wild (bxb)

By Cupid42hearts

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Marlon versucht ein ganz normaler Junge zu sein und ein ganz normales Leben zu führen. Er lebt bei seiner Ta... More

*Vorwort*
*(1) Ein Blick*
*(2) Schwachstelle*
*(3) Lächeln*
*(4) Abweisung*
*(5) Maske*
*(6) Fühlen*
*(7) Herausforderung*
*(8) Schreie*
*(9) Lästern*
*(10) Zuhause*
*(11) Hand*
*(12) Augen*
*(13) Verletzt*
*(14) Kontrolle*
*(15) Keine Erklärung*
*(16) Weitermachen*
*(17) Unmenschlich*
*(18) Reden*
*(19) Seiten*
*(20) Herzschläge*
*(21) Farben*
*(22) Gerechtigkeit*
*(23) Aufwachen*
*(24) Abgefuckt*
*(25) Zuhause*
*(26) Rätsel*
*(27) Ausnahme*
*(28) Frust*
*(29) Schlamm*
*(30) Lady und Lord*
*(31) Angriff*
*(32) Blut*
*(33) Gefühle*
*(34) Bleiben*
*(35) Illusion*
*(36) Verwandlung*
*(37) Beschützen*
*(38) Liebe*
*(39) - D*
*(40) Turteltauben*
*(41) Öffentlich*
*(42) Duft*
*(43) Allein zuhause*
*(44) Biest*
*(45) Urteil*
*(46) Sinn*
*(47) Ohne ihn*
*(49) Gefahr*
*(50) - D*
*(51) Davonlaufen*
*(52) Auslösen*
*(53) Mühe*
*(54) Unerwartet*
*(55) Party*
*(56) Hier bei mir*
*(57) Probleme*
*(58) Bleiben*
*(59) Reden*
*(60) Vereint*
*(61) Ärger*
*(62) Vergangenheit*
*(63) Besuch*
*(64) Gesundheit*
*(65) Provokation*
*(66) Auftritt*
*(67) Lecker*
*(68)-D*
*(69)-D*
*(70)-D*
*(71)-D*
*(72)-D*
*(73) Aufwachen*
*(74) Wissen*
*(75) Gebrochen*
*(76) Kälte*
*(77) Zurück*
*(79) Schuld*
*(80) Ignoranz*
*(81) Symptome*
*(82) Besuch*
*(83) Schnell*
*(84) Klartext*
*(85) Entscheidung*
*(86) Mächtig*
*(87) Gewinnen*
*(88) Kategorien*

*(78) Flucht*

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By Cupid42hearts

"The best way to keep a prisoner from escaping is to make sure he never knows he is in prison." - Fyodor Dostoevsky.

~~~

Meine Nachrichten, in denen ich Damian gebeten hatte, sich zu melden, hatte er ignoriert. Als ich ihn an diesem Mittag frage, ob er mir Markus Nummer schicken konnte, sendete er den Kontakt. Auf mein „Danke" antwortete er wieder nicht.

Meine Daumen begannen eine weitere Nachricht einzutippen. Ich schrieb mir meine Gedanken von der Seele und merkte mittendrin, dass das nichts war, das ich ihm per Text mitteilen wollte.

Ich wollte ihm in die Augen sehen, wenn ich ihm klarmachte, dass es mir wehtat, wenn er sich so von mir abschottete. 

Ich wollte ihn in den Arm nehmen, wenn ich gegen sein schlechtes Gewissen kämpfte. 

Ich wollte ihn küssen, wenn er kapierte, dass es sinnlos war, vor mir wegzulaufen. 

Ich würde ihm folgen. Egal, wie viel Vorsprung er hatte, egal, wie schnell er war und egal, wie sehr er versuchte zu fliehen. Er konnte mir nicht entkommen.

Ich löschte die Nachricht also wieder und dachte nach.

Einerseits war ich es ihm schuldig, ihm zu erzählen, was ich gehört hatte. Das Alles hatte immerhin auch etwas mit ihm zu tun. Mit ihm und mit mir und mit uns.

Andererseits würde er, so wie er gerade drauf war, das Ganze nur als Bestätigung sehen, nichts mehr mit mir zu tun zu haben. Zuerst musste ich mich ordnen und versuchen, genug von dem, was ich gehört hatte, zu verstehen, um zu wissen, was Carla und Markus überhaupt gemeint hatten.

Ich konnte also nicht mit Damian darüber reden. Ebenso wenig konnte ich es für mich behalten. Ich wollte dem nicht alleine gegenüberstehen. Ich brauchte jemanden, der auf meiner Seite war.

Obwohl Markus in dem Gespräch so geklungen hatte, als könnte er diese Person sein, brachte ich es nicht über mich, mich ihm anzuvertrauen.

Dass er für Damian da gewesen war, als ich flachgelegen hatte; dass er sich die Umstände gemacht hatte, ihn für zwei Wochen hin und her zu kutschieren; dass er ihn nachts im Wald suchen gegangen war... das konnte alles Teil seiner Masche sein. Und sie hatte funktioniert: Er war mir nähergekommen. Er war Teil meines Lebens. Ohne, dass ich die Chance gehabt hatte, mich dafür zu entscheiden.

All seine hilfsbereiten Akte konnte ich also genauso als hinterhältig interpretieren. Im Streit mit meiner Tante hatte er selbst gesagt, er wollte mir bloß einen Teil der Wahrheit erzählen. Das hatte kalkuliert geklungen. Berechnend.

Ich war nicht bereit, jemandem zu vertrauen, der mich bewusst im Dunkeln lassen wollte. 

Ich wusste zu wenig über Markus und, um ehrlich zu sein, auch zu wenig über mich selbst, um zu entscheiden, ob, das Risiko, auf zuzugehen, es wert war.

Falls meine Tante recht hatte, falls Markus wirklich über mich an Damian rankommen wollte – warum auch immer – konnte ich nicht zulassen, ihm näher zu kommen. Alles, was bisher passiert war, allerdings gab mir eher das Gefühl, dass er versuchte über Damian an mich heran zu kommen.

Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Jede mögliche Erklärung ergab Sinn und erschien gleichzeitig absolut sinnlos.

Ich musste mit jemandem reden, um meine Gedanken zu ordnen. Markus, meine Tante und Damian fielen raus. Übrig blieben Finn und Alisha.

Ich konnte mich kaum an die Nacht meiner Verwandlung erinnern. Ich wusste bloß, was Damian Markus und Markus dann mir erzählt hatte: Ich war mit Damian, Finn und Alisha auf Mikas Konzert gewesen war. Alisha war verschwunden. Wir hatten sie gesucht und mit Rico gefunden. Ich war davon ausgegangen, dass er sie missbrauchte, hatte ihn verprügelt und mich dabei verwandelt.

Markus hatte rausgefunden, dass ich Rico die Nase, das Jochbein und die Elle gebrochen hatte. Er hatte eine Woche im Krankenhaus gelegen, und hatte eine weitere Woche Bettruhe hinter sich. Basketball spielen war für die nächsten vier Monate ausgeschlossen.

Keine Ahnung, was Markus getan hatte, um an diese Diagnosen zu kommen. Ich wollte es nicht wissen. Fürs erste musste ich zumindest davon ausgehen, dass, was er gesagt hatte, stimmte.

Ich hatte Rico übel zugerichtet. Und es fühlte sich beschissen an. Ich hatte wochenlang auf eine Gelegenheit gewartet, meine Wut an ihm auszulassen und nun hatte ich ihn ausgerechnet für etwas verprügelt, bei dem er ausnahmsweise Mal niemandem Unrecht getan hatte.

Ich musste mich bei ihm entschuldigen, das stand außer Frage. Aber fürs erste konnte ich dem noch aus dem Weg gehen.

Meine Tante hatte meine Abwesenheit in der Schule mit einem weiteren Klinikaufenthalt erklärt. Alle anderen dachten, ich hätte einen familiären Trauerfall im Ausland.

Das war auch die Geschichte, die Damian meinen Freunden aufgetischt hatte. Sie hatten ihm nicht geglaubt, aber, wo Alisha sich damit abgefunden hatte, hatte Finn darauf bestanden, die Wahrheit zu erfahren. Er hatte mir über hundert Nachrichten geschrieben und mich jeden Tag mehrmals angerufen.

Die meisten Texte zeigten seine Sorge um mich, andere waren Beschwerden über Alisha und wieder weitere waren schlichte Erzählungen darüber, was den Tag über passiert war. Ihm war aufgefallen, dass ich die Nachrichten nicht gelesen hatte und doch hatte er nicht aufgehört, sie mir zu schreiben.

Auf meinen Chat mit ihm zu sehen, war seit Tagen das erste, das sich gut anfühlte.

Seit ich bei Spence aufgewacht war, hatten sich alle verändert. Als hätte jemand die Charaktere in meinem Leben durch andere ersetzt. Meine Tante, Markus, Damian... Nur Finn war der gleiche.

Diese Gedanken, das Gefühl, in der Nacht meiner Verwandlung etwas verloren zu haben, das ich nie wieder zurückbekommen konnte, trieb mir Tränen in die Augen.

Es war bei weitem nicht alles perfekt gewesen, aber ich hatte das Gefühl gehabt, ich könnte es meistern. Irgendwie. Ich hatte die Menschen um mich herum gekannt, gewusst, was mich mit ihnen verband, und wie sie zu mir standen.

Jetzt kam mir es so vor als würde alles auseinanderfallen und keiner außer mir bemühte sich, es zusammen zu halten.

Wahrscheinlich spielte meine Verzweiflung darüber, dass es Damian so leichtfiel, sich von mir fern zu halten, eine Rolle dabei. Er hatte mir den Rücken zugedreht, war vor mir weggelaufen, und hielt sich seitdem von mir fern. Je länger das ging, desto größer wurde meine Angst, dass die Distanz zwischen uns ihm nicht halb so sehr wehtat wie mir. Vielleicht fühlte er sich sogar erleichtert.

Ich tippte auf den Hörer im Chat mit Finn und hielt mir mein Handy ans Ohr. Er nahm nicht ab. Also rief ich ihn nochmal an. Diesmal war besetzt.

Ich sah auf meinen Bildschirm, war kurz davor, mein Handy an die Wand zu werfen, als sein Bild erschien und mein Handy zu klingeln begann.

Mit zitterndem Daumen drückte ich auf den grünen Hörer. „Hi."

„Marlon?!" Finn klang ungläubig. „Alter! Was war los? Wo bist du? Was ist passiert?"

„Kannst du mich zuhause abholen? Dann erkläre ich dir alles."

„Jetzt?"

Ich war froh, dass er mich nicht darauf ansprach, wie weinerlich ich klang.

„Wenn du kannst."

„Warte kurz." Etwas schepperte im Hintergrund und ich hörte Finn: „Papa, ich muss zu Marlon! Ich mache die Lichter später fertig, okay?"

Emil antwortete mit: „Hat er sich gemeldet? Geht es ihm gut?"

Finn: „Keine Ahnung. Er klingt nicht so prickelnd."

Emil: „Dann beeil dich lieber."

Ich schämte mich dafür, wie offensichtlich es war, dass es mir schlechtging. Gleichzeitig wusste ich die Sorge von Finn und Emil zu schätzen. Sie fühlte sich aufrichtig an. Ich konnte sie als Sorge akzeptieren. Nicht so wie das Schauspiel meiner Tante.

Egal, was sie tat und sagte... bei ihr steckte mehr dahinter. Das wusste ich jetzt.

Es dauerte 20 Minuten, bis Finn bei mir klingelte. In der Zeit machte ich mich fertig und wartete auf der obersten Treppenstufe. Ich wollte nicht runtergehen, meiner Tante begegnen und smalltalk mit ihr führen. Nicht nach dem, was ich gehört hatte.

Markus und meine Tante hatten die Vereinbarung getroffen, dass er mir etwas nicht erzählen durfte. Diese war der Grund dafür, dass er sich geweigert hatte, ehrlich zu mir zu sein und somit auch der Grund dafür, dass ich ihm misstraute.

Sie hatte Kontakt zu ihm gehabt und mir nichts davon erzählt. Vielleicht war es etwas dramatisch, das als Verrat zu beschreiben, aber in diesem Moment fühlte es sich genau so an.

Andererseits hatte ich auch nichts davon erzählt, als Damian mir Markus vorgestellt hatte...

Da ich noch etwas langsam lief, war meine Tante bereits an der Tür und ließ Finn rein, bis ich unten angekommen war.

Sie freute sich, ihn zu sehen und warf mir, als sich unsere Augen trafen, einen fragenden Blick zu.

„Wir gehen zusammen essen", log ich, während ich mir meine Schuhe anzog.

„Ich bin davon ausgegangen, dass wir heute zusammen Zeit verbringen."

„Oh, das wusste ich nicht."

Sie war doch diejenige, die mir gestern auf der Fahrt nachhause die ganze Zeit davon erzählt hatte, dass ab heute alles wieder so sein würde wie davor. Spontane Ausflüge mit Finn waren für mich mehr Normalität als bewusst Zeit mit meiner Tante zu verbringen.

Sie wirkte unzufrieden, also umarmte ich sie und meinte, dass wir uns heute Abend zusammen einen Film anschauen konnten, bevor ich ging. Ich gab ihr nicht die Zeit, zuzustimmen oder abzulehnen.

„Bye, Tante Carla", meinte Finn etwas perplex, ehe er sich von mir aus dem Haus ziehen ließ.

Durch einen Blick über die Schulter erkannte ich, dass sie dabei zusah, wie wir auf Finns Auto zuliefen. Sie setzte ein Lächeln auf und ich tat das gleiche.

Es war gruselig wie leicht es mir fiel, dieses Spielchen mitzuspielen. Ich fühlte mich nicht einmal schlecht dabei. Im Gegenteil. Es fühlte sich nach einer seltsamen Art von Gerechtigkeit an.

„Wir gehen essen?", fragte Finn, als wir in seinem Auto ankamen.

Ich winkte meiner Tante durch die Windschutzscheibe. „Fahr los."

„Du bist seltsam." Er schnallte sich an, startete den Wagen und fuhr vom Hof.

Sobald meine Tante aus meinem Sichtfeld verschwand, atmete ich tief durch und merkte, wie die Anspannung meinen Körper langsam verließ.

Obwohl sie im Haus war und Finn nicht gerade langsam durch die Straßen fuhr, kam es mir so vor als hätte ich weiterhin ihre Augen auf mir. Ihren wachsamen Blick, der sicherstellte, dass ich nur das mitbekam, was ich mitbekommen sollte. Dass ich wusste, was ich wissen sollte. Dass ich dachte, was ich denken sollte.

„Ey Mann!" Finn schlug mir mit einer Hand ans Knie. „Was ist los? Du siehst richtig scheiße aus."

„Ich fühle mich richtig scheiße."

Finn warf mir einen kurzen, besorgen Seitenblick zu. „Wohin gehen wir? Zu mir? In die Stadt?"

„Zu dir ist gut."

„Okay."

Er meinte, ich sollte Musik anmachen. Die Tatsache, dass mein Handy sich automatisch mit dem Bluetooth seines Autos verbunden hatte, brachte mich zum Lächeln.

Als ich durch meine Playlist scrollte und nach einem guten Lied suchte, hatte ich das Gefühl, ein Stückchen Normalität in der Hand zu halten.

Dieses Gefühl ließ mich daran zweifeln, ob Finn einzuweihen tatsächlich das richtige war. Dadurch, dass ich in einer Beziehung zu Damian stand und von Gestaltwandlern wusste, war ich auf ihrem Radar. Finn war bisher maximal ein Nebencharakter für sie. Wenn ich ihm alles erzählte, würde er damit zwangsläufig zum Akteur werden. 

Aber war es wirklich besser, ihn im Dunkeln zu lassen? Das machte ihn blind für die Gefahren dieser unbekannten Welt.   

Andererseits: Wenn er sie nicht als Gefahren wahrnehmen konnte, nahmen sie ihn vielleicht auch nicht als Gefahr war. Er konnte sie ignorieren und sie ihn. War er damit in Sicherheit? Oder war das bloß eine Ausrede für mich, am letzten bisschen Gewohnheit festzuhalten?

War meiner Tante etwas ähnliches durch den Kopf gegangen, als sie vor dieser Entscheidung gestanden war?

Das alles wäre so viel leichter, wenn ich wüsste, worüber ich da überhaupt nachdachte. Viel mehr als, dass es Gestaltwandler gab, dass sie meistens aussahen wie normale Menschen und, dass sie in Rudeln organisiert waren, wusste ich nicht. Ihre "Logiken", wie Markus es genannt hatte, waren mir völlig fremd.

Mit einem schweren Seufzen ließ ich meinen Kopf zurück an das Polster des Sitzes sinken.

Finn warf mir immer wieder kleine Blicke zu, während er mit dem Daumen am Lenkrad herumtrommelte.

Bis wir bei ihm in die Wohnung kamen, sagte keiner von uns mehr etwas. Ich trottete ihm hinterher, als er in die Küche ging und eine Wasserflasche holte, die er dann mit in sein Zimmer nahm. 

Es sah komplett chaotisch aus. Wäsche lag auf dem Boden, leere Flaschen lagen herum, Zettel von gescheiterten Hausaufgaben türmten sich um seinen Schreibtisch herum. Trotzdem hatte irgendwie alles seine Ordnung. Seine Richtigkeit.

Wir warfen uns auf Finns Bett und ich realisierte, wie lange wir schon nicht mehr hier gelegen hatten. Es war Monate her.

Dadurch merkte ich, dass auch ich mich verändert hatte. Ich war nicht mehr der gleiche wie am Anfang des Schuljahres, als ich zum letzten Mal auf diesem Bett gelegen hatte. Wie bevor ich Damian kennen und lieben gelernt hatte. Wie bevor ich von Gestaltwandlern erfahren hatte. Von meinem Bruder. Davon, dass meine Tante mir Dinge verschwieg. 

Das machte das Gefühl, dass sich alles verändert hatte, etwas erträglicher. Ich änderte mich mit. Ich wurde nicht zurückgelassen.

„Was ist los?", fragte Finn in meine Gedanken hinein und stupste mit seiner Schulter an meine.

Obwohl es nur eine leichte Berührung war, fühlte ich die Erschütterung in meinem gesamten Körper. Jedoch war ich die letzten Tage verdammt gut darin geworden, Schmerz zu überspielen.

„Ich weiß nicht..."

...wo ich anfangen soll.

...ob ich dir das erzählen darf.

...ob du mir glauben würdest.

Finn musterte mich. Wir lagen beide seitlich da, abgestützt auf einer Elle, ich mit dem Blick auf seiner Matratze zwischen uns und er mit seinem auf meinem Gesicht.

„Hat es was mit dem Todesfall in deiner Familie zu tun?"

Ein Schnauben entkam mir. „Es gab keinen Todesfall."

„Dachte ich mir. Hat es was mit deinem Kopf zu tun?"

Ich hob den Blick.

„Mit deiner Psyche", spezifizierte er.

Nachdem Rico publik gemacht hatte, dass ich mich bei meiner Trennung von Jenny darauf berufen hatte, dass ich mich um meine Psyche kommen wollte, war allen klar, dass ich in dem Bereich Probleme hatte. Keiner, auch nicht Finn, wusste genau, was mich dabei belastete.

Wir hatten nie darüber geredet. Damals waren wir noch nicht eng genug befreundet gewesen, um sowas zu erklären.

Jetzt war es anders und doch gab es genug, das dagegensprach, ihn einzuweihen. Vor allem die Kombination meiner Geheimnisse. Ich hatte Psychosen und war der Überzeugung, dass es Gestaltwandler gab. 

Angenommen, Finn würde mir glauben... Stand es mir überhaupt zu, darüber zu reden? Das war immernicht nicht mein Geheimnis. Es war nicht meine Existenz, die damit enthüllt würde und somit in Gefahr gebracht. 

Spence war sicherlich nicht der einzige, der gerne an Besonderheiten forschte. Er hatte sowas wie einen moralischen Code entwickelt, an dem er sich orieniterte. Vor allem, damit die Leute ihm genug vertrauten, ihn überhaupt forschen zu lassen. Andere kannten, was das anging, sicher kein Gewissen. Allein Damians Heilungskräfte machten ihn medizinisch interessant. Dieses Wissen in den Händen der falschen Menschen wäre katastrophal.

Es war nicht so, als würde ich davon ausgehen, Finn könnte eine Gefahr sein. Auf keinen Fall. Aber ich sah mich dennoch in der Verantwortung, bedacht mit diesem Geheimnis umzugehen. Außer, dass ich jemanden hatte, mit dem ich darüber reden konnte, gab es nicht einmal einen Grund, Finn davon zu erzählen. Er selbst hätte davon nichts. Gestaltwandlern brachte das auch nichts. Nur ich hätte einen Vorteil davon. Das war es mir nicht wert.

„Teilweise", seufzte ich, wohl wissend, dass ich mich in einer Grauzone der Wahrheit bewegte. „Mir ging es nicht so gut die letzten Wochen. Damian fühlt sich dafür verantwortlich und geht mir deshalb aus dem Weg."

„Er ist komisch seit der Party", stimmte Finn zu. „Apropos: Hast du schon mit Alisha geredet?"

Ich schüttelte den Kopf. „Ich war... in Behandlung. Bin erst seit gestern wieder zuhause."

Finn schwieg für einen Moment, eher er den Atem ausstieß. „Ich bin ein bisschen aufgeschmissen gerade. Willst du über deine Behandlung reden? Mir erzählen, was genau los war? Oder sollen wir über Damian reden? Oder über Alisha und Rico? Oder soll ich dich ablenken? Ich weiß nicht was ich machen oder sagen soll."

„Ich weiß auch nicht", gestand ich, ebenso hilflos.

Ich konnte ihm nichts erzählen, ohne um die Existenz von Gestaltwandlern herumtänzeln zu müssen. So würde ich ihn vielleicht nicht anlügen, aber ich sagte auch nicht die Wahrheit.

Ich hatte nie das Gefühl gehabt, ihm etwas vorzumachen oder zu verheimlichen, weil wir nie über meine Psyche oder meine spezifischen Probleme mit Damian geredet hatten. Es war nie Thema gewesen.

Jetzt stand ich an einem Punkt, wo ich entscheidenmüsste, ob ich das Risiko, ihn in alles einzuweihen eingehen wollte. Ob das überhaupt mein Recht war. Oder ob ich an der Möglichkeit festhalten wollte, bei ihm eine Zuflucht die finden, die nichts mit Gestaltwandlern und meinen Familienproblemen zu tun hatte.

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