Riptide [LESEPROBE]

By NinaLealie

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„Dein heutiges Verhalten war der letzte Tropfen des überlaufenden Fasses. Pack deine Sachen." Als Jassys Vate... More

Riptide als Buch!
Teil 2 der Leseprobe
Teil 3 der Leseprobe
Teil 4 der Leseprobe
Teil 5 der Leseprobe

Teil 1 der Leseprobe

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By NinaLealie


Prüfend sah ich mich im heruntergekommenen Flur der Sporthalle um, doch außer uns war keine Menschenseele weit und breit zu entdecken.

„Jetzt mach schon, Jassy!", hörte ich Andy hinter mir zischen.

Augen verdrehend schob ich mich durch die Tür der Mädchenumkleide. Jedes Mal nervte er mich mit seinen nervösen Kommentaren. Als ob es mich irgendwie interessieren würde, ob mich ein Lehrer erwischte oder nicht. Am Ende würden sie sowieso wissen, dass ich es war.

Und wieder eine dumme Aktion. Du kannst es auch einfach nicht lassen, Jassy, meldete sich meine innere Stimme mal wieder zu Wort. Ich ignorierte sie und beeilte mich, zum Bad der Umkleide zu gelangen. Als ich dort war, vergewisserte ich mich nochmal, ob auch wirklich niemand hier war.

Mit schnellen Schritten ging ich zielstrebig auf die Waschbecken, die unter den angelaufenen Spiegeln in einer Reihe an der Wand hingen, zu und versuchte geflissentlich, mein Spiegelbild zu ignorieren. Ich wollte das Mädchen nicht sehen. Wollte seine großen braungrünen Augen nicht sehen, seine langen dunkelbraunen Haare. Oder die Art, wie es gerade seinen Mund zusammenkniff.

All das würde mir das Herz zerreißen. Ich sah zu sehr aus wie sie.

„Jassy!", riss mich Andys nervöse Stimme von draußen aus meinen Gedanken.

„Bin dabei, chill, Andrew", flüsterte ich zurück. Schnell drehte ich alle Wasserhähne bis zum Anschlag auf und kramte einen klebrigen Lippenstift aus meiner Hosentasche.

FUCK YOU DEMMY!, schrieb ich in Großbuchstaben quer über den mittleren Spiegel.

Zufrieden nahm ich mir ein paar Sekunden, um mein Werk zu betrachten, und konnte mir ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. Fröhlich sprudelten die Wasserhähne vor sich hin und hatten die Waschbecken schon zur Hälfte gefüllt. Das würde eine hübsche Überschwemmung geben, die man erst entdecken würde, wenn es schon zu spät war.

Bevor ich nasse Füße kriegen konnte, machte ich kehrt. Als ich die Umkleide verlassen hatte und auf dem Gang erschien, wo Andy auf mich wartete, schnaufte er unwillkürlich erleichtert.

„Na, Gott sei Dank, ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr heraus!"

Mein Grinsen wurde nun zu einem süffisanten Lächeln, ich stupste ihn mit dem Ellbogen freundschaftlich in die Rippen und ging betont lässig in Richtung Ausgang.

Andy und ich kannten uns seit der fünften Klasse und hatten uns schon immer sehr gut verstanden. Jetzt in der zwölften war das Verhältnis immer noch so, und darüber war ich froh. Andy hatte ich auch meinen englischen Spitznamen zu verdanken, den er mir verpasst hatte, nachdem er seine Sommerferien immer bei seiner Oma in England verbracht hatte. Ich mochte Jassy. Jasmin nannte mich nur noch mein Vater, und eigentlich auch immer nur dann, wenn ich etwas verbrochen hatte oder er sauer war.

Was momentan eigentlich... immer war.

Andy seufzte leicht neben mir. Ihn hatten die letzten paar Minuten mal wieder ziemlich mitgenommen. Er war ein braver Typ, weswegen er jedes Mal fast starb, wenn ich wieder irgendeine Aktion brachte und er für mich Schmieren stehen musste.

Zu Recht. Bei dir kriegt jeder einen Herzkasper, knurrte meine innere Stimme.

Ach, halt doch die Klappe, gab ich zurück und stieß die Turnhallentür auf.

Jetzt musste ich erstmal in die Hölle namens Unterricht zurück.

Als es in der Mathestunde an der Tür klopfte, wachte ich aus meinem Tagtraum auf und sah neugierig wie alle anderen zur Tür. Als sie sich öffnete, kam unsere Rektorin Demmenhof herein. Nach ihrer kurzen Begrüßung fiel ihr strenger Blick sofort auf mich und ich wusste, was mir blühte. Jeder hier im Raum wusste, was mir blühte, denn schließlich war es schon zum wöchentlichen Ritual geworden, dass sie mich aus dem Unterricht holte, nachdem ich wieder irgendeinen absoluten Blödsinn veranstaltet hatte.

„Jasmin, komm bitte mit in mein Büro", sagte sie ernst und ihr Blick durchbohrte mich.

Gelangweilt stand ich auf und meinte sarkastisch: „Mit Vergnügen, Eure Hoheit."

Als ich an ihr vorbeiging, warf ich ihr einen Todesblick zu. Meine innere Stimme stöhnte auf, aber sagte nichts. Wow, sie lernte dazu, was für ein Wunder.

Die Rektorin lief hinter mir auf ihr Büro zu. Ich kam mir vor wie in einer dieser Polizeiserien, da liefen die Verdächtigen auch immer vor den Beamten her. Ungefragt ließ ich mich in ihrem Büro auf einen der Lederstühle vor ihrem Schreibtisch plumpsen. Mein Stammplatz, konnte man schon beinahe behaupten.

Betont gelangweilt kaute ich überdeutlich meinen Kaugummi, nur um der Rektorin noch mehr auf die Palme zu gehen, als ich es eh schon in den letzten sechs Monaten getan hatte.

Kommst du dir eigentlich nicht lächerlich vor?, stieß meine innere Stimme hervor.

Ich ignorierte sie, so wie eigentlich immer. Wenn ich ehrlich war, machte sie mir eh Angst, da ich keine Ahnung hatte, woher sie überhaupt kam oder was sie von mir wollte. Sie war jetzt schon längere Zeit rund um die Uhr anwesend und gab überall ihren Senf dazu. Also versuchte ich, ihr möglichst wenig Beachtung zu schenken.

Die Rektorin ließ sich auf ihren Stuhl auf der anderen Seite des massiven Holzschreibtisches sinken. Seufzend schob sie ihre Brille in ihre dunklen, graumelierten Haare, rieb sich müde über die Stirn und sah mich anschließend traurig an. Das erwischte mich ein wenig kalt, denn diesen Blick kannte ich noch nicht bei ihr.

„Jasmin. Ich weiß nicht mehr weiter. Was möchtest du bezwecken? Was sollen deine Aktionen?"

Ich hatte mit einer Standpauke gerechnet, einem neuen Verweis, einem Anruf bei Papa.

Aber nicht mit diesen Fragen. Ich starrte sie an und sagte nichts.

Sie legte ihre Hände mit den Handrücken nach unten auf den Schreibtisch und fuhr fort: „Jasmin, ich würde dir so gerne helfen. Wir würden dir alle so gerne helfen. Keiner kann auch nur ansatzweise nachvollziehen, was du durchmachst, aber bitte glaub mir, dass niemand dir etwas Böses will. Das, was du seit Monaten machst, ist dich selbst verlieren."

Ihre Worte trafen mich mit voller Wucht. Bevor ich wusste, wie mir geschah, lief eine einsame Träne meine Wange hinab. Stocksteif saß ich da und gab keinen Laut von mir.

Die Rektorin senkte ihren Blick und sagte leise: „Möchtest du nicht etwas sagen? Irgendetwas...?"

Selbst wenn ich gewollt hätte, ich hätte kein Wort herausgebracht. Also sah ich sie nur stumm und ausdruckslos an wie immer, wenn ich hier auf diesem Stuhl saß.

„Ich weiß, dass du eine schwere Zeit durchmachst", fing sie wieder an, aber ich ließ sie nicht weitersprechen.

„Hören Sie auf", wisperte ich tonlos und wischte mir unwirsch mit der Hand über die Wange.

Ich konnte es nicht ertragen, wenn jemand so mit mir sprach. Ich konnte es nicht hören. Das Problem war nämlich, die Leute hatten recht. Ich begann wirklich, mich selbst zu verlieren. Im Moment war mir das scheißegal, doch ich wusste, später würde ich diese Zeit bereuen. Aber wie gesagt, mir war es egal, „später" konnte mich gernhaben und mir mal den Buckel runterrutschen.

„Sind Sie dann fertig? Den Verweis können Sie meinem Vater ja einfach zuschicken", sagte ich unbeeindruckt und stand auf, ohne auf ihre Erlaubnis zu warten.

Als ich bei der Tür angekommen war, hörte ich sie noch etwas sagen.

„Dein Vater wartet draußen vor der Tür auf dich."

Mit der Hand auf der Klinke hielt ich inne. Na super, der Tag wurde ja immer besser.

Ohne mich noch einmal umzudrehen, verließ ich das Büro und versuchte, mich auf Papas Reaktion zu wappnen.

Am Ende des Flures sah ich Papa auf- und ablaufen. Als er mich entdeckte, blieb er erst für eine Sekunde stehen, dann kam er schnurstracks auf mich zu und packte mich am Oberarm. Wortlos zog er mich grob zum Schultor und ich ließ es ebenso ohne Kommentar mit mir geschehen.

Selbst als wir im Auto saßen, hatte er immer noch kein Wort gesagt. Er sah mich nicht einmal richtig an. Scheiße, das machte mir Angst. Normalerweise fing er sofort an Ort und Stelle an zu toben. Er fuhr mich dann an, was mir nur einfallen würde und was ich mir denn überhaupt denken würde. Ich schaltete auf Durchzug und gab keinen Mucks von mir.

So war es bisher jedes Mal gewesen. Als ich die Tischtennisplatten angesprayt hatte, als ich die Vorhänge im ersten Stock bei der Bibliothek zerschnitten hatte, als ich den Sperrmüll auf dem Schulhof angezündet hatte, als ich das Kellerfenster des Zeichensaals eingeschmissen hatte... – ich könnte noch so einige Sachen aufzählen.

Belass es lieber dabei, knurrte meine innere Stimme.

Während der Fahrt beäugte ich ihn unauffällig von der Seite, doch er machte keine Anstalten, mich anzuschauen oder auch nur einen Ton mit mir zu sprechen. Zuhause angekommen stellte mein Vater das Auto vor der Garage ab, stieg aus und ließ mich allein im Wagen sitzen.

Wow. Ungläubig und verwirrt sah ich ihm hinterher, wie er mit stampfenden Schritten in Richtung Haus lief. Mein mulmiges Gefühl in der Magengegend wuchs und wuchs. Etwas war anders dieses Mal. Da hatte ich wohl eine imaginäre Linie übertreten?

In Zeitlupe bewegte ich mich aus dem Auto, griff nach meinem Rucksack, der zu meinen Füßen gestanden hatte, und schlurfte ins Haus. Im Flur blieb ich stehen und lauschte ich nach Papa, doch ich konnte ihn nicht hören.

Langsam ging ich ins Wohnzimmer, wo ich ihn vermutete, und fand ihn dort auf der Couch sitzend. Er hatte das Gesicht in seinen Händen vergraben, sodass ich wohl immer noch keine Standpauke zu hören bekommen würde, mit der ich eigentlich schon gerechnet hatte, seit Frau Demmenhof mich aus der Klasse geholt hatte.

Unschlüssig, was ich tun oder sagen sollte, blieb ich gegenüber von ihm neben dem Sessel von Opa Henri stehen, doch Papa rührte sich nicht. Ich wusste, dass er mich bemerkt hatte, denn man konnte auf unserem Holzboden sämtliche Schritte hören, so leise sie auch waren.

Plötzlich richtete er sich auf und ich zuckte heftig zusammen, als er lauthals sagte: „Was soll das, Jasmin?"

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