🌊Der Stern des Meeres🌊*Watt...

Par Thyrala

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1601: "Die See ist nichts für Feiglinge!" - Lorena bekommt nichts geschenkt, aber das macht sie stark. Sie be... Plus

Personenverzeichnis
Vorwort
Schiffbruch
Gestrandet
Ein neues Leben
Gefährliche Wattwelt
Das Gold der Uthlande
Der Blanke Hans
Schicksal
Der Gast
Eilien
Unterricht
Matt
Der Luftgeist
Absturz
Zehn Tage
Die Strafe
Aussprache / Amrum
Freunde
Strandjer
Pläne
Ein Geheimnis
Abschied
Sehnsucht
Bleiben oder gehen
Hindernisse
Abfahrt
Leinen los!
Von Bilge und Back
Der Quartiermeister
Von Gesangbuch und Knoten
Hoch hinaus
Gegenwind
Der Teufel an Bord
Die schwarze Liste
Durchhalten
Der Geist
Kräftemessen
Waffenstillstand
Atempause
Rivalen
In geheimer Mission
Der Schwur
Von Kanonen und Schwarzpulver I
Von Kanonen und Schwarzpulver II
Mann gegen Mann
Gerrit
Drill und Seepest
Türkisblau
Hitze
Vorzeichen
Im Auge des Sturms I
Der neue Navigator
Konfrontation

Im Auge des Sturms II

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Par Thyrala

Am fernen Horizont zeichnete sich eine dunkle Wand ab, die sich auf sie zu bewegte. Es war eine Welle, hoch wie ein Turm, mit weißem Kamm und rinnenden Wasserbächen; es sah aus, als ob sich ein riesiges Maul langsam öffnete, bereit, das Schiff und seine Besatzung zu verschlingen. Das, was da anrollte, war ein Reiter der Apokalypse, der Bote ihres Untergangs, in Gestalt einer monströsen Welle. Bei dem Anblick spiegelte sich in manchen Gesichtern der Matrosen pure Hoffnungslosigkeit; andere zeigten eine stoische Todesverachtung.

Ein unheimliches Grollen drang aus der Tiefe herauf.

Mein Gott, das ist unser Todesurteil, dachte Lorena, es ist aus und vorbei, gleich werden wir in die Tiefe gerissen!

Neben ihr betete Rix laut und beschwörend: »Stella Maris, Stern des Meeres, leuchte uns und führe uns auf unserem Weg! Stella Maris, Stern des Meeres ...« Es war das alte Gebet der Seefahrer, um drohendes Unheil abzuwenden.

Auch Lorena wandte sich innerlich an eine höhere Macht. Wenn es dich gibt, Gott, dann rufe ich dich an. Du hast mich schon einmal gerettet, nun rette uns alle! Sie presste die Hand auf die Brusttasche, in der sie den Rubin eingenäht hatte. Das war alles, was sie besaß - ihr ganzer Schatz. Plötzlich weckte ein lautes Geräusch von achtern ihre Aufmerksamkeit. Sie reckte den Hals, um mehr zu sehen. Was war denn dort los? Durch die ständigen Auf- und Niederbewegungen des Schiffes konnte sie gelegentlich einen Blick auf das erhaschen, was sich auf dem höher gelegenen Achterdeck abspielte: es gab einen heftigen Wortwechsel zwischen Bakker und dem Rudergänger. Der Schipper fuchtelte mit den Armen und zeigte auf die Welle, doch der Rudergänger schien dies falsch zu verstehen und lenkte das Schiff in eine andere Richtung, was Bakker mit wildem Kopfschütteln quittierte. Dann tauchten sie bei der nächsten Welle wieder ins Tal, und die Szenerie verschwand vor ihren Augen. Beim Hochkommen erblickte sie als erstes Jankos leuchtend gelben Schopf. Er hatte sich vom Gangspill losgebunden! Geschickt hangelte er sich am Geländer der Treppe zum Achterdeck hoch und stand plötzlich neben dem Rudergänger.

Von da an schien die Zeit wie eingefroren, die Sekunden dehnten sich zu langen Minuten aus ...

Janko stieß den Rudergänger beiseite und ergriff das Ruder. Erneut deutete Bakker in eine bestimmte Richtung. Janko nickte, stemmte sich gegen das Ruder und steuerte darauf zu.

Die Riesenwelle rollte heran ...

Sahen seine scharfen Augen mehr als andere? Hatte er begriffen, was Bakker beabsichtigte? Nun lag das Leben aller in seinen Händen, in den Händen Janko Staals, des einstigen Strandjers von Amrum.

Doch die Zeelandia wollte nicht gehorchen. Wind und Wellen widersetzten sich seiner Lenkung. Thorsson sprang ihm zu Hilfe, und gemeinsam stemmten sie sich gegen das Ruder. Dieser Druck brachte sie endlich in die richtige Position, schräg zur Monsterwelle, die sich über ihnen wölbte. Die Zeelandia nahm Anlauf ...

... und der Orkan, plötzlich zum Komplizen geworden, trieb sie mit mächtigen Böen nach oben, immer weiter hoch! Zügig erklomm sie die Wasserwand, fuhr auf den aufgerissenen Rachen der Welle zu - doch da ließ der Wind ein wenig nach, sie glitt mit dem Heck die steile Wellenfront hinab ...

Jeden Augenblick drohte sie sich der Länge nach zu überschlagen und kieloben im Wasser zu treiben - jedoch packte die Sturmfaust erneut zu, blähte das Sturmsegel auf, das sich zum Zerreißen spannte, und stieß sie hoch. Hinauf, hinauf! Die Zeelandia durchschnitt die Spitze der Welle, ritt auf dem schäumenden Wellenkamm und balancierte am Rand entlang ... und kippte hinunter auf die andere Seite. Das Heck in den Himmel, den Bug nach unten, flog sie ins Wellental und tauchte klatschend ins Meer. Der Rumpf erzitterte, die Zeelandia schlingerte wild, gewann das Gleichgewicht langsam zurück und setzte die Sturmfahrt fort.

Hustend und spuckend tauchte Lorena aus dem brodelnden Wasser auf, öffnete die Augen. Lebte sie noch? Und wo befand sie sich? Hastig blickte sie auf das Meer. Zu ihrer Verwunderung entfernte sich die Riesenwelle von ihnen. Sie war nicht gebrochen, sondern unter ihnen hinweggerollt; vermutlich hatte sie sich mit einer anderen Welle überlagert und neue Höhe gewonnen. Nun zog sie weiter durch das Meer wie ein einsamer Gigant.

Da und dort brach Jubel aus, doch Bakker befahl Ruhe. Energisch deutete er aufs Meer hinaus und hielt den Blick starr auf die Kimm gerichtet, als erwartete er ein zweites Wassermonster. Jeder Mann an Bord verstand seine Geste und hielt Ausschau, verfolgte akribisch jede noch so kleine Wellenbewegung. Eine weitere solche Welle würde todsicher das Schiff zerschlagen. Es grenzte schon an ein Wunder, dass es unter den Wassermassen noch nicht auseinandergebrochen war.

Banges Warten ... währenddessen erteilte Bakker einige Kommandos, Janko steuerte, als ob er nie etwas anderes getan hätte und die Zeelandia gehorchte willig. Sie machte ihrem Ruf als schnelles und wendiges Segelschiff alle Ehre, arbeitete sich tapfer durch die aufgewühlte See und behielt Kurs, und das orangefarbene Sturmsegel flatterte wie eine Fackel voraus. Allmählich ließen sie die Unwetterzone hinter sich. Der Orkan verlor seine Stärke; sein Orgeln verwandelte sich in ein Kreischen, dann in ein Heulen zurück und endete schließlich in ein Wimmern, das nach und nach verebbte, bis nur noch ein gleichmäßiges Rauschen übrigblieb. Damit sank auch die Wellenhöhe, die Anzahl und die Wucht der Brecher nahmen ab. Die Wolkenmassen teilten sich und trieben auseinander, der Himmel hellte sich auf. Die Sonne blitzte durch. Endlich!

Die Matrosen banden sich los. Einige kletterten ein Stück hoch in die Wanten, starrten in die Ferne, suchten nach verräterischen Zeichen ... als sie schließlich erleichtert die Köpfe schüttelten und Entwarnung gaben, antwortete ihnen ein Freudengeheul. Alle grinsten sich triumphierend an. Ihre Gesichter waren gezeichnet von der Anstrengung und den Strapazen der letzten Stunden, aber ihre Augen leuchteten. Sie waren wahrhaftig davongekommen! Sie hatten die Monsterwelle bezwungen! Dank des Geschicks von Bakker und Janko, aber auch mit Hilfe des Orkans, der sie über die Welle getragen hatte. Ohne seine gewaltige Kraft hätten sie es nicht geschafft.

Lorena löste ihre Fesseln und rutschte den Mast hinunter auf den Boden, wo sie sich lang ausstreckte. Sie fühlte sich entsetzlich zerschlagen und uralt. Sie spürte Knochen und Knöchelchen, von deren Existenz sie bisher keine Ahnung gehabt hatte. Ich stehe nie mehr auf. Ich rühr mich nicht vom Fleck, nie mehr, dachte sie. Das geschluckte Salzwasser brannte in der Kehle, ihr schwindelte. Rechts und links von sich hörte sie Würgegeräusche. Die schlingernde Bewegung des Schiffes, das ständige hoch und hinunter auf den Wellen, hatte so manchen Magen zu schaffen gemacht. Erstaunlicherweise schmeckte sie zwar den Frühstücksbrei in ihrer Kehle, aber nichts davon drängte hinaus. Scheinbar passte sich ihr Körper immer mehr dem Leben auf See an. Doch sie konnte sich noch nicht überwinden, aufzustehen. Wie auch? Sie brauchte Zeit, um sich zu sammeln. Plötzlich fühlte sie sich unter die Arme gegriffen, hochgehoben und auf die Füße gestellt.

»Geht's?«, erkundigte sich Ove.

»Äh, ja, danke. Was war das gerade?« Ihr eigenes Gewicht schien Tonnen zu wiegen.

»Ein Abenteuer«, meinte er lakonisch. Er war trotz der Sonnenbräune kreidebleich.

Rix spie aus. »Bah, mein ganzer Schlund brennt vom Salzwasser. Ich entschuldige mich im Voraus, falls mein Essen heute nicht schmecken sollte. Meine Geschmacksnerven sind hin.«

»Wenn's weiter nix ist«, meinte Ove großzügig. »Hauptsache, die Portionen stimmen.«

Rix zog die Brauen hoch. »Sehr gütig von dir, Jungchen.«

Nun lachten alle drei. Oves Bärengestalt und »Jungchen« passte genauso wenig zusammen wie die Faust aufs Auge.

»Joho, Leute! Alles klar?«, rief jemand hinter ihnen, und alle drehten sich um, um zu sehen, wer da sprach.

»Ach, da ist ja unser Held!«, sagte Ove. »Das hast du gut gemacht!«

Mit federnden Schritten trat Janko herzu und grinste breit. »Held? Ach was, das ist Bakker zu verdanken. Er hat mir genau gezeigt, wo es langgeht. Ich musste den steilsten Punkt der Welle vermeiden und die richtige Höhe zwischen dem Besanmast und der Wellenkante bestimmen und dann darauf zusteuern. Mehr nicht.«

»Ach, und warum hat der Rudergänger das nicht geschafft, wenn es so leicht war?«, erwiderte Lorena. »Du bist zu bescheiden.«

Janko sagte nichts darauf, aber er strahlte vor Stolz. »Na, dann lasst uns mal aufräumen und den ganzen Kram wieder an Ort und Stelle schaffen, wo es hingehört«, schlug er vor und klatschte in die Hände.

Ove knurrte. »Hat man Töne? Jetzt gibt uns der Stockfisch schon Befehle!«

»Willst du bis Sonnenuntergang damit warten? Ich wette, der Schipper gibt uns nachher eine Runde Branntwein aus, dann haben wir es schön gemütlich.«

»Habt ihr Sjard irgendwo gesehen?«, fragte Lorena beunruhigt.

»Nee. Vielleicht lässt er sich gerade verarzten?«

»Möglich. Ich geh ihn suchen«, sagte sie und verließ die beiden.

Janko sollte recht behalten. Sie fand Sjard im Gang an die Wand gelehnt vor der Kabine des Shipdoctors, umgeben von anderen Verletzten. Der scharfe Dunst von Essig, durchsetzt von dem metallischen Geruch nach Blut, erfüllte die Luft. Die gedämpfte Stimme des Arztes war hinter der Tür zu vernehmen, sie sprach beruhigend, und das Stöhnen des Patienten wurde leiser, als ob seine Worte wie ein Balsam auf den Schmerz wirkten.

Sjard hatte den Brustkorb verbunden. »Rippe gebrochen«, sagte er seufzend. »Dabei hatte ich noch Glück. Teile der Rah brachen, Taljen und Tauwerk kamen runter, und Nils und Kai wurden davon erschlagen.« Er wies hinter sich. Am Ende des Ganges lagen zwei in Leinentücher verhüllte Körper. Unter einem Tuch lugte eine Hand hervor, als winke sie zum Abschied.

Lorena schauderte es. »Kann ich etwas für dich tun?«

»Im Moment nicht, danke. Ich warte noch auf den Shipdoctor, er will mich noch einmal untersuchen, bevor er mich aus den Klauen lässt.«

»In Ordnung, dann verschwinde ich mal und helfe beim Deck aufklaren«, sagte sie und lächelte ihm aufmunternd zu. »Pass auf dich auf.«

Er nickte. »Jo, mach ich. Dann bis später. Und grüß mir die Bären-Back!«

Das Schlachtfeld an Deck hielt sich dank der im Vorfeld getroffenen Sicherheitsmaßnahmen in Grenzen. Dennoch gab es viel zu tun: Planken waren gerissen, der obere Teil des Fockmastes war gebrochen, dazu gab es herausgeschlagene Kabinenfenster und einen Wassereinbruch im Unterdeck. Unterstützt von ihren Helfern, hatten die Kalfaterer und Schiffszimmerleute alle Hände voll zu tun, die Schäden zu beheben und abzudichten. Stundenlang waren die Lenzpumpen im Einsatz, bis die Bilge vom Wasser befreit war. Nach vier Tagen harter Arbeit war das Schiff wieder seetüchtig, was am Abend mit frisch gefangenem Thunfisch und Branntwein ausgiebig gefeiert wurde. Die Mannschaft befand sich in Hochstimmung. Sie hatte den Orkan und die Monsterwelle überlebt, Rasmus hatte sie verschont. Die Fahrt konnte weitergehen!

Sanft glitt die Zeelandia von einer Woge zur nächsten. Die Dünung war nur noch ein harmloses Auf und Ab, welches dem abziehenden Sturm folgte. Das Licht des Mondes warf einen silbernen Schimmer auf die Wasseroberfläche, die jäh von einem fliegenden Fisch durchbrochen wurde. Mit schnellen Flossenbewegungen segelte er einem Raubfisch davon.

Die See ist nichts für Feiglinge.









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