Red Snow

By MementoKore

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Der Boden dieses Landes wird seit Jahrhunderten vom Blut eines endlosen Krieges getränkt. Zwei Fraktionen, As... More

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Nachwort

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By MementoKore

Faith kam es vor wie in Zeitlupe. Asha fiel zu Boden und regte sich nicht mehr. Was war passiert? Was hatte sie getroffen? Oh Gott, bitte lass sie nicht tot sein! Faiths Schritte wurden langsamer, sie ignorierte die Templer, die immer näher kamen. Sie wollte nur zu Asha und sehen, ob sie noch am Leben war. Doch als sie stehenblieb packte sie jemand am Arm und zog sie weiter. Kurz stolperte Faith hinterher, wollte denjenigen anschreien, sich losreißen und zurückrennen. Doch da erreichten die Templer Asha bereits, sodass Faith stumm blieb und nach vorn sah. Kadir war es gewesen. Er hatte sie mitgezogen, und das trotz seines verletzten Arms. Faiths Blick war glasig und abwesend. Sie bekam ihre Umwelt kaum noch mit. Sie starrte perplex auf den Boden, der nun wieder mit einer dünnen Schicht Schnee bedeckt war. Ihre Beine rannten wie von selbst, auch als Kadir sie wieder losgelassen hatte. Die Geräusche um sie herum schienen von weit weg zu kommen. Es war alles nur noch dumpf und grau. Nach der Wut und dem Entsetzen kam die Gleichgültigkeit. Die Abwesenheit.

Die restlichen Assassinen waren aus Synva entkommen. Der Schneefall hatte nicht zugenommen, jedoch schien es auch nicht mehr aufzuhören zu schneien. Keiner der Assassinen freute sich über ihr Entkommen. Es herrschte bedrücktes Schweigen. Jeder wusste, dass sie gute Männer verloren hatten. Die, die im Gefängnis zurückgeblieben waren. Die, die in den Straßen Synvas umgekommen waren. Ebenso bedrückend war das Wissen, dass zwei Novizen, die noch halbe Kinder gewesen waren, ihr Leben gelassen hatten. Und niemand wusste, was diesen Knall verursacht hatte. Das Schweigen der Gruppe ließ das Ganze aussehen wie einen Trauermarsch. Und es war nichts anderes. Faith starrte ins Leere. Es war wie verflucht. Ihr Vater war gestorben, ihr Onkel war gestorben, ihre Mutter und ihre Tante waren Gefangene und nun war vermutlich sogar ihre Schwester tot. Konnte es noch schlimmer werden? Die Ordensmitglieder sah sie längst auch als Brüder und Schwestern an, sodass jeder tote Assassine wie ein Stich im Herzen war. Nun war es doch passiert. Sie hatte Gyth dazu überredet, diese Mission zu erlauben, und nun hatte sie mehrere Leben auf dem Gewissen. Es war ein schreckliches Gefühl.

Irgendwann kamen sie im Dorf an, wo sie sich ein paar Pferde nehmen konnten. Inzwischen waren die Schneeflocken kleiner geworden, jedoch waren es so viele dass es fast schon Nebel glich. Die Sicht war stark beeinschränkt, sodass die Assassinen nicht schnell reiten konnten. Erst als die Wolken aufrissen, der Schneefall sich verringerte und der Mond die winterliche Landschaft beleuchtete, kamen sie dem Hauptquartier näher. Ein beunruhigendes Gefühl hatte sich unter die Gruppe gemischt. Was war im Quartier passiert, solange sie weg gewesen waren? Gar nichts? Oder hatten die Templer nur auf so eine Aktion gewartet?...
Als sie die Unterstände erreichten fiel ihnen nichts Besonderes auf. Sie ließen die Pferde dort, sie mussten sie bald zurückbringen und ihre eigenen aus Synva zurückholen. Dann traten sie ins Hauptquartier ein. Als sie das Zentrum erreichten durchlief sie eine allgemeine Erleichterung. Endlich waren sie in Sicherheit. Endlich waren sie zurück. Nachts war nur wenig los, doch einigen fiel die Gruppe sofort auf. Kadir war so erschöpft dass er sich auf eine der Bänke setzte, während Leith mit ihm sprach und versuchte, ihn wachzuhalten. Jemand hatte wohl Gyth und Heath verständigt, denn beide Frauen tauchten kurz darauf auf. Als Eadgyth ihren Bruder erblickte wurden ihren Augen groß. Sie lief zu ihm und umarmte ihn herzlich. Kadir entfuhr ein leiser Schmerzenslaut, doch er lächelte ruhig und umarmte Gyth ebenfalls sogut es ging. Irgendwann löste sich Gyth wieder. Tränen glänzten in ihren Augen. "Ich hatte Angst", hauchte sie, um nicht vollends in Tränen auszubrechen. "Angst, dass du nicht zurückkehrst." Kadir nickte verständnisvoll, schwieg aber um Kraft zu sparen. Die anderen standen schweigend um die Bank herum. Viele waren noch zu sehr beschäftigt mit ihren letzten Erlebnissen, manche wollten die berührende Szene auch nicht unterbrechen. Gyth hatte sich wirklich schreckliche Sorgen gemacht. Einige Zeit stand sie noch mit Tränen kämpfend da, dann sah sie sich zwischen den Gestalten um. "Wo sind die anderen, die gerettet werden sollten?" Ace trat ein wenig vor. Er hielt den Blick gesenkt. "Sie wurden nicht im Gefängnis festgehalten." Wieder ließ Gyth einen scharfen Blick über die Reihen der Assassinen schweifen. Sie öffnete den Mund, zögerte aber, die Worte auszusprechen. "Wart ihr nicht viel mehr, als ihr losgegangen seid?", fragte sie mit belegter Stimme. Ace sah sie kurz stumm an. Dann nickte er bedächtig und sah zu Boden. "Wo sind sie?" Ace schluckte. "Tot, Ma'am." Gyths Blick blieb an Faith hängen. "Wo sind die anderen beiden Novizen?" Gyths Stimme zitterte ein wenig. Ace hob den Kopf wieder und starrte Gyth mit einem undefinierbaren Blick an. Er wollte es nicht aussprechen und fragte sich, wieso sie ihn gerade nach dieser offensichtlichen Sache fragte. "Ebenfalls tot, Ma'am." Erneutes betretenes Schweigen erfüllte den Raum. Heath drängelte sich durch die Reihen und beäugte kritisch Kadirs Wunden, dann sah sie zu den anderen Assassinen. "Das wird eine lange Nacht", seufzte sie. "Ich werde ein paar Hilfsärzte wecken, damit die Patienten schneller versorgt werden. Sie sehen aus als bräuchten sie Schlaf. Ihr übrigens auch." Sie bedachte Gyth mit einem sachlichen Blick. Die Frau nickte nur, ihr Blick war trüb von schlechten Nachrichten. Die Freude über das Wiedersehen ihres Bruders war längst vergangen. Faith wusste, wie es ihr ging. Beide gaben sich die Schuld dafür. Heath lief los um ihre Ärzte zu wecken, während Gyth fortging um sich den nötigen Schlaf zu nehmen.

Als Faith am nächsten Morgen aufwachte spürte sie sofort den Druck des Verbandes an ihrem Arm. Jedoch störte sie das nicht. Sie setzte sich auf und fuhr sich durch die Haare. Nach wenigen, glücklichen Sekunden, in denen sie nicht an den gestrigen Vorfall dachte, versetzte es sie plötzlich wieder zurück in die Realität. Wieder breitete sich in ihr das Gefühl aus, keinen Schritt vorangekommen zu sein. Allerhöchstens hatte sie einen großen zurück gemacht. Es war einfach nur deprimierend. Langsam verstand sie Cades dunkle Charakterzüge. Wenn man oft genug Freunde und Brüder verlor, verlor man auch irgendwann die Menschlichkeit. Sie wusste nicht, wie die vielen anderen Assassinen damit klarkamen. Zoé und Elora waren nicht mehr da, Zoé hatte Training und Elora hatte sich über den Zustand ihres Mentors erkundigt. Schwer verletzt war Leith nicht gewesen, aber er war ebenso erschöpft gewesen wie die anderen. Faith wechselte die Schlafkleidung mit ihrer Montur, setzte die Kapuze auf und zog sie sich tief ins Gesicht. Sie versuchte, nicht mehr daran zu denken, doch das verstärkte das Schuldgefühl nur noch. Sie befestigte die Waffen wieder an ihrem Platz, gestern Abend hatte sie sie trotz Müdigkeit noch poliert, sodass kein einziger Blutstropfen mehr daran zu sehen war. Auch ihre versteckte Klinge funktionierte nur einwandfrei, wenn sie gut gepflegt wurde. Sie musste sich irgendwie ablenken. Mit irgendjemandem reden. Als sie aus dem Zimmer trat wanderte ihr Blick kurz nach rechts, wo das Zimmer von Asha lag. Nun war es leer. Bei dem Gedanken ertappt wandte sie den Blick sofort wieder ab und lief die Treppen nach oben ins Zentrum. Ablenkung. Sie ließ ihren Blick schweifen und wusste nicht, nach was genau sie eigentlich suchte. Irgendwann sah sie Elora und Aed in ein Gespräch vertieft vorbeilaufen. Als Elora Faith erkannte hob sie den Kopf, blieb stehen und lief dann zu ihr. "Faith, es ist in aller Munde." Die Novizin sah sie verwirrt an. "Was?" Auch Aed gesellte sich hinzu und verfolgte das Gespräch interessiert mit. "Wie die Mission verlaufen ist. Dass ihr den Großmeister gerettet habt. Wie ihr den Todessprung gemeistert habt und... auch von den schlechten Neuigkeiten." Etwas, das aussah wie Mitleid, lag in Eloras Miene, doch sie blieb trotzdem strikt bei ihrer kühlen, sachlichen Stimme. Faith nickte nur. "Das war eine außergewöhnliche Leistung, Faith. Laut den anderen hast du gekämpft wie ein Assassine, nicht wie ein Novize." Eloras Augen funkelten leicht, vielleicht aus Freude für ihre Mitbewohnerin, vielleicht auch aus Neid. Wie gern würde Elora so etwas auch über sich hören. "Das mit Asha tut mir Leid...", murmelte Aed dann in das entstehende Schweigen hinein. Elora versetzte ihm einen warnenden Schlag, doch Faith winkte nur ab. "Ich weiß... Ich hätte es nicht verhindern können." Die Erkenntnis kam schleichend langsam. Niemand wusste, was mit Asha passiert war, also hätte sie sie auch nicht retten können ohne selbst in den Tod zu laufen. "Übrigens, Aed, du sollst meine Mutter und meine Tante im Gefängnis gesehen haben... Laut des Meisters waren sie nicht dort." Aed runzelte misstrauisch die Stirn. "Waren sie nicht?" Faith schüttelte nachdrücklich den Kopf und verschränkte die Arme. "Ich habe sie auf jeden Fall gesehen. Sie müssen sie weggebracht haben, bevor der Meister ankam", vermutete der Assassine dann nachdenklich. "Anders kann ich es mir nicht erklären." Er wirkte sichtlich verwirrt und gleichzeitig nagten nun auch Schuldgefühle an ihm, da Faith nur wegen diesen Informationen losgegangen war. Faith sah wieder stumm zu Boden. "Ich bin mir sicher, dass die Bruderschaft auch in diesen Zeiten wieder einen Ausweg findet. Das hat sie schon immer. Und jetzt komm, Aed, es gibt gleich Abendessen." Faith sah sie verwirrt an. "Abendessen?" Elora nickte. "Du hast lang geschlafen." Faith ließ nicht locker. "Geht Aed denn immer noch zu den Novizen essen?" Elora und Aed tauschten kurz vielsagende Blicke aus, dann sah Elora wieder zu Faith. "Nein, ich gehe zu den Assassinen essen. Gestern Abend war meine Zeremonie."

Nachdem Faith ihrer Freundin Glückwünsche zugesprochen hatte waren Aed und sie verschwunden. Deswegen war Elora nicht mehr in ihrem Raum gewesen. Sie hatte nun ein Zimmer bei den Assassinen. Gerade wollte Faith sich auch zum Speisesaal aufmachen, als jemand sie aufhielt. "Hey, du. Der Meister will dich sprechen." Es war einer der Assassinen, die auf der Mission dabei gewesen waren. Faith warf ihm kurz einen abwesenden Blick zu, da sie erneut Erinnerungen verdrängen musste, dann nickte sie und machte sich auf den Weg zu Kadirs Gemach. Was der Meister wohl von ihr wollte? Ihr persönlich danken? Dabei war es gar nicht ihr Verdienst gewesen. Und ihre Mission schon gar nicht. Sie erreichte den Gang und stellte sich vor die Tür, an der sie nun kurz klopfte. "Herein", ertönte Kadirs Stimme. Inzwischen klang sie wieder etwas wacher und fester. Faith öffnete die Tür und trat ein. Gyth war inzwischen wieder aus diesem Raum ausgezogen, der Stapel Papiere auf dem Schreibtisch hatte sich aber nicht verändert. Faith schloss die Tür hinter sich und sah zum Großmeister, der hinter eben diesem Schreibtisch saß und gerade einen Text zu Papier brachte. Die Novizin musterte ihn kurz. Ein dicker Verband war an seiner Schulter zu sehen, einige Kratzer und andere kleine Wunden waren noch zu erkennen und ob er an seinem verletzten Bein auch einen Verband trug, konnte sie nicht sagen. Faith wartete geduldig, bis Kadir zu Ende geschrieben hatte, das Papier nahm und es gegen das Licht der Kerze hielt, die ebenfalls auf dem Schreibtisch ihren Platz hatte. Er wedelte es kurz leicht, damit die Tinte trocknete, und legte es dann zurück auf den Tisch. Wie immer im Quartier trug er seine Kapuze nicht und sah Faith nun abwartend an. Sie ließ ihre Kapuze jedoch auf dem Kopf. Vielleicht als Zeichen der Trauer, aber sicher war sie sich nicht. Vielleicht wollte sie auch einfach nichts mit der Außenwelt zu tun haben. "Setz dich doch", bot Kadir an und deutete auf den Stuhl, der immer vor seinem Schreibtisch stand. Faith tat wie ihr geheißen und nahm Platz, dann sah sie den Meister fragend an. "Wieso habt Ihr mich holen lassen?", fragte sie mit ruhiger Stimme, sodass ihr Respekt gegenüber dem Großmeister gezeigt wurde. Kadir war aufgestanden, hatte die Arme hinter dem Rücken verschränkt - was angesichts seines Verbandes sicher nicht einfach war - und lief im Raum etwas auf und ab. Nun entdeckte Faith auch den Verband an seinem Bein. Trotzdem machte der Großmeister keinerlei Anstalten, zu humpeln. Sein Gang war geschmeidig und stolz wie eh und je. "Nun, vielleicht hast du es ja schon gehört? Die Assassinen sprechen über deine Taten." Faith ließ ihn keinen Moment aus den Augen, wie er da wie ein unruhiger Tiger durch einen Käfig streifte. "Welche Taten? Ich hatte nicht die Mission, Euch zu retten, Meister, das waren Cade und Leith. Unsere Mission ist gescheitert." Kadir blieb stehen und lächelte Faith entgegen. "Die Mission ist in diesem Fall Nebensache. Mir und den Meisterassassinen ist es nicht unbemerkt geblieben, wie du dich verhalten hast. War das dein erster Todessprung?" Die stahlgrauen Augen des Großmeisters ruhten, die Antwort abwartend, auf ihr. Faith dachte wirklich einige Zeit darüber nach. War es das? Hatte sie jemals bei einer ihrer Missionen einen Todessprung gemacht? Nein, und besonders noch nie aus dieser Höhe. "Ja, Meister. Das war bis jetzt mein erster", antwortete sie also wahrheitsgemäß. Kadirs Lächeln wurde breiter. "Bemerkenswert. Hattest du keine Angst? Angst, es nicht zu schaffen? Die beiden anderen Novizen sahen nach dem Sprung ziemlich mitgenommen aus..." Faith blieb eisern bei ihrer Sachlichkeit. "Nein, Meister. Ich hatte keine Angst." Diese Antwort schien Kadir erneut sehr zu erfreuen. "Ich bin wirklich erstaunt. Wie lang bist du nun schon Novize?" Faith öffnete ahnungslos den Mund, suchte nach einer ungefähren Antwort doch fand keine. Sie hatte ihr Zeitgefühl hier verloren. "Ich weiß nicht, einige Monate?" Kadirs Lächeln verging nicht, es blieb bestehen während ihres ganzen Gesprächs. "Ich muss auch sagen, dass deine Kampfweise auf mich sehr bedacht und sauber gewirkt hat." War das ein Lob? Faith neigte ehrfürchtig den Kopf. "Danke, Meister." Mit seinem beständigen Dauergrinsen setzte der Großmeister sich wieder auf seinen Stuhl und faltete die Hände, die er auf den Schreibtisch gelegt hatte. "Faith, ich habe mich heute mit einigen anderen Meisterassassinen beraten, und wir sind zu dem Entschluss gekommen dass man dir nicht viel mehr beibringen kann. Wir sind der Meinung, dass du bereit bist, deine Ausbildung abzuschließen und zum Assassinen erhoben zu werden." Kurz herrschte Schweigen, und in dieser kurzen Zeit versuchte Faith zu realisieren, was er da gerade zu ihr gesagt hatte. Sie? Ein Assassine? Jetzt schon? Sie hatte irgendwie das Gefühl gehabt, noch mehr Zeit zu haben. Noch mehr Zeit als Novize. Sie starrte, während sie nachdachte, nur verblüfft vor sich auf den Tisch, jedoch ohne zu realisieren was dort lag, da vor ihrem inneren Auge mehr passierte als hier im Raum. Dann sah sie Kadir nur ungläubig an. "Ihr glaubt wirklich, dass ich bereit dafür bin?" Kadir lachte kurz. "Ich glaube es nicht, ich weiß es." Es verschlug Faith den Atem. Hatte Elora nicht einmal gesagt, es gab nur wenige, die so früh zum Assassinen ernannt wurden? Und nun wurde ihr diese Ehre zuteil. Sie wusste nicht ob sie in Tränen ausbrechen oder durch den Raum hüpfen sollte, es war einfach zu überwältigend. Kadirs breites Grinsen ebbte nun etwas ab zu einem ruhigen, wieder mehr väterlichen Lächeln. "Ich sehe, du bist einverstanden?" Faith sah ihn nun mit großen, fröhlichen Augen an. Das war die Ablenkung, die sie gebraucht hatte. Die Erinnerungen waren unwichtig geworden, es zählte nur dieser Augenblick, in dem sie realisierte, was für eine Ehre das war. Sie nickte mehrmals, was Kadirs Lächeln wieder kurz verbreiterte. "Wir sehen uns nach dem Abendessen im Quarzsaal." Faith lächelte nun ebenfalls breit, nickte erneut und stand auf. "Vielen Dank für Euer Vertrauen, Meister." Kadir erhob sich ebenfalls, um ihr die Tür zu öffnen. "Vielen Dank dafür, dass ich das miterleben durfte", erwiderte er nur mit fester Stimme. Faith trat aus der geöffneten Tür und lief irgendwo hin, automatisch gesteuert von ihrem Unterbewusstsein. Denn ihre Gedanken waren immer noch in Kadirs Zimmer bei ihrem Gespräch. War das wirklich wahr? Hatte sie das gerade echt erlebt?

Im Speisesaal hatte sie Zoé getroffen, der sie von ihrem Gespräch natürlich sofort ausführlich erzählen musste. Die Novizin hätte beinahe aufgequiekt vor Freude, doch Faith brachte sie dazu, das nicht so laut herauszurufen. Sie wollte irgendwie nicht, dass es alle wussten. Vermutlich dachten sich die meisten sowieso schon ihren Teil, wenn 'ihre Taten in aller Munde waren'. Zoé begleitete sie nach dem Essen natürlich auch in den Versammlungssaal. Da es nun Winter war war es draußen bereits dunkel, und die Spiegel konnten ihre Arbeit nicht mehr tun. Deshalb waren einige Fackeln entzündet worden, damit wenigstens etwas Licht herrschte. Noch waren nicht so viele anwesend, Kadir und Gyth waren bereits da und sprachen miteinander. "Das Wasser ist warm genug, es wird nicht zufrieren", beschwichtigte Gyth ihren Bruder gerade. Als sie Faith entdeckte, lächelte sie sofort und lief auf sie zu. Faiths Miene verwandelte sich plötzlich von vorfreudig in betrübt. Sie hatte ihr damals versprochen, erfolgreich mit der Mission zu sein. Und sie hatte dieses Versprechen nicht halten können. Eadgyth bemerkte Faiths Stimmungswandel, ging vor ihr in die Hocke und griff nach einer ihrer Hände. "Bist du aufgeregt? Das musst du nicht sein..." Faith schüttelte den Kopf. "Nein, ich bin nicht aufgeregt. Es tut mir Leid, Gyth... Ich... habe mein Wort gebrochen." Für einen Moment sah die Frau sie verwundert an, dann schien auch sie sich daran zu erinnern. Sie lächelte beruhigend, stellte sich wieder gerade hin und strich Faith kurz über die Haare. "Keine Sorge, das ist nicht wichtig. Du hast überlebt, und damit auch alle anderen. Denn sie leben in deinen Erinnerungen weiter. Also mach dir keinen Kopf deswegen sondern freu' dich auf die Zeremonie. Tust du das?" Faith schwieg bedrückt. "Könntest du es für mich tun?", fügte Gyth dann mit einer sanften Stimme hinzu. Faith fiel erst jetzt auf, dass beide - Kadir und Gyth - sich ihr gegenüber immer wieder wie ein Vater und eine Mutter verhielten. Vielleicht auch gegenüber allen anderen Novizen, vielleicht auch allen Assassinen. Sie nickte letztendlich und setzte ein, wenn auch noch etwas erzwungenes, Lächeln auf. Zoé hatte das ganze nicht mitbekommen, sie hatte sich bereits an Kadir gewendet und ihn gefragt, ob sie sich auf einen der Stühle setzen durfte. Er hatte eingewilligt. Nun saß sie also als eine der wenigen dort. Gyth setzte sich auch irgendwann, Kadir jedoch blieb bei Faith stehen. Er sprach nicht, aber seine Gegenwart strahlte doch eine gewisse Ruhe aus. Wenn er an ihre Fähigkeiten glaubte, dann würden es die anderen Assassinen auch. Der Raum füllte sich, es setzten sich weitere Personen an den Tisch. Viele von ihnen kannte Faith bereits. Leith und Cade waren beide anwesend, genauso wie Ace. Der blondhaarige Meisterassassine hatte ihr einen wohlwollenden Blick zugeworfen, auch er schien sich für sie zu freuen. Sogar Cyril nahm Platz am Tisch, Zoés Mentorin setzte sich zu ihrer Schülerin, Heath hatte ihr Heilzimmer verlassen und gesellte sich auch hinzu. Auch Aed, Elora und einige Novizen, die Faith kannte, betraten den Saal, setzten sich jedoch nicht an den Tisch sondern blieben in den Gängen in der Außenwand des Saals stehen. Irgendwann erhob Kadir die Stimme und sorgte damit für Ruhe. Er begann, allen zu erklären, wieso sie heute hier waren. "Faith hat ihre außergewöhnlich ausgeprägten Fähigkeiten gestern bei ihrer Mission bewiesen, ich - und einige Meisterassassinen, die das ebenfalls bestätigen können - haben es mit eigenen Augen gesehen. Diese Novizin beherrscht alle Künste, die sie als Assassine benötigt, und bedarf keines weiteren Trainings." Faith fühlte sich von jedem einzelnen Wort geehrt, das er aussprach. Sie selbst stand nur neben dem Großmeister, traute sich nicht, jemanden in der Menge direkt anzusehen, und schwieg. Sie hatte auch keinen Part in dieser Zeremonie, in dem sie etwas sagen musste. Denn das hatte sie schon getan, als sie zur Novizin ernannt worden war. Nun hatten die erfahreneren Assassinen entschieden, dass sie bereit war, in den nächsten Rang erhoben zu werden. Irgendwann bestätigte Kadir offiziell, dass sie nun ein Assassine war, und kein Novize mehr. "Zuletzt muss der Mentor zustimmen, dass die Novizin auch in seinen Augen die Fähigkeiten eines vollwertigen Assassinen besitzt." Faiths Herzschlag setzte einen kurzen Moment aus. Ihr Blick wanderte zu Cade, der stumm und regungslos im Schatten gesessen und gelauscht hatte. Würde er seine Einwilligung geben? "Cade, erhebe dich." Der Meisterassassine stand auf, ließ kurz seinen kalten Blick über die Anwesenden schweifen und sah dann zu Kadir. "Bist du der Meinung, dass die Novizin die ausreichenden Fähigkeiten besitzt, dass sie unsere Prinzipien vertritt und unsere Künste beherrscht?", stellte der Großmeister die zeremonielle Frage. Das ganze Publikum schien den Atem anzuhalten. Auch Faith hielt inne. Was würde er sagen? Er, der immer alles kritisch und negativ sah. Einige Momente des Bangens vergingen, dann antwortete Cade: "Ja, Meister, dieser Meinung bin ich." Faith atmete erleichtert aus. Jetzt stand ihr nichts mehr im Weg, ihre Novizenzeit abzuschließen. Zumindest fast nichts mehr. Denn im nächstens Moment erhoben sich alle, die auf den Stühlen saßen. Kadir lief los und Faith folgte ihm. Sie brauchte eine kurze Zeit um sich an Aeds Zeremonie und an den darauffolgenden Todessprung zu erinnern. Ein Todessprung, um zu zeigen, dass sie keine Angst mehr vor dem Tod hatte. Würde sie wieder dieses ruhige, befreite Gefühl haben? Was, wenn nicht und wenn sie sich nicht traute zu springen? Sie liefen wie damals die große Wendeltreppe nach oben, einige hatten Fackeln mitgenommen. Dieses Mal lief Faith jedoch nicht mitten unter den Zuschauern sondern ganz vorn. Als sie hinaus ins Freie traten wehte Faith sofort stechend kalter Wind ins Gesicht. Momentan schneite es nicht, aber auf dem Plateau lag eine Schicht Schnee, die im Mondlicht weiß glitzerte. Der Mond selbst war aber nur ab und zu zu sehen, denn schwarze Wolken verperrten dem Mondlicht immer wieder den Weg. Faith trat an das schwarze Loch heran, das immer noch in der Mitte des Plateaus prangte, während sich die anderen drum herum versammelten. Als alle anwesend waren, wiederholte Kadir die üblichen Worte. "Jeder wahre Assassine fürchtet den Tod nicht." Kadirs Stimme musste gegen den starken Wind ankämpfen. "Faith, zeig uns, dass du ein wahrer Assassine bist..." Faith wusste, was sie zu tun hatte, und nickte. Sie stellte sich an den Rand der Höhle und sah hinein in die Schwärze. Sie wusste nicht, was sie unten erwartete. Kurz atmete sie tief ein, egal wie kalt und beißend die Luft sich in ihrer Lunge anfühlte. Als sie wieder das beruhigende Freiheitsgefühl spürte, durchfuhr sie auch eine Welle der Erleichterung. Das nutzte sie, stieß sich ab und sprang in die unbekannte Schwärze.

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