Das Café zwischen Himmel und...

By Weenaz

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Irgendwo zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen Himmel und Hölle liegt Eithnes Café. Hier labt sie die See... More

Kaffee. Schwarz.
Kamillentee
Milch und Burger

Irish Coffee

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By Weenaz

„Noch ein Cola, bitte", der blonde Jugendliche hebt die Hand. Ich nicke, gieße eine Cola und eine Fanta ein und bringe sie den beiden jungen Männern, die noch immer heftig debattieren. Gerade meint der Dunkle: „Sport-AG, da bin ich ganz sicher. Aber wenn du mich fragst, ob Basketball oder Badminton, bin ich hoffnungslos überfragt."

„Das können wir vielleicht ausprobieren, Melvin", überlegt der Blonde. „Wir können draußen die Bewegungen nachahmen, dann merken wir ja, was uns bekannt vorkommt."

„Gute Idee!" Melvin greift nach der Fanta, setzt an, stutzt und setzt ab, ohne zu trinken. „Woher wussten Sie das, Eithne? Ari hat doch nur für sich bestellt?"

Ich grinse ihn an. „Aber wenn einer von Ihnen bestellt, meldet sich spätestens eine Minute später der andere. Ich wollte mir nur einen Weg sparen."

Beide lachen auf. „So langsam kennt man uns hier!", gluckst Ari. Dann verdüstert sich sein Gesicht wieder. „Ich glaube, wir sind früher auch oft so in Cafés und Mäccies rumgehockt und haben stundenlang gesabbelt. Kann da ein Zusammenhang bestehen?"

Melvin zuckt die Achseln. „ Keine Ahnung, aber ich notier mir das mal." Er holt einen Notizblock aus seinem Rucksack und kritzelt zwei weitere Posten auf eine Liste, die fast die ganze oberste Seite füllt und bei der nur wenige Punkte durchgestrichen sind.

„Wir wissen genau, dass einer von uns etwas vergessen hat", erklärt mir Ari. „Aber leider haben wir keine Ahnung, wer von uns oder worum es geht. Solange wir das nicht herausgefunden haben, kommen wir beide nicht weiter. Also versuchen wir uns an möglichst viel aus unseren Leben zu erinnern."

„Wir sind uns sicher, dass wir lange Zeit beste Freunde waren und vieles, was dem einen einfällt, kommt auch dem anderen bekannt vor", ergänzt Ari. „Darum ist es am sinnvollsten, wenn wir alles durchsprechen, woran wir uns erinnern. Dann kommen wir irgendwann auch drauf, was uns am Weiterkommen hindert."

„Das ist ein guter Ansatz", stelle ich fest. „Ich finde es unter den Umständen interessant, dass ihr beide zusammen hier seid. Es kann sein, dass das, was der eine vergessen hat, mit dem anderen zu tun hat."

Melvin nickt. „Das haben wir uns auch schon überlegt. Zusammen hier sind wir übrigens, weil wir gemeinsam gestorben sind. Unser Bus ist genau an der Stelle, wo wir gesessen sind, an den Baum geknallt."

„Oh. Das ist selten. Die meisten hier erinnern sich nicht mehr an ihren Tod. Ehrlich gesagt, ist vielen nicht einmal bewusst, dass sie nicht mehr leben."

„Oh, das haben wir ziemlich schnell bemerkt." Melvin trinkt nun doch von seiner Fanta. „Kann es sein, dass wir besser denken können, wenn wir was zu uns nehmen, was Sie servieren?"

„Ja, das ist der Sinn der Sache", gebe ich zu, woraufhin der junge Mann den Rest seines Getränks hinunterstürzt und aufsteht. „Komm, Ari, lass uns Luftfußball spielen!"

„Noch nicht", bremse ich den Tatendrang des jungen Sportlers. „Da kommt gerade eine neue Bahn."

Lautlos, aber unübersehbar fährt ein langer Zug aus dem Irdischen ein. Binnen Sekunden füllt sich der diesseitige Bahnsteig mit bunten Schemen, die nur einen Moment innehalten und dann zielstrebig den jenseitigen Gleisen zustreben.

Eine dieser Erscheinungen verharrt jedoch auf dem Zwischengleis, auch noch, nachdem alle anderen abgefahren sind. Auf einem dunkelblauem Gleis bleibt eine einsame Gedankenbahn stehen; doch diese Seele besteigt sie nicht und kommt stattdessen auf mein Café zu. Und je mehr sie sich uns nähert, umso deutlicher wird ihre zuerst diffuse Gestalt.

Durch die Tür kommt endlich eine junge Frau Ende zwanzig, sieht sich einen Moment um und setzt sich dann an einen der Tische. Rübe, die hinter der Theke geschlafen hat, wird umgehend wach und wuselt zu dem neuen Gast hin, um die Frau schnuppernd und schwanzwedelnd begrüßen.

„Rübe, aus!" Ich bin schon daran gewöhnt, das allzu freundliche Riesenviech alle Naslang zurück zu pfeifen. Schließlich mag nicht jeder Hunde und Verlorene, die durch einen Hundebiss ums Leben gekommen sind, sollen ihr Trauma nicht gleich aufgefrischt bekommen.

Rübe schielt die Frau mit ihrem Magst-du-mich-denn-gar-nicht-Blick an, kommt aber artig zu mir. „Sitz!" Sofort sinken die Hinterbacken auf den Boden und die Augen sind nun fest auf mich gerichtet. Der unbezähmbare Schweif allerdings wedelt weiter und würde Staub aufwirbeln, würde ich den Boden nicht täglich wischen.

„Die gehorcht aber gut!", staunt die junge Frau. Ich greife mir eine Karte und bringe sie ihr an den Tisch. Schon beim dritten Schritt höre ich leises Krallenscharren hinter mir.

„Aber nicht für lange." Die Frau unterdrückt ihr Grinsen nicht, als Rübe mir wie üblich auf dem Fuße folgt.

„So ist sie eben", seufze ich. „Stört sie Sie?"

„Nein, gar nicht. So menschenfreundliche Hunde sieht man selten." Die Frau vertieft sich in die Karte und ihre Augen leuchten auf, als sie einen Posten entdeckt. „Oh ja, bringen Sie mir einen Iri– nein, lieber einen Malventee." Das Strahlen in ihrem Gesicht schwindet so schnell wie es gekommen ist. „Kein Alkohol, kein Koffein", flüstert sie vor sich hin.

Das ist hier eigentlich egal. Seelen werden weder betrunken noch haben sie Probleme mit ihrem Blutdruck. Aber solange sie noch ihrem Leben verhaftet sind, halten sie auch an solchen Dingen fest.

Als ich den Malventee bringe, verknotet die Frau nervös ihre Finger und ihre Augen flackern unruhig. „Sagen Sie mir – welches Datum haben wir heute?"

Für die Seelen vergeht die Zeit mal schnell, mal langsam und sie haben kein Gefühl mehr für deren Verstreichen. Ich hingegen bin mir des Datums und der Uhrzeit immer bewusst. Es ist allerdings das erste Mal, dass ich danach gefragt werde.

„Der dritte März", gebe ich zurück. Die Frau lässt die Schultern sinken. „Das ist noch viel zu früh."

Eine verlorene Seele mit Termin ist etwas ganz Neues für mich. Aber ich frage besser nicht nach; das gehört zu den Dingen, die mir verboten sind. Ich darf den Seelen Vermutungen bestätigen, die sie selbst angestellt haben, aber ich darf sie nicht drängen oder eigene Hypothesen aufstellen. Damit könnte ich die Suchenden in die Irre führen und ihre Wartezeit unnötig verlängert.

Nun trudeln andere Gäste ein. Die meisten verbringen die Nachtzeit jener Zeitzone, aus der sie kommen, draußen auf dem Zwischensteig; sie sitzen dann stundenlang auf einer der zahlreichen Bänke und starren auf die bunten Gleise in der vagen Hoffnung, sich für eines entscheiden zu können. Wenn sie müde vom Grübeln und Reflektieren sind, kommen sie dann zu mir, um ihre Kräfte neu zu beleben.

Erst als ich alle Gäste versorgt habe, fällt mir auf, dass die junge Frau verschwunden ist. Ich räume ihre leere Tasse fort und wische den Tisch ab. Die Cola am Fenstertisch lasse ich stehen, säubere aber auch hier die Platte. Ari und Melvin sind noch draußen und simulieren gerade ein Basketballspiel; ihre Rucksäcke und Jacken sind allerdings noch da. Das ist kein Problem, hier wird nichts gestohlen. Im Allgemeinen respektieren die Seelen einander, aber selbst wenn nicht, so ist es doch keinem Verlorenen möglich, das Eigentum eines anderen mitzunehmen.

Bei einem weiteren Blick nach draußen finde ich die junge Frau wieder. Sie geht auf das dunkelblaue Gleis zu, bleibt vor der wartenden Bahn stehen und streicht leicht über den schimmernden Lack. Dann zuckt sie die Schultern, wendet sich ab und kommt zurück. In der Nähe der beiden Sportler lässt sie sich auf einer Bank nieder und sieht ihnen zu. Weniger aus Interesse, sie wirkt eher so, als wolle sie sich ablenken, während sie auf etwas wartet. Das irritiert mich; sie verhält sich anders als je eine Verlorene zuvor, an die ich mich erinnere. Und ich habe noch keine Seele vergessen, die jemals mein Café zwischen Himmel und Hölle besucht hat.

Keine der verlorenen Seelen gleicht der anderen und ich bewahre ihre Geschichten alle in meinem Gedächtnis auf, denn niemand sonst würde sich an sie erinnern. Dennoch wird diese junge Frau einen besonderen Platz bekommen; sie unterscheidet sich noch mehr von den anderen als jemals eine Wartende zuvor.

Sie ist nicht verloren; sie weiß genau, wer sie ist und wo sie hinwill. Sie ist keine Suchende, denn wie es aussieht, gibt es nichts, was sie so sehr vermisst, dass sie noch nicht gehen kann. Sie scheint auf etwas zu warten und ich habe den Eindruck, dass sie auch ziemlich sicher weiß, worauf.

„Welches Datum haben wir heute?" Mit diesen Worten kommt die junge Frau einige Tage später wieder.

„Den neunten März", gebe ich zurück.

„Vielen Dank, Eithne." Sie setzt sich und bittet mich: „Bringen Sie mir – lassen Sie mich überlegen – einen Fencheltee?"

„Natürlich!" Während ich den Fenchelsamen im Mörser zerstoße, erkundigt sich Ari bei der Frau: „Warum ist für Sie das Datum so wichtig?"

Die Frau knuddelt die entzückte Rübe ab. „Ich muss durchhalten. Ich darf noch nicht gehen."

„Sitz!" werfe ich ein und Rübe hockt sich brav hin und fegt wieder einmal den Boden auf ihre persönliche Art und Weise. „Entschuldigung, aber wenn sie im Stehen wedelt, räumt sie schon mal die Tische ab", erkläre ich. Heute hat sich die junge Wartende im Loungebereich niedergelassen, in dem gemütliche Sessel um niedrige Tischchen gruppiert sind. Tische, deren Platten in etwa auf der Höhe von Rübes körpereigenen Stimmungsbarometer sind und darum in steter Gefahr, wenn mein „Ladenhüter" bei guter Laune ist. Was eigentlich fast immer der Fall zu sein pflegt.

„Meinen Sie damit, Sie schweben noch zwischen Leben und Tod?" forscht Melvin neugierig. Eine solche Frage hätte ich niemals stellen dürfen. Aber den verlorenen Seelen ist es nicht verboten, sich auf diese Weise auszutauschen und einander möglicherweise zu helfen.

Als die Frau ihn nachdenklich ansieht, wird dem jungen Mann bewusst, dass er zu weit gegangen sein könnte. „Oh – vielleicht wissen Sie es ja nicht ..."

„Ich weiß es", beruhigt sie ihn. „Nein, ich bin tot und daran kann man auch nichts ändern. Trotzdem muss ich noch auf etwas warten."

„Auf etwas oder auf jemanden?" Ari trinkt etwas von seiner Cola. „Oder wissen Sie es selbst nicht? Wir beide versuchen noch herauszufinden, was es bei uns ist. Ich denke, wir hätten noch etwas tun müssen, aber Melvin glaubt eher, wir müssen uns an etwas erinnern."

Die junge Frau nimmt ihren Fencheltee mit freundlichem Dank entgegen. „Ich muss ein Ereignis abwarten, soviel ist mir bewusst. Und das wird nicht stattfinden, wenn ich zu früh in die Bahn steige, glaube ich."

„Soll das hier passieren?"

„Ich glaube nicht."

„Woher wissen Sie dann, ob es stattfindet?"

„Das weiß ich nicht. Ich hoffe einfach nur, dass ich es erfahren werde."

Ich weiß, wie sie es erfahren kann. Aber auch das ist eigentlich nur möglich, wenn sie selbst diese Möglichkeit erkennt und ich hoffe, dass das auch geschehen wird. Für den Fall überlege ich mir aber schon einmal, wie ich ihr unauffällig und hoffentlich auch von den höheren Wesen unbemerkt auf die Sprünge helfen kann.

„Welches Datum haben wir heute? Oh, hallo, Rübe. Nein, spring bitte nicht an mir hoch und warte mit deinem Scharwenzeln, bis ich mich gesetzt habe." Vorsichtig setzt sich die junge Frau an einen Fenstertisch und streckt die Hände aus. „So, jetzt bin ich kraulbereit, komm her." Was mein rabenschwarzer Türsteher auch unverzüglich erledigt.

„Wir haben heute den vierundzwanzigsten März", informiere ich sie. „Und mit was darf ich Sie heute erfreuen?"

„Einen Iri- nein, einen Pfefferminztee hätte ich gerne." Noch immer bestellt sie nicht, was sie wirklich haben möchte.

Während ich die getrockneten Blätter zerreibe und ins Teesieb gebe, knuddelt sie Rübe ab. „Es dauert nicht mehr lange. Da muss ich es ausnutzen und dir noch ordentliche Streicheleinheiten verpassen."

Rübe hört ihr aufmerksam zu und leckt ihr die Hand. Ich weiß nicht, wieviel die Hündin versteht, aber ihre Art, ihre volle Aufmerksamkeit auf den Menschen zu richten, der gerade mit ihr spricht, tut den verlorenen Gästen meines Cafés gut. Und auch mir. So begeistert sie auch jeden Neuankömmling begrüßt, so folgsam kommt sie zu mir, wenn ich auch nur ansehe. Auf diese Weise gibt sie mir das Gefühl, jemand Besonderes für sie zu sein und ich hoffe inzwischen verzweifelt, dass ihr Mensch noch lange auf sich warten lässt. Ich bin mir jetzt sicher, dass Rübe auf einen ganz einzigartigen Mensch wartet, den sie so sehr liebt, dass sie über ihm alle anderen Personen vergessen kann. Wenn diese Seele hier erscheint, wird sie mit ihr gehen und ich werde wie immer zurückbleiben und ihre Geschichte bewahren. Und dankbar daran zurückdenken, dass sie einem Avatar wie mir so viel von ihrer überströmenden Liebe geschenkt hat.

Die Frau wendet sich Melvin und Ari am Nebentisch zu, die inzwischen beide Notizblöcke in den Händen haben und eifrig miteinander tuscheln. „Und ihr? Seid ihr schon weitergekommen?"

„Wenn man es so nennen kann, dass wir schon einiges ausstreichen konnten", seufzt Ari. „Wir werden uns immer sicherer, dass es immens wichtig ist, uns daran zu erinnern. Aber kommen ihm nicht näher."

„Wir haben schon überlegt, ob wir wie Sie auf einen bestimmten Zeitpunkt warten sollen", ergänzt Melvin. „Aber auch das ergibt irgendwie keinen Sinn."

Die Frau lächelt ein wenig. „Ob ihr auf etwas Bestimmtes warten müsst, weiß ich natürlich auch nicht. Aber ganz sicher nicht auf so ein Ereignis wie ich."

„Sie sagten vorhin, es würde nicht mehr lange dauern?" Trotz des Gewispers zwischen ihnen hat Ari offenbar mitgehört, was die junge Frau in ein schwarzes, zuckendes Rübeohr getuschelt hat.

„Ja, ich denke, es wird bald geschafft sein. Ich muss nur solange durchhalten." Die Frau wirft einen sehnsüchtigen Blick auf ihre noch immer geduldig wartenden Bahn.

„Sie wollen fortfahren?"

„Ja – oder zurückfahren. Aber das eine ist nicht möglich und das andere darf ich noch nicht tun." Plötzlich ballt die junge Frau die Faust. „Aber egal. Ich will es schaffen und das werde ich auch!"

„Welchen Tag haben wir heute?"

„Meinen Sie wirklich, dass Tage hier noch eine Bedeutung haben?", entgegnet die alte Dame, der ich gerade einen Earl Grey und Spitzgebäck serviere. „Sie scheinen noch nicht verstanden zu haben, wo Sie hier sind, junge Frau!"

„Oh, das weiß ich genau." Die Wartende lässt sich nicht provozieren und sinkt anmutig in einen der Clubsessel. Lächelnd klopft sie sich aufs Knie. „Na komm schon, du schwarzes Riesenviech!"

Das lässt sich Rübe nicht zweimal sagen. Ich habe ihr inzwischen beibringen können, erst zu den Gästen zu gehen, wenn sie dazu aufgefordert wird. Seitdem bleibt sie zappelnd und mit heraushängender Zunge sitzen, wenn jemand kommt und blickt denjenigen nur so intensiv an, dass man es auch zu spüren vermeint, wenn man ihr den Rücken zukehrt. Sobald eine Aufforderung an sie ergeht, flitzt sie dann los, bevor der letzte Buchstabe verklungen ist.

So auch jetzt. Der Weg ist kurz und ihr Tempo zu groß; sie stoppt erst im letzten Moment und rutscht prompt noch etwas weiter. Die Dame am Nebentisch wirft ihr einen ärgerlichen Blick zu, die junge Frau jedoch fängt sie lachend ab. „Nur nicht so stürmisch!"

Rübe sammelt sich wieder auf, hockt sich neben sie und legt ihr den Kopf aufs Knie. Während sie die Hündin hinter den Ohren krault, fragt die junge Frau: „Kann ich einen I-, einen Melissentee haben?"

„Selbstverständlich." Ich hole die entsprechende Dose vom Regal und informiere meinen Gast: „Heute ist der vierte April."

„Oh – dann sollte es schon soweit sein." Die junge Frau beißt sich auf die Lippen. „Wenn ich wüsste ... wenn es doch sicher wäre ..." Sie sieht von dem schwarzen Hundekopf auf, als ich ihr ihren Tee bringe. „Wissen Sie vielleicht ..." Sie sieht plötzlich starr an mir vorbei. „Eithne, Sie haben ja einen Fernseher hier!"

Ja, habe ich. Der ist aber nicht für Fußballspiele oder Serien gedacht und funktioniert auch nur, wenn die Gäste ihn bemerken und einschalten. Ich reiche der Frau eine Fernbedienung. „Sie können ihn gerne anwerfen."

Zögernd nimmt sie die Steuerung entgegen. „Wenn Sie meinen ..." Sie starrt einen Moment lang auf die Programmknöpfe. Dann plötzlich tippt sie eine Zahl ein und drückt auf den Startknopf.

Der Monitor wird hell und zeigt uns ein Krankenhauszimmer. In einem Bett liegt eine unkenntliche Person, mit Sauerstoffmaske auf dem Gesicht, etlichen Schläuchen im Körper und umgeben von einer Unzahl Maschinen, die offenbar damit beschäftigt sind, den Menschen dort am Leben zu erhalten. Oder am reinen Funktionieren.

„Bloß keine Krankenhausserie", mosert die alte Dame. Niemand im Café achtet jedoch auf sie, alle sind auf das Geschehen im Fernseher konzentriert.

Gerade tritt ein junger Mann ein, ein Bündel in den Armen. Jemand hält ihm die Tür auf und schließt sie hinter ihm, wohl damit er sich auf das Etwas in seiner Obhut konzentrieren kann.

Leise geht der Mann auf die Person im Bett zu und legt das Bündel auf ihre Brust. „Elaine", seine Stimme zittert und man hört die Tränen heraus, die er gerade noch unterdrücken kann.

„Elaine", wiederholt die junge Frau fast unhörbar. „Ja, das war der Name."

Der Mann beugt sich hinunter und küsst eine kalte, weiße, starre Wange. „Elaine, ich hoffe, dass deine Seele hier noch irgendwo weilt und du mich hören und sehen kannst. Mich und Iris.

Ja, Elaine, unsere Tochter ist nun geholt worden. Sie ist gesund und gut entwickelt und sie wird leben. Ich wünschte, auch du ... aber du bist bereits gegangen. Ich hoffe, es geht dir gut, wo immer du auch bist.

Du hast wunderbar durchgehalten. Die Ärzte haben immer wieder gesagt, dass die Chancen gering wären, aber mit jedem Tag steigen würden. Sie haben nicht geglaubt, dass du es schaffen würdest. Sie haben mir immer wieder gesagt, sie müssen Iris holen, sobald du Anzeichen von ..." Er bricht ab, kann es nicht aussprechen. Aber wir, die wir seine Worte hören, haben schon verstanden.

Der junge Mann holt tief Luft. „Sie haben gesagt, du seist tot und für das Baby könnte es gefährlich sein, in einem totem Körper zu bleiben. Aber du hast es geschafft. Du hast deinen Leib so lange funktionieren lassen, dass Iris wachsen und reifen konnte. Sie ist klein, aber es fehlt ihr nichts und sie wird normal leben können. Ich werde sie gut behüten, für uns beide, und ihr viel von dir erzählen, damit ihr die Mutter nicht so sehr fehlt.

Wir werden die Maschinen bald abschalten. Dann bist du frei und kannst ins Paradies gehen. Denn das hast du dir verdient, meine wunderbare, tapfere Frau. Wir werden dich niemals vergessen, Elaine. Und wo immer du hingehst, bitte denk daran, dass ich dich über alles liebe und dir unendlich dankbar bin für all die Liebe, die du mir erwiesen hast."

Dann schweigt er und nun kommen die Tränen, die er nicht mehr zurückhalten kann. Behutsam legt er das Baby an das Gesicht der toten Frau, drückt dessen Lippen an ihre kalte Wange, zum ersten und letzten Kuss von ihrem Kind. Dann steht er auf und verlässt das Zimmer.

Einen Moment später kommt ein Krankenpfleger herein, begutachtet einen der Monitore und notiert etwas. Er streckt die Hand aus, aber bevor er den Apparat berühren kann, verschwimmt das Bild und der Fernseher verdunkelt sich wieder.

Die junge Frau lächelt traurig und freudig zugleich. „Es ist also geschafft. Ich habe lange genug durchhalten können, damit mein Baby leben kann."

Über Aris Gesicht laufen Tränen. „Das war also Ihre Aufgabe, die Sie noch zu erfüllen hatten. Da haben Sie recht, eine solche Anforderung wird auf uns nicht warten." Er lächelt Melvin an. „Dazu sind wir beide nicht in der Lage." Er stutzt plötzlich und ich erkenne, dass ihm ein Gedanke kommt, der vermutlich der richtige ist. Aber dann wischt er mit der Hand übers Gesicht und mit den Tränen auch diese Idee fort.

„Eine solche Aufgabe zurückzulassen ist nicht leicht", die Worte kommen mir unwillkürlich über die Lippen. „Elaine, ich bewundere Sie für Ihren Mut und Ihre Kraft. Sie sind eine wundervolle Person."

Noch während ich das sage, habe ich auf einmal das Gefühl, dass auch ich irgendwo noch eine unvollendete Arbeit liegengelassen habe. Aber ich kann mir nicht erklären, wann und wo das gewesen sein sollte, wenn ich doch immer nur in diesem Café gewesen bin und nur erschaffen wurde, es zu betreiben.

Elaine lächelt mich dankbar an. „Und Sie, Eithne, sind sehr lieb und fürsorglich. Wer immer dieses Café eingerichtet hat, er hätte niemand Besseren hier einsetzen können." Dann lacht sie leise. „Ich werde jetzt bald meine Bahn besteigen. Aber können Sie mir vorher noch einen Irish Coffee bereiten? Ich habe mich die halbe Schwangerschaft darauf gefreut, mir einen zu gönnen, wenn ich nicht mehr darauf achten muss, was ich zu mir nehmen darf."

„Selbstverständlich", ich begebe mich wieder hinter die Theke. Das ist schließlich meine eigentliche Aufgabe: den Gästen die Erfrischung zu bieten, mit der sie abgehen wollen.

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