Liha & Dánirah - Der Drache u...

By jinnis

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Liha würde alles tun, seine Familie zurückzubekommen. Aber ihm bleibt nur die Rache. Deshalb will er dem Heer... More

Vorwort
1 - Der Sohn des Schmieds
2 - Fluch oder Segen?
3 - Der Prinz
4 - Die goldene Stadt
5 - Verletzt
6 - Kreaturen der Nacht
7 - Getrennte Wege
8 - Mehr als ein Schwert
10 - Wie ein Sohn
11 - Rat der Hrankaedí
12 - Der ungekrönte König
13 - Melishs Trupp
14 - Kriegsrat
15 - Gefangen
16 - Kein Spiel
17 - Flucht
18 - Kommunikation
19 - Wiedersehen
20 - Nächtliche Mission
21 - Aufbruch
22 - Folgt den Drachen
23 - Feuerspur
24 - In den Kampf
25 - Hilfe
26 - Der Bogenschütze
27 - Der König
28 - Die Träumerin
29 - Der Drache von Kelen
30 - Noaks Epilog

9 - Begegnung am Keli

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By jinnis

Der Winter hielt das Land Kelèn noch fest im Griff, als Dánirah durch das Haontal nach Norden zog. Sie wanderte tagsüber mit langen Schritten, um die Kälte der Nacht aus ihren Gliedern zu vertreiben. Immerhin war das Wetter meist gut und die Sonne gewann gegen Mittag genügend Kraft, dass sie ihre Jacke ausziehen konnte. Zum Glück blieben die tieferen Lagen des Tals vom Schnee verschont und die gepflasterte königliche Straße erlaubte ihr, zügig voranzukommen. Aber die Straße hatte auch einen Nachteil. In dieser dicht besiedelten Gegend war es kaum möglich, vom Land zu leben. Ihre von Naiin gespendeten Vorräte waren längst aufgebraucht und spätestens morgen musste sie neue besorgen. Wie sie das anstellen wollte, war ihr noch ein Rätsel.

Der Abendnebel verdichtete sich über dem Fluss Keli, als sie den Ort Sitaja erreichte. Im goldenen Licht der untergehenden Sonne stieg sie auf einen kleinen Hügel westlich der Straße, um die berühmte Brücke zu bestaunen. Die königlichen Baumeister hatten in der reißenden Strömung fünf massive Steinpfeiler errichtet und sie mit einer hölzernen Konstruktion verbunden. Diese wurde von einem Dach geschützt, wohl damit die mächtigen Balken nicht zu rasch verrotten konnten.

Im Sommer hätte Dánirah wohl die Furt benutzt, die eine Tageswanderung flussaufwärts lag. Aber jetzt, wo in den Bergen bereits die Schneeschmelze eingesetzt hatte, wäre es viel zu gefährlich und zu kalt, den Keli zu Fuss oder schwimmend zu überqueren. 

Dánirah legte eine Hand über die Augen. Ob es wohl besser war, die Brücke heute noch zu queren und sich auf der anderen Seite nach einer Schlafgelegenheit umzusehen? Eine Gruppe von Häusern mit tiefhängenden Schilfdächern drängte sich am Brückenkopf auf der anderen Flussseite zusammen. Vielleicht würde sie eine leere Scheune oder einen Stall finden, der von der Körperwärme der Tiere gewärmt wurde. Oder sie konnte es im Gasthaus auf dieser Brückenseite versuchen und den Wirt bitten, sie im Austausch gegen eine Mahlzeit und einen Schlafplatz in der Küche vor den Gästen singen zu lassen.

Seit ihrer Abreise aus Penira hatte sie dies zweimal getan, aber beide Male in Gaststätten, die sie von früheren Reisen mit ihrer Mutter kannte. Dánirah widerstrebten solche Auftritte, weil sie sich allzuoft gegen Übergriffe von Reisenden wehren musste, die glaubten, eine junge Tanna alleine unterwegs sei eine leichte Beute. Aber sie musste essen, wenn sie der Kälte trotzen wollte. Zumindest schätzten die meisten Keleni ihre Stimme, oder sie fanden ihr exotisches Aussehen interessant genug, sie für ihren Gesang zu bezahlen.

Unentschlossen rieb sie sich die ausgekühlten Hände.

„Ein schönes Bild, diese Brücke im Abendlicht."

Die Sprecherin benutzte die alte Sprache des Volks der Dämmerung. Dánirah drehte sich, um die Tanna zu grüßen, die sich mit leichten Schritten zu ihr gesellt hatte. „Das stimmt, und viel weniger gefährlich, als den Fluss in einem Boot zu queren."

Die Frau schüttelte lachend ihre Mähne aus schwarzen Zöpfchen. „Da bin ich ziemlich sicher. Die Stromschnellen des Keli gelten nicht ohne Grund als gefährlich oder sogar unbefahrbar." Sie streckte Dánirah die geöffneten Hände entgegen. „Ein erfreuliches Treffen, Tochter der Dämmerung. Mein Name ist Orinai."

„Oh." Dánirah erwiderte die Geste. Sie kannte den Namen der Heilerin, konnte sich aber nicht erinnern, ihr schon einmal begegnet zu sein. Orinai trug den schwarzen Schal mit der geknüpften Borte einer geachteten Person im Volk, war aber jünger, als Dánirah geglaubt hatte. „Ein glückliches Treffen, Orinai. Mein Name ist Dánirah."

„Dánirah, Shonai's Tochter?" Orinai hob die Brauen. „Reist die Träumerin nicht mit dir?"

„Leider nein, wir mussten uns trennen und haben vor, uns weiter im Norden wieder zu treffen." Sie war nicht sicher, wieviel ihres Plans sie preisgeben sollte.

Aber Orinai akzeptierte ihre Antwort mit einem Nicken. Sie hob die Hand, um einer Gestalt unten an der Straße zuzuwinken. „Wenn du ebenfalls nach Norden ziehst, können wir die Brücke auch gemeinsam überqueren. Es wird günstiger sein, wenn wir als Familie auftreten."

Dánirah hatte eine Münze von ihrem letzten Auftritt in einem Gasthaus beiseite gelegt, um den Brückenzoll zu bezahlen. Aber sie vermutete, dass Orinai recht hatte. Keleni würden immer versuchen, sich auf Kosten eines Mitglieds des Volkes der Dämmerung zu bereichern. Damit war auch die Entscheidung gefällt, wann sie den Fluss überqueren sollte. Sie folgte ihrer neuen Bekannten zurück zur Straße, wo ein dunkelhäutiger Mann wartete. Wie Orinai und sie selbst trug er die traditionelle Kleidung der Tannarí. In seinen Armen schlief ein Kleinkind, den Kopf gegen den Hals des Mannes gelehnt.

Er streckte mit einem warmen Lächeln seine freie Hand aus. „Also hatte meine Partnerin doch recht, als sie behauptete, sie hätte eine Tanna den Hügel erklimmen sehen. Ich bin He'sha und dies ist A'shei, unser Sohn."

Bei der Nennung seines Namens öffnete der Junge die dunklen Augen und steckte sich den Daumen in den Mund, während er Danirah musterte.

Sie berührte He'shas Hand. „Hey, ich bin Dánirah. Eine glückliche Begegnung."

Der Junge griff nach ihrem Zopf und zog kräftig daran. Sie befreite sich lachend. „Und dir auch ein  frohes Treffen, A'shei."

He'sha tauschte mit Orinai einen Blick aus. „Du bist die Tochter der Träumerin? Das ist wirklich ein interessanter Zufall."

Dánirah schüttelte den Kopf. „Ich besitze nicht die Gabe meiner Mutter. Es sind nur ihre Anweisungen, die mich heute hierher geführt haben."

Orinai bedachte sie mit einem nachdenklichen Blick. Aber bevor Dánirah fragen konnte, ob etwas nicht in Ordnung sei, kehrte ihr Lächeln zurück. Sie nahm das Kind von ihrem Partner. „Dein Weg führt nach Norden, also können wir ein kleines Stück gemeinsam gehen. Die Zukunft wird zeigen, of diese Begegnung eine tiefere Bedeutung hatte."

Die Heilerin führte die kleine Gruppe zum Wachhaus am Brückenkopf und drückte dem Wächter der königlichen Garde eine Münze in die Hand. Der Mann studierte sie und ließ den Blick über die vier Tannarí wandern. Mit einem Schulterzucken steckte er das Geld ein und winkt sie vorbei.

Dánirah wartete, bis sie außer Hörweite waren. „Ich kann dir meinen Anteil zurückzahlen."

He'sha schüttelte den Kopf. „Das ist nicht notwendig. Der Preis für eine Familie ist gleich, ob wir nun zu dritt oder viert sind. Behalte dein Geld für einem Tag, wo du es wirklich brauchst."

„Vielen Dank."

Orinai warf ihr über die Schulter ein Lächeln zu. „Es ist nur ein kleines Stück Metall. Die Keleni messen ihren Münzen einen viel zu großen Wert bei. Manche sind so damit beschäftigt, ihr Geld zu zählen, dass sie keinen Blick mehr übrighaben für die Schönheit der Natur, die sie umgibt."

Sie hielt an und zeigte nach Westen, wo die Sonne hinter den Bergen versank. Die Eis- und Schneekappen der Gipfel glühten leuchtend orange mit den Wolken um die Wette und Dánirah starrte auf das letzte Stück der Sonne, bis es mit einem kurzen Aufblitzen verschwunden war. Sie blinzelte, um die Sonnenflecken aus ihrem Gesichtsfeld zu verjagen. Da ließ eine Bewegung weiter links sie herumfahren. Was flog da durch den Schatten unterhalb eines Gipfels?

Als sie die Silhouette erkannte, zog sie scharf die kalte Luft ein. „Sieh mal, dort."

„Ein Drache." He'sha trat ans Brückengeländer und kniff die Augen zusammen. „Du bist eine aufmerksame Beobachterin. Es ist viele Sommer her, seit ich einen Drachenschatten gesehen habe."

Orinai wiegte ihren Sohn. „Ich frage mich, warum eine Kreatur der Nacht so kurz nach Sonnenuntergang schon unterwegs ist. Hrankaedí mögen das Tageslicht nicht und verlassen ihre Höhlen in den Bergen kaum mehr, seit es keine Königin der Nacht mehr gibt."

„Dieser fliegt nach Norden, vielleicht nach Sellei oder Lelai." Dánirah dachte an die Nacht auf dem Dach mit Liha. „Vor einem halben Mond habe ich einen gesehen, der in die Richtung von Eshte zog."

He'sha rieb sich das Kinn. „Das ist außergewöhnlich. Ich frage mich, was diese plötzliche Aktivität bedeutet."

A'shei lehnte sich mit ausgestreckten Armen vor, als wollte er nach dem Drachen haschen. Orinai küsste ihn auf den Kopf. „Nun, wenn ich die Wahl hätte, einer Bande von Söldnern in die Arme zu laufen oder einem Drachenschatten zu begegnen, zöge ich das letztere auf jeden Fall vor. Trotzdem — die Hrankaedí reiten den Wind der Veränderung. Ich hoffe, es ist ein guter Wind."

Während sie weitergingen, konnte Dánirah nicht umhin, zu grübeln. Wie He'sha war sie seit Jahren kaum Wesen der Nacht begegnet. Und nun hatte sie in einem einzigen Mond nicht nur Kaedin und Xylin, sondern gleich zweimal auch Drachenschatten gesehen. Woher kam diese plötzliche Aktivität? Sie drehte sich zurück, um einen letzen Blick auf die Hrankae zu erhaschen, bevor sie in den tiefer werdenden Schatten verschwand.

Die Tannarí erreichten das andere Ufer und den Ort Sitaja bei Einbruch der Dunkelheit. Warmes Licht in den Fenstern des Weilers verdrängte den Nebel und die düstere Abendstimmung, aber Dánirah fröstelte im kalten Wind. Die Wärme dieser Häuser war für sie unerreichbar.

Die ältere Tanna schien ihre Gedanken zu lesen. „Es gibt ein Lager meiner Familie einige Tagesreisen von hier an der alten Straße. Wir planen, dort die Zeit bis zum Frühjahrsmond zu verbringen. Wenn du möchtest, kannst du gerne mit uns bis dorthin reisen. Wir würden uns über deine Gesellschaft freuen."

„Sehr gerne. Aber wo wollt ihr diese Nacht verbringen?"

Orinai lächelte. „Mach dir keine Sorgen. Es gibt einen kleinen Hof nicht weit von hier, wo wir willkommen sind. Anah ist eine alte Freundin."

Dánirahs Stimmung verbesserte sich schlagartig. Die Aussicht auf eine ruhige Nacht unter Freunden, eine Mahlzeit und später sogar ein Tannarí-Lager war wesentlich besser als sich in eine Scheune oder einen Stall einzuschleichen und zu hoffen, dass sie nicht entdeckt wurde. Und selbst im heftigsten Wintersturm war ein Lagerplatz des Stammes der gemütlichste Ort, den sie sich vorstellen konnte.

„Das ist wunderbar, vielen Dank für die Einladung. Es ist schon fast zwei Monde her, seit Shonai und ich unser Winterlager in Atara verlassen haben. Seither habe ich selten eine ungestörte Nacht erlebt."

He'sha rückte die Riemen seiner Tasche zurecht. „Das kann ich mir gut vorstellen. Reisen im Winter ist anstrengend und auch gefährlich. Ich werde froh sein, wenn wir im Lager endlich eine Pause einlegen können."

Am Ende des Dorfes führte Orinai die kleine Gruppe auf einen schmalen Weg, der dem Fluss folgte. „Meine Bekannte lebt ein Stück flussaufwärts. Wir sind spät dran, aber ich hoffe, sie wird noch wach sein, wenn wir da ankommen."

Bald machten die Felder einem lichten Wald Platz, der wohl dem Vieh als Weide diente. Als die Bäume dichter standen, mussten sie hintereinander gehen, aber Orinai fand den Weg mit untrüglicher Sicherheit. Dánirah folgte He'sha, der nun das schlafende Kind von seiner Partnerin übernommene hatte. Einmal erwachte der Junge und sein Vater summte eine leise Melodie, um ihn zu beruhigen.

Es war bereits stockdunkel, als sie eine kleine Lichtung am Flussufer erreichten. Rauch kitzelte Dánirah's Nase und im Fenster eines niedrigen Hauses, das fast von seinem Strohdach erdrückt wurde, brannte ein goldenes Licht.

Orinai beschleunigte ihre Schritte. „Wir sind da."

Die Heilerin klopfte in einem unregelmäßigen Rhythmus an die Holztüre, die sich daraufhin einen spaltbreit öffnete. „Orinai? Welche Freude. Komm herein, wen bringst du denn mit?"

„Anah, bitte verzeih den Überfall. Können wir bei dir die Nacht verbringen? Das sind mein Mann He'sha, mein Sohn A'shei, und Dánirah, eine Freundin."

Die Frau, die sie in die Hütte winkte, hätte vom Alter her Orinais Mutter sein können. Das graue Haar trug sie in einem Knoten und ihr Gesicht war von Falten gezeichnet. Aber ihre Haut war zu hell für eine Tanna, und die klaren grauen Augen erinnerten sie etwas an Liha.

Die Gastgeberin schien sich nicht im mindesten daran zu stören, dass ihre Besucher dem Volk der Dämmerung angehörten. Anah und Orinai bereiteten gemeinsam ein Mahl zu, während He'sha anbot, für das Feuer der alten Frau Holz zu hacken. Dánirah, die nicht zurückstehen wollte, folgte ihm zum Schuppen.

Sie sammelte die gespaltenen Scheite ein und füllte sie in einen Korb. „He'sha, wie kommt es, dass eine Kelen so selbstverständlich Tannarí bei sich aufnimmt?"

„Nun, nicht alle Keleni verachten uns. Anah lebte viele Jahre mit einem Tanna Mann zusammen, bis er vor einigen Wintern starb. Sie hat einen Sohn, der in den Diensten des Königs steht. Jedesmal, wenn ich Menschen wie sie treffe, glaube ich, dass vielleicht die Völker eines Tages doch friedlich nebeneinander leben können."

Dánirah dachte an Naiin und Liha. Beide hatten sie wegen ihrer Herkunft nie herablassend behandelt. Liha war sogar besorgt gewesen, sie ziehen zu lassen. Sie lächelte. „Ich glaube, dass du recht hast. Wir müssen bloß alle gemeinsam daran arbeiten."

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