Neonlight Shadows - Aufbruch

By Bobby_Andrews

1.9K 473 989

|SHORTLIST ONC 2024| |DYSTOPIE| Im Schatten der glitzernden Neonlichter von Nightvale, der letzten Festung de... More

Vorwort
Prolog
2 | Nex-On Industries
3 | Im Labor von Med-On
4 | Wo das Neonlicht Schatten wirft
5 | Inferno
6 | Küchentischgespräche
7 | Spiel mit dem Feuer
8 | Der geheime Pakt
9 | Der Bug im System
10 | Netz-Werken
11 | Im Untergrund
12 | Spiel im Schatten
13 | Klärende Gespräche
14 | In letzter Sekunde
15 | Abhörsicher
16 | Der unbekannte Soldat
17 | Die Demonstration
18 | Elsie
19 | Muttergefühle
20 | Auf welcher Seite wirst du stehen?
Epilog
Asthetics und Charaktersammlung
Nachwort
Hörprobe

1 | In the Shadows

126 30 51
By Bobby_Andrews

Aria Blackwell bewegte sich beinahe lautlos durch die finsteren Gassen des Untergrunds; ihre Schritte hallten nur gedämpft von den rissigen Wänden des alten Bahntunnels wider. Das Licht war spärlich und stammte von den vereinzelten Glühbirnen, die an den Decken der Tunnel hingen und schwache Schatten auf die Gänge des verzweigten Labyrinths warfen, das hier in völliger Willkür in den letzten Jahren entstanden war.

Der Geruch von Verfall und Verzweiflung hing schwer in der Luft, während Aria sich durch die verwinkelten Gassen kämpfte. Dabei kam sie an den, in die alten Tunnel provisorisch gehauen, Höhlen und an den, aus dem Müll der reichen erbauten, Unterschlupfen vorbei. Überall um sie herum hörte sie das Murmeln der Menschen, die in den Schatten lauerten, und das dumpfe Dröhnen von Maschinen, die in den Tiefen des Untergrunds an weiteren Höhlen für die ärmsten der Armen arbeiteten. Die Luft roch abgestanden und staubig und auch den beißenden Geruch von Fäkalien und Schweiß versuchte Aria weitestgehend zu ignorieren.

Plötzlich hörte sie ein leises Rascheln hinter sich und drehte sich instinktiv um; ihre Hand fest um den Griff ihres Messers gelegt. Doch hinter ihr war niemand. Nur eine Ratte, die aus einem der dunklen Eingänge gehuscht war und nun in den Schatten verschwand. Aria atmete tief durch und setzte ihren Weg fort, immer wachsam und bereit für alles, was ihr im Untergrund von Nightvale begegnen könnte.

Immer wieder musste sie auf ihrem Weg zu ihrem Ziel über Barrikaden aus alten Möbeln klettern oder einen großen Schritt über das immer größer werdende ehemalige Rinnsal machen, in dem sich nicht nur Wasser den Weg zum tiefer gelegenen, unterirdischen Fluss bahnte. Doch auch wenn der Weg beschwerlich und schmutzig war, Aria ging ihn fast täglich, um ihre „Schützlinge" zu besuchen und ihnen zumindest das Nötigste an Versorgung zukommen zu lassen. So wollte sie ein Stück von dem zurückgeben, was man ihr all die Jahre geschenkt hatte.

Die Welt hatte es gut mit ihr gemeint. Sie war selbst als kleines Kind vor vielen Jahren ganz allein nur mit ihrem Cousin Elijah Stone in die Stadt gekommen. Ihre Eltern hatten alles aufgegeben, um wenigstens die Kinder in Sicherheit zu wissen. Aria war von einer netten Familie aufgenommen worden, die sie am Anfang noch mit durchgefüttert hatte. Das kleine Mädchen hatte sogar so etwas wie eine Schule besuchen können und später durch Zufall einen Job als Assistentin bei einem angesehenen Arzt der Reichen Oberschicht ergattert.

Als die Zeiten härter wurden, hatte sie die Familie verlassen und war mit Elijah, der bei der Polizei aufgrund seiner hohen Statur und Kraft schnell aufgestiegen war, in eine winzige Wohnung in einem der günstigeren Wohnblocks am unteren Ende der Stadt gezogen. Sie wohnten bescheiden, um immer wieder denen zu helfen, die im Untergrund lebten und nicht so viel Glück gehabt hatten.

Auch heute hatte Aria wieder allerlei Medikamente in ihrem Rucksack dabei, um wenigstens die Kinder gegen Tetanus zu impfen, das man sich bei all dem Müll, der hier unten offen rumlag, nur zu schnell einfangen konnte. Zudem hatte ihr Dr. Julien Noir, ihr Chef und heimlicher Verbündeter im Kampf gegen die Krankheiten - die sich in der Schattenwelt von Nightvale sonst ungehindert ausbreiten würden - ein paar Packungen mit Vitamintabletten, vor allem dem so benötigten Vitamin D, mitgegeben. Hier unten, einem Ort, an dem niemals Sonnenlicht gelangte, war dieses Präparat so begehrt wie knapp.

Mit dem vollen Rucksack auf den Schultern, war jeder Schritt, den Aria durch die düsteren Gassen machte, von einer unsichtbaren Spannung begleitet. Ihre Augen huschten nervös von einer Ecke zur anderen, während sie sich vorstellte, dass sich irgendwo in den Schatten jemand verbarg, der es auf ihre wertvollen Medikamente abgesehen hatte. Die Blicke der Menschen um sie herum schienen auf ihr zu lasten, und sie spürte die unheimliche Präsenz ihrer stummen Beobachter.

Doch seltsamerweise griff niemand nach ihr. Keiner der Schatten, die sich in den dunklen Ecken der Straßen versteckten, wagte es, ihr etwas anzutun. Stattdessen spürte sie einen Hauch von Anerkennung in den verstohlenen Blicken, die ihr begegneten. Insgeheim wussten die Menschen hier unten, dass sie ihnen helfen wollte, dass sie einer von ihnen und bereit war, für ihr Wohl zu kämpfen.

Diese stille Zustimmung war wie ein unsichtbarer Schutzschild, der sie umgab und ihr Mut machte, ihren Weg fortzusetzen. Auch wenn die Gefahr stets präsent war, wusste Aria, dass sie nicht allein war. Sie hatte ihre Mitstreiter in den Schatten, und gemeinsam würden sie alles tun, um den Kindern von Nightvale eine bessere Zukunft zu sichern.

Denn auf niemanden anderen konnten sich die Shadows heute noch verlassen. Der größte Tech - und Medizinkonzern der Stadt Nex-On hatte zwar versprochen, alle Bewohner der Stadt kostenlos mit dem Vitamin-D-Präparat auszustatten, doch niemand nahm den Konzern in die Verantwortung, wenn am Ende einer neuen Charge nicht genug für die Shadows übriggeblieben war.

„Beim nächsten Mal", entschuldigte sich der Konzernchef Nexor Nocturne dann immer, falls mal jemand den Drang verspürte, sich mit dem mächtigsten Mann in Nightvale anzulegen. Und so blieb es die Aufgabe einiger weniger Helfer, die im Geheimen die Gaben von den Reichen nahmen, um die Hilfe zu geben, die so dringend gebraucht wurde.

Aria hatte die einfache, mit ein paar alten Vorhängen notdürftig abgeschirmte Behausung ihres Schützlings fast erreicht, als plötzlich eine große, athletisch gebaute Gestalt aus dem Schatten eines Durchgangs trat. Ihr Herz pochte schneller, und instinktiv nahm die in der Selbstverteidigung geschulte Aria eine Abwehrhaltung ein. Unter ihren lilafarbenen, schulterlangen Haaren versuchten ihre grauen Augen, die Gestalt im Dämmerlicht einer Glühbirne auszumachen, die von der niedrigen Decke baumelte. Als die Gestalt schließlich einen Schritt vorwagte, erkannte sie ihn.

Elijahs kräftiges Kinn und seine markanten Wangenknochen passten so gar nicht zu den halb eingefallenen Gesichtern der im Schatten lebenden Menschen. Sein dunkles Haar war wie immer kurz geschnitten und perfekt gestylt, wobei einige Strähnen leicht über seine Stirn fielen, und seine durchdringenden Augen fast verdeckten. Aria atmete laut aus.

„Hallo Cousinchen", grinste er, darüber amüsiert, dass sein Auftreten sie erschreckt hatte. Aria hob tadelnd den Finger. „Mach das nie wieder, Stone!", warnte sie ihren Vertrauten. „Das nächste Mal hast du vielleicht ein Messer im Bauch!"

„Keine Angst, ich habe dich den ganzen Weg hierher beschützt. Niemand ist uns gefolgt. Du kannst jetzt reingehen", bot er an und Aria schob sich, ein spöttisches „Danke" murmelnd, an dem Mann mit dem breiten Kreuz vorbei und öffnete mit einem freundlichen „Hier ist Aria!" den Vorhang.

Eine junge Mutter saß im Halbdunkel der winzigen Behausung auf dem Boden und hatte das ältere ihrer Kinder auf dem Schoß. Das andere lag in einer improvisierten Wiege neben ihr und schlief unruhig. Als sie Aria erblickte, erhellte sich ihr schmales Gesicht deutlich. „Da ist ja unser Engel", flüsterte sie, um das schlafende Kind nicht zu wecken.

„Hallo ihr drei", begrüßte Aria die Familie und setzte sich zu der Mutter auf den Boden. Die Behausung war spartanisch eingerichtet, kaum mehr als ein paar zusammengeflickte Decken, die als Wände dienten, und einige abgenutzte Kissen, die den kargen Boden bedeckten. Wie so oft fühlte sich Aria fast schuldig, als sie die junge Frau ansah, die - im Gegensatz zu ihr, die gute und heile Kleidung besaß - in einer zerschlissenen Hose und einer löchrigen Jacke auf einem alten Kissen saß, um die Kälte des Bodens nicht zu sehr an ihren Körper zu lassen.

„Schaut mal, ich habe etwas für euch mitgebracht!", flüsterte sie freundlich, um die traurige Stimmung ein wenig zu vertreiben. Trotz allem war dieser Besuch immer ein Lichtblick in der Dunkelheit dieser unwirklichen Umgebung.
„Vitamine für euch alle und eine Tetanus-Impfung für Willai", sagte sie und streichelte dem blonden Jungen über seinen verfilzten Haarschopf. Jedes privilegierte Kind hätte sich wohl nun gegen den Piks aus der Spritze gewehrt, doch Willai ließ die Prozedur schweigend über sich ergehen.

„Wann habt ihr das letzte Mal etwas Warmes gegessen?", fragte Aria, als sie ein buntes Pflaster auf die Einstichstelle klebte und Willai damit ein kleines Lächeln entlockte.

„Vorgestern", gab die Mutter etwas beschämt zu. „Die Suppenküche ist nun schon das dritte Mal diese Woche ausgefallen. Wenn man nachfragt, heißt es immer, es gäbe zurzeit nicht genug, um uns etwas abzugeben. Mein Mann hat Extraschichten in der Fabrik angenommen, dann wird er wenigstens dort versorgt. Doch dann fehlt er natürlich hier. Und Elsie ist immer noch krank", sagte die Mutter und zeigte auf die Wiege.

„Darf ich sie mir mal ansehen?", fragte Aria sanft. Sie wusste, dass sie ein gewisses Vertrauen unter den Shadows besaß, aber trotzdem musste sie behutsam sein, wenn es um das kostbarste Gut dieser Menschen ging.

Doch die Mutter nickte und Aria rutschte an die Wiege heran. Das Mädchen war viel zu klein für ihr Alter und Aria hatte schon so viele Babys in der Dunkelheit sterben sehen, dass sie das dringende Bedürfnis verspürte, wenigstens dieses Eine retten zu können. Fachmännisch prüfte sie die Temperatur, nahm Blut ab und untersuchte sie. Nach einer Weile wandte sie sich der Mutter zu. Ihr Gesicht war ernst.

„Ich weiß, du willst das nicht hören", begann sie traurig, doch die Mutter unterbrach sie. „Nein!", sagte sie. „Nein, ich gebe sie nicht weg! Sie wird doch sicher wieder gesund. Sie gehört doch zu mir!"

Aria schluckte hart und kämpfte darum, eine Träne zurückzuhalten. Sie wollte nicht diejenige sein, die der Mutter sagen musste, dass ihr Baby keine Überlebenschance hatte, wenn es weiterhin unterversorgt und krank in der Dunkelheit und Kälte bleiben würde. Sie wollte nicht diejenige sein, die der Mutter sagen musste, dass es ihrem Baby bei fremden Menschen dort oben besser gehen würde als hier unten bei ihrer Familie. Sie wollte dem Bruder nicht seine Schwester wegnehmen. Doch sie konnte es auch nicht zulassen, dass die kleine Elsie hier unten sterben musste.

„Ich gebe dir bis morgen Zeit, darüber nachzudenken", sagte sie mitfühlend. „Und ich hoffe für Elsie, dass du und deine Familie zumindest darüber nachdenken. Es tut mir leid", schob sie hinterher, als sie die Tränen der Mutter auf ihren Wangen sah.

„Bitte geh jetzt", presste die Mutter leise unter dünnen Lippen hervor und Aria nickte, wissend wie schwer diese Entscheidung für die Familie sein musste. Ihre hatte damals selbst vor dieser Entscheidung gestanden. Und Aria war dankbar, dass sie sich für das Leben ihrer Tochter entschieden hatten. Sie streichelte noch einmal über Willais Haare und gab der Mutter zwei Protein-Energie-Riegel aus ihrem Rucksack. Dann verabschiedete sie sich, um ihre Runde fortzusetzen und hoffentlich nicht noch einer Familie eine schlechte Botschaft zu überbringen.

⭐️ Über Votes und Kommentare
freue ich mich wie immer ⭐️

Continue Reading

You'll Also Like

2.8M 87.4K 39
Felix has been best friends with the big and scary Jason his whole life. However, once Jason's 16th birthday comes by, he drastically changes. After...
2.5M 117K 38
After getting caught by the police, Axis Imber is sent to a school for misfits. A school to some, a prison for most. Serpenti High is a place like n...
2.5M 100K 66
Carter Parrish lived a happy, simple life with his mom, and knowing she had found her way back to love was the best news he could have ever received...
4.3M 143K 30
Spencer O'connor. A socially anxious wolf who is scared of everyone. He will only mutter a few words to people he knows. He has to leave his pack whe...