Red Snow

By MementoKore

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Der Boden dieses Landes wird seit Jahrhunderten vom Blut eines endlosen Krieges getränkt. Zwei Fraktionen, As... More

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Nachwort

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By MementoKore

Faith spürte keine Schmerzen mehr. War es so, tot zu sein? Noch immer hatte sie Cades Gesicht vor ihrem inneren Auge. Doch sie wusste, dass es nur noch eine Erinnerung war. Sie fühlte sich leicht, fast schwerelos. Es begann, ihr zu gefallen. Sie wusste, dass es ihr eigentlich schwer im Magen liegen müsste, Cade verlassen zu haben. Doch so sehr sie sich bemühte - es funktionierte nicht. Sie sah nur weiß um sich herum. Bewegte sie sich? Schwebte sie? Irgendwann wurde es wieder etwas gewohnter für sie. Sie spürte eine Art Boden unter sich. Erkannte, dass sie stillstand. Nach und nach bildete sich um sie herum so etwas wie weißer, reiner Nebel, der etwas zurückwich. Vor sich in einiger Entfernung erkannte sie eine weiße, schlichte und ebenso reine Brücke, die elegant geschwungen nach oben führte. Wohin genau, das konnte Faith nicht erkennen. Aber es war der einzige Weg, den sie gehen konnte. Sie setzte sich in Bewegung, sah nicht an sich herunter sondern folgte einfach ihrem Gefühl, das sie dorthin führte. Der Nebel umgab sie weiterhin. Als sie nur noch geschätzte 10 Meter von der Brücke entfernt war bildeten sich Silhouetten im Nebel ab. Sie nahmen menschliche Gestalt an. Es waren mehrere. Einige traten nun aus dem Nebel hervor. Faith stockte der Atem. Sie blieb stehen und musterte die Personen. Konnte das sein? Eine von ihnen war Ríona. Also hatte sie den Kampf auf dem Galgenplatz wirklich nicht überlebt. Sie lächelte Faith traurig an. Neben ihr stand ein groß gewachsener Mann mit dunklen Haaren und einem aufmerksamen Blick. Seine Miene zeigte pure Freude. Er hielt Ríonas Hand. War das Gavin? War das ihr Vater? Sie starrte ihn eine Weile unschlüssig an. Dann entdeckte sie weitere, bekannte Gesichter. Kadir stand bei ihnen und winkte Faith halb bedauernd, halb lächelnd zu. Außerdem erkannte Faith einige, die sie ehrlich gesagt gar nicht hier erwartet hätte oder sich wünschte, nicht zu wissen, dass sie auch tot waren. Zoé stand bei ihnen, genauso wie Cyril, Donna und einige weitere Assassinen und Milwyn, die sie kannte. Leider entdeckte sie in der hintersten Ecke auch Aed. Er sah jedoch nicht mehr so kalt aus, sondern irgendwie betrübt. Ebenfalls wunderte sich Faith über die Familie am Rand. Ein junger Mann mit roten Haaren, eine Frau mit fast schon ebenholzfarbenen Haaren und ein kleines Mädchen... Sie kamen ihr nicht bekannt vor. Wieso waren sie hier? Moment. War das Cades Familie? Jedoch wurde sie sofort abgelenkt von Ríona, Gavin und Kadir. Sie waren zu ihr getreten. Ríona ließ die Hand ihres Mannes los und rannte die letzten Meter zu Faith, um sie dann zu umarmen. "Ich würde ja gern behaupten, dass ich es schrecklich finde, dich hier zu sehen, aber... ich bin froh." Sie löste sich wieder von Faith und trat zurück, sodass Gavin und Kadir sich zu ihr gesellen konnten. Allen drei waren Bedauern sowie unglaubliche Freude ins Gesicht geschrieben. Gavin musterte sie außerdem fast schon stolz. "Du bist groß geworden, Faith", meinte er und wuschelte ihr kurz durch die Haare. Faith lächelte zaghaft. Sie sah ihren Vater zum ersten Mal. Zumindest so, dass sie sich daran erinnern konnte. Von ihm schien sie die blauen Augen zu haben. Gavin lächelte und legte einen Arm um Ríona, die sich ebenfalls mit einem Lächeln an ihn lehnte. "Ich bin stolz darauf, so eine Tochter zu haben. War es ein Templer?" Faith stockte kurz. Meinte er ihren Tod? "Es war Aed. Also ja." Sie verbot es sich, zu ihm hinüber zu sehen. "Und ... wie?"
"Gavin, hör auf sie so zu löchern!", tadelte Ríona ihn. Er lachte leicht. "Ach komm, was soll schon noch passieren?" Faith seufzte leise. "Ist schon gut. Er hat mir ein Schwert in den Bauch gerammt. Und dann mit dem Leben bezahlt..." Nun warf sie dem Templer doch einen finsteren Blick zu, den er anscheinend bemerkte. "Hast du ihn getötet?" Sie verneinte. "Cade war es wahrscheinlich." Sie hatte es ja kaum noch mitbekommen. Nun mischte sich Kadir ein. "Das heißt Cade lebt noch?" Faith nickte stumm. "Bis ihn die anderen Templer finden. Aber er hat erzählt, dass Viola, Ace und noch ein paar andere ebenfalls überlebt haben." Kadir atmete erleichtert aus. "Was überlebt?" Gavin sah die beiden abwechselnd misstrauisch an. "Das erzähle ich dir später. Faith, du musst zurück." Die Assassine sah ihn entgeistert an. "Was? Wie? Und wieso?" Kadir lachte schwach. "Mit Hilfe des Amuletts. Weil du noch etwas zu erledigen hast." Faith sah ihn mit einem schiefen Blick an. "Das Amulett kann..."
"...jemanden vom Tod zurückbringen, ja." Sie zögerte. Dachte er, sie hatte es inzwischen gefunden? "Ich habe das Amulett nicht..." Kadir lächelte warm. "Du hattest es schon die ganze Zeit. Aber du musst dich jetzt auf Cade verlassen." Sie sah ihn nur verwirrt und entgeistert an. Hatte er es gewusst? Die ganze Zeit schon? Oder hatte er es erst hier erfahren? Von Benji vielleicht? Als hätte der Assassine ihre Gedanken gehört trat er zu ihnen. "Faith, nehme ich an?" Er musterte sie kurz mit einem prüfenden Blick. Sie nickte. "Sobald du wieder aufwachst - sag' Cade, dass wir stolz auf ihn sind. Bitte." Er lächelte nun schwach, aber ein trauriger Glanz lag in seinen Augen. Gavin und Kadir warfen ihm kurz Blicke zu, die er jedoch nicht bemerkte. "Das werde ich", bestätigte Faith nachdrücklich. Doch sie wusste nicht, ob er ihr glauben würde. Benji lächelte nun erleichtert. "Danke. Ich habe ihn viel zu früh verloren..." Er warf einen kurzen Blick über die Schulter, dorthin, wo seine Frau und seine Tochter standen. "Benji, du kannst nichts dafür. Ich habe euer Schicksal besiegelt...", setzte Gavin mit einer bedrückten Stimme an, doch Benji unterbrach ihn kopfschüttelnd. "Nicht jetzt, mein Freund. Das können wir später noch diskutieren." Er nickte und nun sahen alle wieder Faith an, die nur schwieg. Das war eine Generation vor ihr gewesen und trotzdem schnappte sie so viele Dinge davon auf. "Benji, wo ist nun das Amulett?" Doch der rothaarige Assassine grinste nur verschwörerisch. "Das erfährst du bald. Schön, dich kennengelernt zu haben." Mit einem weiteren, ehrlich erfreuten Lächeln verneigte er sich leicht und lief zurück zu seiner Familie. Faith sah ihm nur missmutig nach. Selbst jetzt wollte es ihr niemand verraten. Das war schrecklich. Und unnötig. Sie ließ sich Kadirs Antwort nochmal durch den Kopf gehen. Was hatte sie denn seiner Meinung nach noch zu erledigen? Die meisten Assassinen waren tot, ihre ganzen Freunde, ihre Familie... Der Orden war zerbrochen. Selbst wenn Cade herausfand, wie er sie zurückholen konnte, was sollte sie dann groß verändern? Sie zweifelte. Und das schienen viele zu bemerken. Sie sah kurz hinüber zu Zoé und lief dann einfach zu ihr, da ihre Eltern und Kadir nichts mehr zu sagen zu haben schienen. Die Assassine sah sie mit einem traurigen Lächeln an. "Ich bin froh, dass du noch nicht endgültig hier festhängst", murmelte sie und senkte den Blick. "Ich habe Elora nirgendwo gesehen. Lebt sie noch?" Faith nickte. "Laut Cade schon." Sie musterte Zoé besorgt. "Alles klar bei dir?" Sie hob den Kopf wieder und lächelte nun wieder weniger traurig. "Ja, schon. Ich finde es nur schrecklich dass der Orden jetzt so zerissen ist...", nuschelte sie. Faith seufzte leise, sah sie mit einem mitleidigen Blick an und nahm ihre alte Zimmergenossin in den Arm. Sie erinnerte sich daran, wie viel sie mit ihr erlebt hatte. So wie mit vielen anderen hier auch. Eine Weile umarmten sich die beiden und Faith hörte Zoé leise schniefen. Dann musste sie Zoé aber wieder loslassen. Wie viel Zeit hatte sie noch? Oder würde sie doch hierbleiben? Sie warf einen kurzen Blick über die Schulter, doch Kadir, Gavin und Ríona redeten bereits wieder miteinander. Viele schemenhafte Gestalten waren auch bereits wieder im Nebel verschwunden. Zoé tat das ebenfalls mit einem letzten Winken, dann tauchte sie im Nebel unter. Faith fuhr sich kurz durch die Haare und sah sich um. Es war merkwürdig. Sie war tot. Endgültig tot eigentlich. Aber doch sollte sie etwas zurück ins Leben holen. Und dabei musste sie sich auf Cade verlassen. Natürlich vertraute sie ihm, aber... was, wenn er es nicht herausfand? Oder gar nicht erst darüber nachdachte? Würde sie dann Ewigkeiten in diesem endlosen Weiß festsitzen und vergeblich warten? Sie seufzte frustriert und spürte dann plötzlich eine Berührung an der Schulter. Überrascht drehte sie sich um und starrte in Aeds Gesicht, das - wie sie es von früher kannte - von einem frechen Grinsen gekennzeichnet wurde. Faith rang sich ein Lächeln ab. Er hatte sie töten wollen. Und Cade. Und hatte den ganzen Orden verraten. Die meisten waren hier, nur wegen ihm. Doch sie wollte trotzdem nicht unfreundlich sein. Er wirkte nicht mehr so kalt und grausam wie eben noch. Und vielleicht war das eine einmalige Chance zur Versöhnung. "Das mit diesem Hand-auf-die-Schulter solltest du dir echt abgewöhnen", tadelte sie ihn gespielt und lächelte schief, jedoch immer noch nicht ganz überzeugt. Aed, der seine Hand längst wieder hängen ließ, grinste nur kopfschüttelnd. "Ich wollte nur sagen - ihr habt gewonnen. Glückwunsch." Ein leises Bedauern lag in seiner Stimme, und gleichzeitig Erleichterung. Faith konnte sich das nicht erklären. Als wäre er eigentlich noch auf der Seite der Templer aber war doch froh darüber, dass es Hoffnung für die Assassinen gab. Er war ihr definitiv ein Rätsel. Sie musterte ihn ruhig. Die Narbe überzog sein Gesicht immer noch. "Danke, aber... du hast gezögert. Nachdem du mich... getötet hast. Das war der Moment in dem auch dein Tod besiegelt wurde", begann Faith zögernd. Wäre er wirklich so kaltherzig wie er sich am Ende gegeben hatte hätte er nicht gezögert. Er hätte sofort seine Chance erkannt und Cade auch umgebracht, ohne auf sie zu achten. Vielleicht sah sie aber auch einfach nur immer das Gute in den Menschen, selbst wenn es nicht da war. Bei Cade jedoch hatte es auch niemand glauben wollen. Aed sah sie kurz nachdenklich an. "Du hast recht", murmelte er fast schon verblüfft, als hätte er noch gar nicht darüber nachgedacht. Faith zögerte immer noch. Hieß dass, dass er sie vielleicht doch nicht so leicht hätte umbringen können? Und es eben nur passiert war, weil sie sich selbst in die Situation gebracht hatte? "Hättest du mich denn getötet, wenn es anders gekommen wäre?" Aed sah kurz an ihr vorbei ins leere Weiß. "Ich weiß nicht." Faith sah ihn mahnend an. "Aed." Als er ihre scharfe Stimme hörte sah er sie fast schon erschrocken an. "Was? Was erhoffst du dir denn für eine Antwort?" Faith zwang sich zu einem hoffnungsvollen Lächeln. "Vielleicht warst du ja nie ganz ein Templer... Vielleicht hättest du mich nicht töten können sondern hättest mir geholfen?" Auch wenn das keine wirklich gute Alternative gewesen wäre. Aeds Miene zeigte für einen Moment pure Entgeisterung, doch nach weniger als einem Wimpernschlag schlug das in ein finsteres Gesicht um. Er trat einen Schritt zurück. "Nein, Faith. Das hätte ich nicht. Ich bin Templer und ich hätte auch so gehandelt. Du wärst jetzt so oder so tot", erwiderte er trocken und verzog abschätzig das Gesicht. Doch Faith erkannte eine Spur Unbehagen darin. "Also alles nur kalte Politik", stellte Faith fest, doch ihre Stimme hörte sich mehr an wie bei einer Frage und war leicht belegt. Sie hatte noch gehofft. Aber für Aed schien es wirklich keine Hoffnung zu geben. Aed nickte knapp und schluckte. "Alles nur Politik", bestätigte er, machte aber keinen weiteren Schritt zurück sondern blieb stehen. Faith senkte den Blick. "Und alles, was du je als Assassine getan hast war auch nur dafür? Um ans Ziel zu kommen?", fragte sie dann mit schmerzlicher Stimme und hob den Kopf wieder. Aed stand kurz wie erstarrt da, seine Gesichtszüge wirkten eisern. Er biss die Zähne zusammen und sah Faith kurz mit einem undeutbaren Blick an. "Ja", war seine einfache Antwort. Zu mehr konnte er sich nicht durchringen. Für Faith wirkte es eher, als sei es die einzige Antwort, die er benötigte zu sagen. Sie öffnete kurz den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn dann aber wieder. Ihre Hoffnung war am Ende angelangt. Für Aed gab es nichts mehr. Wenn das hier der Himmel war, wieso war er dann da? Oder war es einfach nur das Jenseits? Keine Ahnung. Heute würde sie das ja noch nicht herausfinden. Sie blickte erneut über die Schulter. Wie lang würde es dauern, bis sie zurückgeholt wurde? Kadir und ihre Eltern redeten immer noch und sahen dann skeptisch zu der Treppe. Als Faith wieder zu Aed sah stand er plötzlich wieder näher bei ihr, griff er nach ihrem Kinn und küsste sie ungeniert. Faith riss erschrocken die Augen auf und stieß ihn im nächsten Moment reflexartig weg. Was war eigentlich los mit ihm?! Er würde ihr immer ein Rätsel bleiben. "Was zur Hölle..?!" Sie wischte sich kurz über den Mund. Sie wollte das nicht. Besonders nicht jetzt, wo herauswar dass Aed Templer war und Cade sie liebte. Ihre Miene war gleichzeitig überrascht und angewidert. Aed lachte nur amüsiert. "Das sagt vieles. Und das war es wert. Auf Wiedersehen, Faith." Mit einem weiteren Grinsen drehte er sich um und verschwand ebenfalls wieder im Nebel. Faith sah ihm nur irritiert hinterher. Es schien ihn nicht einmal zu jucken dass es sie so störte. Auch egal. Sie würde ihn nie wieder sehen. Mit einem Seufzen drehte sie sich wieder um. Jetzt hieß es wohl warten. Und hoffen.

Sie war tot. Einfach so. Das konnte doch jetzt nicht so enden, oder? Nachdem Cade weder Puls noch Atmung gefunden hatte hatte er einfach seine Arme um Faith gelegt und sie umarmt. Auch wenn sie nicht mehr unter den Lebenden weilte. Er wusste nicht, ob er erneut einfach loslassen konnte. Die Tränen spürte er immer noch auf seiner Haut, auch wenn sie längst wieder aufgehört hatten zu fließen. Er hatte die Augen geschlossen und saß nur so im Schnee. Seine Wunden brannten, die Kälte des Schnees brannte sich beinahe schon durch seine Kleidung. Aber er wollte nicht weg. Sollten die Templer doch nach Aed suchen, ihn finden und töten. Dann würde er wenigstens Faith wiedersehen. Wahrscheinlich... Er hatte ja keine Ahnung davon, was nach dem Tod passierte. Er wusste auch nicht, wie lang er da noch saß. Am Ende seiner Kräfte und mit einer leidenden Seele. Er hatte sich noch nie so fertig gefühlt. Nichtmal nach dem Tod seiner Familie. Aber damals war er auch noch ein Kind gewesen. Irgendwann sah er auf. Geräusche hallten durch den Hof, in dem er saß. Er sah kurz hinüber zu Aed, wandte seinen Blick aber gleich wieder ab. Zu viele negativen Gedanken kamen ihm dabei hoch. Früher war er nur ein ekelhafter Schleimbeutel gewesen, jetzt war er ... ein unbeschreiblich verräterischer, skrupelloser Bastard. Wenigstens hatte er dafür bezahlt. Doch wie es sich anhörte würde Cade den beiden wirklich noch folgen. Denn langsam entpuppten sich die Geräusche als Schritte. Viele, gleichmäßige Schritte. Und so laut liefen nur Templer. Sie waren schon nah. Wenn Cade jetzt aufstehen und gehen würde hätte er vielleicht eine Chance, zu überleben. Aber er stand nicht auf, er blieb sitzen und starrte mit einem fast schon fremden, glasigen Blick dorthin, wo die Templer wohl gleich den kleinen Hinterhof betreten würden. Es dauerte noch einige Sekunden, dann tauchten sie wirklich auf. Viele Männer in Rüstungen und den roten Kreuzen auf der Brust. Die Feinde, die ihn sein Leben lang begleitet hatten. Die er bekämpft hatte. Sollte er jetzt wirklich einfach aufgeben? Sich dem bevorstehenden Tod kampflos hingeben? Wäre das seine Art? Eigentlich war ihm das egal. Er war bereits schon beinahe tot gewesen. Faith war tot, seine Familie war tot, selbst der Orden war tot. Die letzten Überbliebenen würden kaum lang überleben. Er sah keine Hoffnung mehr. Aber was würde sein Vater wollen? Was würde der an seiner Stelle tun? Weiterkämpfen, vermutlich. Dem Feind nicht ohne einen Kampf den Triumph gönnen. Wenn der jetzt doch nur hier wäre. Er könnte ihm Ratschläge geben. Doch er war fort. Schon seit vielen Jahren. Und er würde nicht wiederkommen. Sonst hätte er ihm auch zuvor alles über dieses Amulett erzählen können. Dann wäre es gar nicht erst soweit gekommen. Was hatte Faith gesagt? Es könnte Leben retten. Er hatte keine Ahnung, in welcher Weise das gemeint war - aber das wäre in der jetzigen Situation definitiv hilfreich gewesen. Er sah den Templern entgegen, die langsamer wurden und die Szenerie, die sich vor ihnen bildete, verwirrt und geschockt betrachteten. Cade huschte ein kurzes Lächeln über's Gesicht. Ja, er hatte ihren verfluchten Spion um die Ecke gebracht. Ihn ausgeblutet wie ein Schwein beim Metzger. Doch wieso hatte Faith auch sterben müssen? Noch während die Templer ihn nach und nach als letzte, drohende Gefahr ausmachten, ließ er die Hände erschöpft in seinen Schoß sinken. Er wollte nicht kämpfen. Er war es leid. Dabei berührte er den Ring an seiner rechten Hand beiläufig. Gedankenverloren - und vielleicht auch, um seine Nervosität abzubauen - begann er, mit dem Ring herumzuspielen. Was für ein lächerliches Andenken das doch war. Vielleicht sogar noch lächerlicher als der Holzstab von Samantha. Denn der hatte wenigstens eine Bedeutung, eine daran hängende Erinnerung. Den Ring hatte er von seinem Vater bekommen. Er war ein einfaches Familienerbstück. Damit konnte er nichts anfangen. Er sah, wie die vorderen Templer ihrer Schwerter zogen und näherkamen. Jedoch zögerlich. Was erwarteten sie? Eine Falle? Erkannten sie nicht Cades Verzweiflung und Müdigkeit? Cade ließ den Kopf sinken und sah den Ring nachdenklich an. Er würde an niemanden irgendwas weitergeben. Er hatte ja niemanden mehr. Das hatten die Templer wirklich gut hinbekommen... Er zog den Ring vom Finger und strich über das Muster. Wieso war es seinem Vater so wichtig gewesen, den Ring weiterzugeben? Immerhin war Cade damals erst fünf gewesen. Oder jünger. Normalerweise übergab man Erbstücke doch am Sterbebett. Oder nach dem Tod. Nicht? Hatte er geahnt, dass er sterben würde? Hätte er den Ring nicht mit ins Grab nehmen können? Cade stockte. Moment. Was, wenn Faith gar kein Amulett gemeint hatte sondern ein anderes Schmuckstück - einen Ring? Wäre das möglich? Es würde passen. Wenn das dieses Ding mit den magischen Kräften war... würde er es anwenden können? Würde er Faiths Leben retten können? Er sah auf. Und erstarrte. Die schlichte Antwort war: nein. Würde er nicht. Die Templer würden ihn vorher töten. Sie fassten Mut, waren schon fast in tödlicher Nähe. Er würde es nicht schaffen. Seine eben gewonnene Hoffnung erlosch. Der erste Templer erreichte ihn. Und hob sein Schwert zum Todesstoß. Cade schloss die Augen. Und hörte plötzlich ein Surren. Ein Zischen, wie von einem Pfeil. Oder einem Wurfmesser. Cade riss die Augen auf. Der Templer stand wie angewurzelt da, öffnete mit einem erstickten Laut den Mund und kippte dann um. Cade sah sich genauso verwirrt um wie die anderen Templer. Was war passiert? Er hatte keine Hilfe erwartet. Wer war das? Auf einem Dach erkannte er eine Gestalt. Hatte sich doch einer der Bürger zusammengerissen und sich gegen die Templer gestellt? Nein, die Gestalt trug eine Kapuze. Es war ein Assassine. Mit einem geübten Sprung landete die Person im Schnee. Weitere Gestalten tauchten auf. Sie umkreisten die Templer, drängten sie weg von Cade. Wenn auch nur nach und nach. Cade saß noch wie angewurzelt da und sah dem Schauspiel zu, als sei es ein Theaterstück. "Cade! Weg hier!", rief plötzlich eine Stimme. Cade atmete auf. Es war Ace. Er und die anderen waren gekommen um ihm zu helfen. Aber woher wussten sie, wo er war? Hatte Viola es ihnen gesagt? Aber selbst dann hätten sie ihn nur mit viel Glück gefunden. Cade sah kurz zwischen den kämpfenden Personen hin und her. Die Assassinen waren immer noch verletzt und geschwächt von den letzten Tagen. Sie würden nicht ewig durchhalten. "Warte!", rief Cade zurück, umschloss den Ring mit seiner Faust und wandte sich wieder der leblosen Faith zu. Es musste klappen. Es musste einfach. Auch wenn er keine Ahnung von dem Zeug hatte. Er warf einen kurzen Blick über die Schulter. Entweder er würde es schaffen oder heute und hier sterben. Die anderen würden schon abhauen. Hoffte er. Ace hatte nichts mehr geantwortet. Er schien sich auf den Kampf konzentrieren zu müssen. Cade legte die Hand, die er eben noch zur Faust geballt hatte, und damit den Ring, auf Faiths Wunde. Das Blut ignorierte er geflissentlich. Er schloss konzentriert die Augen. Er hatte keinen blassen Schimmer, was er tun musste. Und ob es funktionierte. Er verließ sich einfach auf sein Gefühl. Er lenkte seine ganze Konzentration auf seine Händ, die er nun beide aufeinandergelegt hatte. Es dauerte einige Zeit, und beinahe hätte er wieder aufgegeben. Doch dann war es so, als würden seine Augenlider von außen mit einem starken, grellen Licht angestrahlt werden. Er öffnete überrascht die Augen und blinzelte direkt. Er verlor das Gefühl in den Handflächen, als würden sie im Nichts schweben. Er spürte weder den Ring noch Faiths Bauch unter seinen Händen. Stattdessen blendete ihn ein grelles, weißes Licht und trieb ihm erneut die Tränen in die Augen. Die Quelle lag eindeutig unter seinen Händen und sendete Strahlen zwischen seinen Fingern hindurch. Er keuchte erschrocken auf und riss die Hände weg. Das Leuchten blieb. Im nächsten Moment hörte er jemanden nach Luft schnappen. Faith hatte die Augen aufgerissen und rang nun nach Atem wie ein Fisch an Land. Erst, als sich ihre Atmung wieder einigermaßen beruhigt hatte sah sie sich um und erkannte Cades Gesicht. Er lächelte. Und seine Miene sprach von unendlicher Erleichterung. Faith lächelte ebenfalls. Er hatte es geschafft. Sie war zurück. Sie versuchte sich aufzurichten, was beinahe einwandfrei ging. Es war immer noch ein Stechen in ihrem Bauch da, doch längst nicht mehr so stark wie vorhin noch. Wie viel Zeit hier wohl vergangen war? Sobald sie aufrecht saß umarmte sie Cade und drückte ihn so fest sie konnte. Cade lächelte leicht und drückte sie ebenfalls an sich. Er hatte sie wieder. Seine Hoffnung war zurück. Auch wenn es nur ein kleiner Teil im großen Ganzen war. Er seufzte leise und vergrub sein Gesicht in ihren Haaren. Er wollte sie fragen, wo sie gewesen war. Ob es ihr auch wirklich gut ging. Doch das musste warten. Genauso wie die Fragen, die Faith auf der Zunge lagen. Was das Amulett nun genau war und ... wer die Kämpfenden da hinten waren. Templer und Assassinen? Im nächsten Moment erklang ein leicht schriller Ruf. "Cade!" Der Assassine zuckte zusammen, löste sich von Faith und rappelte sich mühsam auf. Dann zog er Faith hoch. Sie mussten weg hier. Sie waren alle verletzt. Erschöpft. Verloren. Er sah sich um. "Komm, Faith." Er griff nach ihrem Handgelenk und zog sie dann mit, bevor sie auch nur nicken konnte. Dabei suchte er Blickkontakt zu Ace, damit er und die anderen auch abhauen konnten. Gerade rechtzeitig, wie es schien. Die Assassinen gaben den Kampf auf und flohen in die Gassen und auf die Dächer. Einfach fort von hier. Hier gab es nur Leid für sie.

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