The Light We Lost [VKOOK]

By aurasworld

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"Sie saßen am Tisch wie Schauspieler, die nach langer Zeit wieder zusammentrafen und sich nicht mehr an den T... More

Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8

Kapitel 5

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By aurasworld

Der Weg zum Hotel war lockerer als erwartet. Namjoon und Jimin sahen in der U-Bahn immer wieder auf ihre Hände, als könnten sie nicht glauben, dass sie heiraten würden. Dass sie es geschafft hatten. Sie sahen so glücklich aus, dass Jungkook in der Vergangenheit zurückgeworfen wurde und er jegliche Gefühle unterdrücken musste, nur um sich selbst zu schützen. Jin und Hoseok schienen sich wieder beruhigt zu haben, denn nach ein paar Minuten begannen sie, mit Jungkook Smalltalk zu führen. Es war noch immer unheimlich unangenehm. Aber ein "Wie geht's dir" war immerhin besser als mit dem Schweigen bestraft zu werden. Er hatte das Gefühl, dass sie ihm eine zweite Chance gaben, aber weil er Jeon Jungkook war und mit Chancen noch nie gut umgehen konnte, antwortete er nur so knapp wie möglich und hielt den Rest des Weges den Mund geschlossen.

Man konnte nichts Falsches sagen, wenn man gar nichts sagte, oder?

Es war eigentlich alles okay, bis Jungkook sah, dass Yoongi und Taehyung miteinandersprachen. Sie versuchten es diskret zu halten, indem sie ihre Köpfe zusammensteckten und flüsterten, aber Jungkook sah es.

Sein Kiefer spannte sich an. Sein Blutdruck schoss automatisch in die Höhe und er knirschte mit den Zähnen.

"Wann sind wir da?", fragte er laut in die Runde und Yoongi blickte ertappt auf.

"Noch zweit Stationen", antwortete Namjoon. "Musst du aufs Klo?"

"Ehm, nein. Du?"

"Nein. Nur du—" Namjoon seufzte. "Früher musstest du alle fünf Minuten aufs Klo und ich kann mich erinnern, wie wir sogar mal darüber diskutierten, dir einen Eimer mitzubringen. Bei jeder Fahrt gab es mindestens fünf Klopausen."

Jimin stieß amüsiert die Luft aus. "Oh, ja", sagte er. "Es war jedes Mal das gleiche Gejammere. Und die Panik in seinen Augen, wenn kein Klo in der Nähe war! Unglaublich. Als ich ihm einmal vorgeschlagen habe, einfach irgendwo hinzupinkeln, hat er mich nur geschockt angesehen. Jungkook brauchte sein Klo, sonst ging gar nichts."

"Und ihr dürft nicht vergessen", lächelte Jin plötzlich. "Seine Hände musste er mindestens zehn Sekunden einseifen, denn, ich zitiere, 'Sonst kriege ich die Bakterien nicht weg, Jin'".

"Wisst ihr noch, wie er sein Desinfektionsmittel überall mithingenommen hat?", fragte Hoseok. Alle nickten zustimmend und Jungkook fühlte sich peinlich berührt. "Er hatte diese kleine, braune Tasche, die nur mit Desinfektionsmittel gefüllt war. Er hatte sicher immer drei oder vier Flaschen mit. Wo hast du sie diesmal, hm?"

"Ist in meinem großen Rucksack", murmelte er auf die Frage. Seine Wangen waren heiß.

"Ich wette, eine ist schon leer, bevor wir im Hotel ankommen", prustete Jimin.

Jungkook war überrascht, dass sie alle noch wussten, wie sehr er Bakterien verabscheute. Er hatte Angst vor ihnen. Alles begann mit einem Video auf Instagram, wo er zufällig gesehen hatte, wie jemand erklärte, wo es die meisten Bakterien gab. Handys. Klos. Unter den Fingernägeln. In Schwämme. Es war widerlich.

"Öffentliche Toiletten sind ekelhaft. Man kann nie zu viel Desinfektionsmittel haben", erklärte er.

Als hätte Jungkook damit etwas in Hoseoks Gehirn freigeschalten, lachte er los und schlug mit den Händen gegen seine Oberschenkel. "Könnt ihr euch daran erinnern—" Hoseok unterbrach sich mit einem Lachen und Jungkook beobachtete ihn fasziniert. Er hatte ihn die ganze Zeit über noch kein einziges Mal lachen gehört. Und Hoseok lachte immer. "Erinnert ihr euch, als Jungkooks zwanzigster Geburtstag war und Taehyung ihm diese riesengroße, wirklich enorm große Flasche voller Desinfektionsmittel geschenkt hat und er einfach zu weinen begonnen hat? Jungkook hat die Flasche gesehen und so getan, als wäre es das beste Geschenk, das er je bekommen hat! Sein Gesicht damals!"

Er hatte nicht nur so getan. Er war überglücklich gewesen.

Wenn Hoseok lachte, lachten alle. Sein Lachen hatte etwas an sich, sodass jeder andere miteinsteigen wollte. Er lachte laut und hielt sich nicht zurück und wenn das Leben eine Person wäre, dann wäre es Hoseok.

Es brauchte nicht lange, bis die anderen auch lachten. Jimin wischte sich sogar ein paar Tränen aus dem Gesicht und Namjoons Kopf wurde rot vor lauter Gekicher.

Die einzigen, die nicht lachten, waren Taehyung und Jungkook.

Nicht einmal ein Muskel zuckte in ihren Gesichtern.

Das Geschenk damals war vielleicht nichts Besonderes für die anderen gewesen. Aber für Jungkook war es nicht nur eine Menge voller Desinfektionsmittel, sondern ein Zeichen, dass Taehyung ihm zuhörte. Dass er ihn verstand. Taehyung sagte ihm mit diesem Geschenk, dass er sich für seinen Tick nicht schämen musste und ihn so akzeptierte wie er war.

"Vielleicht hätte ich dir ein Desinfektionsmittel statt eines Verlobungsringes schenken sollen? Hätte dich das so glücklich gemacht wie Jungkook?", fragte Namjoon an Jimin gerichtet und Jimin schmolz. Er schmolz buchstäblich. Jedes Mal, wenn Jimin Namjoon ansah, schien sich sein Körper einfach... zu entspannen. Sein Gesicht bekam dieses Leuchten, seine Augen wurden heller und größer. Als wäre Namjoon sein sicherer Ort.

"Du hättest mir einen Stein schenken können und ich wäre glücklich gewesen", hauchte Jimin.

Namjoons Mund öffnete sich weit und dann wurden seine Wangen rosarot. Sein Ausdruck glich nun dem von Jimin und sie sahen aus wie zwei verliebte Vollidioten, die sich durchgehend anstarrten.

Sie waren wirklich dazu bestimmt, zusammen zu sein. Wirklich.

"Ah, haltet den Mund", grummelte Yoongi von der Seite. "Hier gibt es Leute, die Single sind, also habt Erbarmen. Wenn das den ganzen Ausflug über so geht, werfe ich mich über die nächste Klippe."

"Das könnten wir gern ändern, Yoongi", scherzte Jin. Er hatte sein Gesicht zu einem Grinsen verzogen. Etwas in seinem Ausdruck ließ Jungkook glauben, dass es sich nicht um einen Scherz handelte.

"Sagt mir wann und wo und ich bin auch dabei", meinte Hoseok todesernst und Yoongi geriet ins Stottern.

Jimin hob eine Augenbraue. "Ihr drei werdet nicht in einem Zimmer sein. Das verspreche ich euch."

Alle drei schmollten.

Jungkooks Augen fixierten den Boden. Er konnte ein stechendes Brennen auf seiner Seite spüren, als ob ihn jemand beobachten würde, doch keine Kraft auf dieser Welt konnte seinen Blick von dem dreckigen U-Bahn-Boden heben.

-ˋˏ ༻❁༺ ˎˊ-

Als sie endlich beim Hotel ankamen, konnte Jungkook die Müdigkeit bis in seine Knochen spüren. Seine Augenlieder waren schwer und fielen ihm hin und wieder zu. Außerdem wäre er fast gegen Jimin gestolpert, weil er nicht aufgepasst hatte, wo er hinging.

Sie checkten schnell ein und jeder bekam eine Karte.

"Also, Leute. Das ist der Plan", sprach Jimin in die Runde. "Wir gehen alle ins Zimmer, frischen uns ein wenig auf und dann treffen wir uns unten an der Bar und besprechen den Rest. Wie klingt das?"

Alle nickten zustimmend, aber als Jungkook auf seine Karte blickte, gingen die Alarmglocken los.

"Warte", sagte er schnell. Viel zu schnell. "Wie—Wie ist die Zimmeraufteilung?"

"Es gibt zwei Doppelzimmer und ein Dreier-Zimmer mit jeweils einem Doppelzimmer und einem Einzelbett. Namjoon und ich würden gerne das Doppelzimmer für uns allein haben", erklärte Jimin und grinste, als Namjoon sich beinahe bei dem Wort 'Alleine' verschluckte. "Den Rest könnt ihr euch untereinander ausmachen."

"Ich—" Jungkook bekam keine Luft.

"Ich und Hoseok nehmen das andere Doppelzimmer", kam es aus Jin, der sich bereits auf den Weg machte. "Yoongi, du weißt, wo du uns findest. Bis gleich!" Hoseok folgte ihm stumm und zeigte einen Daumen nach oben über die Schultern.

"Yoongi—"

Yoongi sah den beiden noch etwas länger hinterher, bevor er sagte: "Wir nehmen das Dreier-Zimmer. Jungkook und ich."

Jungkook nickte, dann hielt er inne.

Sein Herzschlag beschleunigte sich.

Warte.

Warte, warte, warte—

Jimin blickte zu Taehyung und dann zu Jungkook. "Ist das für euch beide in Ordnung?", fragte er knapp.

Taehyungs Mundwinkel zeigten nach unten, seine Augen wurden kalt. "Gar kein Problem."

Der erste Satz, nach so einer langen Zeit.

Jungkook wusste nicht, dass Taehyung so lang so still sein konnte.

"Jungkook?", sagte Jimin.

"Hm", summte er.

"Bis später." Jimin zog Namjoon danach mit sich, dem die Unsicherheit wie ins Gesicht geschrieben war.

Keiner aus der Gruppe glaubte daran, dass Taehyung und Jungkook nicht ineinander krachten. Irgendwann. Zumindest waren alle nervös, sobald ihre Blicke sich nur kurz kreuzten. Jungkook konnte es verstehen, er selbst wartete nur mehr auf den Moment, wo er sich seinen ganzen Gefühlen stellen musste.

"Yoongi", sagte Jungkook, sein Gesicht weiß.

"Das ist traumhaft", murmelte Yoongi sarkastisch und zog den Koffer hinter sich her. "Kommt schon. Und ich will nichts hören."

Taehyung und Jungkook folgten ihm. Jungkooks Kopf zeigte stur gerade aus und auch, wenn jetzt ein Erbeben ausbrechen würde, der Abstand war so groß, dass sie sich niemals berühren würden.

Er versuchte, sein rasendes Herz zu beruhigen. Er atmete langsam ein und aus, massierte die Stelle über seiner Brust und umklammerte seinen Rucksack fester, damit ja keiner sehen konnte, wie sehr seine Hände bebten.

Ich will nach Hause, dachte er. Ich will einfach nur nach Hause.

-ˋˏ ༻❁༺ ˎˊ-

Das Zimmer war wunderschön. Jungkook hatte auch nichts anderes erwartet, Jimins Geschmack war großartig. Der Raum war groß uns hell, die Wände wurden in einfachen Farben wie weiß und grau gestrichen und an der Decke hingen lange, elegante Lampen. Das Einzelbett lag etwas weiter weg, genau gegenüber dem Doppelbett und Jungkook wollte bereits darauf zusteuern, als Yoongi mit dem Finger auf ihn zeigte und ihn böse anfunkelte.

"Jungkook, ich liebe dich", sagte Yoongi. "Wirklich. Aber keine Chance."

"Yoongi", zischte er leise.

Taehyung war noch immer still und packte gerade seine Sachen aus. Jungkook war so angespannt, dass er das Gefühl hatte, bald zu platzen.

"Keine Sorge, ich nehme das Einzelbett", murmelte Taehyung nach unten gerichtet.

Seine Stimme. Jungkook wollte, dass er aufhörte zu sprechen. Er sah ihn noch immer nicht an. Taehyung war zu nah. Viel zu nah. Er hatte sein Gesicht seit Monaten nicht mehr so nah gesehen und wenn er sich jetzt zu ihm drehte— Er konnte für nichts garantieren.

Er realisierte erst, was Yoongi vorhatte, als er die Sachen auf dem Bett liegen sah.

"Wenn ihr zwei Streithähne ernsthaft denkt, ich teile mit jemanden ein Bett, dann denkt ihr falsch", murmelte Yoongi, ehe er seine Hosen verstaute. "Ihr könnt euch von mir aus den Rest des Ausfluges ignorieren, aber ich verzichte nicht auf meinen Schlaf. Ich kann nicht gut schlafen, wenn jemand so nah neben mir schläft und... laut atmet."

Ich stelle mich tot, wollte Jungkook sagen, aber sein Hals war wie zugeschnürt.

Taehyung brummte tief. Jungkook dachte, er würde mit Yoongi diskutieren. Er dachte, er würde sich mit Füßen und Händen wehren, aber er nickte lediglich, hob abwehrend die Hände und akzeptierte es. Er akzeptierte es.

Jungkooks Augen wurden größer und sein Kopf schellte so schnell in Taehyungs Richtung, dass er sich beinahe das Genick brach.

Früher konnte er Taehyungs Gefühlslage sofort erkennen. Er wusste, wann er wütend war. Wann er traurig war, und jemand brauchte, der ihm Halt gab. Wann er gestresst war, und jemanden brauchte, der ihn zur Ruhe brachte. Wann er überfordert war. Wann er müde war. Er wusste alles, innerhalb einer Sekunde. Aber nun... nun erkannte er keine einzige Emotion in seinem Gesicht. Alles war... blank. Kalt. Unleserlich.

War es nicht komisch? Eine Person nicht mehr zu kennen, obwohl man so viele Jahre mit ihr verbracht hatte? Es war, als würde man vergessen, wie man atmet. Wie man existiert.

Jungkook unterdrückte das Bedürfnis etwas Kindisches zu tun, wie ein Kissen zu nehmen und ihn in der Mitte des Bettes aufzubauen, als Taehyung auf den Minikühlschrank zusteuerte.

Das war nicht sein ernst.

Das war—

Taehyung riss den Kühlschrank auf. Er zögerte.

Yoongi war still geworden.

Und Jungkooks Gehirn setzte aus. Es schaltete sich wortwörtlich ab. "Wir sind nicht einmal fünf Minuten im Zimmer und das erste, wonach du suchst, ist Alkohol", zickte er laut genug, dass Taehyung ihn hörte. Die Worte waren voller Vorurteile und Gift und sobald er den Mund schloss und realisierte, was er von sich gegeben hatte, bereute er es auch schon wieder. Er hatte kein Recht. Kein Recht auf irgendetwas.

Kein Recht auf Taehyung.

Taehyungs Alkoholkonsum war schon immer ein Streitthema in ihrer Beziehung gewesen. Jungkook mochte es nicht, wenn er trank. Zu Beginn ihrer Beziehung wusste er nicht, wieso er sich immer so unwohl fühlte, sobald Taehyung ein Bier oder nur ein kleines Glas Sekt trank. Taehyung benahm sich ganz normal, wenn er betrunken war—er wurde nicht laut, nicht aggressiv, gar nichts. Er lallte lediglich und war anhänglich. Vielleicht lag es daran, dass Jungkook Vater jahrelang versucht hatte, vom Alkohol wegzukommen, es aber nie geschafft hatte. Vielleicht lag es daran, dass das Thema Alkohol auch bei seinen Eltern so eine bedeutende Rolle spielte. Aber vielleicht lag es auch daran, dass er Angst hatte, so zu enden, wie seine Mutter. Mit einem Alkoholiker an der Seite, den sie so innig liebte, dass sie sich selbsr jeden Tag auf neuste selbstzerstörte.

Jungkook hatte Monate—Jahre gebraucht, um seine Angst gegenüber Taehyung zu äußern. Jahre, in denen er diese unwohlen Gefühle unterdrückte, in denen er Taehyung dabei zusah, wie er jeden Abend vorm Fernseher ein, zwei Bier trank. Jahre, in denen er sich einredete, er übertrieb. Jahre, in denen er sich abends in den Schlaf weinte und betete—hoffte, dass Taehyung nicht so wurde wie sein Vater.

Angst konnte die schlimmsten Szenarien in einem hervorrufen.

"Ich bin nur durstig", seufzte Taehyung.

Jungkooks ganzer Körper schrie nach Taehyung, sehnte sich nach ihm.

Ich will nach Hause.

"Trink ein Wasser." Er hielt seinen Ton trocken, zivilisiert.

"Was glaubst du, will ich mir gerade holen?", fragte Taehyung, nahm eine Wasserflasche aus dem Kühlschrank und schlug die Tür so fest zu, dass die Flaschen drin ein klirrendes Geräusch von sich gaben. Er machte sich groß, als er die Flasche aufschraubte und einen langen Schluck daraus nahm. Dann lehnte er sich an die Wand. Er kniff die Augen zusammen. "Darf ich etwa nicht mehr trinken? Was kommt als nächstes? Darf ich... duschen? Erlaubst du es mir?"

Eine unglaubliche Hitze breitete sich in Jungkooks Magen aus und verbreitete sich bis in seine Fingerspitzen. Er wusste nicht, ob es nun Scham war, was er fühlte, oder Wut.

"Mach, was du willst", spuckte er.

"Das werde ich", meinte Taehyung.

"Fein."

"Gut."

"Gut", äffte Jungkook ihm nach. "Weißt du, ich find es wirklich lustig, wie—"

"Jungkook", sagte Yoongi streng.

"Nein, lass ihn ausreden", sagte Taehyung scharf. Er fixierte Jungkook mit seinen großen, dunklen Augen und verschränkte die Arme vor der Brust. "Gibt es etwas, dass du mir sagen willst?"

Jungkook wollte Taehyung anschreien. Er wollte etwas nach ihm werfen. Ihn kräftig durchschütteln. Er wollte ihn verzweifelt fragen, ob er genau dieselben Schmerzen hatte wie er, ob seine Abwesenheit ihm genau so viel Schaden hinzugefügt hatte wie ihm. Er wollte wissen, ob er auch nicht mehr schlafen konnte, ob er nachts wach lag und über ihn nachdachte—über das, was sie mal waren und über das, was sie sein hätten können. Er wollte wissen, ob sein Herz auch so gebrochen war und einfach nicht mehr heilen wollte. Er wollte wissen—

Jungkook wollte wissen, ob er Taehyung tatsächlich etwas bedeutet hatte.

Denn so, wie er sich benahm—

Wie konnten da früher Gefühle gewesen sein?

Wie konnte da wahre Liebe existieren?

Taehyung wirkte nicht wütend oder traurig—gar nichts. Er war ein Mensch ohne Gefühle. Eine leere Hülle, die, egal mit was man sie stopfen wollte—Liebe, Hass, Verzweiflung, Provokation—einfach leer blieb.

"Nein." Jungkook schluckte alles hinunter. "Ich habe nichts mehr zu sagen."

Jedes.

Verdammte.

Gefühl.

Jedes giftige Wort. Er schluckte es.

Er hatte schon einmal alles gesagt. Er würde nicht nochmal damit anfangen. Er hatte keine Kraft, keine Nerven. Er war müde. Er war so verdammt müde.

Taehyung nickte kurz und knapp. Dann verschwand er im Badezimmer. Erst als er weg war, konnte Jungkook wieder aufatmen. Ihm standen Tränen in den Augen. Wie ein Fass kurz vor dem Übergehen, so fühlte er sich.

"Er macht mich wahnsinnig, Yoongi", flüsterte Jungkook heiser in den Raum. Er erwartete keine Antwort. "Ich werde die nächsten Tage nicht überleben. Ich werde sterben."

"Er wollte wirklich nur ein Wasser, Jungkook."

"Ja. Vielleicht. Vielleicht nicht. Keine Ahnung."

"Versucht einfach, miteinander auszukommen, okay? Sonst werden die nächsten Tage grauenvoll. Es würde Jimin und Namjoon traurig machen."

Jungkook atmete tief durch. "Wieso stecken sie mich dann absichtlich in ein Zimmer mit ihm? Wieso kann ich nicht mit... Hoseok in ein Zimmer. Oder nur mit dir und die anderen teilen sich eines? Kannst du mir das erklären? Wollen sie, dass ich ausflippe? Wollen sie, dass ich ihn umbringe? Denn ich werde es tun. Er braucht nur atmen und mein ganzer Körper beginnt zu vibrieren."

"Das klingt, als würdest du ihn hassen."

"Was? Nein—"

"Hass ist gut. Hass ist besser als nichts", seufzte Yoongi.

"Ich hasse ihn doch nicht, er—ich will—ich will einfach nicht in seiner Nähe sein."

"Wusstest du, dass sich Liebe und Hass neurologisch nicht voneinander unterscheiden?", fuhr Yoongi fort. "Die Gefühle Hass und Liebe aktivieren die Kerngebiete des Großhirns. Es entstehen Reize, wenn man eine geliebte oder gehasste Person sieht. Beide Gefühle beunruhigen einen Menschen—in unterschiedlicher Weise. Für das Gehirn ist es also unglaublich schwer, zwischen einem Liebes- oder Hassreiz zu unterscheiden."

Jungkooks Blut gefror in seinen Adern. "Was willst du damit sagen?"

Yoongi schürzte die Lippen. Dann zuckte er mit den Schultern. "Habe ich irgendwo mal gelesen..."

"Okay. Aber manchmal ist Hass einfach nur Hass und Liebe einfach nur Liebe. Und ich empfinde nichts dergleichen!"

Lüge.

"Wenn du das glaubst", sagte Yoongi beschwichtigend, als er merkte, wie Jungkook begann, schneller zu atmen.

Jungkook nickte langsam, als müsste er sich selbst überzeugen.

Seine Haut juckte irritiert. Die Situation ließ ihn unbehaglich fühlen und da war diese Unsicherheit, weil er nicht wusste, auf welcher Seite Yoongi stand. Hoseok und Jin hatten sich für Taehyungs Seite entschieden und es tat weh. Höllisch weh. Aber Yoongi zu verlieren war keine Option. Vielleicht dachte Jungkook zu weit, aber er konnte nichts gegen dieses beklemmende Gefühlt tun—die Eifersucht in ihm war erblindend. Am liebsten würde er Yoongi zu sich ziehen und jeden anknurren, der ihrer Freundschaft zu nahekam.

Er wollte nicht noch einen Freund verlieren, dafür hatte er zu wenig Energie und er glaubte, das wäre der letzte Stoß, den er brauchte, um sich von der nächstbesten Brücke zu stürzen.

Mit dem Kopf voraus.

"Er ist nicht dein Feind", sprach Yoongi leise. "Behandle ihn nicht wie einen. Bemüht euch, bitte. Was auch immer ihr noch besprechen wollt, macht es privat."

"Es gibt nichts mehr zu besprechen. Der Zug ist abgefahren. Es war nur— es ist alles in Ordnung. Ich hatte einen schwachen Moment, mehr nicht. Mein Fehler. Es sind ja bloß ein paar Tage." Jungkook atmete tief ein und aus. "Nur noch ein paar Tage und ich bin wieder Zuhause. Dann ist alles wieder so, wie es war. Das ist alles, was ich will."

˗ˏˋ ♡ ˎˊ˗

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