Man, meine Flucht hatte ich mir echt nicht so kompliziert vorgestellt; aber da sah mans mal wieder: wir lernten in der Schule am Leben vorbei. Ich fragte mich sowieso, wie wir alle einen Teil zur Gesellschaft beitragen sollten, wenn wir nicht mal wussten, wie eine U-Bahn funktioniert, geschweige denn ob und wo wir Tickets kaufen mussten.
"Willst du dich nicht hinsetzen?" Ein schwarzhaariges Mädchen in meinem Alter sah mich fragend an. Natürlich, ich stand ja noch immer an der Tür, während alle anderen Passagiere saßen; super Lola, damit hast du dich mal wieder sehr unauffällig verhalten. Um die Situation noch irgendwie zu retten, stammelte ich schnell "ähm..ja klar...ich hatte nur überlegt, ob das hier auch meine Bahn ist..." und ließ mich auf den Ledersitz neben dem Mädchen fallen.
Neugierig ließ ich meinen Blick durch den Gang gleiten, es war unglaublich wie faszinierend selbst die einfachsten Sicherheitsschilder und Haltegriffe waren, wenn man so etwas noch nie in echt gesehen hatte. Viel spannender war es jedoch, die anderen Menschen hier unauffällig zu beobachten; da war die alte Frau links von mir, die kurz davor war einzuschlafen, der Mann im Anzug, der neben seiner Aktentasche die heutige Zeitung liegen hatte und einen Kaffee trank, oder die beiden Frauen, die jeweils ein kleines Kind auf dem Arm hatten und sich angeregt unterhielten.
"Du bist zu unruhig." Das Wispern war so leise, dass niemand außer mir es hätte hören können und selbst ich hätte es nicht mitbekommen, wenn ich nicht auf jedes kleinste Geräusch horchen würde, um notfalls abzuhauen. Vorsichtig schielte ich zu ihr rüber, sie schien jedoch weiterhin in das Buch auf ihrem Schoß vertieft zu sein. Seltsam, ich hätte schwören können, etwas gehört zu haben...
"Ich meins Ernst. Hör auf so rumzuzappeln, das fällt auf."
Überrascht hielt ich in meiner fortschreitenden Beobachtung des Wagens inne; ich hatte mich also doch nicht getäuscht, aber warum sagte sie das? Ahnte sie etwa, dass ich auf der Flucht war? Unsicher was ich tun sollte, versuchte ich zumindest ihren Rat zu beherzigen und mich zu entspannen.
Plötzlich verlangsamte sich die Bahn, bis sie schließlich vollends stehen blieb. Verwirrt sah ich aus dem Fenster, wir befanden uns noch immer in einem Tunnel und weit und breit war keine Haltestelle zu sehen, also warum fuhren wir nicht weiter? Ich wurde erneut unruhig, besonders als ich erkannte, dass die anderen Passagiere auch nicht zu wissen schienen was los war, das hier war also definitiv nicht normal. "Es besteht kein Grund zur Sorge, das hier ist nur eine Routineuntersuchung. Bitte bleiben Sie an Ihren Plätzen und halten Sie Ihre Ausweise bereit." Drei schwarz gekleidete Männer betraten das Abteil und wandten sich den beiden Müttern zu; panisch versuchte ich ruhig zu bleiben, vielleicht wollten die meinen Ausweis, den ich logischerweise nicht hatte, gar nicht sehen, oder ich würde nur eine Verwarnung bekommen, weil ich ihn nicht mit hatte. Unglücklicherweise schienen sie jedoch alle Personen zu kontrollieren, sodass es allmählich wirklich Zeit für einen Notfallplan war. Sollte meine Flucht schon jetzt zu Ende sein? Das durfte einfach nicht passieren, ich musste hier irgendwie weg, aber die Türen waren versperrt und durchs Fenster konnte ich auch nicht....
"Also das ist ja wohl eine Unverschämtheit!" Meine Sitznachbarin war wütend aufgesprungen und stellte sich den Beamten in den Weg. "Wie kann es sein, dass Sie einen ungeplanten Zwischenstopp einlegen?! Haben Sie eigentlich eine Ahnung, wie eilig meine Kollegin und ich es haben?! Wegen Ihnen kommen wir noch zu spät und..." Moment mal, welche Kollegin? Ich sah nirgendwo jemanden, die zu ihr gehören könnte. Der erste Mann fiel ihr ins Wort. "Wir benötigen lediglich 10 Minuten, ich bin sicher, dass Sie diese Verspätung verkraften können."
"Nein, eben nicht!", sie funkelte ihn aggressiv an. "Wenn wir nicht auf die Minute pünktlich sind, wird das ganze Verkehrsnetz New Yorks zusammenbrechen. Wollen SIE daran schuld sein?!"
Mittlerweile beobachteten wir alle diesen skurrilen Streit, das wäre eigentlich meine ideale Fluchtchance gewesen, doch aus irgendeinem Grund blieb ich sitzen.
"Nun dann...", der Typ fuhr sich nervös durch die Haare und sah hilfesuchend zu seinen Kollegen.
"Dann werden Sie mich und Ms. Anderson jetzt bitte entschuldigen, hier ist mein Ausweis.." Sie hielt den dreien eine kleine Karte einen winzigen Moment vor die Nase und drehte sich um. Mit schnellen Schritten ließ sie die verblüfften Männer stehen und kam auf mich zu.
"Bereit, Anderson?" Hä, jetzt verstand ich gar nichts mehr, warum sprach sie mich mit 'Anderson' an? Ich brachte gerade noch ein unüberlegtes "Ja" heraus, als sie mich bereits am Arm packte und alles um mich herum verschwamm.
Keuchend fiel ich auf harten Asphalt und erbrach mein minimales Frühstück.
"Noch nie teleportiert, mhm?" Das schwarzhaarige Mädchen hielt mir mitleidig die Haare aus dem Gesicht, während ich weiter würgte. "Keine Sorge, man gewöhnt sich dran, du bist nicht die einzige die beim ersten Mal kotzt. Ich bin übrigens Haley." Ich würgte ein letztes Mal und ließ mich vorsichtig vollständig auf den Boden sinken; mir war unsagbar schwindelig und ich war mir nicht sicher, ob mir nicht doch nochmal übel werden würde. "Ich bin Lola", erschöpft schloss ich die Augen, das war alles ein bisschen viel für mich.
***
Ein köstlicher Duft weckte mich auf; seltsam, sonst gab es doch immer den Weckruf um.... Schlagartig fiel mir alles wieder ein, Newton, meine Flucht, die U-Bahn und....Haley! Ich sprang regelrecht aus dem Bett in dem ich lag. Sie konnte sich und offenbar auch andere teleportieren und sie hatte mir geholfen, obwohl sie mich doch überhaupt nicht kannte..... Das war irgendwie verdächtig. Misstrauisch sah ich mich in dem kleinem Zimmer um; alles schien ganz normal zu sein, ein großes Bett, ein hellblauer Schrank und ein voll bestücktes Bücherregal bildeten die Grundausstattung. Wie gerne würde ich mir jetzt einfach eines der Bücher schnappen und mich wieder in die Decke kuscheln...
Doch meine Neugierde und mein knurrender Magen vehinderten dies, sodass ich leise die Tür öffnete, nach links und rechts spähte und schließlich auf Zehenspitzen dem leckerem Geruch folgte. Nachdem ich durch einen langen Flur schlich, erreichte ich eine weitere Tür. Vorsichtig schob ich sie auf und entdeckte Haley, die gerade irgendetwas Kochendes aus dem Ofen holte. "Ähm Hallo....", zögernd trat ich ein. "Hallo!" sie drehte sich um und strahlte mich an. "Du bist genau richtig zum Essen aufgewacht. Setz dich doch." Sie zeigte einladen auf eine gepolsterte Bank, die am Tisch stand. Unsicher hockte ich mich auf deren Kante; ich wusste nicht so recht, was ich von ihrer Freundlichkeit und Hilfe halten sollte.
Interessiert beobachtete ich wie Haley Geschirr auf den Tisch stellte und nach der Form mit dem kochendem Zeug, die sie vorhin auf die Herdplatte gestellt hatte, griff. "Autsch, verdammt!" Instinktiv reagierte ich als Haley das heiße Glas fallen ließ. Jetzt war sie es, die mich überrascht anstarrte, denn ich ließ unser Essen vorsichtig auf ein kleines Metallgitter auf dem Tisch schweben.
"D-du beherrschst Telekinese?"
Ich lächelte kläglich. "Und du Teleportation; Zufälle gibts, dass ausgerechnet wir beide uns über den Weg laufen."
Wir sahen uns einen Moment lang stumm an und fingen plötzlich schallend an zu lachen.
"Also, warum hast du mir eigentlich geholfen?" Nachdem wir uns beruhigt hatten, hatte mir Haley erzählt, dass dieses leckere Zeug, welches ich nun in mich reinschaufelte, sich Lasagne nannte und ein Auflauf aus Nudeln, Hackfleisch und zwei Soßen war. Davon bekam ich einfach nicht genug! Wenn ich gewusst hätte, dass es sowas hier gab, wäre ich schon viel früher geflohen.
Haley lächelte achselzuckend. "Ich weiß nicht, irgendwie ist mir aufgefallen, dass irgendetwas nicht mit dir stimmt; du warst so unruhig, als hättest du irgendetwas verbrochen. Du bist abgehauen, oder?" Erstaunt hielt ich beim Essen inne; ich hätte nicht gedacht, dass es so offensichtlich war. "Naja, ich hatte keine andere Wahl, ich hätte Cornelius Newton heiraten sollen", angewidert verzog ich das Gesicht.
"Nein!", fassungslos sah Haley mich an. "Du solltest nicht wirklich den ekligen, fetten Innenminister heiraten!" Vor lauter Schreck verschluckte ich mich an meinen Nudeln."Er ist was?! Mir hat niemand etwas genaueres gesagt...Innenminister, ich glaub ich spinne...". Entmutigt vergrub ich den Kopf in den Händen, der Innenminister gehörte zu den 51 Regierungsmitgliedern, wenn ich im Unterricht richtig aufgepasst hatte; ich war also einem der mächtigsten Männer dieses Landes davongelaufen. Das konnte ja nur schief gehen, wahrscheinlich würde ich nicht mal die nächsten paar Tage überleben...Zumindest wusste ich jetzt, warum er entscheiden konnte, dass ich Hausfrau werden sollte.
"Hey", mitfühlend strich mir Haley über den Arm. "Für's erste bist du hier bei mir sicher, niemand wird dich hier suchen und dann schmuggeln wir dich so weit weg wie möglich." "Mhm...", lustlos stocherte ich in dem Rest Nudeln herum, irgendwie war mir der Appetit gründlich vergangen. "Aber wohnst du denn alleine hier? Ich meine, müsstest du nicht schon verheiratet oder so sein?"
Bei meinen Worten verdunkelte sich das Gesicht meiner neuen Freundin. "Ich bin vor zwei Jahren aus Ohio hierhergekommen, weil jemand entdeckte, dass ich mich teleportieren kann. Von da an beschloss das Ministerium für Übernatürliches, dass ich einen gewissen Tim Moriaty heiraten sollte und meine Fähigkeit in den Dienst der Regierung stellen sollte. Also brachte man mich hierher und ich heiratete an meinem 16.Geburtstag. Etwa zwei Monate später starb Tim bei einem Unfall, seitdem lebe ich alleine hier." Ich merkte, dass Haley nicht mehr über ihre Vergangenheit sprechen wollte, also fragte ich nicht weiter, früher oder später würde sie es mir erzählen, da war ich mir sicher. Eines beschäftigte mich aber dennoch. "Was meinst du damit, dass du deine Fähigkeit in den Dienst der Regierung stellen solltest?".
"Naja, also....", unsicher sah sie mich an. "So genau weiß ich das auch nicht. Ich wurde ein paar Monate lang zu einem Training gebracht, wo ich gelernt habe, wie ich richtig teleportiere und sowas. Danach sagten sie mir, dass ich mich bereithalten sollte, falls ich 'benötigt' werde; bis dahin bekomme ich ein regelmäßiges Einkommen fürs Nichtstun und kann machen, was ich will." Achselzuckend fing sie an, dass Geschirr wegzuräumen. Seltsam, warum musste Haley nichts tun, obwohl sie doch zu den wenigen Menschen gehörte, die Teleportation beherrschten?
***
"Das wichtigste ist eigentlich, dass du unauffällig bleibst. Das ist wahrscheinlich die wichtigste Regel für alle Flüchtigen, also solltest du sie unbedingt immer berücksichtigen." Ich hatte Haley gebeten, mir dabei zu helfen auch ohne sie unentdeckt zu bleiben, also bekam ich jetzt einen Crashkurs in 'wie verhalte ich mich in Caeth?'. Immerhin musste ich so schnell wie irgendwie möglich hier weg, denn wir hatten keine Ahnung, ob Newton mich hier suchen würde.
"Lola, hörst du mir überhaupt zu?" Mist, ich war wohl mal wieder abgeschweift. "'tschuldigung." Schnell richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf Haley. Sie sah mich kopfschüttelnd an und schien zu überlegen, ob es wirklich so eine gute Idee war, mir zu helfen.
"Also, am besten du machst immer das, was andere machen; wenn du nicht weißt, wie irgendetwas funktioniert, warte darauf, dass es jemand anderes macht. Ansonsten solltest du versuchen nicht an jeder Ecke staunend stehen zu bleiben. Oh und wenn dich jemand nach deinem Namen fragt, denk dir einen aus, das funktioniert meistens. Und wenn jemand deinen Ausweis sehen will, zeigst du einfach....", sie holte geheimnisvoll etwas hinter ihrem Rücken hervor, "den hier!"
Verblüfft sah ich zwischen Haley und dem Plastikkärtchen hin und her. "Du hast einen gefälschten Ausweis hier?! Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass der echt ist....". Langsam wurde ich wieder misstrauisch; warum vertraute ich eigentlich einem wildfremden Mädchen, welches noch dazu den Großteil ihrer Vergangenheit verschwieg? Dass sie einen gefälschten Ausweis in ihrer Wohnung hatte, war im übrigen auch nicht gerade normal.
"Keine Sorge, den habe ich von ... einem Freund", sie lächelte mich beruhigend an, "der Ausweis ist für absolute Notfälle gedacht gewesen und ich würde mal sagen, dass du ein solcher bist. Das Teil ist auf jeden Fall eine sehr gute Fälschung, man benötigt schon spezielle Technik und ein paar Stunden um sie zu entlarven, du bist also relativ sicher bei Kontrollen, weil die meistens nur n kurzen Blick darauf werfen." Unsicher nahm ich die kleine Karte an und betrachtete sie neugierig; würde ich damit wirklich überall durchkommen? Selbst an Grenzkontrollen? Ich hatte da ja noch meine Zweifel...
"Mila Anderson? Dein Ernst?" Mein Blick war auf den Namen gefallen und ich grinste, schließlich hatte Haley mich schon in der U-Bahn so genannt.
"Achja, dann solltest du doch lieber den Namen sagen, falls dich jemand fragt. Abgesehen davon ist er doch nicht so schlimm, oder?" Sie grinste mich an. "Und weist du, was das beste ist? Auf Ms.Anderson's Name liegt ein Konto über 20000ori auf der NYBank".