Liha & Dánirah - Der Drache u...

By jinnis

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Liha würde alles tun, seine Familie zurückzubekommen. Aber ihm bleibt nur die Rache. Deshalb will er dem Heer... More

Vorwort
1 - Der Sohn des Schmieds
2 - Fluch oder Segen?
3 - Der Prinz
4 - Die goldene Stadt
5 - Verletzt
6 - Kreaturen der Nacht
7 - Getrennte Wege
8 - Mehr als ein Schwert
9 - Begegnung am Keli
10 - Wie ein Sohn
11 - Rat der Hrankaedí
13 - Melishs Trupp
14 - Kriegsrat
15 - Gefangen
16 - Kein Spiel
17 - Flucht
18 - Kommunikation
19 - Wiedersehen
20 - Nächtliche Mission
21 - Aufbruch
22 - Folgt den Drachen
23 - Feuerspur
24 - In den Kampf
25 - Hilfe
26 - Der Bogenschütze
27 - Der König
28 - Die Träumerin
29 - Der Drache von Kelen
30 - Noaks Epilog

12 - Der ungekrönte König

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By jinnis

Der Anblick von einem Dutzend halbkugelig gewölbter Zelte ließ Dánirahs Herz höher schlagen.
Die einfachen Behausungen der Tannarí drängten sich in einer Lichtung rings um ein flackerndes Feuer zusammen wie eine Herde friedlich schlafender Tiere. Gelächter und der fröhliche Klang einer Flöte hingen in der Luft und ein Hund bellte, als sich die Reisenden der Siedlung näherten.

Die Musik und die Stimmen verstummten. Wenige Augenblicke später trat eine Gruppe von  Gestalten in dunkler Kleidung zwischen den Zelten hervor, Männer und Frauen. Orinai schob ihren Schal zurück, den sie sich gegen die Kälte über die Haare gezogen hatte, so dass ihr Gesicht im flackernden Schein der Fackeln erkennbar war.

„Orinai, du bist wieder da." Eine kleingewachsene Frau mit grauen Strähnen in ihrem langen Haar trat vor und ergriff die Hände der Heilerin. „Willkommen zuhause, meine Nichte. Und auch euch, He'sha und A'shei." Als ihr Blick auf Dánirah fiel, die sich etwas zurückgehalten hatte, weiteten sich ihre Augen. „Dánirah-ana-Shonai. Es ist sehr lange her, seit sich unsere Pfade kreuzten. Willkommen auch dir, Tochter der Träumerin."

Beim Anblick des bekannten Gesichts floss eine warme Welle der Freude durch Dánirahs Adern. „Senai, es ist wunderbar, dich zu sehen."

Sie erinnerte sich an den Winter, den die Seherin in ihrem Lager in Atara verbracht. Senai war eine alte Freundin ihrer Mutter und nebenbei die beste Geschichtenerzählerin, die Dánirah kannte. Die ältere Frau lud die Angekommenen in ihr Zelt ein.

Als Dánirah sich durch den Eingang duckte, schlug ihr der appetitanregende Geruch eines Eintops entgegen. Eine Frau rührte in einem großen Topf, der über einem Becken mit glühenden Kohlen hing. „Orinai und He'sha. Schön, dass ihr zurück seid. Wie geht es denn dem kleinen A'shei?"

„Alles bestens. Wie du siehst hatten wir einem langen Tag, er schläft schon." Orinai legte das Kind auf eine fellbedeckten Pritsche und zog eine Decke über den kleinen Körper. „Naoràn, darf ich dir Dánirah vorstellen? Sie ist die Tochter der Träumerin."

Es war unschwer zu erkennen, dass Naoràn Senais Tochter sein musste. Sie lächelte Dánirah zu. „Willkommen. Ihr kommt gerade rechtzeitig, das Essen ist schon fast bereit. Nehmt Platz."

Sobald die Reisenden ihre nassen Schuhe ausgezogen und zum Trockenen ans Feuer gestellt hatten, verteilte sie Becher mit heißem Tee. Dánirah ließ sich nicht bitten. Es gab nichts schöneres als nach einem langen Tag unterwegs die Gastfreundschaft in einem Lager der Tannarí zu genießen. Sie hatte sich lange nach deren Einfachheit und Selbstverständlichkeit gesehnt.

Sobald alle den ersten Schluck genommen hatten, wandte sich Senai an He'sha. „Ich weiß nicht, ob du die Neuigkeiten schon gehört hast. Dein Onkel verließ uns während dem Frostmonat."

„Onkel Jona?" He'sha blinzelte und senkte den Blick. „Nein, davon wusste ich noch nichts."

„Er hat sich nie ganz von dem Fieber erholt, das ihn damals während der Hungersnot heimsuchte. Aber das weißt du ja." Senai zog sich den schwarzen Schal um die Schultern als würde die Erinnerung sie frösteln lassen. „Du bist also jetzt der ungekrönte König."

„Was?" He'sha blickte auf und tauschte einen überraschten Blick mit Orianai. „Ich wusste nicht, dass der Titel an mich übergeht."

Senai nickte. „Du bist der nächste in der Linie, und nach dir dein Sohn A'shei."

„Was bedeutet das eigentlich?" Dánirah hatte den Titel natürlich schon gehört, wusste aber nicht, was genau dieser beinhaltete. Ein Rat von Ältesten lenkte das Geschick der einzelnen Tannarí-Gruppen, bei denen sie schon gelebt hatte. Eigentliche Anführer gab es nicht. Zudem wurde in der Regel alles in der mütterlichen Linie vererbt.

„Nach einer alten Legende gilt der ungekrönte König als der Hüter des Schicksals des Volkes der Dämmerung." Naoràn verteilte Schüsseln mit dampfendem Eintopf während sie sprach. „Natürlich ist das in unserer Zeit mehr ein formeller Titel. Und wie der Name sagt, wird der König der Tannarí niemals gekrönt. Aber es heißt, dass er in Zeiten der Not das Volk zu einem neuen Morgen führen werde."

„Ich glaube nicht, dass ich dieser Verantwortung gewachsen bin." He'sha rührte mit gesenktem Kopf in seiner Schüssel.

Senai legte ihm ihre knotige Hand auf den Arm. „Wenn du es nicht bist, wirst hineinwachsen, He'sha, und du wirst diese Aufgabe meistern."

Dánirah räusperte sich. „Wenn du jetzt der offizielle Anführer des Volkes bist, He'sha, habe ich eine wichtige Nachricht für dich." Sie zog Katim's Brief aus ihrer Tasche und reichte sie dem verblüfften Reisegefährten .

He'sha setzte seine Schüssel beiseite und studierte mit einem Stirnrunzeln das blutrote Siegel. „Ist dies das Siegel des Königs von Kelèn, mit diesem Sonnensymbol ?"

Dánirah nickte. „Ich habe den Brief von seinem Berater erhalten. Er bat mich, dies dem Anführer der Tannarí zu übergeben. Ich versuchte, ihm zu erklären, dass wir keinen einzelnen Anführer haben, aber er hat mich wohl nicht verstanden. Deshalb dachte ich, ich würde den Brief zu meiner Mutter bringen. Ich glaubte, sie würde wissen, was damit anzufangen ist. Aber nun weiß ich, dass er die ganze Zeit für dich bestimmt war, He'sha."

Orinai beugte sich vor, um das Siegel zu studieren. „Also war unser Zusammentreffen am Fluss doch kein Zufall."

Senai schüttelte den Kopf. „Du weißt doch, dass es so etwas wie Zufall nicht gibt."

„Das habe ich Dánirah damals auch gesagt." Orinai nahm He'sha den Brief aus der Hand und legte ihn beiseite. „Aber es gibt für alles eine Zeit. Eine Zeit für Politik und eine Zeit fürs Essen. Zuerst essen wir."

Mit einem Lächeln setzte Senai ihre Mahlzeit fort. Die anderen folgten ihrem Beispiel, aber Dánirah merkte, wie die Stimmung sich verändert hatte. Die Gespräche verstummten und Naoràns Eintopf verschwand in Rekordzeit. Sie war froh, als Senai die Schüsseln einsammelte und He'sha endlich das königliche Siegel zerbrach.

Er hielt den Brief nahe ans Feuerbecken, um in dessen schwachem Licht die kantige Schrift zu entziffern. Alle anderen warteten schweigend bis er das Pergament an Senai weiterreichte. „Davon sollten alle Lager der Tannarí erfahren."

Senai studierte den Brief und reichte ihn an ihre Tochter weiter. „Bitte, lies ihn mir vor. Meine alten Augen kommen mit diesen Schnörkeln nicht mehr zurecht."

Naoràn holte tief Luft bevor sie den Text laut vorlas.

„An den Anführer der Tannarí, die im Land Kelèn leben. In diesen vergangenen Monden haben uns besorgniserregende Nachrichten aus dem Norden erreicht. Banden von Söldners streifen durch die nördlichen Provinzen um zu rauben und zu töten. Zudem hat der Rat von Lelai begonnen, ein Heer zusammenzuziehen. Während wir alles zu tun gedenken, um das Land Kelèn zu verteidigen und seine Grenzen zu halten, können wir die Sicherheit der wandernden Stämmen nicht gewährleisten. Wir glauben, dass die Tannarí ihre Freiheit genauso schätzen wie die anderen Bürger dieses Landes. Deshalb laden wir sie ein, sich unserem Feldzug anzuschließen. Nur zusammen kann es uns gelingen, den bevorstehenden Krieg zu gewinnen. Gezeichnet von Mirim-isha-Kerim aus dem Hause Diun, König von Kelèn."

Senai strich sich mit der Hand über die Augen. „Du hast recht, He'sha, das sind wichtige Neuigkeiten. Lass uns den Rat zusammenrufen."

~ ~ ~

Kurz darauf saß Dánirah zwischen Senai und Naoràn im größten Zelt des Lagers. Außer ihnen hörten rund zwanzig Tannarí gespannt zu, während He'sha den Brief des Königs vorlas. Sobald er geendet hatte, herrschte Schweigen.

He'sha faltete das Papier bedächtig zusammen und steckte es in sein Hemd. „Was ist eure Meinung? Sollen wir den Keleni folgen in diesen Krieg?"

Der älteste der Anwesenden räusperte sich. „Es ist noch nie vorgekommen, dass ein König von Kelèn das Volk um Hilfe hat. Dennoch, dieser Krieg ist nicht unser Krieg."

Senai hob die Hand. „Du hast recht, es ist nicht unser Krieg. Aber unsere Kinder werden trotzdem sterben, wenn er unsere Lager erreicht. Der König hat uns eine Botschaft gesandt und zu uns gesprochen. Wir sollten zumindest zuhören. Und wir sollten bereit sein. Die Tannarí haben den Krieg nie gesucht, aber er hat uns trotzdem immer wieder gefunden."

Ein Mann mit einer auffälligen weißen Strähne in seinem sonst dunklen Haar verlangte das Wort. „Senai hat weise gesprochen. Die Nachricht von He'sha sollte in allen Dörfern gehört werden. Ich werde sie morgen nach Osten tragen, zu meinen Verwandten jenseits des Haon. Wer dem Ruf des Königs folgen will, soll dies tun. Wer es nicht für notwendig hält, sollte in eine Gegend ziehen, die der Krieg nicht erreichen wird."

He'sha nickte und erhob sich. „Dies sind ebenfalls weise Worte, Hehama, mein Freund. Lasst uns das Wort durch die Lager tragen. Jene, die dem Ruf des Königs folgen wollen, mögen mich beim Stein der Ahnen in Selei treffen. Wenn der König nach Norden zieht, wird er unweit davon den Fluss Selin queren. Falls er unsere Hilfe dann noch braucht, werden wir zur Stelle sein."

~ ~ ~

Am Morgen nach der improvisierten Ratssitzung war Dánirah die erste, die Selais Zelt verließ. Frischer Schnee hüllte das Lager in eine weiche, weiße Decke und glitzerte im ersten Sonnenlicht. Es fühlte sich wie ein Vergehen an, diese perfekte Schönheit mit Fußtritten zu zerstören.

Dánirah war erst wenige Schritte weit gekommen, als Orinai sich zu ihr gesellte. Von A'shei lugten nur einige schwarze Haarbüschel aus ihrer dicken Jacke. „Was für ein schöner Tag, um eine Reise zu beginnen."

Dánirah nickte. Sie wusste, dass sie hier nicht länger verweilen durfte. Trotzdem wäre sie gerne einige Tage geblieben. Aber sie musste ihre Mutter finden und ihr die Botschaft des Königs bringen. Zusammen mit den anderen Boten hatte sie den Inhalt des Briefs noch in der Nacht auswendig gelernt. Neben He'sha und Orinai, die planten nach Selei zu ziehen, reiste Hehama nach Gerin, andere zogen nach Eshte, nach Atara und sogar ins weit entfernte Nirah. Sie alle versammelten sich nun auf dem zentralen Platz des Lagers.

Mit einem Seufzer wandte sich Dánirah der Heilerin zu. „Du hast recht, aber mein Herz ist schwer. Letzte Nacht träumte ich von Drachen und von einem jungen Mann, den ich wohl niemals wiedersehen werde."

Orinais Augen weiteten sich. „Besitzt du Shonais Gabe?"

„Nein, meine Träume sind bloß nutzloses Gefasel, nicht Prophezeiungen wie diejenigen meiner Mutter." Sie fügte nicht hinzu, wie sehr sie sich davor fürchtete, in die Fußstapfen der Träumerin zu treten. Von ihren Visionen durch das Land gehetzt, ohne jemals Ruhe zu finden, war Shonai zwar von ihrem Volk geachtet, aber sie führte ein hartes Leben.

Dánirah war froh, als Senai und Naoràn das Gespräch unterbrachen. Die ältere Frau drückte ihr und Orinai je ein Paket mit Lebensmitteln die Hände. „Hier, es ist nicht viel, aber es wird eure Mägen füllen auf der Reise. Möge der Morgenstern deine Schritte leiten, Orinai." Sie beugte sich über A'shei und küsste ihn auf den Kopf. „Und besonders die deinen, mein kleiner Stern. Möge dein Weg lang und voller Freude sein."

Ein eisiger Schauer lief über Dánirah's Rücken. Senai war eine Seherin. Dass sie es wichtig fand, dem schlafenden Kind einen Segen mit auf den Weg zu geben, war bestimmt kein Zufall. Dann schloss die ältere Frau sie in eine herzliche Umarmung. „Richte deiner Mutter meine Grüße aus, und vergiss nicht, auf dein Herz zu hören. Es ist ein zuverlässiger Führer."

„Danke, Senai." Dánirah verstaute die Vorräte in ihrer Tasche und verabschiedete sich von ihren neuen Bekannten, bevor sie sich Orinai und He'sha anschloss.

Der Schnee lag nun tief genug, um das Vorwärtskommen zu einer harten Arbeit zu machen. Sie wechselten sich an der Spitze ihrer kleinen Kolonne ab, die langsam aber stetig nach Norden zog. Erst als sie die alte Straße erreichten, wurde das Reisen leichter. Zu dieser Jahreszeit waren kaum Wagen unterwegs, aber zumindest war der Schnee hier bereits festgetreten. Sie folgten diesem Weg durch Wälder, Felder und die rollenden Hügel des westlichen Haontals.

Zwei Tage später um die Mittagszeit hielt He'sha an einer Kreuzung an. „Hier trennen sich unsere Wege, Dánirah. Wir ziehen nun nach Westen um unsre Verwandten in der Gegend von Nanar zu finden. Es war ein glücklicher Wind, der uns zusammenführte."

„Das war es." Dánirah erwiderte seine Umarmung, bevor sie auch Orinai in die Arme schloss und A'shei küsste. „Bleibt gesund, und möge unser nächstes Treffen unter einem besseren Stern stehen."

Orinai nickte. „Gute Reise, Tochter der Träumerin. Und möge der Morgenstern dich führen, für immer und einen Tag."

Dánirah winkte der jungen Familie nach, bevor sie sich wieder nach Norden wandte. Der Pfad führte sie entlang eines Bachs in einen Wald. Die Sonne schien blass durch einen Schleier dünner Wolken und vermochte nicht, ihre Glieder zu wärmen. Sie aß deshalb die letzten von Senais Vorräten im Gehen. Am Nachmittag kam sie an einem abgelegenen Hof vorbei und wechselte einige Worte mit einer Frau, die Wäsche aufhängte. Sie erhielt einen halben Laib Brot für einen Segen des kleinen Anwesens. Einen Moment lang war sie versucht, die freundliche Frau nach einem Schlafplatz für die Nacht zu fragen, entschloss sich aber dann, weiterzuziehen. Es war noch früh, und je eher sie Shonai fand, desto besser.

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