Die Maske des Dogen - das Geh...

By Annemie4

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Felis Welt steht Kopf. Ihr Freund David hat aus heiterem Himmel Schluss gemacht. Mit ihrer besten Freundin Je... More

Mein Beitrag zum Picture Award
Vorwort - Willkommen in Venedig, der Stadt der Geheimnisse
Momente des Schicksals
Prolog: Die Maske des Schicksals
Die Welt steht Kopf
Schmerz im Herz und Bonbon im Mund
Alter Staub
Schweres Gepäck
Lemontree
Espresso
Licht und Schatten
Silence allows violence
Andate via
Black-Friday
Via di qui
Gäste des Dogen
Allein mit dem Löwen
La maschera dei segreti
Bella Luce
Von Löwen und Lämmern
Road Closed
Dunkle Nacht
Kaninchen im Schnee
Ein Löwe in der Hauptrolle
Ouvertüre
Wahre Liebe
La caccia è aperta!
Zwei Sterne
La maschera del destino
Il gondoliere
Rattenalarm
Mitternachtsblau
Das Gastmahl im Hause des Levi
Il mio vero amore
geschafft!!!

Pappe zum Frühstück

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By Annemie4


Die Morgensonne fällt durch das Bogenfenster und zeichnet das verschnörkelte Muster des Balkongitters in einem zarten Bleistiftgrau auf den hellen Teppich.

Selbst durch das geschlossene Fenster dringt das Gurren von Tauben herein. Hinter meinen Lidern flackern die Reste eines Blaus, intensiv genug, dass sie mich an ein Augenpaar erinnern. Den flatterigen Balzgeräuschen zum Trotz versuche ich, weiterzuschlafen, denn da lauert ein Traum, so verheißungsvoll wie ein gegebenes Versprechen. In der Hoffnung, dass es dunkel und still wird, vergrabe ich mich in die weichen Kissen.
Bis etwas an meiner Schulter rüttelt.

„Los Feli! Frühstück!"

Das etwas heißt Jenna und ist penetranter als alle Tauben zusammen.

Grummelnd reibe ich mir die Augen und blinzel, während mein Blick den verschwommenen Klecks erfasst, der vor dem Bett steht und langsam scharfe Konturen bekommt.

Meine Freundin ist längst fertig - in pinken Top und weißen Rock. Ihr Look erinnert an ein Tennisdress. Doch statt eines Schlägers hält sie eine Sonnenbrille in der Hand und das Gewinnerlächeln hat sie auf den Lippen.

„Du bist schon wach?" Meine Schläfrigkeit paart sich mit Skepsis und lässt etwas Speichel aus meinem Mundwinkel tropfen. Ich wische ihn mit dem Handrücken ab und schiele auf den Nachttisch, wo mein Handy liegen würde, wenn es nicht ein Bad in der Ostsee genommen hätte. Wie lange hatte ich denn geschlafen? Normalerweise ist bei Jenna das Siebenschläfer-Gen aktiv und nicht andersherum.

Der Nachttisch ist leer und bei Sonne betrachtet, bin ich froh, dass mein Samsung Galaxy nur noch ein mit Algen umwickeltes Stück Elektroschrott ist, denn sonst hätte ich ihn angerufen. Mitten in der Nacht. Aus einem Hotel in Venedig. Kurz nachdem er mich eiskalt abserviert hatte. Katastrophe!

Ein Urlaub ohne Handy gleicht zwar einem Zoo ohne Tieren: ruhig, aber wenig unterhaltsam. Doch in diesem Fall rettet es mich und meine Würde und Jenna würde schon dafür sorgen, dass wir nicht an Langeweile sterben.

Ich setze mich auf. Mein Haar glänzt wie flüssiger Thymianhonig und riecht auch so. Mit dem Finger entwirre ich zwei Strähnen, als die Erinnerung langsam zurückkehrt: Die erste Hälfte der Nacht hatte ich entsetzlich geschwitzt. Die Hotelbettwäsche ist bauschig, aber null atmungsaktiv. Ich wälzte mich hin und her und kämpfte mit Fragen, so undurchdringlich und tückisch wie ein Dschungel aus Kletterrosen. Ob David in der Nacht bei Lou war? Ob er wenigstens versucht hat, mich zu erreichen? Ob er mich vermisst? Wenigstens ein bisschen? Jeder dieser Gedanken war ein Dorn, und jeder stach ein Loch in mein Herz.

Zum Glück hatte ich noch ein Lavendelthymianbonbon aus dem Klütje im Rucksack. Erst nachdem ich es gelutscht und mir dabei den Blumenladen, mit den vielen Vasen, den Amaryllis, Nelken und Gerberas bis ins Detail vorgestellt hatte, wurde mein Herzschlag ruhig und meine Atmung tief.

Gemessen daran, wie müde ich jetzt bin, schien das ganz schön gedauert zu haben.

„Bereit?" Jenna zieht an der Bettdecke.

„Nein!" Ich rufe so laut, dass die Tauben auf der Balkonbrüstung aufhören zu gurren. Jenna lacht. Ihre Wangen schimmern in einem zarten Rosa und ihre Augen haben die gleiche Farbe wie der wolkenlose Himmel. Sie kann fröhlich sein. Sie hat nicht die Liebe ihres Lebens verloren.

Mit dem Gedanken falle ich wieder in mein Kissen zurück.

Jenna verdreht die Augen und zieht mich aus dem Bett. „Süße, du wirst sehen, ein Cappuccino mit viel Zucker und Milchschaum, dazu ein paar leckere Cantuccini und dann sieht die Welt wieder ganz anders aus."

Obwohl ihr mein Verstand widerspricht, sammelt sich die Spucke in meinem Mund.



Der Orangensaft hält genau die richtige Balance zwischen sauer und süß, auf meinem Cappuccino thront ein Berg von Milchschaum, wie der Vesuv über Neapel und wenn das Gebäck daneben nur halb so gut schmeckt, wie es aussieht, bin ich - zumindest kulinarisch - im siebten Himmel. 

Dabei hat das Hotel mehr, als ein schlichtes italienisches Frühstück zu bieten: Auf dem Buffet in der Mitte des Frühstücksraumes türmen sich neben duftendem Weißbrot und fruchtigen Marmeladen, gebratene Würstchen, in Blätterteig gehüllter Lachs, Schüsseln mit Rührei, grünen Salaten und pikanten Aufstrichen, eingerolltes Omelette mit Oliven und Tomaten und Schälchen mit frischem Obstsalat.

Die Auswahl hatte mich schier überfordert und so bin ich froh, mir von unserem Tisch aus erstmal einen Überblick verschaffen zu können.

Jenna balanciert einen Teller mit Hackbällchen, Rührei und Tomatenrisotto an ihren Platz. „Zum Frühstück?", staunend beäuge ich die Portion.

Sie nickt und setzt sich. „Natürlich. Wir haben heute viel vor."

„Staunst du nicht auch, dass nur so wenige Gäste da sind?" Ich recke den Hals, doch bis auf zwei ältere Damen in beigen Kostümen, einem hochbetagten Rentnerehepaar mit Gehilfen, und drei jungen Männern in schicken Anzügen, entdecke ich nur die Kellnerin, die mir ein verlegenes Lächeln schenkt, als sie meinen Blick bemerkt.

Ertappt sehe ich zu Jenna, die reinhaut, als hätte sie drei Tage nur Bonbons gelutscht. „Warte mal ab!", erklärt sie. „Nächstes Wochenende findet die regata storica statt, dann platzt Venedig vor Touristen aus allen Nähten und du bekommst in der ganzen Stadt kein Bett mehr." Ich hebe die Brauen und sehe dabei zu, wie sie sich eine große Ladung Risotto in den Mund schiebt und kaut. „Die Vorbereitungen für die Regatta laufen bereits auf Hochtouren, aber ganz ehrlich?" Sie schiebt noch eine Gabel Reis hinterher. "Ich bin nicht traurig, dass wir das Spektakel verpassen. Totgetrampelt werden gehört für mich nicht zu den Urlaubshighlights." Und schon landet die nächste Fuhre in ihrem Mund.

„Nee, du willst dich lieber tot futtern!", necke ich kichernd, denn ich hatte meine Freundin noch nie so viel essen sehen.

Jenna schafft es, sogar beim Kauen einen Schmollmund zu ziehen.

"Also genießen wir die Ruhe vor dem großen Sturm?", fasse ich zusammen und lasse ein weiteres Mal meinen Blick durch den weitläufigen Raum mit den wenigen Gästen schweifen. Dem Opa des betagten Ehepaares tropft beim Abbeißen etwas Kirschmarmelade auf sein weißes Hemd und die Oma beginnt zu schimpfen.

"Sozusagen", Jenna hustet, entweder hat sie die Szene bemerkt oder sich an einem Krümel Reis verschluckt.

Meine Mundwinkel zucken und ich sehe aus dem Fenster. Wäre neben uns keine Scheibe,  würden Jenna und ich direkt an dem kleinen Kanal sitzen, der hinter dem Hotel entlangführt. Das Wasser ist so leuchtend blau wie auf den Fotos im Reiseführer.

„Also, was willst du heute machen?" Jenna schiebt sich eine Gabel mit Rührei in den Mund und sieht mich erwartungsvoll an.

„Ich will zum Dogenpalast!", widerwillig nehme ich den Blick von dem kräftigen Blau.

„Gut." Jenna nickt und spießt ihre Gabel in ein Fleischbällchen. „Aber shoppen gehen wir auch!"

Ich lehne mich ein Stück zurück und sehe unauffällig an mir runter. Gibt es an meiner schwarzen Leinenhose und dem weißen Top mit den verspielten Ärmeln etwa etwas auszusetzen? Erst als Jenna sich vorbeugt und die Einladung mit dem Pappschild aus der Tasche meiner Blousonjacke zieht, die hinter mir über der Stuhllehne hängt, begreife ich:

„Sag bloß, du willst wirklich zu dem Ball!" Entgeistert sehe ich zu, wie sie das Pappschild auf den Tisch legt und dann die Einladungskarte öffnet.

„Natürlich, der Ball ist heute Abend und wann sonst haben wir diese Gelegenheit?" Jenna nippt gelassen an ihrem Espresso.

„Aber findest du Silence allows Violence nicht merkwürdig? Was soll das denn heißen?" Ich pike mit der Gabel ein Stück von meinem Omelette an und schiebe es mir in den Mund. Der Geschmack der sonnengereiften Tomaten in Kombination mit den fruchtigen Oliven ist ein Gedicht, dennoch vergeht mir beim Anblick des Pappschildes der Appetit.

„Ach, das ist bestimmt nur das Motto; klingt doch spannender als 'Nacht der Rosen' oder so etwas Kitschiges." Jenna schluckt den letzten Biss hinunter und springt auf. „Ich hole mir noch was!"

Kopfschüttelnd sehe ich ihr nach und schiebe das Pappschild ein Stück von mir weg.
Als Jenna zurückkommt, hat sie einen Teller voller Cantuccini dabei. Ich schnappe mir eins, da meine schon verputzt sind. „Und du findest das kein bisschen gruselig?", frage ich, während ich das Mandelgebäck in den Milchschaum des Cappuccinos tunke und vage auf das Pappschild deute.

„Nein. Wieso? Schweigen duldet Gewalt. Ist doch wahr! Es wird viel zu oft geschwiegen und weggesehen heutzutage, gerade bei Gewalt gegen Frauen." Jenna beißt so kräftig von einem ihrer Kekse ab, dass die Krümel über den ganzen Tisch springen. „Das ist bestimmt ein Benefizball für ein Hilfsprojekt."

Ich nicke langsam. Stimmt. In dem Zusammenhang hatte ich solche Slogans auch schon gehört und würde ihn auch jederzeit unterschreiben aber dennoch ...
Mir liegt ein komischer Geschmack im Mund. Ich nehme einen Schluck O-Saft, doch besser wird es nicht.

„Der Typ sah aber nicht so aus, als wäre er besonders sensibel solchen Themen gegenüber." Mit dem Daumen wische ich einen Tropfen ab, der am Glas hinunterläuft.

„Hey, das kann man doch vom Aussehen gar nicht beurteilen!" Sie schnippt einen Krümel vom Tisch und grinst mich an. „Vielleicht geht er nur hin, weil es dort Champagner umsonst gibt - und weißt du was?" Verschwörerisch legt sie ihre Hand auf meinen Unterarm. „Wir werden dasselbe tun."

„Aber ich war noch nie ...", setze ich zum Protest an.

Doch Jenna zieht ihre Stirn in Falten und lehnt sich über den Tisch zu mir rüber. „Feli, weißt du, was dein Problem ist?"

„Nein?" Die Strenge in ihrer Stimme irritiert mich fast genauso sehr wie das krakelige Pappschild auf der blütenweißen Tischdecke.

„Du hängst viel zu sehr an David! Die ganze Zeit schon! Du brauchst eigene Erlebnisse und Erfahrungen. Du bist nicht er! Und wer weiß, vielleicht wächst dann auch sein Interesse an dir wieder?"

Meine Fingerspitzen sind kalt und mein Gesicht bestimmt so weiß wie der Milchschaumrest in meiner Tasse. Mein Bauch grummelt und beschwert sich lautstark; ob ihm Jennas Aussage oder die Kekse zu viel waren, behält er für sich. Jenna hat Recht. Auch wenn es mir ähnlich schwerfällt, wie das Aufstehen heute morgen; sehe ich ihr in die Augen und nicke bedächtig.

„Und deshalb gehen wir heute Abend auf diesen Ball!" Jenna drückt sanft meine Hand und lächelt mich an.

Wieder nicke ich und dieses Mal geht es schon leichter.

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