Liha & Dánirah - Der Drache u...

By jinnis

1.3K 239 173

Liha würde alles tun, seine Familie zurückzubekommen. Aber ihm bleibt nur die Rache. Deshalb will er dem Heer... More

Vorwort
1 - Der Sohn des Schmieds
2 - Fluch oder Segen?
3 - Der Prinz
4 - Die goldene Stadt
5 - Verletzt
6 - Kreaturen der Nacht
8 - Mehr als ein Schwert
9 - Begegnung am Keli
10 - Wie ein Sohn
11 - Rat der Hrankaedí
12 - Der ungekrönte König
13 - Melishs Trupp
14 - Kriegsrat
15 - Gefangen
16 - Kein Spiel
17 - Flucht
18 - Kommunikation
19 - Wiedersehen
20 - Nächtliche Mission
21 - Aufbruch
22 - Folgt den Drachen
23 - Feuerspur
24 - In den Kampf
25 - Hilfe
26 - Der Bogenschütze
27 - Der König
28 - Die Träumerin
29 - Der Drache von Kelen
30 - Noaks Epilog

7 - Getrennte Wege

58 8 7
By jinnis

Zwei Tage nach ihrer ersten Begegnung begleitete Liha Dánirah zum Stadttor. Die Sonne war gerade aufgegangen, aber die Gassen der Stadt lagen noch im Schatten. Er zog die Jacke um eng um die Schultern, aber seine Begleiterin schien die Kälte kaum wahrzunehmen. Sie schritt zügig aus und bog auf den Marktplatz ein.

So früh am Morgen waren die Betreiber dabei, ihre Stände herzurichten. Manche bogen sich bereits unter der Last der darauf ausgebreiteten Waren. Da gab es Gemüse, Obst, Käse, Gewürze, Brot und Eingemachtes. Ganz links am Platz reihten sich die Stände mit Fisch und Fleisch, auf der rechten Seite jene mit Süßgebäck und Leckereien. Trotz der frühen Stunde flanierte schon eine bunt gemischte Menge kauflustiger Kunden über den Markt, Frauen und Männer feilschten eifrig und begleitet von Kinderlachen.

Dánirah wich geschickt einem alten Mann aus, der eine mit mit aufgetürmten Kohlköpfen beladene Karre vor sich her schob, und hielt abseits des Verkehrs inne, der sich bereits durch das Stadttor ergoss.

„Danke, dass du mich begleitet hast, Liha, und viel Glück bei der Bewerbung heute."

Liha verzog den Mund und rieb sich verlegen den Nacken. „Ich danke dir. Bist du sicher, dass es eine gute Idee ist, alleine nach Norden zu reisen?" Der Gedanke, dass seine neue Bekannte einer Gruppe Söldner in die Arme laufen könnte, ließ ihn frösteln.

Dánirah lachte. „Wir Tannarí werden nicht umsonst das wandernde Volk genannt. Keine Angst, ich komme zurecht. Ich muss schließlich sicherstellen, dass Katims Brief seinen Empfänger so rasch als möglich erreicht." Sie klopfte auf ihre Tasche, wo sie am Morgen das versiegelte Pergament verstaut hatte. Naiins Besucher hatte es mitten in der Nacht vorbeigebracht, und die Tanna hatte darauf bestanden, dass sie nun unverzüglich aufbrechen musste.

„Und danach muss ich meine Mutter wiederfinden. Sie hat gesagt, wir würden uns in den nördlichen Prärien wieder treffen. Aber mit ihrem Husten hätte ich sie niemals alleine ziehen lassen sollen."

Der Gedanke an seine eigene Familie sandte einen schmerzhaften Stich durch Lihas Brust. Wohin auch immer er seine Schritte lenkte, er würde seine Liebsten niemals wiedersehen. Dabei würde er soviel um die Hoffnung geben, wenigstens jemanden von ihnen am Leben zu wissen. Aber er war allein, und Rache war der einzige Weg, ihnen seine Liebe zu beweisen. Es war deshalb bestimmt besser, Dánirah auf ihrem eigenen Pfad ziehen zu lassen. Hoffentlich würde sie ihre Mutter bald finden.

Wie es Berim bei ihrer Trennung getan hatte, legte er der jungen Frau eine Hand auf die Schulter. „Es war gut, dich kennenzulernen, Dánirah. Möge die Sonne hell auf deinen Pfad scheinen."

Sie lächelte und erwiderte die Geste. „Möge der Morgenstern deine Schritte leiten, für ewig und einen Tag — bis wir uns wiedersehen."

Bevor er die Tanna nach der Bedeutung dieses ungewöhnlichen Segenswunsches fragen konnte, drehte sie sich flink um und verschwand im Schatten des Torbogens.

Liha spürte den Blick des Torwächters auf sich ruhen. Der Krieger in den königlichen
Farben beaufsichtigte die Treppe, die zum Wehrgang auf der Stadtmauer führte, und zwinkerte ihm zu. „Willst du hochsteigen, um deiner Liebsten zum Abschied zu winken?"

So überraschend das Angebot kam, Liha zögerte nicht, es anzunehmen. Unter dem wissenden Grinsen des Mannes eilte er die hölzernen Stufen empor. Der breite Rundgang, der sich entlang der Mauer zog, erlaubte zwischen den massiven Mauerzinnen hindurch einen ungestörten Blick auf das Haontal und die Straße, die sich nach Norden im Morgennebel verlor.

Da draußen ging sie, Dánirah — außer der freundlichen Naiin die einzige Person, die er in Penira gekannt hatte. Mit langen Schritten und wehendem Rock bewegte sie sich sie durch die Reisenden wie eine Tänzerin. Die Zipfel ihres schwarzen Schals flatterten im frischen Wind und ihr Zopf hüpfte bei jedem Schritt. Lihas Herz stockte einen Moment. Dánirah hatte ihm bereits in jener ersten Nacht im Dachgarten erklärt, dass sie die Stadt sobald als möglich verlassen werde. Dass sie am Ende zwei Tage länger blieb, verdankte er nur Naiins wichtige  Besucher. Er bestand darauf, die Botin müsse auf eine Antwort des Königs warten, um sie zu den Ältesten der Tannarí zu bringen. Jetzt, da Dánirah tatsächlich wegging, schmerzte ihn das beinahe so sehr wie damals der Verlust seines Bruders.

Als ob sie seinen Blick im Rücken spüren könnte, wandte Dánirah sich um und winkte ihm zu. Liha grüßte zurück und glaubte, ihr strahlendes Lächeln zu erkennen. Dann wendete sie sich um und verschwand leichtfüßig in der Menge. Nein, es gab einen Unterschied zu der Geschichte mit seinem Bruder. Dánirah lebte, und selbst wenn er sie niemals wiedersehen sollte, konnte er sich immer vorstellen, dass sie irgendwo dort oben im Norden an ihn dachte und dabei diese Lächeln auf dem Gesicht trug.

Mit einem etwas leichteren Herz verließ Liha die Stadtmauer und stieg hinauf zur königlichen Zitadelle. Heute war Vollmond und damit der langersehnte Rekrutierungstag.

~ ~ ~

Der nahtlose Übergang von Fels zu Mauer trug das seine zur imposanten Wirkung der königlichen Festung bei. Liha fühlte sich beim Anblick dieses Baus winzig und unwichtig. Dieser Eindruck verstärkte sich noch, als er den Wachposten am Fuß der Rampe erreichte, die zum Haupteingang der Residenz des Sonnenkönigs hinaufführte. Nahezu zwei Dutzend junger Männer und auch einige Frauen warteten bereits auf den Rekrutierungstag. Unter ihren kritischen Blicken wäre er am liebsten in Naiins kleine Dachwohnung zurückgekehrt. Aber er gab sich einen Ruck und lehnte sich mit dem Rücken gegen eine sonnenwarme Mauer. Dies war der Weg, den er gewählt hatte. Er würde ihn zu Ende gehen, genauso wie Dánirah nun in den unsicheren Norden reiste, weil es ihre Bestimmung war.

Die meisten der anderen Bewerber waren wohl einen Sommer oder zwei älter als er und mit einem Schwert bewaffnet. Ihre Kleidung war sehr unterschiedlich und bestand wahlweise aus grobem Tuch, ähnlich demjenigen, das er selbst trug, oder kostbaren und fein gewirkten Geweben in den Farben der einflussreichen Häuser von Kelèn.

Einige der besser ausstaffierten jungen Männer stolzierten auf und ab, während sie mit lauten Stimmen die politische Lage im Norden diskutierten und über die übrigen Kandidaten geflissentlich hinwegsahen. Die meisten anderen hielten sich zurück wie er selbst. Zumindest sah es aus, als ob einige von ihnen auch weder einen edlen Namen noch eine wichtige Familie besaßen, die ihnen den Weg in den Dienst des Sonnenkönigs ebnen würden.

Fünf weitere Bewerber gesellten sich zu ihnen, bevor ein Wächter das hölzerne Tor öffnete und die jungen Leute hereinwinkte. Sie folgten ihm die mit Steinplatten gepflasterte Rampe hinauf und durch ein weiteres Tor in einen großen Hof, der von Pferdeställen umgeben war. Liha hielt einen Moment inne. Nun befand er sich innerhalb der Königsburg, dem Herz des Reichs Kelèn. Was hätten seine Schwestern dafür gegeben, heute an seiner Stelle zu sein.

Aber er fand nicht die Zeit, sich genauer an diesem Ort umzusehen. Ein alter Krieger in der Uniform der königlichen Wache räusperte sich laut, klopfte mit seinem Schwert auf einen Schild und wandte sich an die Ankömmlinge.

„Bürger von Kelèn. Ihr habt euch heute hier versammelt, um euch für einen Platz in der königlichen Garde zu bewerben. Dafür habt ihr alle hart trainiert und seid begierig, uns eure Kunst zu zeigen. Das ist sehr gut. Nun, bevor wir beginnen, stellt euch da drüben in einer ordentlichen Reihe auf."

Während Liha den anderen folgte, spürte er kalten Schweiß auf der Stirn. Er hatte niemals einen Gedanken daran verschwendet, dass er trainieren sollte. Der vergangene Mond war in seiner Erinnerung ein Nebel. Darin tauchten immer wieder abgerissene Bilder vom Angriff der Söldner auf oder vom vergeblichen Versuch, seinen Bruder zu retten. Über allem hing der unbändige Wunsch nach Rache. Selbst seine Begegnung mit Dánirahs Peinigern konnte er nicht wirklich als Kampfübung werten, besonders nachdem er dabei so hoffnungslos versagt hatte.

Der Wachoffizier folgte der unordentlichen Linie der Rekruten und musterte jeden einzelnen genau, bevor er fortfuhr.

„Für die kommenden Übungen gibt es strenge Regeln. Es ist nicht erlaubt, einen Gegner zu verletzten. Zurückhaltung ist genauso eine Tugend eines Kriegers wie seine Unerschrockenheit im Kampf. Außerdem will ich keine Schadenfreude sehen. Und keine unerlaubten Tricks. Ihr seid hier, um uns euer Potential zu zeigen. Wir sind hier, um euer kämpferisches Können und eure Begabung zu beurteilen."

Er teilte die Gruppe in Paare auf. Kurz darauf stand Liha einem schlaksigen jungen Edelmann gegenüber. Dieser schüttelte mit einem schiefen Grinsen seine blonden Locken und zog sein Schwert mit einer natürlichen Leichtigkeit, die von langer Übung sprach. In seinen blauen Augen glühte ein eifriger Funken. Der Waffenmeister reichte Liha ein hölzernes Schwert und einen Schild, bevor er sich an seinen Gegner wandte.

„Nicht mit blankem Stahl, junger Mann. Hier." Er drückte Lihas Gegner eine vergleichbare hölzerne Klinge in die Hand. Dieser schien nicht begeistert zu sein, verstaute seine eigene Waffe aber sorgsam in der Scheide und legte den Schwertgurt beiseite. Ein weiterer Krieger trat zu ihnen und gab das Zeichen, den Kampf zu beginnen. Der Blonde zögerte keinen Augenblick, Liha anzugreifen.

Dieser fand kaum die Zeit, seinen geliehenen Schild hochzureißen und den Schlag abzuwehren, der auf seine Brust zielte. Er sprang zurück und hob sein Schwert. Immerhin war es leicht, aber es gelang ihm nicht, das Zittern seiner Hand zu unterdrücken.

Sein Gegner umkreiste ihn lachend. „Hast du schon je zuvor mit einem Schwert gespielt, Bauer?"

Statt einer Antwort zog Liha seinen linken Arm aus den Gurten des Schilds und warf diesen beiseite. Sobald er das Schwert in seiner bevorzugten Hand hielt, fühlte er sich etwas besser.

„Ah, ein Linkshänder. Aber das wird dich auch nicht retten." Der Edelmann fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und attackierte von Neuem. Liha parierte, so gut er es vermochte, aber die Schläge fielen so schnell wie Hagel. Bald stand er mit dem Rücken gegen ein Stalltor, beide Hände um das Heft des Schwertes gekrampft, um die Klinge seines Gegners abzuwehren.

Dieser riss dieser ihm mit einer geschickten Drehung die Waffe aus den Händen schleuderte sie außer Reichweite. Die Spitze seiner Klinge rammte hart gegen Lihas Brustbein. Sein Gegner keuchte mit rot glühenden Wangen und drehte die hölzerne Klinge aus dem Handgelenk. Liha spürte, wie ein Faden heißes Blut aus der Verletzung über seine Haut rann.

„Genug, das reicht, Jonaim." Der Krieger, der den Kampf beaufsichtigte, trat vor und schob die Klinge des Jungen mit seiner eigenen beiseite. „Ich habe gesagt, es sei genug. Das ist ein Test, kein Krieg, und der Waffenmeister hat Blutvergießen ausdrücklich verboten."

Kaum in der Lage, sich zu bücken, hob Liha das Schwert auf und reichte es dem Krieger. Enttäuschung und Demütigung brannten in seinem Gesicht. Der Mann der Garde nahm die Waffe und studierte ihn mit zusammengezogenen Brauen.

„Deine Schwerthand braucht noch viel Arbeit, bis du in den Kampf ziehen kannst. Zudem ist ein Schild nicht nur als hübsche Dekoration gedacht. Wie tief ist denn die Wunde?"

„Nur ein Kratzer. Es tut mir leid." Liha rieb die schmerzhafte Prellung und zog seinen Ärmel über die Verletzung an seinem Arm, wo einige Blutstropfen zeigten, dass er Naiins Naht überbelastet hatte. Mit einem unterdrückten Seufzer und hängendem Kopf wandte er sich ab, um den Hof zu verlassen.

„Warte, wohin gehst du? Es stehen noch andere Disziplinen bevor."

Die Stimme des Mannes ließ ihn innehalten.

„Ich habe versagt." Liha hob nicht einmal den Kopf.

Das Lachen des Kriegers war rau und humorlos. „Was immer du sagst, junger Mann."

„Wenn jedermann die Hoffnung gleich nach dem ersten verlorenen Kampf aufgeben würde, wäre diese Welt vielleicht ein besserer Ort. Aber leider ist es nicht so, und wenn das Gute siegen soll, müssen wir eine Niederlage schon wegstecken können."

Der Klang der bekannten Stimme ließ Liha aufhorchen.

„Berim, was tust du hier?" Er traute seinen Augen nicht. Der dunkle Krieger hatte seine schäbige Reisekleidung gegen die Uniform der königlichen Garde ausgetauscht und trug sogar die polierte Brustplatte mit dem goldenen Sonnensymbol und den himmelblauen Mantel, der ihm über den Rücken bis in die Kniekehlen fiel.

Berim lächelte. „Ich musste doch nachsehen, ob du deinen Vorsatz auch umsetzt, den Männern des Königs zu folgen."

Liha senkte den Blick. „Das schon, aber ich bin nicht gut genug. Ich habe keine Chance, mit dem Schwert einen Gegner zu schlagen."

Der Krieger hob eine Braue. „Hast du denn den Schwertkampf geübt?"

Er schüttelte den Kopf. „Ich hatte dazu weder Gelegenheit noch einen Anlass. Mein Vater war ein geschickter Schmied, aber Schwerter stellte er keine her. Er sagte immer, das sei ein Handwerk für Spezialisten."

Berim nickte. „Das dachte ich mir. Und dein Vater hatte recht, nur wenige Schmiede in Kelèn beherrschen es, Schwertstahl richtig zu verarbeiten. Die meisten leben hier in Penira. Trotzdem war dein Vater ein Künstler und großer Handwerker. Vergiss das nie."

Liha senkte den Kopf. „Ich weiß, aber er ist tot und kann mich seine Kunst nicht mehr lehren."

„Genau. Aber er hätte es getan, wenn es ihm vergönnt gewesen wäre, und du wärst ein guter Schmied geworden. Vergiss nicht, dass die meisten der jungen Leute hier ein Leben lang mit dem Schwert geübt haben, weil ihre Väter es von ihnen verlangten."

„Trotzdem. Ich hatte nicht den Hauch einer Möglichkeit, seine Schläge zu erwidern."

„Dann wirst du es eben lernen. Ein verlorener Kampf ist nur das Ende der Welt, wenn du tödlich verwundet bist. Heute wurden vor allem dein Stolz und deine Selbstachtung verletzt. Solche Wunden schmerzen, sollten aber einen jungen Drachen niemals von seinem Ziel ablenken." Berim klopfte Liha auf die Schulter. „Dort drüben findet der Wettkampf im Bogenschießen statt, dann folgen noch Speer und Armbrust. Geh, zeig diesen Stadtjungen, das der Schwertkampf da draußen im Kampf gegen die Nordländer nicht das einzige ist, was zählt."

Continue Reading

You'll Also Like

93.7K 6.7K 39
Haremstanz-Trilogie Band II Lilitha findet sich in den Kerkern wieder, doch auch wenn sie nicht mehr lange dort verweilt, nehmen die Gefahren kein En...
231K 12.3K 49
- Band 7 - "Schüchtern, naiv, verlegen und verklemmt. Das genaue Gegenteil von meiner Erwartung", sagt er nun und ich hebe meinen Kopf. Di...
42.6K 1.7K 33
Eine Familie, ein Kind. Skyla Moon Sie ist anders als die anderen, sie hat besondere Kräfte. Sie wird schon ihr ganzes Leben lang gejagt und lebt sei...
31.5K 2.3K 52
Spin-Off zu "Die Flüsterer" Es wäre gut, wenn ihr die Geschichte vorher liest, aber notwendig ist es nicht 😉 An ihrem 16. Geburtstag erkennen Hope...