Timeless

By Emaayy

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Nachdem Damian und Ever getrennt waren, kam nun endlich raus weshalb er sich von ihr distanziert hatte. Eine... More

Teil 1
Teil 2
Teil 3
Teil 4
Teil 5
Teil 6
Teil 8
Teil 9
Teil 10
Teil 11
Playlist
Teil 12
Teil 13
Teil 14
Teil 15
Teil 16
Teil 17
Teil 18
Teil 19
Teil 20
Teil 21
Teil 22
Epilog
Danksagung
Werde mein nächster Hauptcharakter!
Kurze Anmerkung
SAVE HUNTER

Teil 7

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By Emaayy


Teil 7

Ever

Die nächsten Tage verliefen überraschend friedlich. Nando ging es besser, seit er im Krankenhaus war und regelmäßig seine Tabletten schluckte. Mir kam es so vor, dass seit Lorenzo mich ausversehen geschlagen hatte, die Stimmung im Haus besser geworden war. Ja, besser. Damian redet ganz normal mit seinem Bruder. Anfangs hat es ihn gewundert, doch dann wirkte er erleichtert. Seitdem ist Lorenzo viel öfter zuhause und spricht auch wieder mehr mit seiner Familie. Mit mir jedoch hat er noch immer kein einziges Wort gesprochen. Vielleicht fühlt er sich noch immer schuldig, obwohl er das nicht muss. Von meiner Wunde ist nur ein wenig zu sehen und sie verheilt schneller als gedacht. Ich war froh, dass sich alles wieder einigermaßen normalisiert hatte. Es gab Tage an denen es schien, als würde jeder im Haus Nando's Krankheit vergessen. Um ehrlich zu sein kam es einem wirklich so vor. Es wurde wärmer und Nando, Lorenzo, Damian und ich gingen Eis essen oder einfach nur spazieren. Es war nicht seltsam oder traurig, nein es war wunderschön. Nando sprang herum und kleckerte sein T-Shirt mit Eis voll. Wir lachten alle miteinander, so dass unsere Bäuche uns wehtaten. Wenn Nando dabei war, war alles so gut. Niemand hasste sich, niemand war traurig und niemand dachte an seine Krankheit. Lorena wurde wieder viel lockerer, seit auch sie gemerkt hatte, dass es ihrem Sohn besser ging. Sie erlaubte viel mehr Aktivitäten, jedoch nicht alle, was allerdings verständlich ist. Auch wenn alles rosig schien, war der Krebs nicht weg. Er saß in Nando und wartete nur darauf anzugreifen.

Wir saßen bei der Ärztin. Nando, Damian, Lorenzo, Lorena und ich. Diego konnte nicht mitkommen, da er geschäftlich verreist war und es angeblich total wichtig sei. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass es im Moment etwas wichtigeres gab als Nando, doch jedem seine Sache. Ich mochte die rothaarige Ärztin noch immer nicht. Sie wirkte so leblos und kalt. Ob sie das nur ausstrahlte aber eigentlich garnicht so war? Jedoch sprach sie auch nicht sonderlich freundlich, weshalb sich ihr inneres vielleicht wirklich auf ihr aussehen überträgt. Sie holte Nando's Akte aus einer Schublade und knallte sie auf den Tisch. Ich zuckte von dem Lärm zusammen und verspannte ein wenig.

„Nunja wie es aussieht verbreiten sich die Metastasen in seinem Bauch langsamer als erwartet. Wir hatten eigentlich angenommen, dass sie sich bei ihm besonders schnell verbreiten, aber wie es sieht verlangsamt sich die ganze Prozedur doch noch."

Da war es wieder. Ihre Stimme, die so klang als sei es ihr egal was sie sagte.

Ich hörte Lorena leise aufseufzten. Sie klang erleichtert, was die Sache nur noch schlimmer machte, dass diese Erleichterung nicht immer anhalten würde.

„Nichtsdestotrotz, kann sich das verändern wie ein Wettersturz."

„Was zum Teufel ist ein Wettersturz? Können sie mal normal reden anstatt solche Wörter wie „Wettersturz" zu verwenden. Es geht hier um eine Krankheit verdammt nochmal da sind Vergleiche mit irgendwelchen Wetter was weiß ich wie das Wort heißt, ziemlich unangebracht."

Die Ärztin sah zu Lorenzo und zog eine Augenbraue in die Höhe. Lorena sah ihn vernichtend an, doch er ignorierte es und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich musste gestehen, dass ich Lorenzo irgendwie recht gab. Nando blickte fragend zu mir, worauf ich kaum merkbar mit den Schultern zuckte. Manchmal fragte ich mich, ob er überhaupt wusste um was es hier eigentlich ging. Natürlich wusste er, dass er Krank war, aber wie viel wusste er? Ich hatte mich noch nie gefragt, was Nando eigentlich die ganze Zeit darüber denkt. Damian blickte schon seit wir den Raum betreten hatten zu Boden und hatte den Blick seither nicht von den grauen Fließen abgewendet. Auch jetzt nicht, als Lorenzo seinen Senf dazu gab. Ich machte mir sorgen um ihn und am liebsten würde ich ihn an der Schulter berühren, doch ich ließ es bleiben.

„Wie ich schon sagte, es kann sein, dass sich Metastasen wieder schneller ausbreiten können. Es gibt keine Garantie für seinen guten Zustand."

Die Ärztin erhob sich, somit auch wir. Lorena bückte sich zu der Ärztin vor und sah voller Erwartung zu ihr hoch. Obwohl sie hohe Schuhe trug, wirkte sie im Vergleich zur Ärztin winzig. Wie ich wohl neben ihr aussehen würde. Wie Tea wohl neben ihr Aussehen würde. Tea. Ich sollte sie mal wieder anrufen.

„Was können wir tun, um seinen Zustand aufrecht zu erhalten?" fragte Lorena panisch. Es war die Stimme einer verzweifelten Mutter, die da sprach. Ich konnte mir nicht vorstellen was sie fühlen muss. Hilflosigkeit und Verzweiflung, die ganze Zeit lang. Plötzlich wurde es still im Raum. So leise, dass man eine Ameise gehört hätte, wenn sie über den Boden gelaufen wäre. Die Ärztin strich lose rote Haarsträhnen hinters Ohr und richtete ihren Mantel. Nach ihrem Blick zu Urteilen, würde sie gleich nichts gutes von sich geben. Dies schien auch Damian zu merken, denn er nahm seinen kleinen Bruder bei der Hand und ging mit ihm wortlos aus dem Zimmer. Lorena, Lorenzo und ich blieben übrig. Sobald die Tür ins Schloss fiel, öffnete sich ihr Mund.

„Was sie tun können? Ganz ehrlich, genissen sie die guten Tage, denn ich verspreche ihnen es wird nicht besser werden sondern schneller. Und es wird mehr Tage geben, an denen es ihm schlecht gehen wird als gut."

Die Blase um mich herum zerplatzte. All die friedlichen Tage, die wir gehabt hatten wirkten plötzlich so verloren. Ihre Worte trafen mich so sehr, wie ein schlag ins Gesicht, denn ich bemerkte wie recht sie eigentlich hatte. Was hatte ich eigentlich erwartet? Dass es ihm jetzt immer gut gehen wird und das der Krebs einfach so verschwindet? Als ich bemerkte, dass Lorena Tränen in den Augen stiegen, blickte ich schnell zu Lorenzo. Ich konnte das einfach nicht mitansehen. Ich hasste es, wenn andere Menschen weinten und vorallem, Menschen die ich mag. Lorenzo hatte in letzter Zeit glücklicher als je zuvor gewirkt, doch davon war keine Spur mehr. Seine braunen Augen vernebelten sich schlagartig, genauso wie die Farbe in seinem Gesicht. Er ballte die Hände zu Fäusten und zitterte leicht. Ich würde ihm gerne meine Hand auf die Schulter legen und ihm sagen, dass er nicht allein ist, doch er würde mich abschütteln und wahrscheinlich noch frustrierter werden. Er grenzt sich so aus und will ständig alleine oder mit Nando sein. Ich verstehe nicht, weshalb er nicht mit irgendjemanden redet. Weder mit Damian noch seinen Eltern. Er verschwindet nachts noch immer und ich würde nur zu gern wissen was er immer treibt.

Wir verließen wortlos den Raum. Die Ärztin packte ihre Sachen und ich war mir nichtmal sicher, ob sie bemerkt hatte, dass wir das Zimmer verlassen hatten. Damian wirbelte Nando gerade in der Luft. Seine schwarzen lockten tanzten auf seinem Kopf, während sein lächeln den Sonnenschein in den Schatten stellte. Damian ließ ihn auf den Boden sinken, als er uns erblickte. Sofort wurde sein Gesichtsausdruck ernst.

„Können wir bald an den See fahren? Es ist so warm geworden Mummy."

Sie lächelte leicht und nickte. Diese Reaktion war so unerwartet, doch nach dem die Ärztin gesagt hatte wir sollten die guten Tage genissen war ich froh, dass sie nickte. Nando's Augen leuchteten auf.

„Wirklich? Können wir schon morgen gehen?" fragte er und hüpfte voller Freunde auf und ab. Lorena nahm Nando's Hand und bejahte. Den Weg zum Auto hüpfte und tanzte Nando förmlich. Ich würde wohl nie verstehen, wie er in seiner Lage so aufgeladen sein konnte. Er war so stark und bemerkte es nicht. Im Gegensatz zu Lorenzo, der das Auto fuhr und jede rote Ampel überquerte auch nachdem seine Mutter ihm gesagt hatte, er solle das sein lassen. Damian starrte die gesamte Autofahrt aus dem Fenster. Wenn er so verträumt und in Gedanken verloren war, fragte ich mich jedesmal an was er dachte. Nando erzählte mir die ganze Zeit wie sehr er sich auf morgen freute.

„Es ist zwar zu kalt um zu Baden, aber vielleicht werde ich nur kurz die Füße ins Wasser tun."

Ich grinste.

„Ich mache mit."

„Wirklich?" fragte er neugierig.

„Ja, ich meine solange wir nicht ins Wasser reinspringen und schwimmen."

„Magst du es nicht zu schwimmen?"

Ich dachte an meine erste Nacht auf der Universität und musste lächeln. Es war so verrückt wie sich alles verändert hatte, vorallem wenn man sich den Anfang unserer ganzen Geschichte betrachte. Damian und ich. Verschieden wie Tag und Nacht und doch so gleich. Niemals hätte ich damit gerechnet mich in ihn zu verlieben, geschweige denn mich überhaupt zu verlieben.

„Nein um genau zu sein hasse ich es zu schwimmen."

Ich hasste es, weil ich mich nicht im Bikini zeigte. Der Sommer kam immer näher, was mich verunsicherte. Selbst wenn ich meine Narben abdecke, wird die Sonne zeigen, dass sie da sind. Kurze Hosen zu tragen ist unmöglich. Höchsten Knielange Kleider und T-Shirts sind in Ordnung. Ich hasste es, dass ich so eingeschränkt in meiner Kleiderwahl war. Vorallem im Sommer, wenn jedes Mädchen sich hübsch kleidet und in kurzen Hosen rumläuft. Ich werde im Gegensatz zu denen so dermaßen unattraktiv aussehen.

„Wieso denn?"

Ich zuckte mit den Schultern.

„Ich kann nicht sonderlich gut schwimmen."

„Du kannst es lernen. Ich kann es dir beibringen."

Ich wollte nicken, doch wenn ich daran dachte, dass Nando bis es so warm ist, dass man schwimmen kann nicht da ist überlege ich es mir anders. Aber was sollte ich darauf antworten?

„Willst du deine Federballausrüstung mitnehmen?" fragte Damian und wandte sich an seinen kleinen Bruder. Er musste meine unausweichliche Lage gemerkt haben. Dankbar sah ich zu ihm, worauf er leicht nickte. Nando's große Augen schielten zu Damian.

„Aber ich kann doch so schlecht Federball spielen." seufzte er und legte die Stirn in falten.

„Na und? Wir üben morgen."

Nando's Zähne leuchteten auf. Damian grinste schief und lehnte sich zufrieden im Sitz zurück. Er legte die Hand auf die Sitzlehne und berührte mit seinen Fingern meine Schulter. Da Nando zwischen uns saß, fühlte es sich so fremd Damian nicht zu berühren. Ich weiß, es klang verrückt, doch so war es mittlerweile nunmal. Beim essen oder wenn wir nur auf der Couch saßen und Fernseher sahen lag seien Hand auf meinem Knie. Beim lernen spielte er immer mit meinem Haar und selbst beim Zähneputzen stieß er mich immer mit seinem Ellenbogen an. Wir berührten uns so gut wie immer wenn wir gemeinsam waren. Ich war froh, dass seine Finger nun meine Schulter strichen. Ich kam mir die ganze Zeit schon irgendwie nackt vor, als würde einfach etwas fehlen. Allein das zeigte wie verrückt wir nach einander war.

Damian

Nachdem wir alle (außer Lorenzo natürlich) gekocht und gegessen hatten, verbrachten wir den restlichen Abend auf dem Sofa. Ever, die mit Nando irgendwelche Klatschreime sang und sich dabei die Hände wund klatschten. Ich hatte das in der Grundschule auch immer gespielt, jedoch konnte ich den Text nicht mehr. Meine bezaubernde Freundin schon, was mich zum schmunzeln brachte.

„Wieso zum Teufel kannst du diesen Text noch auswendig? Wann singt man das, in der Grundschule?"

Sie lief ein wenig rot an.

„Sowas vergisst man nicht. Man kann sich doch den „Beim Bäcker hat's gebrannt" Text merken." Sie sah so süß aus, als sie mit ihren Fingern Anführungszeichen bildete und dabei völlig ernst wirkte. Immer wenn sie mit Nando zusammen war, dachte ich daran was für eine Mutter sie werden würde. Sie würde so liebevoll, geduldig und fürsorglich sein. Ich stellte mir vor, wenn sie kochend am Herd stand und ich von der Arbeit zur Haustür reinkam. Sie würde von dem Kochlöffel hoch sehe und zu mir sehen. Ihre Augen würden leuchten, wie sie es immer taten wenn sie mich ansah. Ich liebte das. Unsere Kinder würden vielleicht schon im Bett liegen oder gerade die Zähne putzen. Ich hoffte sie würden so aussehen wie Ever. Ihre Augen, ihre sanften Gesichtszüge und vorallem ihre kleine Stupsnase. Mein Gott, ich saß ernsthaft da und dachte an unsere Zukunft und wie unsere Kinder aussehen könnten. Scheiße, ich liebte dieses Mädchen wirklich krankhaft.

Meine Mutter holte ein altes Fotoalbum aus dem Wandschrank und kam grinsend auf's Sofa zugelaufen. Ich rollte mit den Augen. Ever streckte den Kopf und sah neugierig auf den Schoß meiner Mutter.

„Na kommt, lasst uns alte Fotos anschauen."

„Mum nein bitte." stöhnte ich und fuhr mit den Händen übers Gesicht. Sie grinste schadenfroh und nickte.

„Oh doch."

„Ich will sie auch sehen." sagte Nando. Er setzte sich neben Mum und steckte den Kopf beinahe ins Fotoalbum, weil er angst hatte nichts sehen zu können. Ever wollte gerade neben mir platz nehmen, als ich sie auf meinen Schoß zog. Ihre Augen schweiften zu meiner Mutter und dann wieder zu mir. Ich wusste, dass es ihr unangenehm war, doch das musste es ihr nicht sein. Mittlerweile wohnt sie schon so lange bei uns, dass meine Mum nichtmal mehr bemerkt, wenn wir uns küssen oder Ever auf meinem Schoß sitzt. Trotzdem fand ich es amüsant, wie sie sich jedesmal ein wenig schämte.

Meine Mutter zeigte natürlich die peinlichsten Fotos von mir und Lorenzo, aber vorallem von mir. Wie ich mit eis vollgekleckert war, in der Badewanne saß, ich einen Sack voller Mehl geleert hatte oder einfach nur im sitzen eingeschlafen war und sabberte wie sonst was. Nando lachte bei so gut wie jedem Foto laut auf. Ich vergrub mein Gesicht in Ever's Halsbeuge. Sie sagte die ganze Zeit wie süß ich doch gewesen sei. Bei jedem Foto quietschte sie leise, wie ein kleines Mädchen. Sie war ja auch ein kleines Mädchen. Mein kleines Mädchen. Es gab nichts schöneres, als die Menschen die ich liebe glücklich zu sehen. Selbst meine Mutter musste die ganze Zeit vor sich hin grinsen. Ehe wir uns versahen war es schon spät geworden. Wir machten uns wie jeden Abend bettfertig. Lorenzo kam aus seinem Zimmer und lief direkt in Nando's. Er las ihm jeden Abend diese eine Gute Nacht Geschichte vor. Es war jedesmal die gleiche und ich glaube bei den beiden war es schon sowas wie eine Tradition. Ich weiß nicht genau wie lange die das schon machten, vielleicht 2 oder 3 Jahre? Seit wir wieder vom Krankenhaus gekommen waren, verhielt er sich merkwürdig. Ich wusste nicht was die Ärztin noch zu ihnen gesagt hatte, als Nando und ich das Zimmer verlassen hatten. Ever wollte ich nicht fragen. Vielleicht würde sie traurig werden, wenn ich sie darauf ansprechen würde und das wollte ich nicht.

Sie lag in meinen Armen und war beinahe eingeschlafen. Ich spürte noch ihren Zeigefinger, der das Tattoo, dass ich mir für sie gestochen hatte nachfuhr. Jeden Abend wenn sie sich an mich kuschelte verursachte es Schmetterlinge in meinem Bauch. Ich fragte mich ob das jemals aufhören würde. Ihre Atmung wurde langsamer. Sie holte leise durch die Nase Luft und hatte die Augen geschlossen. Wenn sie so da lag sah sie jedesmal aus wie ein Engel. Es war so schön wenn wir einfach wortlos ins Bett gingen und nur unser Herzschlag den Raum mit Klang erfüllte. Manchmal konnte ich es immer noch nicht glauben, dass sie tatsächlich mir gehörte. Ich liebte sie so sehr und war mir sicher, dass ich es ihr viel zu selten zeigte. Im Haus war es so still, dass ich das klicken der Haustür hörte. Lorenzo, er ging wieder. Wohin ging er jeden verdammten Abend!? Wenn ich im halbschlaf war hatte ich ihn immer das Haus verlassen hören, jedoch habe ich mich nie aufgerappelt ihm zu folgen. 1) Weil ich jedesmal zu müde war 2) Weil ich keine Lust auf einen weiteren Konflikt mit ihm hatte 3) Weil Ever jedesmal so perfekt in meinen Armen lag, dass ich sie einfach nicht loslassen wollte. Doch heute musste ich ihm folgen. Ich musste einfach. Zwar war ich noch immer verdammt sauer auf ihn, -auch wenn ich das nie vor Ever zugeben würde- aber trotzdem musste ich mich informieren was er so trieb. Er war nunmal mein Bruder und machte so wie wir alle eine schwere Zeit durch. Ich drückte Ever einen Kuss auf die Schläfe, ehe ich mich aus dem Bett rappelte und mich anzog. Ich joggte die Treppen herunter und probierte dabei möglichst leise zu sein, um niemanden zu wecken. Es war schon warm genug, dass ich keine Jacke benötigte. Sobald ich im Auto war versuchte ich die Fährte meines Bruders aufzunehmen. Er war noch nicht lange weg, so dass du Chancen gut standen ihn einzuholen. Ich war mir ziemlich sicher, dass er Stadteinwärts gefahren war. Die Straßen waren leer. Außer ein paar blickenden Lichtern, die signalisierten das Geschäfte offen hatte, war es dunkel. Lorenzo's Motorrad erschien auf einem Parkplatz. Ich parkte daneben und war erleichtert ihn so schnell gefunden zu haben. Wahrscheinlich war er wie beim letzten Mal nur hier, um sich mit irgendwelchen schlampen zu amüsieren. Ich konnte es nicht fassen, dass ich auch so gewesen war. Wenn ich jetzt auf die Zeit zurück blickte, in der Ever noch nicht in meinem Leben war, fiel mir auf wie sinnlos alles gewesen war. Ich hatte keine Perspektive und keinen Sinn. Jeder Tag war gleich, jedes Mädchen war gleich und dann kam sie. Ich hatte keine Ahung weswegen ich sie verdient hatte, aber ich wusste, dass ich sie für immer lieben würde.

Die Bar war voll, als ich sie betrat. Es war eine andere wie beim letzten Mal. Ich wusste wo ich meinen Bruder fand und ich hatte recht. Er saß auf einem Barhocker und flüsterte einer Blondine zu seiner Linken etwas zu. Sie kicherte, worauf er mit der Hand ihren Rücken runterfuhr und ihre Pobacke packte. Ihr hörte ihr quicken über die Musik hinweg und musste unwillkürlich die Augen verdrehen. Gott wie könnte man sowas nur eine Sekunde lang ertragen. Ich beschloss nicht sofort auf ihn zuzugehen und mich etwas außerhalb auf einen Hocker zu setzten, um ihn zu beobachten. Ich wusste, dass er nicht jeden Abend ein Mädchen Aufriss. Da müsste mehr dahinter stecken. Ich dachte an Joel's Worte, wie er mir erzählte er habe Enzo mit anderen Kerlen gesehen. Mein Bruder hat keine Freunde. Er kam mit niemanden klar und war ein völliger Einzelgänger. Niemand kam an ihn ran, das war schon immer so. Keiner wusste was in seinem Kopf vor sich ging. Ich beobachte ihn eine ganze Weile und musste feststellen, dass er ziemlich vertrug was Alkohol anbelangte. Früher hatte er auch getrunken, aber nicht so viel. Als die beiden begannen rumzuknutschen holte ich mein Handy aus meiner Hosentasche. Es war verdammt spät, doch trotzdem war es in dieser Bar verdammt voll. Rot blaue Lichter flackerten, während laute Musik durch die Boxen dröhnte. Statt in diesem muffigen Raum zu sitzen, könnte ich bei Ever im Bett liegen und sie die ganze Zeit beobachten. Wie sie sich immer an meine Brust schmiegte und ihre kalten Wangen meine Haut trafen. Ich hatte keine Ahnung wieso sie immer so kalt war. Ich scrollte durch meine Bildergalerie und betrachtete die Fotos, die die letzten Wochen entstanden waren. Auf jedem war entweder Nando, Ever oder Lorenzo zu sehen. Das Foto auf dem Bildschirm zeigte Nando, der auf Ever's Schoß saß und an seinem Eis schleckte. Meine Mundwinkel zuckten nach oben. Ich war völlig in meine Gedanken vertieft, so dass ich überhaupt nicht die Hand auf meinem Oberarm bemerkte. Ich blickte auf und sah in glasige Grüne Augen.

"Hey." Die Stimme des Mädchens klang schwach. An ihrem Grinsen erkannte ich, dass sie eindeutig zu viel getrunken hatte. Sie warf sich ihr schwarzes Haar hinter die Schulter und griff davor nach einer haarsträhne, um mit dieser zu spielen. Ich konnte nichts gegen meinen angewiderten Gesichtsausdruck tun. Ihre Hand ruhte noch immer auf meinem Arm, der längst nicht mehr so muskulös war wie vor ein paar Wochen. Ich war seit Ewigkeiten nicht mehr ins Fintnesstudio gegangen. Vielleicht sollte ich wieder mit dem Sport anfangen, bevor ich Garkeine Muskeln mehr habe. Ich schüttelte ihre Finger weg und erhob mich vom Barhocker. Mein Blick richtete sich sofort in Enzo's Richtung. Er war weg. Nur noch die Blondine stand an der Bar und trank alleine ihr Bier aus. Verdammt! Ich hatte mich so sehr auf mein Handy konzentriert, dass ich völlig vergessen hatte wo ich eigentlich war. Ich erhob mich vom Hocker und ignorierte das nervige aufstöhnen des Mädchens. Mit meinen Ellenbogen kämpfte ich mir den Weg frei. Plötzlich packte mich eine Hand an der Schulter und schleuderte mich wieder zurück. Ein dunkelhaariger Typ sah mit bedrohlicher Miene zu mir.

"Pass auf wo du hin läufst." Ich verdrehte die Augen. Irgendein Typ der einen Grund suchte um sich zu prügeln. Führt hätte ich allein wegen diesen Satz zugeschlagen. Jetzt kam es mir dämlich vor, wenn ich nur daran dachte.

"Pass du auf wo du rum stehst." antwortete ich schulterzuckend und stieß ihn beim vorbeigehen noch mit meiner Schulter an. Er schrie irgendwas hinterher, doch aufgrund der Menschenmenge konnte er mich nicht weiter verfolgen. Dieses scheiß Arschloch hatte mich unnötig Zeit gekostet. Wenn mein Bruder nicht bei der Blondine war, musste er entweder auf den Klo oder hier draußen sein. Ich suchte auf dem Klo, doch dort befand er sich genauso wenig wie bei den Rauchern. Lange schon hatte ich nicht mehr geraucht. Irgendwie war das automatisch gekommen, seitdem ich Ever kenne. Gott dieses Mädchen hat mich und mein gesamtes Leben verändert. Zum positiven natürlich. Ich ging an den Rauchern vorbei und wollte gerade zu meinem Auto, als ich Enzo's Motorrad auf dem Parkplatz stehen sah. Er musste doch irgendwo sein. Ich schlug die Tür zu meinem Auto wieder zu und beschloss die Gegend ein wenig abzuklappern. Joel hatte damals gesagt, er habe meinen Bruder mit andren Kerlen in einer engen Gasse gesehen. Es war Vollmond, so dass mir die Nacht seltsam hell vorkam. Vielleicht lag es auch daran, dass es so warm war. Ich trottete wie ein verlorener Tourist umher und suchte nach etwas, doch ich wusste selbst nicht genau nach was. Wenn es so ruhig war, und Sterne am Himmel leuchteten begann man immer nachzudenken. Bei mir war das zumindestens so. Ich wollte nicht daran denken, doch eigentlich dachte ich in meinem Unterbewusstsein ständig daran. Nando. Mir kam es vor als ob die Tage einfach so vergingen. Ohne einen Sinn, ohne jegliche Zeit. Manche Tage, an denen Nando lacht und rennt kommen mir wie Minuten vor und andere Tage, an denen wir im Krankenhaus auf die Ärztin warten, kommen mir wie Wochen vor. In dem Sinne hatte ich jegliches Zeitgefühl verloren. Vorallem weil Zeit eigentlich garnichts war und gleichzeitig alles. Ich kickte einen Stein am Boden weg und seufzte auf. Ein Geräusch erweckte meine Aufmerksamkeit und riss mich damit aus meiner Trance. Ich schaute von Boden auf und folgte dem murmeln. Die Worte waren undeutlich, jedoch wurden sie mit jedem Schritt klarer. Eine Stimme kam mir bekannt vor und schnell wurde mir klar, dass sie von meinem Bruder war. Meine Schritte beschleunigten sich und kurz bevor ich in die Gasse einbog blieb ich stehen und lauschte ihrem Gespräch.

"Gib mir erst das Geld."

Das war die Stimme von meinem Bruder. Es folgte eine Zeit lang nichts, doch dann hörte man die Kieselsteine auf dem Boden knirschen. Ich hatte mehrere Möglichkeiten. Entweder ich stand jetzt weiter so rum oder ich konfrontierte meinen Bruder ohne jeglicheVorwarnung. Ich lief in die Gasse hinein. Mehrere Köpfe drehten sich in meine Richtung. Enzo's Augen weiteten sich, als eine Laterne Licht auf mein Gesicht warf. Ich sah wie er seinen Adamsapfel herunter schluckte. Er hatte mit mir nicht gerechnet. Ich betrachtete das kleine Tütchen in seiner Hand. Zwei fremde Männer warfen sich misstrauische Blicke zu. Sie trugen Lumpen und wirkten durch ihren langen filzigen Bärte ungepflegt.

„Bist du ein Zivilbulle?" fragte der eine Penner. Er griff in seine Jackentasche. Ich konnte die Spitze von einem Messer erkennen.

„Nein ist er nicht. Er ist mein Partner." antwortete mein Bruder für mich und warf mir einen warnenden Blick zu. Der skeptische Blick der beiden verflog.

„Also wenn ihr keine Kohle habt gibt es auch keinen Stoff." sagte Enzo. Er ignorierte so dreist wie er war meinen zornigen Blick. Die zwei Penner seufzten auf.

„Bau keine scheiße und gib mir die Ware."

Enzo fuchtelte mit dem Tütchen vor ihrer Nase herum und verneinte.

„Kein Geld, keine Drogen. Ihr könnt mich anrufen wenn ihr das Geld zusammen habt."

Ich konnte nicht glauben was sich vor mir abspielte. Mein Bruder vertickte Drogen! Wie konnte ich das nie bemerkt haben? Ich fühlte mich schlecht, als hätte ich nicht genug acht auf ihn gegeben. Zwar ist er schon erwachsen und sollte eigentlich selbst auf sich aufpassen sollen, aber wie man sah, funktionierte das nicht immer. Die Typen verschwanden und riefen uns noch Beleidigungen hinterher. Ich konnte es nicht fassen, dass Enzo sich kein bisschen schämte. Zwar war er überrascht gewesen als er mich erblickte, doch ich glaub das war er nur weil er mich nicht erwartet hatte. Er packte das Tütchen wieder in die Hosentasche und legte den Kopf schief.

„Was tust du hier? Spionierst du mir etwa nach?"

Ich hatte überhaupt nicht bemerkt, dass der Mund mir offen stand. Wie konnte es nur so weit kommen. Ich wusste, dass mein Bruder viel trank und ich wusste auch, dass er jede verdammte Nacht ein anderes Mädchen aufreißt aber mit Drogen hätte ich niemals gerechnet.

„Verdammte Scheiße du vertickst Drogen! Was ist nur los mit dir!?"

Ich ging einen Schritt näher auf ihn zu. Meine Augen durchlöcherten seine. Ich suchte nach Verzweiflung oder Bedauern in seinem Blick, konnte jedoch nichts der gleichen finden. Enzo verdrehte dreist die Augen.

„Wir haben uns die letzten Tage so gut verstanden willst du etwa schon wieder einen Streit anfangen?"

„Zur Hölle, ja! Ja, das werde ich tun!"

„Schön du wirst damit aber nicht weit kommen, außer dass es vielleicht wieder in einer Schlägerei endet und du dann Ever und den Rest der Familie erklären musst woher deine aufgeplatzte Lippe kommt."

„Das letzte mal als wir uns geschlägert haben hast du meine Freundin mit deiner Faust getroffen."

Das schien zu sitzen. Seine sonst so entspannte Miene verhärtete sich. Ich wusste, dass ich ins schwarze getroffen hatte. Er hasste sich dafür und ich hasste ihn noch mehr dafür, dass er das getan hatte.

„Ich bin das diskutieren leid. Ich mach was ich will, denn ich bin alt genug. Es ist mir scheiß egal ob es dir passt oder nicht. Und jetzt, hör auf dich ständig in meine Sachen einzumischen. Es interessiert dich einen Scheißdreck."

Das Feuer loderte in seinen hellbraunen Augen, während er schwer ein und aus atmete.

„Wieso machst du dich eigentlich selbst so kaputt? Ist es weil Nando bald sterben wird? Denkst du, du bist der einzige der jeden Tag leidet? Was du da tust ist einfach nur dumm! Du ruinierst dein Leben. Weißt du eigentlich was mit dir passiert wenn sie dich erwischen?"

Seine Gesichtszüge wurden mit jeder Sekunde markanter. Er war unberechenbar. Jeden Moment könnte er ausholen und mir eine verpassen. Er hatte dieses verdammte Pokerface.

„Ich gebe ein Fick drauf. Ich gebe ein Fick was in der beschissenen Zukunft passieren wird! Ob ich in den Knast lande oder drauf gehe! Wenn Nando erst einmal nicht da ist, bin ich sowieso so gut wie tot. Meinetwegen werde ich ein beschissener Säufer und reiße jede verdammte Schlampe dieser Stadt auf. Mich interessiert nur Nando und wenn er stirbt, ist mir alles und jeder scheißegal!"

Meine Haut war von einer Gänsehaut überzogen. Wenn ich so da stand und meinen Bruder betrachtete wurde mir klar wie ernst er seine Worte meinte. Wir alle waren ihm egal und es stimmte, dass nur Nando ihm wichtig war. Es war schon immer so gewesen. Er hatte niemanden an dem er festhalten konnte oder den er beschützten konnte. Enzo hatte nur Nando und bald würde er ihn nicht mehr haben. Ich hatte Mitgefühl mit ihm und konnte sogar irgendwie seinen Drang verstehen sich zu betäuben. Ich wusste nicht was ich unternehmen sollte. Zum ersten mal wirkte er wirklich zerbrechlich. Der Enzo der vor mir stand war nicht der starke, tätowierte und harte Enzo der er sonst war. Er war schwach und ängstlich. Er fiel gerade mitten rein in ein schwarzes Loch und niemand konnte ihn retten. Nicht ich und auch sonst keiner. Er hatte eine Mauer um sich errichtet. Ich wollte zu ihm durchdringen, doch es war unmöglich. Mein Bruder ging vor meinen Augen kaputt, ohne dass ich etwas dagegen unternehmen konnte.

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Sorry, dass so lange nichts mehr kam, aber hatte ziemlich Stress in der Schule. Glücklicherweise habe ich jetzt Ferien und kann regelmäßiger neue Kapitel hochladen. Ps: Schreibe Parallel auch noch eine Gesichte zu Lorenzo :) Die wird Online kommen wenn diese hier beendet ist (was noch ein wenig dauern kann). Danke fürs lesen!

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