Riptide [LESEPROBE]

By NinaLealie

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„Dein heutiges Verhalten war der letzte Tropfen des überlaufenden Fasses. Pack deine Sachen." Als Jassys Vate... More

Riptide als Buch!
Teil 1 der Leseprobe
Teil 2 der Leseprobe
Teil 4 der Leseprobe
Teil 5 der Leseprobe

Teil 3 der Leseprobe

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By NinaLealie


Mit skeptischer Miene und verschränkten Armen beobachtete ich meinen Vater, wie er meinen Koffer im Kofferraum betrachtete.

„Lass uns erst einmal reingehen, deine Sachen holen wir dann später", schlug er vor. Er richtete sich auf, sah den Ausdruck auf meinem Gesicht und erklärte mir seufzend: „Komm, die beißen sicher nicht. Und wenn, dann würdest du ja wohl kaum zögern zurückzubeißen."

Als Antwort warf ich ihm einen giftigen Blick zu und drehte mich dann zur Schule. Oder sollte ich besser zum Schloss sagen?! Als wir um die letzte Kurve gefahren waren und das Internat schon von weitem hatten sehen können, hatte Papa mir eröffnet, dass dieses ultrakrasse Gebäude die Schule war.

„Im Ernst jetzt?", war mein Kommentar gewesen, denn ich musste zugeben, dass das mit Abstand die atemberaubendste Schule war, die ich jemals gesehen hatte. Sie sah aus wie aus einem alten Film entsprungen. Ein kleines Schloss konnte man schon wirklich sagen! Überall ragten kleine Türme hinauf und die Fenster in allen vier Stockwerken waren riesig.

„Kommst du?", riss mich Papas Stimme aus meinem Staunen.

Das Internat selbst hatte mich so sehr eingenommen, dass ich mich noch nicht einmal auf meiner eigenen Augenhöhe umgesehen hatte. Wir hatten auf dem kleinen Parkplatz des Internats geparkt, der sich neben dem Fußballfeld seitlich des Internats befand. Um zum Haupteingang zu kommen, mussten wir nun den Pausenhof überqueren – und es schien genau jetzt gerade Pause zu sein, sodass der Großteil der Schüler hier draußen war.

„Jassy, jetzt komm, es regnet sicher gleich, schau dir die dunklen Wolken an", trieb Papa mich an und war schon auf dem Weg Richtung Eingang, womit er alle Blicke auf sich zog.

Na super.

Ich senkte den Blick auf den Boden und hastete Papa hinterher. Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich mich schnell um, bevor ich wieder auf den feuchten Asphalt starrte. Der Platz war genau so schön wie das Internat. Es gab kleine Beete mit Büschen und Sträuchern an den Seiten des geteerten Platzes. Im Sommer wuchsen hier bestimmt viele bunte Blumen. So ein Mega-Internat hatte sicher seine eigene Gärtner-Armee, die sich um alles kümmerte.

Als wir drinnen angekommen waren, atmete ich erst einmal erleichtert aus. Ich hatte nicht gemerkt, dass ich die Luft vor lauter Aufregung angehalten hatte. Bevor ich mich von dem Schreck, dass mich jeder angestarrt hatte, erholen konnte, hatte Papa schon eine Frau begrüßt, die in der riesigen Eingangshalle schon auf uns wartete.

Das war hundertprozentig die Rektorin. Es war, als hätte sie sich mit einem Parfüm namens ‚Autorität' eingesprüht. Ich sah sie mir genauer an. Sie war groß und schlank mit hellbrauen, hochgesteckten Haaren und außerdem auffallend hübsch. Und wenn ich es mir recht überlegte, sah sie eigentlich sehr nett aus. Sie musste starke Nerven haben, ein Internat zu führen, war bestimmt keine einfache Aufgabe. Vor allem nicht, wenn einem so Problemfälle wie ich untergejubelt wurden.

„Hallo Jasmin, hallo Herr Graf, herzlich Willkommen im Internat Ludenburg! Ich bin Rektorin Schattauer", stellte sie sich lächelnd vor und streckte mir ihre Hand entgegen.

„Hallo", erwiderte ich murmelnd und schüttelte ihr sehr kurz die Hand.

Ich fühlte mich gerade sehr unwohl in meiner Haut. Papa hatte ja sicherlich mit ihr telefoniert und ihr von mir und meinen Aktionen in meiner alten Schule erzählt.

In den letzten anderthalb Tagen hatte ich mich verändert, bemerkte ich jetzt. Ich hatte begonnen, über das letzte halbe Jahr nachzudenken, und hatte wohl realisiert, was für peinlichen Scheiß ich gebaut hatte.

Sei mir nicht böse, aber ich bin froh drüber, dass du das merkst. Und auch stolz auf dich, es wurde endlich mal Zeit, sagte meine innere Stimme sanft.

Papa sah genauso peinlich berührt aus.

Von Scham geplagt starrte ich auf meine Füße. Wie schrecklich es war, dass meinem Vater seine eigene Tochter peinlich war. Vielleicht würde ich Papa irgendwann dafür danken, dass er mich hierher geschleppt hatte, so komisch und falsch es sich gerade im Moment auch anfühlte, hier zu sein.

„In meinem Büro habe ich ein paar Formulare, die Sie beide bitte noch unterschreiben müssten, dann würde ich Sie entlassen", sie lächelte Papa an, „und dir zeige ich dann anschließend das Internat. Ist das in Ordnung?", fragte sie, aber es hörte sich wie eine rein höfliche Frage an, auf die sie keine Antwort erwartete.

Stumm liefen wir ihr in ihr Büro hinterher. Auf dem Weg dorthin sah ich mich um. Das Internat war sehr hell und geschmackvoll eingerichtet, es hatte viele große Fenster und wirkte auch sonst überraschend einladend. Im Büro der Schulleiterin setzten wir unsere Unterschriften auf ein paar Papiere und Papa und die Rektorin redeten noch ein wenig über irgendwelche Sachen, wobei ich abschaltete und lieber das Büro von Frau Schattauer betrachtete, das allerdings nichts Spannendes aufweisen konnte.

Als wir wieder den hellen Gang hinunterliefen, begegneten wir vielen Schülern. Die Pause schien wohl zu Ende sein. Ich senkte wieder den Blick und vermied sämtliche Blickkontakte. Es war so ungewohnt, dass mich die Menschen wieder beachteten. Zu Hause war ich irgendwann zu einem Geist geworden, den niemand mehr ansah, weil ich eh auf nichts mehr reagiert und nur noch vor mich hinvegetiert hatte.

Gewöhn dich schon mal an die Blicke, Schätzchen, du bist jetzt die neue Attraktion des Internats!, kommentierte meine innere Stimme fröhlich.

„So, dann hol du mal deinen Koffer, Jasmin, wir treffen uns in der Eingangshalle in ein paar Minuten, ja?", fragte die Rektorin lächelnd und ich nickte automatisch. „Dann können Sie sich auch noch ganz in Ruhe von Ihrer Tochter verabschieden."

Schweigend folgte ich Papa über den Asphalt des nun ausgestorbenen Hofes zu seinem Auto. Er hievte meinen Koffer aus dem Kofferraum und ließ ihn zwischen uns auf den Boden plumpsen. Sein Blick suchte den meinen, doch ich sah mit gerunzelter Stirn und Tränen in den Augen beiseite.

„Vielleicht sollte ich dir den noch schnell reintragen..."

„Das schaffe ich schon allein", unterbrach ich ihn schroff. Meine Wut und Enttäuschung kochten gerade wieder auf. Wieso fiel es ihm so einfach, mich irgendwo im Nirgendwo in einem anderen Land abzusetzen?

„Minnie, sei nicht sauer auf mich." Es war das erste Mal seit langer, langer Zeit, dass er Mamas Spitznamen für mich benutzte. Als könnte er meinen Gedanken lesen, sagte er: „Ich will nur das Beste für dich. Wenn ich mir nicht zu hundert Prozent sicher wäre, dass das hier das Beste für dich ist, würde ich dich hier niemals allein zurücklassen. Mann, am liebsten würde ich dich wieder einpacken, doch wir müssen einfach irgendwie vorwärts kommen, Schatz." Er sah mich bittend an. „Gib dir Mühe, okay? Nimm das als die Chance, nach der du ein halbes Jahr gesucht hast."

Ich sah ihn an und wusste nicht, was ich antworten sollte.

„Ich versuch's", sagte ich schließlich schlicht.

Ich wollte ihm so viel mehr sagen, aber ich bekam kein Wort heraus.

Ihm schien es wohl genauso zu gehen. Papa öffnete den Mund, schloss ihn wieder, holte Luft, aber schien wohl nicht die richtigen Worte zu finden. Wortlos nahm er mich also einfach in den Arm und drückte mich fest an sich. Ich ließ mich in seiner Umarmung fallen und schloss die Augen. Manchmal war eine Umarmung aussagekräftiger als tausend Worte.

„Es tut mir so leid, Papa", flüsterte ich.

„Ich weiß, Minnie, ich weiß. Ich bin nicht sauer auf dich", murmelte er in meine Haare.

Ich löste mich schniefend von ihm und sagte: „Jetzt fahr endlich, ich halt das nicht länger aus" und lächelte ein wenig.

Papa fuhr mir ein letztes Mal über die Haare und gab mir einen Kuss auf die Stirn.

„Ich hab dich lieb, Papa." Es war nicht mehr als ein Flüstern.

„Ich dich noch mehr. Pass auf dich auf, meine Kleine. Ich will dich nicht auch noch verlieren, jetzt, wo ich dich gerade erst wiederhabe."

Mit diesen Worten stieg er ins Auto und fuhr langsam davon.

Ich wusste nicht, wie lange ich noch so dastand. Die Tränen liefen mir unaufhörlich über die Wangen. Seine Worte hallten wie ein Echo in meinem Kopf wider.

Plötzlich spürte ich weitere Tropfen. Sie trafen mich am ganzen Körper. Unwillkürlich erzitterte ich und sah nach oben. Es fing an, wie aus Kübeln zu gießen, aber ich rührte mich keinen Zentimeter. Ich nahm überhaupt nichts mehr wahr. Stattdessen schloss ich einfach nur die Augen, das Gesicht immer noch Richtung Himmel gerichtet.

Auf einmal spürte ich eine Hand auf meinem Unterarm und hörte eine Stimme, die mich aus meiner Starre riss. Mit einem Ruck drehte ich mich der Person zu und sah in zwei dunkelbraune Augen, die mich förmlich aus meinen klatschnassen Socken hoben.

„Hast du mich gehört?", fragte er und musterte besorgt mein Gesicht.

„Was?", fragte ich lahm und wischte mir automatisch mit der Hand übers Gesicht, weil ich ihn durch den Schleier meiner Tränen und des Regenwassers gar nicht genau sehen konnte.

„Ich habe dich gefragt, was du hier draußen machst", wiederholte er. „Wir sollten reingehen. Ist das dein Koffer?"

Ich nickte stumm, immer noch nicht in der Lage, mich zu bewegen. Der dunkelhaarige Junge nahm meinen Koffer in die Hand und drehte sich wieder zu mir um. Als er in mein Gesicht sah und meinen glasigen Blick richtig deutete, griff er nach meiner Hand und zog mich mit hastigen Schritten zur Eingangstür. Ich stolperte hinter ihm her.

In der Eingangshalle setzte er meinen Koffer ab und schüttelte sich das Wasser aus seinen kurzen dunklen Haaren. Sie hingen ihm ein wenig in die Stirn, aber man konnte seine aufgestylte Frisur noch ansatzweise erkennen. Er sah echt gut aus.

Himmel, Jassy.

Das ist das erste Mal seit sechs Monaten, dass du so etwas denkst, bemerkte meine innere Stimme. Sie klang eindeutig erfreut. Meine Gedanken waren wohl das Zeichen, dass ich langsam und unsicher zurück ins Leben kehrte.

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