte, kehrte das Leben in mich zurück. Und damit auch die Tränen.

Ich schloss die Augen, bewegte mich nicht mehr und schaltete meine Gedanken ab. Als meine Haut anfing zu verschrumpeln, machte ich das Wasser aus und trocknete mich ab. Mist, ich hatte vollkommen vergessen, frische Klamotten mitzunehmen, als ich Hals über Kopf ins Badezimmer geflohen war. Im Badezimmerschrank fand ich einen unbenutzten hellgrauen Bademantel – die anderen beiden hinten an den Haken an der Tür, deswegen war dieser sicher für mich gedacht – und tapste barfuß aus dem Badezimmer.

Nesim lag bäuchlings auf ihrem Bett und las ein Buch. Sofia saß am linken Ende des Schreibtisches und schrieb in einem Heft. Als ich aus dem Badezimmer kam, sah sie über die Schulter und lächelte mich aufmunternd an. Ich lächelte zaghaft zurück. Was mussten die beiden wohl über mich denken...

Eigentlich würde ich jetzt sagen, dass mir das egal war. Mir war immer egal, was die Leute von mir hielten.

Doch wie gesagt, ich begann, mich zu verändern. Mir war es alles andere als egal, was diese zwei Mädchen, die ich seit nicht einmal einer Stunde kannte, von mir dachten.

Ich holte Unterwäsche, ein T-Shirt und meine Jogginghose aus meinem Koffer und ging zurück ins Badezimmer.

Vor dem Spiegel atmete ich tief ein und sah mich das erste Mal seit sechs Monaten richtig an.

Ich sah schrecklich aus.

Meine sonst so schönen Haare hingen nass und schlaff hinunter. Mein Gesicht hatte eine unnatürliche Form, so abgemagert war ich, sogar im Gesicht. Meine Wangenknochen standen unnatürlich hervor.

Meine Augen, ihre Augen, die grünbraunen Augen, sahen grau aus. Ihnen fehlte jegliches Leben. Jegliche Lebensfreude, die sich früher darin widergespiegelt hatte. Diese Augen waren eigentlich so lebendig, sie hatten immer gefunkelt. Nun waren sie zwei regengraue ausdruckslose Löcher.

Mein Blick wanderte meinen Hals hinunter. Ich fuhr mit den Fingern über meine Schlüsselbeine. Ich ekelte mich vor mir selbst. Sie standen so weit raus, dass mir schlecht wurde. Mehr tot als lebendig sah ich aus, wenn ich ehrlich war.

Angewidert wandte ich dem Spiegel den Rücken zu, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen, um die Tränen zurückzuhalten.

Nicht weinen, komm schon, Jassy, nicht weinen. Verbissen schluckte ich die Tränen hinunter.

Nachdem ich mich beruhigt hatte, zog ich mich an und föhnte ich mir die Haare. Ich wollte das Badezimmer schon verlassen, doch plötzlich zögerte ich. Mit einem Blick in meinen Waschbeutel, den ich in den Händen hielt, stellte ich ihn wieder auf dem Rand des Waschbeckens ab. In dem kleinen Beutel befand sich meine Schminke, die ich seit einem halben Jahr nicht mehr benutzt hatte. Es hatte Wichtigeres gegeben in meinem Leben, es war schlichtweg zu mühsam, zu anstrengend gewesen, außerdem hatte ich keinen Wert mehr auf mein Aussehen gelegt. Die Schminke störte eh nur, schließlich weinte ich am laufenden Band und ich wollte nicht noch mehr wie ein Zombie aussehen. Was ich ja so schon tat, also musste ich das ja nicht noch durch verlaufene Schminke verstärken.

Entschlossen zog ich am Reißverschluss des Beutels. Ob die Wimperntusche nicht schon eingetrocknet war? Die Frage schoss mir durch den Kopf, während ich den Eyeliner auftrug, dann griff ich nach der Mascara. Nein, sie funktionierte tatsächlich noch. Blinzelnd trat ich einen Schritt zurück und betrachtete mich prüfend im Spiegel. Ja, das konnte man so durchgehen lassen. Ich sah gleich ganz anders aus. Viel... präsenter.

Anwesender.

Lebendiger.

Ich sah mich immer noch an. Plötzlich hörte ich Mamas Stimme in meinem Kopf: „Minnie, was guckst du denn so böse? Du siehst haargenau aus wie ich früher, und so hässlich bin ich jetzt auch nicht!", neckte sie mich. „Lach doch mal! Für mich!"

Ich sah meinem ernsten, traurigen Spiegelbild ins Gesicht und begann langsam und vorsichtig, meine Mundwinkel nach oben zu ziehen. Irgendwann waren sie so weit oben, dass meine Lippen sich teilten und meine geraden, weißen Zähne zum Vorschein kamen. Meine Haut spannte sich über meinen Knochen und es fühlte sich gut an. Ich lächelte das erste Mal seit langer Zeit wieder, ohne dass es gezwungen oder gekünstelt war. Das Lächeln erreichte nun meine Augen. Sie fingen wie früher an, schelmisch zu blitzen.

Ein paar Augenblicke starrte ich mich noch an, dann seufzte ich, runzelte wieder die Stirn und drehte mich zur Tür. Ich lächelte zwar äußerlich nicht mehr, aber innerlich war ein wenig die Sonne in mir aufgegangen.

Als ich wieder unser Zimmer betrat, saß Sofia immer noch am Schreibtisch, aber Nesim hatte sich aufgerichtet und sah mir entgegen.

„Jassy, es tut mir so leid, das war wirklich taktlos von mir", sagte sie zaghaft.

Meinen Waschbeutel schmiss ich auf mein Bett, dann ließ ich mich neben sie aufs Bett plumpsen und antwortete: „Macht nichts, Nesim. Ich bin nicht sauer, wie könnte man auf so ein Engelchen wie dich auch sauer sein?"

Sofia lachte schallend los. „Oho, warte nur ab, bis du den Tiger in der kleinen Nesimski kennenlernst!", rief sie und gesellte sich zu uns auf Nesims Bett.

Nesim strecke Sofia die Zunge heraus. „Hör nicht auf sie", raunte sie mir zu, „sie ist ja nur neidisch auf mein Engeldasein."

Sie klimperte mit den Wimpern und warf Sofia ein Handküsschen zu, das diese auffing und sich mit der Hand auf die Wange drückte und währenddessen selig seufzte.

„Mensch, da wären 90 Prozent der Jungs jetzt neidisch auf mich. Und der Mädels sicher auch."

„Wieso?", fragte Nesim und beäugte Sofia misstrauisch durch zusammengekniffene Augen. Ich sah zwischen ihnen hin und her wie bei einem Tennismatch.

„Weil ich ein Luftküsschen von dir bekommen habe", rief Sofia wieder seufzend aus und ließ sich theatralisch gegen meine Schulter sinken. Sie griff sich mit beiden Händen ans Herz und trällerte: „Wer möchte kein Küsschen von unserer engelsgleichen Schulsprecherin haben?!"

„Du bist doof", lacht Nesim und versuchte, über mich hinweg Sofia einen Klaps auf den Hinterkopf zu verpassen, was ihr aber nicht so ganz gelang.

Ich fühlte mich sofort wohl bei den beiden, sie waren einfach cool und wahnsinnig lieb zu mir, einer komischen, abgemagerten, schweigsamen Fremden.

„Okay, Spaß beiseite, wir müssen uns mal dem Ernst des Lebens widmen", sagte Nesim und fuhr sich mit der Hand durch ihre perfekten pechschwarzen Haare.


*


Sooo, meine Lieben, hier sind wir nun am Ende der Leseprobe angekommen :) Wenn ihr möchtet, könnt ihr die Trilogie (yes, alle drei Bücher) auf Amazon kaufen!


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