[Sci-Fi/Fantasy] Starfall - W...

By frowningMonday

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»Seine sieben Augenpaare waren auf sie gerichtet und alle vierzehn der menschlichen Pupillen nahmen sie ins V... More

- Vorwort -
- Prolog -
- I. -
- Kapitel 1: Neun Schuss -
- Kapitel 2: Trügerische Hoffnung -
- Kapitel 3: Falsche Jahreszeit -
- Kapitel 4: Vom Regen in die Traufe -
- Kapitel 5: Die Wahrheit bildet keine Derivate -
- Kapitel 6: Feind deines Feindes -
- Kapitel 7: Drinnen ist Draußen -
- II. -
-Kapitel 8: Die Unschuld stirbt als Erstes -
- Kapitel 9: Eine Lektion im Gemüseschälen -
- Kapitel 10: Wiegenlied -
- Kapitel 11: Wo man singt, da lass dich nieder -
- Kapitel 12: Katzenlord -
- Kapitel 13: Dein Gott heißt Joska
- Kapitel 14: Startschuss -
- III -
- Kapitel 15: Gestrandet -
- Kapitel 16: Weil es Sinn macht; sinnbefreit -
- Kapitel 17: Engelsduft -
- Kapitel 18: Katzengold im Himmel -
- Kapitel 19: Verbotene Erinnerungen -
- Kapitel 20: In Sicherheit -
- Kapitel 21: Das Ende einer Ära -
- Kapitel 22: Hölle auf Erden -
- Kapitel 23: Makellos -
- Kapitel 24: Was im Muttergestein schlummert -
- IV. -
- Kapitel 25: Luna-Major -
- Kapitel 26: Gefallener Stern -
- Kapitel 27: Ironie des Sternenhimmels -
- Kapitel 28: Mondbetriebenes Solarkraftwerk -
- Kapitel 29: Verhandlungsmaterial -
- Kapitel 30: Die Krücken der Varai -
- Kapitel 32: Der Mond, der Tod und die Engel -
- Kapitel 33: Izabela, Joska und der Weltuntergang -
- Kapitel 34: Berg, Ade -
- Kapitel 35: Hallo, Schatz -
- Kapitel 36: Der erste von drei Splittern -
- Kapitel 37: Der zweite von drei Splittern -
- Kapitel 38: Freund deines Freundes -
- Kapitel 39: Der dritte von drei Splittern -
- Epilog -
Nachwort

- Kapitel 31: Wunderhände und Traumtypen -

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By frowningMonday

Juraj sprang strahlend auf und empfing Asavi mit einem erleichterten Lächeln. »Das hat Ewigkeiten gedauert.«

»Wem sagst du das«, murmelte sie. »Anja hat mir versprochen in den Spa gehen zu dürfen und das werde ich jetzt auch machen. Angeblich soll das Wunder wirken. Gibts das Essen vorher oder dort?«

Juraj legte den Kopf schief. »Du kannst auch dort essen. Ich bring es dir gerne hinunter. Du warst noch nie in einem Spa?«

Asavi lachte lustlos und folgte den an die weiße Wand gezeichneten Pfeilen mit der Aufschrift Erholungsoase: Schneeberg. »Ich habe als Kind regelmäßig ganz vorzügliche Schlammbäder genossen.«

»Auf dem Bauernhof«, hakte Juraj ein und marschierte neben ihr her. »Izabela hat davon berichtet.«

Asavi warf ihm einen raschen Seitenblick zu. »Genau. Was hat sie denn sonst noch über mich erzählt? Ich meine ... was weiß sie denn von mir?«

»Solltest du sie das nicht selbst fragen?«

»Ja, wann denn? Zwischen Vormittagsverhör und Nachmittagsfolter? Miss Szabó Senior ist eine ungemein beschäftigte Königin.«

Juraj kniff die Augen zusammen und studierte Asavis gekünstelte Hochnäsigkeit. »Sie ist keine Königin«, sagte er dann und Asavi rollte großzügig mit den Augen.

»Ich weiß. Joska war schon so höflich und hat es mir mitgeteilt. Vergiss es«, winkte sie ab, als sich Jurajs Augenbrauen verärgert zusammenzogen. »Erklär mir lieber, was es sonst noch gibt, außer Schlammbäder. Von denen muss ich keines nehmen.«

Juraj lächelte und nickte. »Ich empfehle dir die Ganzkörpermassage. Aber keine Akupunktur. Wenn du die nimmst, musst du das alleine tun.«

Asavi hob eine Augenbraue. »Schau an. Der Supersoldat fürchtet sich vor Nadeln. Ich dachte, der Mond hätte euch sämtliche negative Eigenschaften ausgetrieben? Du weißt schon.«

Juraj Gesicht veränderte sich subtil. »Wir sind Freunde«, sagte er leise und Asavi widerstand, mit den Augen zu rollen. »Ich sage es dir beim Abendessen.«

»Bei Kerzenschein?«, witzelte sie und beobachtete fasziniert, wie Jurajs Wangen rot anliefen, daraufhin aber nichts erwiderte.

Sie gelangten zu den Glastüren zum Spa und Juraj nickte ihr zu. »Ich hole dir dein Abendessen. Kommst du zurecht?«

Asavi nickte.

Die Empfangsdame strahlte ihr mit einem perlweißen Lächeln entgegen und führte sie mit den Worten »Ich habe Sie bereits erwartet«, durch die Lounge. Aus Lautsprechern hoch oben verdeckt von Kletterpflanzen drangen die meditativen Töne einer Kalimba gemischt mit Hang Drums und feiner Harfenmusik. Die vorherrschende Möblierungsfarbe: weiß.

Die Besucher des Spa blickten ihr neugierig hinterher und unterbrachen ihre Gespräche auf den breiten, gepolsterten Lounge-Sesseln, als fürchteten sie, dass Asavi mithörte, was sie sich zuraunten. Asavi bemühte sich, zu lächeln.

»Wir haben ein breitgefächertes Verwöhnungsprogramm«, erklärte ihr die hochgeschossene Empfangsdame, »doch fürs Erste schicke ich Sie zur Maniküre und Pediküre.«

»Das ist wirklich nicht notwendig«, sagte Asavi und blickte auf ihre eingerissenen Nägel hinunter. »Ich möchte bitte die Behandlung, welche die wenigsten Personen beinhaltet.«

Die Dame blinzelte verwirrt zu ihr nach unten. »Miss Szabó hat mir versichert, dass dies das gewünschte Verwöhnungsprogramm sei.«

Asavis Lächeln grub sich schmerzhaft in ihre Wangen. »Miss Szabó Junior würde aber gerne einfach eine one-on-one Massagestunde genießen und dann ins Bett gehen.«

Kurz verzogen sich der perfekte, mit rotem Lippenstift geschminkte Mund der Dame, ehe sie nickte und die Richtung wechselte.

»Wenn meine Mutter dir deswegen die Hölle heiß macht, teils mir ruhig mit. Nach zwanzig Jahren Abwesenheit suche ich praktisch nach einer Gelegenheit mit ihr zu streiten.«

Die Dame lachte nervös und führte sie schließlich in einen kleinen Raum. Monsteras und Philodendren wuchsen in massigen Tontöpfen in den Ecken und neben der Tür. Sie schlossen sich an der Decke zusammen und verwandelten das Zimmer in ein Dschungelparadies. Die Wand gegenüber der Tür war vollkommen aus Glas und führte auf eine breite, gekachelte Veranda hinaus. Diese war Teil eines riesigen Plateaus und Asavi vergaß ihren Frust auf Izabela, als sie den kristallklaren Himmel erblickte.

»Machen Sie es sich gemütlich. Ich schicke Ihnen sofort eine Masseuse.«

Asavi nickte geistesabwesend und ging zur Verandatür hinüber. Es war abgeschlossen. Sie stieß die Luft durch die Nase aus und setzte sich auf die Massageliege aus Bambusholz und reineweißer Polsterung in der Mitte des Raumes. Zwischen den Philodendren stand ein deckenhoher Holzschrank, hinter dessen Glasfront Handtücher, Massageöle und andere Gerätschaften einsortiert waren.

Die Masseuse kam nicht. Stattdessen trat Juraj ein, in der Hand ein Tablett mit einer Schüssel Suppe, Salat und Brot. »Hat etwas gedauert«, entschuldigte er sich.

Asavi winkte ab. »Danke.«

Juraj stellte das Tablett auf die Ablagefläche vor dem Holzschrank und holte ihr einen Hocker aus den Tiefen der Blätter hervor. »Bitte sehr.«

»Hast du auf dem Weg meine Masseuse gesehen? Ich denke, man hat mich vergessen.«

Juraj lächelte und schüttelte den Kopf. »Nein. Aber ich war so frei und habe Delilah erklärt, dass ich das gerne übernehme.«

Asavi, die sich sofort auf ihr Essen gestürzt hatte und zugegeben ein wenig enttäuscht darüber war, dass man ihr nach dieser grauenvollen Behandlung nicht einmal ein saftiges Steak präsentierte, hielt inne und starrte ihn an. »Du kannst massieren?«, fragte sie mit dem Mund voller Essen und hielt sich rasch die Hand vor.

Juraj grinste. »Selbstverständlich. Immerhin war ein Teil meiner Ausbildung, dir in jeglicher Hinsicht zur Verfügung zu stehen. Außerdem dachte ich mir, würdest du lieber deine Ruhe haben und zu viele fremde Personen ablehnen.«

Asavi verschluckte sich an der Suppe und ließ den Löffel zurück in die Schüssel fallen. »Achso, ja? In jeglicher Hinsicht?«

Er öffnete den Zipper seiner Pilotenuniform und schlüpfte aus den Ärmeln, sodass er nur noch in weißem, viel zu engem Hemd vor ihr stand. »Ja. Ich bin doch jetzt für dich verantwortlich.«

Asavi räusperte sich heftig. Ein merkwürdiges Gefühl beschlich sie. Jurajs traumhafte Erscheinung und die dubiosen Gentabellen. Izabelas fieberhafter Hass gegen die Enoui und das Geschenk Luna-Majors. Wir sind das Zentrum des Widerstandes. Der Erste Stern, Asavi. Unsere Aufgabe ist es, die Welt zu heilen.

»Du hast gemeint, du hättest von deiner Aufgabe, mich zu retten vom ersten kohärenten Gedanken an, den du in deiner äh Wachstumsphase gehegt hast, gewusst«, sagte sie langsam.

Juraj nickte und legte fragend den Kopf schief.

»Ich darf keine Waffen tragen und nicht nach draußen. Ich bin in Sicherheit«, sie setzte das Wort mit ihren Händen in Gänsefüßchen, »und werde gemeinsam mit einem skandalös attraktiven Mann einquartiert.«

Asavi streckte Zeige-, Mittelfinger und dann den Ringfinger in die Luft. »Du hast dein tolles Gen, Einzahl, vom Mond. Aber ich habe tolle Gene, Mehrzahl«, erinnerte sie sich an Csabas Aussage in der schlecht beleuchteten Höhle. »Um eine richtige Varai zu sein oder zu bleiben, braucht es beide, äh groß LM und klein lm, wenn ich das hier grade richtig kombiniere. Groß-LM von Luna-Major und klein-lm von Luna-Minor, ja? Zumindest war es das, was du gesagt hast.«

Juraj verzog die Brauen und nickte schließlich. »Genau. Um eine richtige Varai zu sein, benötigt es beide Genvarianten. Und du hast beide, das lässt sich auch ohne Tests schließen, da du dich ja offensichtlich an eine Zeit vor dem Niederfall erinnerst«, lächelte Juraj zufrieden mit seiner kompetenten Erklärung.

»Na schön«, sagte Asavi gedehnt. »Aber der Gesteinsbrocken unter dem Berg kann nur zeitlich begrenzte Genvarianten erschaffen, die das groß-LM-Gen in sich tragen.«

Sie studierte Jurajs Gesicht eingehend und merkte, wie er erneut subtil, doch unverkennbar, seine Kiefermuskeln anspannte. »Was willst du damit andeuten?«

»Oh, ich weiß nicht«, sagte Asavi übertrieben ahnungslos und hob die Schultern. »Vielleicht, dass Izabela einen Weg gefunden hat, für den kleinbuchstabigen Teil vom Mond zu kompensieren, wenn sie schon Luna-Minor nicht in die Finger kriegt. Schließlich gibt es ja zum Glück noch genügend junge Frauen, die gesund sind, und diese wunderbaren Gene, Mehrzahl, weitergeben können.«

Das, was sie implizierte spiegelte sich in akutem Erkennen auf Jurajs Gesicht. Seine Wangen wurden beinahe purpurfarben.

»Na wenigstens bist du genauso schockiert wie ich«, lachte Asavi und widmete sich wieder ihrer Suppe. »Ich hab mich schon gewundert, weswegen du ...«, sie stockte und nickte an ihm auf und ab, »so aussiehst.«

Juraj holte tief Luft und fuhr sich durch die Haare. »Wie sehe ich denn aus?«, fragte er darum bemüht, seine Fassung wieder zu erlangen.

Asavi schielte ihn aus dem Augenwinkel an. »Du weißt es nicht?«

Er schüttelte den Kopf, merkte aber, dass sich Asavi zwar gerade cool gab, aber alles andere, als cool war. Innerlich kochten ihre Eingeweide und sie hatte Mühen, die Gabel für ihren Salat nicht in Angriffshaltung auf Juraj zu richten.

Dass Izabela so weit ging, ihre Tagebücher zu stehlen, nachdem sie keinen Finger gerührt hatte, um ihre Familie zu retten, war eine unermessliche, bodenlose, himmelschreiende Frechheit. Andernfalls hätte sie nie gewusst, wie Asavis Traumtyp aussah. Und an Zufälle glaubte Asavi schon lange nicht mehr. Es war ihr absolut gruselig vorgekommen, wie perfekt Juraj war, als hätte jemand in ihr Stammhirn gegriffen.

»Tja«, murmelte sie und schaufelte den Salat in sich hinein. »Izabela hat dir vermutlich verschwiegen, dass sie sich Enkelkinder wünscht. Am besten mit deinem fantastischen Aussehen, das nebenbei aus meinen Tagebüchern entwendet wurde und gar nicht realistisch sein sollte, und meinen ... naja. Meinen Genen. Groß- und Kleinbuchstaben.«

»Du meinst-«, fing Juraj zum Stottern an und sein Blick wanderte eindringlich an ihrer vornübergebeugten Gestalt herab. »Du meinst, Izabela hat ... ich sehe aus, wie ich aussehe, weil das deine Vorstellung eines attraktiven Mannes ist?«

Er presste seine Lippen in dem Versuch zusammen, seine Fassung zu wahren. Asavi lachte hysterisch und winkte ab. Jetzt kroch auch ihr die Hitze in die Wangen. »Also wusstest du es? Du versuchst nicht mal, es abzustreiten? Sollst du dich irgendwann an mich ran machen?«

Juraj schwieg für einen Augenblick zu lange und Asavi klappte der Mund empört auf.

»Ja, aber hör zu!«, sagte Juraj schnell und hob seine Hände. »Theoretisch ja. Ich wurde beauftragt, dich zu retten und zu schützen.«

»Damit ich dir in die Arme falle, oder? Mir die Kleider gleich selbstständig vom Leib reiße, ja?«

Juraj verzog verzweifelt seine Augenbrauen. »Meine Pflicht ist es, dir in jeglicher Hinsicht zur Verfügung zu stehen«, wiederholte er. »Das habe ich in meiner Entwicklungsphase gelernt und das werde ich auch genau so ausführen.«

Asavi wandte sich ab und beendete ihr Abendessen. »Bitte, sag bloß nicht, du hast keinen Bock darauf.«

»Das kann ich dir nicht beantworten«, flehte Juraj. »Ich hatte noch nie das Vergnügen.«

Asavi starrte ihn an. »Aber du ... du weißt schon Bescheid.«

»Natürlich«, sagte er erschlagen. »Ich weiß, wie man Kinder zeugt. Aber ich weiß nicht, ob es Spaß macht.«

Asavi grunzte ein Lachen und schlug sich die Hand vor den Mund. »Da sind wir immerhin schon zwei.« Tibor Kovács zählte nicht. Sie wischte sich übers Gesicht und fuhr sich durch die Haare. »Und was passiert mit deiner Position, wenn deine Einsatzuhr abgelaufen ist? Mit dem, was Izabela hier aufführt, wartet bestimmt schon der nächste Juraj in seinem ... Bruttank darauf, deinen Platz nach dir an meiner Seite einzunehmen.«

Juraj sagte nichts, sondern blickte sie bestürzt an. Asavi ereilte ein Anflug schlechten Gewissens, dass sie ihm damit derart vor den Kopf stieß, und ließ sich mit einem tiefen Seufzer vom Hocker gleiten.

»Da hat sie uns beiden wohl übel mitgespielt. Tut mir leid, ich war ein wenig unsensibel.«

Juraj lächelte ihr immer noch leicht verzweifelt zu. »Ich hatte nicht vor, dich zu kränken«, sagte er und beäugte die Gabel in ihrer Hand mit Vorsicht.

Asavi hob die Schulter und legte das Essbesteck diplomatisch zurück auf das Tablett. »Hast du nicht. Izabela hat, aber du bist ja zum Glück nicht sie. Also ... Massage?«, versuchte sie das Gespräch zurück in Bahnen zu lenken, die sie beide von dieser peinlichen Situation abwandten.

Juraj nickte erleichtert. »Du kannst deine Kleidung dort ablegen.«

»Achso«, sagte sie und begutachtete erneut Jurajs ungemein attraktiven Torso und dann seine exzeptionell sinnlichen Hände. »Na klar. Ich glaube, ich verzichte. Wirk dein Wunder über der Kleidung.«

Juraj hob den Blick. »Also auch kein Massageöl?«

»Heute nicht«, lächelte Asavi angespannt und setzte sich auf die gepolsterte Bank.

Juraj deutete ihr, sich auf den Bauch zu legen, und sie ließ sich misstrauisch nieder.

»Du hast aber recht«, hakte er in ihr vorheriges Gespräch ein und Asavi konzentrierte sich auf seine Worte. »Ich mache mir in den letzten Monaten immer mehr Gedanken darüber, was passiert, wenn meine Einsatzgenehmigung ausläuft.«

»Verständlich«, murmelte Asavi. Jurajs Hände fanden genau jene Stellen zwischen ihren Schulterblättern, die ihr ein sanftes Seufzen entlockten, wann immer seine Daumen gemächlich über ihre verknoteten Muskeln rieben. »Wie gehts deinen Brüdern damit?«

»Weiß ich nicht«, sagte Juraj nach kurzem Zögern. »Ich sagte dir doch, dass wir dazu angehalten werden, nicht darüber zu sprechen.«

Asavi stieß ein Brummen aus. Jurajs Hände wanderten in kreisförmigen, gemächlichen Bewegungen ihren Rücken hinunter.

»Ganz am Anfang war das anders«, erklärte er weiter. »Alles war gestochen klar in meinem Kopf. Was ich war, wer ich war, was ich zu tun hatte. Diese ... Fragen«, betonte er beinahe verärgert, »ereilen mich erst seit ein paar Monaten. Aber sie lassen mich nicht mehr los. Diese Angst vor Nadeln?«

Asavi nickte und versuchte, nicht auf die Liege zu sabbern.

»Ich habe mich nicht immer vor Nadeln gefürchtet. Ich habe auch nie ans Sterben gedacht. Aber jetzt bin ich mir unsicher, wie ich das finde.«

Seine Hände erreichten Asavis Hüften und sie räusperte sich. »Ich kann dir sagen, wie ich das finde«, sagte sie und stemmte sich auf ihre Ellenbogen. »Beängstigend. Wenn ich wüsste, dass ich in ... was, acht Monaten hingerichtet werde? Ich weiß nicht, wie irgendwer von euch so leben kann.«

Juraj senkte den Blick auf seine Füße, unfähig etwas darauf zu antworten.

Asavi drehte sich auf den Rücken und zog dabei ihre Hüfte unter seinen warmen Händen hervor. »Das was meine Mutter macht, ist falsch.«

»Sie versucht die Erste Wahrheit zu bewahren. Euch zu retten. Dich zu beschützen.«

Asavi schnaubte und ließ ihre Beine zu beiden Seiten der Liege herabhängen. »Das hat sie ja toll hinbekommen. Sie hätte mich beinahe umgebracht.«

»Das war mein Versagen.«

»Pff«, stieß Asavi aus und trat sachte mit dem weißen Hausschuh nach Jurajs Bein. »Ich meinte damit, dass mich ihr bescheuerter Brief beinahe umgebracht hätte. Sie hat ja nicht einmal nach mir gesucht. Zar hat ihr bei diesem Informationserhalt geholfen und jetzt hat sie ihn deswegen weggesperrt. Wenn hier jemand versagt, dann sie.«

Juraj hob den Kopf und blickte sie an. »Danke, Asavi.«

»Na klar doch. Also alles, was dir auf dem Herzen liegt, immer raus damit. Ich persönlich habe nicht vor hier rumzusitzen und Däumchen zu drehen, während sie ihre Ränke schmiedet und Gott weiß, was mit meinen Genen oder maybe-babies anstellt. Weißt du, wie das läuft? Mit den Genen?«

Juraj schüttelte genierlich den Kopf. »Nein. Ich wurde zum Piloten ausgebildet. Nicht zum Mediziner.«

Asavi nickte und atmete tief durch. Dann kam ihr ein Gedanke. »Du bist ein Pilot.«

Juraj lächelte nun wieder ein wenig selbstsicherer. »Genau.«

»Hmmm«, brummte sie und schob sich an den Rand der Liege, bis sie so dicht an ihn herangerutscht war, dass sie den Kopf in den Nacken legen musste, um ihm ins Gesicht zu sehen. »Ich habe eine verrückte Idee, wobei sie gar nicht so verrückt ist, wenn man bedenkt, was Izabela hier aufführt.«

Juraj sah sie skeptisch an.

»Wir könnten von hier weggehen«, sagte Asavi langsam und legte ihre Hände auf Augenhöhe vorsichtig, aber bestimmend auf Jurajs Hüften. »Wir schnappen uns alles, was wir brauchen und sagen dieser Todesmaschinerie Lebewohl«, fügte sie flüsternd hinzu und blinzelte ihn von unten herauf – wie sie hoffte – verführerisch an.

Juraj starrte sie mit tellergroßen Augen an. »Nein. Asavi. Nein, das wäre Hochverrat«, gab er krächzend retour, bewegte sich aber keinen Millimeter. Lediglich sein Blick huschte gehetzt in dem Massagezimmer hin und her.

Asavi hob schmollend die Schulter. Einen Fuß hatte sie zumindest schon in der Tür. »Hochverrat an wem? An Izabela?« Juraj nickte einmal und schluckte heftig. »Und an wem begeht Izabela Hochverrat, hm? An der gesamten Menschheit. An den Enoui und an Menschen wie dir. Sie will dich zu Dünger verarbeiten, wenn du aufhörst, nützlich für sie zu sein. Wenn das nicht Hochverrat an deinem Leben schlechthin ist, habe ich sämtliche Hoffnung in die Menschheit verloren.«

Jurajs Atem war angestrengt, sein Blick grenzte an Verzweiflung, aber da leuchtete auch dieser Funke, der Asavi mitteilte, dass er leben wollte.

»Na komm«, raunte sie und zog ihn an den Hüften ein Stück näher zu sich, »wir sollten zumindest herausfinden, warum sie Arjan eingesperrt hat, meinst du nicht? Was sie wirklich plant.«

Juraj folgte dem Zug ihrer Hände stockend und legte ihr dann seine auf die Finger. »Du willst zu Arjan?«, fragte er misstrauisch.

Asavi schlug die Augen nieder und nutzte die Gelegenheit, seine Hände auf ihre Schultern zu ziehen. »Bist du gar nicht neugierig?«

Jurajs Blick fiel von ihrem Gesicht zu ihren Händen und dann sogar auf ihr Dekolletee. »Doch, schon«, gestand er schließlich mit rauer Stimme und Asavi verkniff sich ein Grinsen.

»Na also. Dann bringst du mich zu Arjan und wir hören uns an, was er dazu zu sagen hat, ja? Damit wir dein Gewissen beruhigen können.«

Juraj blieb daraufhin stumm und starrte sie weiterhin unbewegt an. Seine Hände lagen leicht auf ihren Schultern und er hob seinen Daumen, um ihr erneut über die verblassende Röte der Schnittwunde an ihrem Hals zu streichen. »In Ordnung«, sagte er schließlich leise. »Wir sind Freunde.«

Asavi lächelte erleichtert. »Sind wir.«

Juraj verschloss die Türe hinter ihnen und überließ Asavi den Vortritt im Badezimmer. Es war ihr dieses Mal sogar noch eine Spur unangenehmer, mit ihm im selben Bett zu schlafen. Aber zu gleichen Teilen dachte sie beinahe beschämt daran, was ihr die vergangenen Jahre alles entgangen war.

Ihr kurzes Seidennachthemd fühlte sich nach dem heutigen Gespräch viel zu seidig und viel zu kurz an, sodass sie sich hastig mit dem Sternenprojektor unter die Decke verzog. Sie knipste das Licht aus und schaltete das kleine Gerät ein, woraufhin das Zimmer vom Nachthimmel erhellt wurde, und feine Lichtpunkte auf Jurajs Gesicht malte, nachdem er aus dem Badezimmer getreten war.

Asavi starrte wie gebannt auf das Himmels-W und dann zum Sommerdreieck. Zu den hellen Sternen, die sie so sehr vermisste und die Erinnerung an ihren Großvater gesellte sich zu der ihres Papas und dann dachte sie an ihre Mutter. Wie konnten zwei Menschen, die einander zumindest so gerne hatten, dass sie ein Kind in diese Welt setzten, in zwei so unterschiedlichen Welten leben?

»Woran denkst du?«, wollte Juraj wissen und schob sich zu ihr unter die Decke.

Asavi seufzte, ohne ihn anzublicken. »An meine Familie. Also meine richtige Familie. Nicht direkt an Izabela«, spezifizierte sie und strich sich die Haare hinters Ohr.

Juraj lehnte sich gegen das gepolsterte Kopfstück des Doppelbettes und legte den Kopf schief. Asavi, die seine stille Aufforderung bemerkte, wandte ihm den Blick zu. »Tut mir leid, das muss für jemanden in deiner Lage undankbar klingen. Immerhin habe ich Eltern.«

Juraj lächelte schief. »Es kränkt mich nicht. Ich kann nicht vermissen, was ich nie hatte.«

»Klingt wie aus einer Tragödie«, murmelte sie und rieb mit dem Daumen über den kleinen Schalter am Sternenprojektor.

Jurajs Lächeln wich nicht. »Ich meine es aber ernst. Erzähl mir davon.«

Asavi blinzelte. »Von einer Tragödie?«

»Nein, von deiner Familie. Nicht Izabela.«

Asavi schluckte schwer und packte den Sternenprojektor eine Spur fester. »Okay.«

Und dann erzählte sie Juraj einfach alles. Von dem Tag an, als der Himmel gefallen war, bis zu diesem Moment. Wie sie darauf bestanden hatte, ihre Hello-Kitty-Tasche mitzunehmen, wie sie durch brütende Hitze und ewige Einsamkeit gewandert waren und wie sie miterleben musste, wie sich ihr Großvater erschoss, um sie nicht zurückzuhalten. Sie erzählte davon, wie sehr sie dem Ersten der beiden Pferde hinterhergeweint hatte und wie wenig sie wegen ihrem Großvater und Papa weinen konnte. Dass sie sich deswegen irgendwo tief in ihr drin verurteilte, obwohl sie wusste, dass sie nach all den Jahren einfach keine Kraft mehr zum Weinen hatte. Sie erzählte von dem einen Abend in Joskas Klan, an dem der Damm gebrochen war und dann sogar von Csabas schwieriger Anteilnahme. Sie erzählte ihm von dem Schakal, den sie erschossen hatte und von dem Ekel, der sie danach nie wieder zur Gänze loslassen wollte. Sie erzählte von dem Brief und was es mit ihr machte, zu wissen, dass Izabela keine Finger gerührt hatte, ihre Familie zu retten.

Auch jetzt fing Asavi an zu weinen und wischte sich verärgert über die Wangen. »Tut mir leid, das ist das erste Mal, dass ich darüber spreche.«

»Du musst dich überhaupt nicht entschuldigen«, murmelte Juraj betreten. »Ich würde gerne behaupten, dass Izabela durchaus nach dir suchen ließ, aber vor vier Jahren war ich noch nicht auf der Welt.«

Asavi lächelte durch die Tränen und blickte zu Juraj hinüber. »Schon gut.«

Juraj breitete zögerlich die Arme aus. »Hilft es, wenn ich dich umarme? Ich kann deine Familie nicht ersetzen, aber vielleicht kann ich dir ein wenig Trost spenden.«

Asavi wischte sich mit dem Handrücken über ihre laufende Nase, rutschte dann aber mit dem Sternenprojektor in ihren Händen zu ihm. Juraj legte seine Arme um sie und Asavi lehnte sich gegen ihn. »Danke«, schniefte sie und legte ihren Kopf auf seine Schulter.

»Selbstverständlich.«

Asavi schüttelte lächelnd den Kopf. Er war warm und roch behaglich, beinahe vertraut. Sie blickte weiter auf das Himmels-W, das durch ihre zittrigen Finger leicht vibrierte und ließ sich von Jurajs Nähe einlullen. Sie hatte es bereits damals bei Zar gespürt, diesen Hunger nach menschlicher Nähe, doch nun, da sie tatsächlich das erste Mal, seit über einem Jahr eine richtige Umarmung erfuhr, gab es nichts Schöneres. Sie kuschelte sich in die Geborgenheit seiner Arme und wälzte sich zu ihm herum. Juraj nahm den Sternenprojektor und wollte ihn ausschalten, aber Asavi hielt ihn mit der Hand auf seiner Brust zurück.

»Lässt du ihn an?«

Juraj nickte und stellte ihn auf seinen Nachtschrank. Asavi bedankte sich nuschelnd und vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter.

»Nichts zu danken«, sagte er leise und legte ihr den Arm um die Taille.


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