Timeless

By Emaayy

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Nachdem Damian und Ever getrennt waren, kam nun endlich raus weshalb er sich von ihr distanziert hatte. Eine... More

Teil 1
Teil 2
Teil 3
Teil 4
Teil 5
Teil 6
Teil 7
Teil 8
Teil 9
Teil 10
Teil 11
Playlist
Teil 13
Teil 14
Teil 15
Teil 16
Teil 17
Teil 18
Teil 19
Teil 20
Teil 21
Teil 22
Epilog
Danksagung
Werde mein nächster Hauptcharakter!
Kurze Anmerkung
SAVE HUNTER

Teil 12

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By Emaayy




                       

Teil 12

Ever

Ich mochte dieses mulmige Gefühl in meinem Magen nicht. Seit ich hier angekommen war, war alles noch viel schlimmer geworden. Ich wäre lieber auf jedem anderen erdenklichen Ort, nur nicht hier. Den ganzenTag im Bett zu sitzen und vor sich hin zu leben machte alles um mich herum nur noch farb- und lebloser.

Zwar waren Tea und Blake und hin und wieder sogar Cole um mich herum und versuchten mich auf andere Gedanken zu bringen, jedoch ging ich nicht so ganz drauf ein. Während Tea und Cole langsam die Hoffnung aufgaben, ließ Blake mir keine Ruhe. Er sorgte dafür, dass mein Leben wieder an Routine gewann, auch wenn dieses sogenannte „Leben" nur in meinem Bett stattfand. Da ich offiziell auch noch von zu Hause aus studierte, ging ich nicht in die Uni, was auch besser so war. Ich hatte keine Lust unter Menschen zu kommen und vorallem nicht Menschen zu begegnen, die ich nicht sehen möchte. Die Wahrscheinlichkeit,dass ich dieses Semester durchfiel, war sehr sehr hoch. Ich hatte die letzten Wochen garnichts für die Uni getan und war auch nicht in der Verfassung irgendwelchen Stoff nachzuholen. Ich würde das Semester wiederholen müssen, aber das war mir ehrlich gesagt auch egal. Meine Gedanken drehten sich um ganz andere Sachen und sicher nicht um meine schulischen Leistungen. Denn wenn Blake und Tea in der Uni waren,telefonierte ich meistens mit Damian, der nie irgendwas positives zu berichten hatte. Ich hatte ihn nicht gesehen, seit er mich hier abgesetzt hatte und er fehlte mir schrecklich. Immer wenn ich auf Nando zu sprechen kommen wollte, dachte ich zweimal darüber nach was ich sagte. Ich hatte furchtbare Panik Damian mit meinen Worten zu verletzten und ehrlich gesagt viel es mir selbst schwer darüber zu sprechen.

Manchmal wenn ich träumte sah ich Nando. Wie er backte und im Hintergrund König der Löwen spielte. Seine braunen Augen die strahlten vor Lebensfreude. Sein zuckersüßes Lachen, das den kompletten Raum einnahm. Ich war froh, dass ich ihn so in Erinnerung hatte. Gesund und Lebensfroh. Einerseits erinnerte es mich nur daran, dass es nie wieder so sein wird. Und ich dachte nur noch an das was nie wieder sein wird. Und an das was sein wird, wenn alles vorbei ist. Ich hatte Angst, denn diese Ungewissheit plagte mich und treibt mich in den Wahnsinn.

Zu Blake's Versuch mich wieder ins normale Leben zu integrieren, gehörte es jeden Tag um Punkt 14:30 Uhr anzuklopfen. Ich raffte mich auf und trottete zur Tür rüber. Er trug eine verwaschene Jeanshosen, die ihm bis zu den Knien gingen und ein blaues T-Shirt mit einem weißen Hollister Logo drauf. Wie immer hatte er eine Tüte in der Hand, in der sich unsere Frozen Jogurts befanden. Ohne etwas zu sagen schritt er hinein und setzte sich auf mein Bett.

„Mein Gott, es ist schrecklich heiß draußen. Ich habe das Gefühl in meinem eigenen Schweiß zu ertrinken." stöhnte mein bester Freund und wedelte sich mit seinen Händen Luft zu.

„Das ist irgendwie eine verstörende Vorstellung." erwiderte ich, worauf er grinste.

„Sei froh, dass ich mit einem Frozen Jogurt vorbei komme und dich hiernicht vertrocknen lasse."

Er hatte recht. Würde Blake nicht jeden Tag vorbei kommen, würde ich wahrscheinlich garnichts zu mir nehmen. Eine blöde Angewohnheit von mir, wenn mich Sachen bedrückten: Ich aß nichts.

Er reichte mir meinen Becher und als ich die erfrischende Speise zu mir nahm, bemerkte ich wie trocken mein Hals eigentlich die ganze Zeit gewesen war. Mittlerweile wusste er ganz genau welche Toppings ich bevorzugte. Erdbeeren, Brownies und weiße Schokolade.

„Wie läuft die Prüfungsvorbereitung?" fragte ich und löffelte eine große Menge des Jogurts in meinen Mund.

„Ganz okay." Er zuckte mit den Schultern. Blake stach mit dem Löffel in seinem Becher herum und seufzte auf.

„Blake, ist alles in Ordnung?" fragte ich und drehte meinen Kopf so, dass ich ihn ansehen konnte. Seine braunen Augen blickten direkt in meine und ich erkannte sofort, dass ihn etwas bedrückte. Es ist allein die Luft hier drinnen, die verriet, dass etwas nicht stimmte. Sonst fing Blake sofort an zu erzählen und gestikuliert dabei wild rum. Heute jedoch war er ruhig und in sich gekehrt.

„Es ist wegen...du weißt schon."

Ich formte meine Lippen zu einem O. Er meinte seinen Freund, aber ich würde seinen Namen lieber nicht erwähnen. Ich wusste ganz genau wie es schmerzen konnte, wenn der Name einer bestimmten Person fällt.

„Was ist denn passiert?"

Eine gute Eigenschaft an Blake war, dass er so gern sprach, dass er selbst über seine Probleme offen redete. Ich musste ihn also zu nichts drängen, was ihm schwer fiel zu erzählen.

„Er hat gesagt er benötigt eine Pause, weil er sich nicht sicher über seine Gefühle ist." sagte Blake leise und spielte mit dem Saum seines T-Shirts herum. Ich legte ihn eine Hand auf die Schulter und sah ihn aufmunternd an.

„Vielleicht braucht er im Moment nur Zeit um nachzudenken. Die brauchen wir alle mal."

Blake rutschte unruhig auf der Matratze herum und sah frustriert drein.

„Ja,aber weißt du wie ich mich dabei fühle? Ich meine welcher Mensch macht heutzutage eine „Beziehungspause"?"

„War vielleicht in letzter Zeit irgendetwas anders zwischen euch?"

Gerade als Blake zum Wort ansetzte, flog die Zimmertür auf. Tea und Cole stolperten hinein und konnten sich vor lachen kaum halten. Sie entdeckten Blake's trauriges Gesicht und meine Miene, die sowieso seit Tagen gespenstig wirkte. Ihr Lachen erstarb.

„Oh Hey Leute. Wir hatten völlig vergessen, dass ihr hier seid." begrüßte uns Cole und kratze sich verlegen am Hinterkopf.

„Ja das nächste mal vielleicht einfach wie normale Menschen das Zimmer betreten und nicht wie wilde Tiere." fauchte Blake und blickte genervt zwischen Cole und Tea hin und her.

Cole's Augen weiteten sich, als er abwehrend die Hände hoch hob.

„Beruhige dich mal wieder Alter. Hast du deine Tage oder so?"

Blake's Miene verfinsterte sich nur noch mehr. Als er sich erhob, tat ich es ihm nach. Das Letzte auf was ich Lust hatte war eine Auseinandersetzung zwischen Cole und Blake. Ich sah Tea warnend an und hoffte sie verstand, was mein Gesichtsausdruck ihr mitteilen wollte: Es ist echt kein guter Zeitpunkt hier zu sein.

Tea kapierte was ich ihr sagen wollte und nickte kaum merkbar.

„Also Jungs. Wie wäre es, wenn wir uns alle ein wenig beruhigen." schlug sie vor. Blake verdrehte die Augen und wandte sich zu mir.

„Vielleicht sollte ich jetzt gehen." flüsterte er und zog mich in seine Arme.

„Ich kann später vorbei kommen und wir können weiter sprechen wenn du willst?" schlug ich vor. Ich sprach absichtlich leise und in sein Ohr, damit nur er es hörte.

„Ja das wäre toll." murmelte er und ließ von mir ab. Blake lächelte schwach und winkte mir zum Abschied. Beim vorbeigehen warf er Cole einen verachtenden Blick zu, ehe er die Tür hinter sich zu knallte. Tea zuckte zusammen und zeigte mit dem Daumen zur Tür.

„Was ist denn mit ihm los?" fragte sie.

„Er hat im Moment eine kleine Krise mit seinem Freund."

"Oh." sagte Cole und fuhr sich mit den Händen übers Gesicht.

"Fuck ich wusste das nicht. Ich hab mich benommen wie ein Arschloch." seufzte er. Ich hatte völlig vergessen, dass Tea, Cole und Blake in den letzten Wochen viel Zeit miteinander verbracht hatten. Ich war froh, dass sie sich mit Blake verstanden und vorallem war ich froh, dass weder Cole noch Damian was gegen seine sexuelle Orientierung einzuwenden hatte.

"Blake wird dir schon nicht sauer sein." beruhigte ich Cole. Tea stand vor ihren Kleiderschrank und suchte nach etwas zum anziehen. Es war verdammt heiß draußen und ich war froh, dass es in meinem weiten hellblauen Kleid mit den langen Ärmeln nicht all zu warm war. Schließlich konnte ich nicht einfach so in Top und hotpants rumlaufen. Davor musste ich Make-up auf meine Beine und Arme schmieren und mich vergewissern, dass man nichts sah. Es war schlimm Narben auf seinem Körper zu tragen, denn selbst wenn alles vorbei war, wurde man Tag für Tag daran erinnert, wie man diese Narben bekommen hatte. Ich konnte nichts dagegen tun. Das erste mal wurde mir bewusst wie unfair mein Schicksal und das Schicksal der Menschen die ich liebte war. Seit ich auf der Welt war, war kein Leben eigentlich nur ein Scherbenhaufen. Alles um mich herum geht kaputt und auch ich bin schon längst zerstört.

"Eigentlich wollten wir dich fragen, ob du mit uns an den See fahren willst?" fragte Tea und zog sich ein dunkelgrünes T-Shirt über den Kopf. Ich war mir sicher, dass die beiden die Antwort kannten, weil sie mich jeden Tag fragten ob ich etwas mit ihnen unternehmen möchte. Und Jedes Mal gab ich die gleiche Antwort.

"Ne ich hab keine Lust."

Tea's Miene verdüsterte sich. Sie nickte stumm und holte hörbar Luft.

"Na gut." seufzte sie und sah zu Cole. Er zuckte unauffällig mit den Schultern, trotzdem bemerkte ich es. Sie liefen zur Tür. Cole's Hand lag auf der Türklinke. Er verharrte, ehe er sich an mich wandte.

"Ever hör zu, ich weiß, dass das alles schwer für dich ist, aber dich einzusperren macht es auch nicht besser."

"Cole." zischte Tea und sah ihn warnend an. Er hob abwehrend die Hände.

"Ich mein ja nur. Dir würde es echt nicht schaden an die frische zu gelangen."

"Ich weiß das echt zu schätzen. Ich meine damit alles was ihr tut. Dass ihr jeden Tag kommt und versucht mich mit raus zu nehmen. Aber ich brauche einfach meine Ruhe."

Tea's und Cole's Gesichtszüge wirkten traurig und auch ein wenig enttäuscht. Eine Welle von Schuldgefühlen überkam mich. Es gab wirklich niemanden in meinem Umfeld der glücklich war. Nicht mal Blake und ich fragte mich langsam ob ich Pech brachte. Niemand schien mehr zu lachen und obwohl die Tage sonnig waren, war jeder Tag düster.

Tea und Cole verabschiedeten sich von mir und verließen etwas betrübt den Raum. Ich seufzte auf und strich mir los Strähnen aus dem Gesicht. Die Vorhänge an den Fenstern zog ich zu und erschuf mir damit künstliche Nacht. Meine Augen waren schwer wie beton und mein Körper Energielos. Ich verkroch mich unter mein dünnes Bettlaken und zog es mir über den Kopf. Ich war verdammt müde, obwohl ich die ganze Zeit nur schlief. Es kam mir so vor, als ob mein Körper schon längst Tod wäre und ich nur noch in meinem Kopf gefangen war. Meine Augen schielten über zu meinem Handy, dass auf meinem Nachttisch lag. Mühsam streckte ich die Hand nach meinem Telefon aus und wählte die einzige Nummer, die mir in den Sinn kam.

Damian

Ich saß an Nando's Bett und hielt seine kleine kalte Hand. Er schlief, sah dabei jedoch nicht so friedlich aus wie sonst. Enzo saß auf der anderen Seite und blickte in Nando's schlafendes Gesicht. Es war verdammt ruhig, man hörte keinen mucks, nicht mal das ticken der Uhr. Ich wünschte die Zeit würde wirklich stehen bleiben, doch das tat sie nicht. Unter Enzo's Augen lagen dunkle Schatten, aber ich war mir sicher, dass ich selbst nicht besser aussah. Ich saß hier mit meinen zwei Brüdern und hätte mir nie vorstellen können, dass wir jemals in solch eine Situation gelangen würden. Klar, mein Leben war nicht immer perfekt gewesen, aber alle die mir lieb waren, waren gesund. Und dann traf es ausgerechnet Nando und ich frage mich jede verfluchte Sekunde, weswegen es nicht mich getroffen hatte. Wieso konnte ich nicht an Nando's stelle sein?

"Weißt du, ich habe in letzter Zeit echt viel Scheiße gebaut und gesagt, aber nichts bereue ich so sehr, wie dass ich Ever geschlagen habe. Ich wollte mich nur noch mal dafür entschuldigen. Ich weiß es nützt dir nichts und das was ich getan habe ist unverzeihlich, bloß ich wollte nur, dass du weißt, dass ich das am meisten Bereue. Von allen Sachen die ich in meinem Leben getan habe."

Lorenzo's plötzliche Entschuldigung kam unerwartet und ich wusste nicht was ich antworten sollte. Natürlich wusste ich, dass er es bereute, doch trotzdem bin ich nicht gut auf dieses Thema zu sprechen. Ich hatte keine Ahnung weshalb er es überhaupt ansprach. Vielleicht plagte ihn sein schlechtes Gewissen, jetzt wo er am Boden ist.

"Sie ist dir nicht böse."

"Aber du bist es."

Wieder wusste ich nicht was ich sagen sollte und schwieg deshalb. Die Stille überkam uns erneuert und je mehr Zeit verging, desto gespenstischer wirkte das alles. Enzo seufzte und fuhr sich mit den Händen übers Gesicht.

"Ich hasse es." flüsterte er zu sich selbst-

"Was hasst du?" fragte ich leise, da ich Nando nicht wecken wollte.

Er sah mich mit seinen dunklen braunen Augen an und zog die Lippen zu einem Strich zusammen.

"Na alles. Wie die letzten Monate verlaufen sind. Ist dir nicht aufgefallen, dass alles den Bach runter ging, seitdem Nando's Krankheit diagnostiziert wurde? Jedenfalls in meinem Leben. Seit verfickten zwei Jahren denke ich nur an den beschissenen Krebs. Ich konnte Nando nicht mehr anschauen, ohne an seine Krankheit zu denken."

Um ehrlich zu sein gab es in meinem Leben einen entscheidenden Wendepunkt. Ever. Ich weiß nicht, was ich ohne sie tun oder wer ich sein würde. Wäre ich wie Enzo? Hätte ich so wie er meinen Kummer in Alkohol ertränkt und eine Frau nach der anderen aufgerissen? Aber was ist, wenn es nur einen Vorteil für mich bringt? Was ist, wenn Ever mit mir bestraft wurde? Sie musste die ganze Scheiße durchmachen, nur wegen mir. Ich wollte sie zu sehr und will sie immer noch zu sehr, obwohl es nicht gut für sie ist. Sie leidet und das war das letzte was ich mir für sie wünschte.

"Das Leben ist so Enzo. Es ist Scheiße und unfair."

Er verzog das Gesicht und ballte die Hände zu Fäusten. Seine Atmung ging unregelmäßig und seine geballten Hände zitterten. 

"Ich weiß einfach nicht wie ich damit umgehen soll." sagte er leise und schloss die Augen. 

Ich hatte ihn noch nie so fertig gesehen. Langsam erhob ich mich vom Bett und ging zu ihm rüber. Er saß noch immer auf der Bettkante und wirkte nicht mehr so angsteinflößend wie sonst, sondern eher wie ein kleiner ängstlicher Junge. Ich zog ihn in eine brüderliche Umarmung und klopfte seine Schulter. Wir hatten das seit Ewigkeiten nicht getan. Unser Verhältnis hatte sich sowieso komplett in den letzten Monaten verändert. Wir waren nicht mehr so eng miteinander, was zum Teil auch daran lag, dass wir beide anders geworden waren. Trotzdem war er mein Bruder und er war am Ende seiner Grenzen, wahrscheinlich sogar weit darüber hinaus. 

"Du weißt, dass egal was ist, ich immer für dich da bin oder?" flüsterte ich in sein Ohr.

Er nickte und ließ von mir ab.

"Ja ich weiß." antwortete er leise und sah zu Nando. Enzo's Gesicht war voller Schmerz und ich fragte mich ob dieser Ausdruck je wieder verschwinden würde.

Plötzlich zuckte Nando zusammen. Seine Finger verkrampften und er verzog das Gesicht. Er riss die Augen auf und starrte panisch zwischen Enzo und mir hin und her. Zitternd schnappte er nach Luft.

Ehe ich mich versehen konnte drückte Enzo den Knopf über dem Bett. Er fing an rot zu leuchten. Alles verlief so schnell, so dass ich garnicht richtig mitbekam, als die Krankenschwestern ins Zimmer einmarschierten und Nando's Werte prüften. Sie veränderten was an seinen Schläuchen und machten sich Notizen von seinen Werten. Völlig reglos stand ich noch immer an der gleichen stelle.

Ich konnte einfach nicht mehr. Ich war mit meinen nerven völlig am Ende. Das alles wurde mir zu viel. Die ganzen Szenerien um mich herum. Ich konnte so nicht weiter machen.

"Sir?"

Eine dunkelhaarige Krankenschwester schnippte mit ihren Finger vor meinem Gesicht herum. Ich schüttelte den Kopf und kam wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Sie musterte mich genervt mit ihren dunkelgrünen Augen.

"Ihrem Bruder geht es gut, aber er braucht jetzt Ruhe."

"Ich bin still."

Sie seufzte genervt auf.

"Sir bitte."

"Ich bleibe." sagte ich etwas schärfer als beabsichtigt. Ihre Augen weiteten sich, als sie meinen wütenden Gesichtsausdruck sah.

"Na schön, aber sie dürfen keinen Mucks machen und sollte sowas noch was passieren rufen sie uns sofort."

Ich nickte und wandte mich von ihr ab. Enzo stand am Türrahmen und unterhielt sich mit einer Krankenschwester. Er schien ihr zu schildern was passiert war, während sie sich alles mit schrieb. Nach und nach verließen die Schwestern das Zimmer und es wurde wieder ruhig.

"Alles okay man? Du standest ja gerade total unter Schock." fragte Enzo leise, als er auf mich zu kam.

Wir riefen oft die Krankenschwestern, weil es öfter vorkam, dass sowas passierte. Diesmal jedoch, stand ich vollkommen unter Schock, so dass ich mich nicht regen konnte. Ich war wie eingefroren gewesen. Meine Arme und Beine waren Schwer wie Blei, so dass ich sie nicht bewegen konnte.

"Ich fühl mich nur nicht so wohl."

Enzo sah mich mitfühlend an, ehe er sich auf einen Stuhl neben dem Bett setzte. Ich tat es ihm nach und stützte dann meinen Kopf in meine Hände. Mein Bein hüpfte auf und ab, während ich meine Schläfen massierte. Ich konnte förmlich spüren wie die schweren Steine auf mich fielen und mich lebendig begruben. Momentan am Leben zu sein war eine Strafe. Ich hatte ununterbrochen Angst. Das jedes Wort und jeder Blick, den ich mit Nando wechselte, der letzte sein könnte. Ich hatte keine Ahnung was sein würde wenn alles vorbei war. Diese Ungewissheit machte mir eine Todesangst. 

Nando stöhnte leise auf.

Ich hob meinen Kopf und sah zu ihm. Ich wollte mich erheben, um den Knopf zu drücken, als Enzo mir ein Handzeichen gab, ich solle es nicht tun. Faszinierend beobachteten wir, wie Nando langsam die Augen öffnete. Seine Lippen waren rissig und völlig ausgetrocknet.

„Hallo." begrüßte er uns leise. Seine Stimme zu hören war merkwürdig und befriedigend zu gleich. Es war die Bestätigung, dass nicht alles aus ihm raus gesaugt wurde.

„Hey kleiner." erwiderte ich und setzt mich zu ihm. Seine Zähne kam leicht zum Vorschein, als er lächelte. Er blickte zu Enzo, der sich auf die andere Seite des Bettes gesetzt hatte.

„Na Kumpel." sagte Enzo und strich über Nando's kraftloses Haar. Ein paar Sonnenstrahlen fielen ins Zimmer, da die Vorhänge ein wenig verrutscht waren, als die Krankenschwestern gekommen waren. Nando lockerte ein wenig seine Schultern und sah zu den Schläuchen, die an seinem Arm befestigt waren. Seine Mundwinkel zuckten nach unten.

„Ich hasse es hier. Ich will einfach nur weg." murmelte er. Eine unfassbare leere machte sich in seinen Augen breit.

„Du kommst schon bald wieder nach Hause." munterte Enzo ihn auf. Er zwang sich zu einem lächeln, jedoch wirkte es gezwungen, so dass man seine Fassade ohne Probleme durchschauen konnte.

„Das sagt ihr schon seit Wochen."

Wir wussten alle, dass Nando nicht dumm ist, aber wie sollte man einem Kind beibringen, in welcher Verfassung er sich befand? Ich wünschte er wäre Älter, denn vielleicht würde es leichter sein es ihm zu erklären. Vielleicht würde er es verstehen, auch wenn ich es nicht tat.

Enzo schien genauso sprachlos zu sein wie ich, denn wir erwiderten beide nichts.

„Du kennst doch die Geschichte, die ich dir jeden Abend vorgelesen habe, oder?" fragte Enzo plötzlich. Ich wusste, dass Enzo ihm immer das selbe Buch zum einschlafen vorgelesen hatte, doch ich kannte es nicht.

Nando nickte und sah Enzo fragend an.

„Der Junge, also Joe läuft von zu Hause weg und er läuft und läuft. Dann trifft er eine streunende Katze und Joe fühlt sich zur Katze verbunden. Weil sie beide alleine sind und weil sie beide einfach nur irgendwo hin laufen. Den Rest des Weges laufen sie zu zweit weiter und merken, dass wenn zwei einsame Wesen aufeinander treffen, sie plötzlich nicht mehr alleine sind. Joe hat die ganze Zeit mit der Katze gesprochen, auch wenn die Katze Joe wahrscheinlich nicht verstanden hat. Trotzdem ist die Katze nicht von Joe's Seite geweicht. Die ganze Nacht nicht, doch dann plötzlich standen sie vor einer Sackgasse. Weißt du was dann passiert ist?"

Nando sah Enzo mit großen Augen an. Ich kannte die Geschichte nicht, doch trotzdem war es interessant meinem Bruder zu zu hören.

„Klar weiß ich wie es weitergeht. Die Katze springt auf die Wand und dreht sich nochmal zu Joe um. Sie schauen sich an und dann springt die Katze über die Mauer. Joe läuft wieder nach Hause und sie gehen getrennte Wege. Aber dann nach 5 Jahren treffen sie sich wieder und dann ist die Geschichte vorbei."

Enzo schluckte den Kloß, der sich in seinem Hals gebildet hat herunter.

„Richtig. Weißt du, seitdem du sprechen kannst, habe ich dir jeden Abend diese Geschichte vorgelesen, weil du sie immer hören wolltest, aber wir haben noch nie über die Aussage dahinter gesprochen."

Nando legte den Kopf etwas schief.

„Was ist denn die Aussage der Geschichte?"

„Das man sich immer zwei mal im Leben sieht. Egal wie lange man sich kannte und egal wie lange man getrennt war, man sieht sich immer zweimal. Kein Abschied ist für immer und deshalb sind Abschiede auch nichts, weswegen man traurig sein sollte. Joe hat den ganzen Rückweg geweint, als die Katze über den Zaun gesprungen ist, obwohl er hätte sich freuen soll. Denn dieser Abschied hat bedeutet, dass sie sich wieder sehen."

„Also sind Abschiede nur das Zeichen, dass es ein Wiedersehen geben wird?" fragte Nando.

Enzo's Augen glänzten, als er die Lippen zu einem Strich zusammen zog und nickte.

„Ja und vielleicht sollten wir uns jetzt auch verabschieden." hauchte Enzo. Mein Herz pochte wie wild, während mein Blut eingefroren war. Ich hätte nicht gewusst, wie man einen Abschied hätte besser erklären können.

„Wir verabschieden uns voneinander?" fragte Nando und wirkte ein wenig verängstigt.

Enzo's Tränen schwammen nur so über seine Wangen.

„Ja, aber nur weil ein Abschied was schönes ist. Es ist das Zeichen, dass es ein Wiedersehen geben wird." zitierte Enzo Nando. Jetzt erst, merkte ich, dass ich selbst weinte. Die Tränen brannten sich in meine Wangen hinein und ich konnte kaum noch rhythmisch atmen.

„Also wir verabschieden uns jetzt, werden uns aber bald wieder sehen. Morgen oder?"

Nando war zu klein und unerfahren, um Enzo's Botschaft zu verstehen, doch das war die einzige Möglichkeit einen Richtigen Abschied zu haben. Wir wussten alle nicht, wann es vorbei sein würde. Jede Sekunde könnte die letzte sein und wenn es so war, würden wir alle bereuen, keinen Abschied gehabt zu haben.

„Ja natürlich sehen wir uns morgen kleiner." sagte Enzo lächelnd, weinte aber immer noch. Er bückte sich zu Nando und zog ihn an seinen Oberkörper. Nando schlang seine dünnen Arme um Enzo's Hals und vergrub sein Gesicht in seiner Brust. Ich hörte das weinen meines Bruders, was nur noch mehr Schmerz in mir verursachte.

„Ich liebe dich." hörte ich Enzo murmeln, ehe er von Nando abließ und ihn auf die Stirn küsste. Er sah Nando noch einen Moment in die Augen, bevor er sich vom Bett erhob und das Zimmer verließ. Die Luft war stickig und ich hatte das Gefühl jeden Moment umzukippen. Es war als ob, alle meine Organe rissen. Meine Kehle wurde immer enger und mein Magen schwerer.

„Verabschieden wir uns jetzt auch?" fragte Nando und blickte mich mit seinen großen braunen Augen an.

Ich nickt stumm, weil ich meinen Mund einfach nicht auf bekam.

„Wieso weint ihr denn?" hakte Nando nach.

„Das sind Freudentränen." sagte ich und brang dabei meine ganze Kraft auf. Er formte seine Lippen zu einem O, doch ich war sicher, dass er es nicht verstand. Was auch nicht an ihn lag, sondern daran, dass das eine Lüge war. Das waren keine Freudentränen. Ich zog Nando in meine Arme und spürte im nächsten Moment seine Hände auf meinem Rücken. Seine locken strichen mein Kinn und kitzelten mich ein wenig unter der Nase. Sein typischer Geruch war längst verflogen und auch ihn zu umarmen, fühlte sich so fremd an. Seinen knochigen kleiner Körper zu umarmen, war einfach kein schönes Gefühl.

„Egal wo du bist, vergiss niemals, dass ich dich liebe und dass wenn wir zusammen sind wir viel spaß miteinander hatten. Verlerne niemals das lachen okay?"

Er nickte an meiner Brust. Ich kniff die Augen zusammen und wollte einfach nur seine nähe spüren. Ich wollte ihn spüren, wie er noch am Leben war und sein Herz pochte. Nando drückte mich immer und immer fester, als würde es realisieren, dass das ein echter Abschied war. Das alles nie wieder so werden würde wie es einmal war. Ich wollte schreien aber für immer schweigen zu gleich. Ich wollte die Zeit anhalten und in diesem Moment stecken bleiben, während ich jedoch auch wollte, dass die Zeit so schnell wie möglich verging, so dass ich Nando wieder sehen konnte.

Ich wollte ihn für immer festhalten, aber ich musste ihn loslassen.

„Ich liebe dich Damain." sagte er leise und schmiegte seine Wange an meine Halsbeuge.

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