Hufspuren im Sand

By Celaenos

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Es ist der erste Sommer von vielen, den Maila nur mit Pferden verbringen möchte. Als sie durch ihren Sieg in... More

1 „Auf diesen Sommer"
2 "Als der Himmel seine Farbe verlor"
3 "Von Reitkühen und Schokoladenseiten"
4 "Der König der Finsternis duscht nicht gerne"
5 "Hab da was gefunden, könnte dir gehören"
6 "ich wünsche einen wundervollen Tag"
7 "Affentanz der Art Pygmäe trifft empfindlichen Fakir"
8 "Monsieur le Flirtheld will dich heiraten"
9 "Hugh Hefners Rating der besonderen Art"
11 "tödlich beleidigte Katze"
12 "Soll ich mich noch ausziehen?"
13 "ich nix können reiten - nicht aufgeben"
14 "Hoffnung, jeden Tag"
15 "irgendwie"
16 "Liebesbriefe, böse Feen und ein St(r)andbild"
17 "Passagier im A380 kurz vorm Fallschirmspringen"
18 "ein Königreich für Eiswürfel für das kleine Monster"
19 "Aufmerksamkeitsspanne einer Amöbe?"
20 "das Äffle und Ihre Arschimenz"
21 "Von Chiquitita, Vermisstenanzeigen und dem cool sein"
22 "How to fessel your husband to the bed für desperate Hausfrauen"
23 "Nacht mit Vampir, zu dämlich um die Hauptschlagader zu treffen"
24 "Sommer, wie er nicht schöner sein kann"
Danksagung
Fortsetzung - „Hufspuren im Herz"

10 "Pfeile für ein kaputtes love is in the air Programm"

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By Celaenos




„Finde sie leider nicht", gesellte sich Valerie zu den beiden. Ihr Shirt glitzerte wie eine Diskokugel, als die Pailletten das Sonnenlicht reflektierten.

„Egal. Ich bezweifle eh, dass du irgendetwas ausgerichtet hättest!", verdrehte Jean die Augen.

Maila lehnte sich neugierig ein bisschen nach vorne, damit sie die kleine Gruppe besser im Blick hatte. Eine Hand zog sie wieder ein Stück  zurück und sie löste Andrés Finger von ihrem Shirt. Nein, sie würde sich schon nicht entdecken lassen.

„Geht sie jetzt mit dir ins Kino?", fragte Simon gerade ziemlich unverblümt.

„Nein, Madame hat mir eine Abfuhr erteilt!", der Franzose klang leicht bitter. Maila grinste, das tat ihr jetzt aber wirklich umso mehr leid, falls es da gerade um sie ginge, wovon sie fast schon ausging.

Andrés grinste sie vergnügt an und schien sich das Lachen zu verkneifen.

„Herrgott, wie dämlich hast du dich denn bitte angestellt? So schwer kann es ja wohl nicht sein, ein ganz normales Mädel nach einem Date zu fragen!", regte sich Valerie auf, „der nächste Victorias Secret Angel ist sie nun wirklich nicht!", sie schob sich ihre Designerbrille in die Haare und funkelte den Franzosen genervt an.

„Du aber noch viel weniger", flüsterte Andrés leise im Baum und Maila hielt sich schnell eine Hand vor den Mund, damit sie nicht in lautstarkes Gelächter ausbrach.

„Kannst du dich jetzt bitte mal zusammennehmen und dafür sorgen, dass du ihr den Kopf verdrehst? Du hast versprochen, dass du das hinbekommst. Sonst-", Valerie keifte vor sich hin und ließ den Satz offen.

„Was kann ich dafür, wenn das so eine Ziege ist? Auf der Party wollte sie auch schon nicht mit mir tanzen!", verteidigte sich Jean.

„Ist mir so etwas von egal. Erledige deinen Job, dann haben wir beide kein Problem. Und wenn sie abgelenkt ist, dann hat sich das reiterlich auch erledigt, denn auffällig darf die Sabotage nicht sein! Vielleicht ist mir die kleine Seeberg ja noch nützlich", Valerie stiefelte davon, nicht ohne ihr Haar über eine Schultre zu werfen.

„Ist mir schnuppe, wie du es anstellst. Bettel, fleh, sing ihr ein Ständchen, aber mach. Sonst will ich nicht in deiner Haut stecken", ergänzte Simon kalt, bevor er seiner Freundin folgte.

Jean fluchte noch ein bisschen, bevor auch er sich, wenn auch in die Gegenrichtung, davon trollte.

„Was zur Hölle fällt denen eigentlich ein?!", regte sich Andrés unter ihr auf.

„Frag sie doch", erwiderte Maila in Gedanken versunken, drückte ihm die Trense, Vorderzeug und Schwamm in die Hand und kletterte katzenartig nach unten.

„Hey", beschwerte er sich von oben, „was soll ich damit?"

Maila bog ihn ignorierend in den Stall ab, holte das kleine Buch aus ihrem Spind und  wählte den Pfad zum Strand.

„Maila!", kam ein weiterer Schrei aus dem Baum, dann rauschte Andrés in einige Äste und Blätter verflochten, abbremsend, wenn er auf Äste stieß, zu Boden. Ein kurzes Lächeln, das nicht einmal ihre Augen erreichte, huschte über ihr Gesicht, bevor sie dem Pfad einfach folgte. So lang er noch so schimpfen konnte, schien es ihm ja nicht allzu schlecht zu gehen, schlussfolgerte sie.

An den großen Stein gelehnt, die Zehen im weichen Sand vergrabend und das Buch auf ihren Knien abstützen, seufzte sie leise. Ihre Reitstiefel hatte sie achtlos neben sich fallen gelassen und für die Schönheit des Strandes hatte sie gerade nicht wirklich viel übrig. Maila fühlte sich verraten, obwohl sie Valerie noch nie über den Weg getraut hatte. Und mit Verrat konnte sie sowieso nicht gut umgehen.

„Maila? Alles okay?", riss sie Andrés aus ihren Gedanken.

„Gehst du wieder, wenn ich ja sage?"

„Nein", erwiderte er trocken, „dann würdest du mich nämlich anlügen, und das mag ich nicht"

„Gehst du, wenn ich nein sage?", startete sie noch einen Versuch.

„Nochmals nein", damit setzte er sich ungerührt neben sie in den Sand, lehnte den Kopf an den warmen Stein und schloss einfach nur die Augen.

Na super. Und wie wurde sie den jetzt wieder los? Vermutlich gar nicht. Jedes Gespräch, das sie führen könnte, wäre ihr zu kompliziert. Es gab so viel, was sie am Boden hielt, so viel, das sie verwundet hatte. Da war ihr es lieber, einfach nichts zu sagen.

Eine ganze Weile saß sie einfach nur an den Stein gelehnt da, versuchte an nichts zu denken und es kam ihr beinahe vor, als würde sie ins Leere schauen. Es war komisch, wie manchmal die Zeit beinahe still stehen konnte, obwohl sich die Erde weiterdrehte.

Manchmal hatte Maila das Gefühl, das die Jahre viel zu schnell vorbei zogen und dabei doch so wenig passierte, was wirklich von Bedeutung war. Wenn Menschen die Geschichten waren, die sie von sich selber erzählen können, was hatte sie dann schon zu berichten? Immer oder fast immer hatte sie nur auf Sicher gesetzt als auf Risiko. Aber gebracht hatte es nichts, verletzt worden war sie trotzdem.

Schweigen änderte auch nichts. Dann konnte sie auch reden.

„Ich wusste über die Jahre hinweg nie sicher, ob jemand wegen mir mit mir befreundet sein wollte, oder wegen meiner Eltern, beziehungsweise der Kontakte, die man sich damit versprochen hat. Das wusste man auszunutzen", Maila seufzte leise.

„Was immer geschehen ist, da kann ich dir leider nicht helfen, außer zuzuhören. Aber Valerie und Simon kommen mir kein zweites Mal davon, darauf kannst du wetten. Abwarten und dann kriegen wir sie irgendwie, verlass dich drauf!",

„Ein zweites Mal?", versuchte sie verzweifelt nach irgendeinem anderen Thema, welches sie ablenken würde.

„Elissas Geschichte. Ist nicht meine zum Erzählen", schüttelte er den Kopf, „aber ich glaube, du brauchst gerade irgendeine Berieselung. Deswegen, Vorschläge wie ich meinen Eltern erklären hätte können, dass ich mich mehr über einen Studienplatz gefreut hätte, als schon wieder über dieses Camp? Und je nachdem, ich warte momentan noch auf Rückmeldung wie es da aussieht, bringe ich ihnen bei, dass ich im Herbst nicht aufm Hof sitzen werde und junge Pferde einreite?"

„Wir können gerne tauschen, was die Eltern angeht", Maila verdrehte die Augen, „meine Mum liegt mir in den Ohren, ich soll was gescheites machen, außer Pferde"

„Was bringt tauschen? Im Prinzip ist es doch das gleiche Problem: Eltern, die meinen sie wissen es besser. Mag ja sein, dass sie mehr Lebenserfahrung haben, aber muss nicht jeder für sich entscheiden? Ich glaube außerdem, dass Eltern genauso Fehler gemacht haben und erst mit der Zeit dazugelernt haben, warum soll das bei uns anders sein?", Andrés streckte sich lang neben ihr aus.

Sie seufzte, „Noch ein anderes Thema? Möglichst belanglos oder so?"

„Ich könnte dir von meinem Handy den Wetterbericht vorlesen? Oder ich lasse dich hier für vielleicht fünfzehn Minuten sitzen, wenn du mir versprichst nichts anzustellen und hole Elissa, wir schwänzen einfach Theorie und Dressur?"

„Hmh", murmelte sie nur. Eleganter, als sie es je geschafft hätte, kam er auf die Beine. Am Handy vor sich hin tippend verschwand er mit langen Schritten in dem Wäldchen, nicht ohne sich noch einmal umzudrehen und ihr ein aufmunterndes Lächeln zu schenken.

Maila versuchte einfach an nichts zu denken.

Als ihr Handy klingelte, war sie schon froh irgendeine Ablenkung gefunden zu haben.

„Hallo, Mailamaus", klang die Stimme ihrer Mum durch den Lautsprecher.

„Hey Mama", erwiderte sie und hatte auf einmal ein bisschen einen Kloß im Hals, weil ihr auffiel, dass sie in solchen Momenten doch ganz gerne Mamanotfallhotline in ihrer Nähe gehabt hätte. Die kannte schließlich die Momente und Launen ihrer Tochter und wann diese einfach nur abgelenkt werden wollte.

Auch jetzt, als sie Maila von deren Oma, ihrem aktuellen Romanprojekt, alten Schulfreunden und irgendeiner Katze erzählte, die ihr Mischlingshund mit seinem Gebell bis in die obersten Baumspitzen getrieben hatte, war sie froh darüber zu hören. Normalerweise hätte sie spätestens nach fünf Minuten auf beiläufige „hmhs" gewechselt, anstatt tatsächlich zuzuhören. Doch jetzt tat die vertraute, liebevolle Stimme einfach nur gut, selbst wenn ihre Mum Maila das Telefonbuch rückwärts vorgelesen hätte.

Ob sie schreiben würde, na ja, wo sie doch sooo viel Freizeit zwischen all dem Training habe, mokierte sich Maila ein bisschen.

„Lebst du zumindest ein bisschen, Mailamaus?", kam jetzt die amüsierte Antwort.

„Ja, tatsächlich. Ich gebe mir zumindest Mühe"

Damit ging ihre Mum wieder dazu über, ihr von allem möglichen zu erzählen. Vage im Gedächtnis blieben ihr der verstauchte Knöchel ihres Vaters, der außerdem jammerte, dass ihm sein Filmbudget gekürzt worden war, die Mitteilung, dass eine ihrer Kindergarten und Grundschulfreundinnen, sich wieder freuen würde, sie zu sehen und dass irgendeine alte Nachbarin den Löffel abgegeben hatte.

Mit einem kurzen Geistesblitz nach dem Telefonat erinnerte sie sich an die Ohrstöpsel, welche sie während dem Reiten noch in der Tasche ihrer Reithose gestört hatten und drehte einfach an ihrem Handy die Musik auf. Kopfhörer rein, Musik an und Welt und Hirn einfach aus. Ab einer gewissen Dezibelzahl überdröhnten Lieder einfach jeden Gedanken.

„Hey Dornröschen", hörte sie jetzt Elissa sagen, die in einer Hand einen von Mailas Kopfhörern hielt, „es ist angerichtet!"

Überrascht setzte sich Maila auf als Elissa ihr noch ihren Helm in die Hand drückte und schaute sich erstmal um. Andrés hatte Capricho, Dorian und Tiramisu am sich geschart, alle drei Pferde gesattelt.

„Ja auf", ruderte Elissa ungeduldig mit den Armen. Noch ein bisschen langsam zog sich Maila ihre Socken und die Stiefel wieder an, als Elissa ihr schon kurzerhand den Helm aufsetzte und wie bei einem kleinen Kind verschloss.

„Muss ich dich auch noch aufs Pferd setzen?", blödelte die blauhaarige dann.

Kopfschüttelnd nahm Maila Andrés ihr Pferd ab, kontrollierte den Sattelgurt und saß dann auf.

„Wie lautet der Plan, Captain?", fragte sie dann.

„Der Plan lautet: Überraschung!", gab Andrés singsangmäßig als Antwort und brach infolge ihres genervten Blickes gleich mal in Gelächter aus.

Wortlos ritt sie an und ließ Tiramisu dem Rappen folgen.

„Auf mich wartet keiner?", kam gleich Elissas Beschwerde von hinten, die geflissentlich ignoriert wurde. Im eiligen Schritt hatte der Fuchs aber schnell aufgeholt und schloss sich an Mailas Seite an.

„So, Maila erzähl mir was von dir. Den Deppen zu deiner Rechten kenn ich leider schon zu gut!", sah Elissa sie auffordernd an. Zu Mailas Rechter kam natürlich sofort Protest, den sie überging und einfach eine Unterhaltung mit Elissa anfing.

„Was willst denn hören? Die Ausweis und Krankenversicherungsnummer weiß ich leider nicht auswendig!"

Elissa lachte leise, „das eher weniger. Keine Ahnung, lass dir was einfallen!"

Na super. Selbstbeschreibungen waren doch dämlich. „Maila, achtzehn, halb Finnland beziehungsweise halb Deutschland, einen Meter fünfundsechzig groß, frag mich nicht wie schwer, sehr unkreativ was Selbstbeschreibungen angeht, nach einer verifizierten Aussage nicht ‚hässlich wie die Nacht'", sie musste kurz kichern, „dieses Jahr Abitur gemacht, keine Ahnung was ich in der Zukunft machen will. Reicht das?"

„Naja, wenn du den übrigen Weg lang schweigen willst, wird sich das ziemlich ziehen!", amüsierte sich Elissa.

„Wir müssen ja nicht gerade über mich reden, hm?", gab Maila zurück.

„Nö. Wir können ganz genüsslich alles durch lästern, was uns einfällt. Gemeinsame Abneigungen sollen Gruppenidentität bilden wie sonst nichts!"

„Jaja, Andrés, Männer sind Klatschweiber und die Steigerung sind Reiter. Ich weiß schon".

„Aber Ellielein, wie kannst du so etwas nur behaupten?", Andrés griff sich theatralisch ergriffen an die Brust.

„Ist das für heute dann schon der zweite Herzinfarkt?", fragte Maila nach, „und was Lästern angeht, da fallen mir so ein paar Kandidaten ein. Fangen wir doch mal irgendwo an. Ihr seid ja schon mal dagewesen: haben Liam und Kathi was miteinander? Ich hab da so ein Gefühl!"

„Tut mir leid, mein love is in the air-Programm ist leider kaputt gegangen, aber ich finde dir bestimmt irgendwo ein paar Pfeile. Und ein paar Leute, die du auch ohne Amorgedanken gerne abschießen darfst!", Andrés verdrehte die Augen, „und wenn wir heute noch ankommen wollen, könnten wir vielleicht mal Antraben!"

Damit trabte er einfach an. Maila und Elissa schauten sich beide kurz an, grinsten, galoppierten beide an und jagten dem Rappen hinterher.

„Kann der alte Herr auch schneller?", rief Elissa noch über ihre Schulter nach hinten, als die braune Stute und der Fuchs jeweils auf einer Seite an dem Rappen vorbeischossen.

Es kam keine Antwort, außer dass das große Pferd rasant beschleunigte und sich mit ein paar vergnügten Bucklern an dem Galopp beteiligte, während Andrés einfach nur schmollte.

Die drei ließen ihre Pferde einfach vor sich hin laufen, der menschenleere Strand vor ihnen lud geradezu dazu ein. Der kühlere Vormittag wurde langsam wärmer und als Maila über ihre Schulter zurück schaute, weil sie gerade in Führung lag, sah sie drei paar Hufspuren im Sand die nebeneinander so gleichmäßig schienen wie die Schienen eines Zuges. Sie konnte nichts gegen das Lächeln machen, das sich auf ihrem Gesicht ausbreitete.

„Parieren wir durch?", rief Elissa halblaut gegen den leichten Wind und das Meeresrauschen an.

Seite an Seite drosselten sie gemächlich das Tempo, bis die drei Pferde schließlich im Schritt den Strand entlanggondelten.

„und wohin geht's jetzt?", startete Maila einen neuen Versuch.

„Du wirst's schon sehen", grinste Elissa sie an, „er wird es mich dir nicht verraten lassen"

„Ganz genau", grinste Andrés selbstzufrieden vor sich hin.

„20 Fragen?", warf Elissa ein, noch bevor Maila eine Chance hatte, sich darüber aufzuregen.

„Okay", willigte sie ein und verkniff sich jeden Kommentar in Andrés Richtung.

„Unter einer Bedingung", kam es von Andrés, „wer eine Frage nicht beantworten will, läuft, bis er auf die nächste eine Antwort gegeben hat. Sonst ist das ja so Mainstream – und wohin wir reiten, zählt nicht."

„Ach du heilige", murrte Elissa, „wenn's sein muss"

„Peinlichster Moment?", fiel es Maila ein, sie hatte Lust auf etwas zum Lachen.

„Dein Ernst?", stöhnte Andrés neben ihr, „na gut.  Ich war vor ein paar Jahren mit ein paar Freunden auf dem Oktoberfest. Wollte mal das typisch deutsche Fest mir anschauen. Wir hatten nach ein paar Bier vor, das Riesenrad zu fahren und waren der Meinung, es auch gefunden zu haben. Hat sich nur ein bisschen komisch nach oben bewegt. Und umso rasanter nach unten. Wir hatten so einen Fallturm erwischt und als wir mal wieder oben waren, alle ziemlich grün, hatte ich das Riesenrad entdeckt, so ziemlich am anderen Ende der Menschenmenge. Das musste ich ja den anderen mitteilen und alle die mit in diesem komischen Gefährt saßen haben lauthals das Lachen angefangen. Um diese Leistung zu toppen, hab ich dann unten irgendeinem Mädel vor die Füße gekotzt."

Elissa neben ihr brach in lautstarkes Gelächter aus und auch Maila musste ein wenig lachen.

„Ich kann mir das einfach so vorstellen", prustete Elissa noch vor sich hin, „aber wirklich peinlich ist das nicht!"

„Na gut", seufzte er, „du kannst auch peinlich haben. War bei Bekannten im Winter mit meinen Eltern eingeladen und deren Kinder kannte ich gut. War dann mit den Kindern irgendwo im Haus ein bisschen trinken, zocken und so, und wollte irgendwann aufs Klo. War aber besetzt. Dringend war's aber. Kurzerhand sockig in den Garten, Haustür hinter mir zugemacht, und natürlich nicht mehr reingekommen. Auf Klopfen hat keiner reagiert. Also um das Haus herum getigert und dann am Wohnzimmerfenster erstmal die Erwachsenen zu Tode erschreckt, die mich sehr verwundert gefragt haben, was ich sockig im Garten mache. Okay, war meinen Eltern vielleicht noch peinlicher als mir", schloss er mit einem frechen Grinsen, „ansonsten, ich steh zu allen schrägen Aktionen, wirklich weltbewegend peinliches fällt mir nicht ein!"

„Mir auch nicht", grübelte Elissa, „eben diese Standardaktionen von wo rauf oder runter gefallen, mal gegen eine Laterne gelaufen, aber so wirklich peinlich? Wie auch immer, nächste Frage. Eure liebste Erinnerung?"

Während Maila überlegte, verließen sie den Strand und bogen auf einen schmalen Pfad, der in den Wald und bergauf führte. Andrés setzte sich an die Tete, und Elissa winkte Maila an sich vorbei. Erst jetzt fiel ihr der Rucksack auf, den er auf dem Rücken hatte und Maila wunderte sich, was er da mit sich herum schleifte.

„Okay, liebste Erinnerung, lass mich mal überlegen", Maila nutzte die Chance, die Andrés da bot, und dachte erst mal selber nach. Langsam wurde der Pfad steiler und Maila entlastete ein bisschen Tiramisus Rücken. Begeistert folgte ihr junges Pferd Andrés Rappen, schaute sich neugierig um und versuchte spielerisch nach ein paar herunterhängenden Ästen zu haschen.

„Da hängt ein Reiter verboten Schild. Das ist ein Fußgängerweg?", stellte Maila dann fest.

„Ich weiß. Ich kann lesen", kam es von vorne.

„Davon bin ich fast ausgegangen, genius", verdrehte sie die Augen, „ich mein, ansonsten wäre das Zeichen ja auch für Analphabeten erkenntlich mit dem rotdurchgestrichen?"

„Ich will eine Antwort auf meine Frage und nicht euer Gestreite mir den restlichen Weg lang anhören. Es scheint euch ja Spaß zu machen, feel free, wenn ich nicht dabei bin", beschwerte sich Elissa hinter Maila.

„Okay okay", lenkte Maila ein, „schönste Erinnerung ist verdammt schwer. Ich hoffe einfach mal, dass in meinem Leben noch viele Momente kommen werden, die es wert sind als liebste oder schönste Erinnerung bezeichnet zu werden, denn momentan ist da keiner, der diesen Superlativ verdient hat. Es sind viele schöne, die einzigartig auf ihre Weise sind, zum Beispiel das Grinsen im Gesicht wenn du erfolgreich aus einem Parcours herausreitest oder die Freiheit wenn du auf einem Segelschiff bist und nur Meer um dich herum hast oder das Gefühl, wenn du nicht reden musst und verstanden wirst. Egal ob mit Menschen oder mit Pferden"

Der schmale Pfad machte eine Kurve und wich einem breiteren, ebenen Waldweg, auf dem sich das Spiel von Licht und Schatten der Bäume deutlich abzeichnete.

„Das ist ein Fußgängerweg!", kam eine herrische Stimme unerwartet von einer Holzbank am Wegesrand, was dazu führte, dass Capricho und Tiramisu erstmal einen erschrockenen Satz zur Seite machten.

„Pferde haben hier nichts verloren und", eine regelrechte Tirade brach über sie herein.

„Teraab", war alles was Andrés in eine Pause zum Luftholen des älteren Herren quetschte, bevor Capricho seinen Hilfen folgte. Mit einem Quietschen und einem Freudenhüpfer folgte auch Tiramisu, verfolgt von Elissas Gelächter über diese Art des Antrabens.

„Manchmal wird Höflichkeit einfach überbewertet, oft aber auch nicht. Aber sonst kommen wir ja heute nicht mehr an!", grummelte Andrés vor ihr.

„Du wirst mir immer noch nicht sagen, wo es hingeht, oder?", startete Maila einen neuen Versuch.

„Nein", lachte er leise, „und für die schönste Erinnerung kann ich mich nur Mailas Worten anschließen. Größter Wunsch? Und warum ist er noch nicht erfüllt?"

„Keine Ahnung. Können wir das nicht auf weniger Denkanstrengende Fragen ausweiten? So Lieblingsfarbe oder so?"

„Das ist langweilig, Ellie – aber wenn das deinem gewünschten Niveau entspricht?"

„Nah. Dann eben denken", seufzte Elissa, „ich glaub, mein größter Wunsch wäre es, wenn ich am Ende dieses Sommers die Lehrstelle kriegen würde. Denn dann hätte ich etwas, das ich wirklich gern machen würde. Maila?"

„Vermutlich das Glück zu haben, in vielen Jahren auf mein Leben zurückblicken können und nicht allzu viel zu bereuen haben. Und während all dieser Jahre jemanden den ich liebe an meiner Seite gehabt zu haben. Und Pferde um mich herum"

Andrés hob die Hand und sie parierten ihre Pferde wieder durch, bevor er vor Mailas Augen ins Gestrüpp abbog.

„Ist das ein Weg?", hielt sie Tiramisu auf dem Waldweg an und wartete erstmal ab.

„Jaahaa", rief er aus den Büschen, „reit da jetzt rein, sonst hol ich euch persönlich ab. Außerdem, ich hab das größte Pferd und bin am größten. Wenn wir da reinpassen, tut ihr das auch!"

Okay, das waren überzeugende Argumente, fand Maila. Aufgeregt schnaubend folgte Tiramisu ihren Hilfen und folgte Capricho auf einen sehr schmalen Steig, der sich in Serpentinen einen Anstieg hochschlängelte. Trittsicher kletterten die drei Pferde nacheinander hoch und Maila hatte das Gefühl, als mache sich Andrés einen Spaß daraus, Äste zurückschnellen zu lassen. Mehr als einmal musste sie einen mit dem Arm abfangen oder sich schnell flach auf den Pferdehals schmeißen, damit sie ihn nicht abbekam.

„Sind gleich da", sagte Andrés von vorne, als sie die letzte Serpentine des Pfades nahmen.

„Sehr gut. Wann sind wir da? Ich hab Hunger! Ich muss aufs Klo! Wann sind wir da?", gab Maila mit weinerlicher Stimme die Klassiker einer Autofahrt mit Kind zum Besten.

„Ich schubs dich gleich vom Pferd, wenn du das fortsetzt!", er stöhnte entnervt.

„Nicht nötig", sie musste lachen, „wenn wir wirklich gleich da sind!"

Er sparte sich jegliche Antwort und verließ auch noch den Pfad, den man schwer als Weg bezeichnen konnte und bog auf einen noch schmaleren Trampelpfad. Zweige wischten jetzt auch noch links und rechts an den Flanken der Pferde entlang, und Maila musste mehr als einmal ihre Knie vor einem nahestehenden Baum retten.

Doch das Gestrüpp lichtete sich schon wieder erheblich und vor ihnen lag eine kleine Wiese, von dichten Büschen umwachsen. Einzelne Bäume standen über sie verteilt und spendeten Schatten. Eine Picknickbank und eine kleine Feuerstelle lagen vorne an der Wiese, von wo die Aussicht auf das Meer unter ihnen gigantisch schien.

Andrés saß ab und zauberte aus seinem Rucksack drei Halfter mit Stricken, die er den beiden Mädchen entgegenhielt. Bis Maila fertig damit war, sich umzuschauen, hatte er Capricho schon an einen Baum gebunden, den Sattelgurt gelockert und den Rappen glücklich grasend stehen lassen.

Sie folgte seinem Beispiel und auch Elissa band ihren Dorian an einen Baum.

Andrés hatte es sich ganz vorne an der Klippe über dem Meer gemütlich gemacht, eine karierte Picknickdecke ausgebreitet und er lag jetzt der Länge nach drauf.

„Mach mal Platz", schob Elissa ihn ungerührt zur Seite.

„Du bist so lieb zu mir!", beschwerte er sich.

„Pack lieber mal mein Mittagessen aus", damit schmiss Elissa ihm noch den zweiten Rucksack, den sie gerade von ihrem Rücken genommen hatte, ihm auf den Bauch und breitete sich auf der Decke aus.

Maila ignorierte seinen Protest und genoss die Aussicht auf das Meer unter ihr.

„Okay, Aufgabenänderung – Elissa packt aus", stand auf einmal Andrés neben ihr, „Komm"

Maila drehte sich zu Elissa um, die in der Tat damit beschäftigt war, den Inhalt der Rucksäcke zu sortieren und die sie jetzt angrinste. Warum auch immer, wunderte sich Maila und folgte dann Andrés auf einen weiteren der vielen Pfade, die es hier zu geben schien. Dieser führte sie steil abwärts, aber direkt am Meer entlang. Maila wunderte sich ein bisschen, was das jetzt werden würde.

„So, wir sind da", erklärte er ihr mit einem vergnügten Grinsen. 

„Wir sind wo?"

„Da wo ich hinwollte", gab er mit einem Schulterzucken zurück. Dann entdeckte sie die zwei Handtücher, die er gerade fallen ließ.

„Was wird das?", fragte sie mit einer ziemlichen Vorahnung.

„Wir gehen baden, du Blitzmerker!", lachend zog er sich die Reitstiefel aus, „und versuch dich nicht herauszureden, ich weiß, dass du einen Bikini anhast und ansonsten – ich hätte dich auch in Unterwäsche versenkt!". Damit zog er sich weiter aus.

„Und wenn  du nicht gleich weiter machst, schmeiß ich dich auch angezogen rein!"

„Sklaventreiber", murrte Maila leise vor sich hin, „und warum ist Elissa nicht dabei?"

„Weil einer auf die Pferde ein Auge haben sollte", er grinste, „und weil sie meinte, ich bekomm sie hier nur einmal herunter"


Skeptisch tappte sie barfuß auf dem Waldboden ein Stück nach vorne, „geht ja noch. Wenn du mir sagst, dass das sicher ist"

„Maila, du überrascht mich immer wieder", er hält mir eine Hand hin, „und ja, es ist sicher". Ein bisschen Adrenalin spürte sie durch ihre Adern rauschen, als sie neben Andrés oben auf der Steilwand, die  an die zehn Meter nach unten ging, stand.

„Drei", seine Finger drückten ihre.

„Zwei", mit einem irren Grinsen drückte sie zurück.

„Eins", sie sah das Funkeln in seinen Augen.

„Spring!".

Es war wie fliegen. Und dann schlug das Meer über ihnen zusammen, Wasser umwirbelte sie und Maila spürte immer noch das Tingelgefühl in ihren Fußsohlen, als sie aufs Wasser aufgekommen war. Leider konnte sie mit dieser Erklärung nicht das Gekribbel in ihrem Bauch rechtfertigen, als sie wieder an die Oberfläche kam und er mit einem verschmitzten Grinsen direkt vor ihr war.

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