[Sci-Fi/Fantasy] Starfall - W...

By frowningMonday

2.2K 281 1.4K

»Seine sieben Augenpaare waren auf sie gerichtet und alle vierzehn der menschlichen Pupillen nahmen sie ins V... More

- Vorwort -
- Prolog -
- I. -
- Kapitel 1: Neun Schuss -
- Kapitel 2: Trügerische Hoffnung -
- Kapitel 3: Falsche Jahreszeit -
- Kapitel 4: Vom Regen in die Traufe -
- Kapitel 5: Die Wahrheit bildet keine Derivate -
- Kapitel 6: Feind deines Feindes -
- Kapitel 7: Drinnen ist Draußen -
- II. -
-Kapitel 8: Die Unschuld stirbt als Erstes -
- Kapitel 9: Eine Lektion im Gemüseschälen -
- Kapitel 10: Wiegenlied -
- Kapitel 11: Wo man singt, da lass dich nieder -
- Kapitel 13: Dein Gott heißt Joska
- Kapitel 14: Startschuss -
- III -
- Kapitel 15: Gestrandet -
- Kapitel 16: Weil es Sinn macht; sinnbefreit -
- Kapitel 17: Engelsduft -
- Kapitel 18: Katzengold im Himmel -
- Kapitel 19: Verbotene Erinnerungen -
- Kapitel 20: In Sicherheit -
- Kapitel 21: Das Ende einer Ära -
- Kapitel 22: Hölle auf Erden -
- Kapitel 23: Makellos -
- Kapitel 24: Was im Muttergestein schlummert -
- IV. -
- Kapitel 25: Luna-Major -
- Kapitel 26: Gefallener Stern -
- Kapitel 27: Ironie des Sternenhimmels -
- Kapitel 28: Mondbetriebenes Solarkraftwerk -
- Kapitel 29: Verhandlungsmaterial -
- Kapitel 30: Die Krücken der Varai -
- Kapitel 31: Wunderhände und Traumtypen -
- Kapitel 32: Der Mond, der Tod und die Engel -
- Kapitel 33: Izabela, Joska und der Weltuntergang -
- Kapitel 34: Berg, Ade -
- Kapitel 35: Hallo, Schatz -
- Kapitel 36: Der erste von drei Splittern -
- Kapitel 37: Der zweite von drei Splittern -
- Kapitel 38: Freund deines Freundes -
- Kapitel 39: Der dritte von drei Splittern -
- Epilog -
Nachwort

- Kapitel 12: Katzenlord -

44 4 27
By frowningMonday

Asavi ließ sich von Csaba zurück in die Kirche führen. Sie starrte mürrisch vor sich hin und folgte ihm in den angrenzenden Anbau. Sie passierten Máté, der mit seinen Kumpels Billard spielte und sie beim Vorbeigehen nieder stierte. Er sagte jedoch nichts, sondern rieb das Ende seines Kö mit Kreide ein und spuckte erneut auf den Boden.

Asavi rümpfte die Nase, aber Csaba hielt nicht an und Máté mischte sich nicht ein. Dabei war er einen guten Kopf größer als Csaba und zwei Mal so kräftig, was an sich schon eine Leistung war. Das Sturmgewehr um Csabas Schulter wirkte allem Anschein nach Wunder.

Csaba brachte sie in ein geräumiges Zimmer und ließ sie dann erst recht wieder alleine. Asavi sah davon ab, ihm hinterherzurufen, und blickte sich stattdessen um. Csabas Bett stand gegenüber des einzigen Fensters an der rechten Wand und bis auf einige niedrige Kommoden und Kisten war das Zimmer leer. Doch das war nicht der Grund, weshalb Asavi mit gehobenen Augenbrauen mitten auf dem Fleck erstarrte.

Das Licht einer fernen Laterne ließ die Augen von locker sieben Katzen reflektieren, die reglos auf besagten Kommoden, dem Bett und dem Fenstersims lagen.

»Okay«, sagte Asavi leise und dankte ihren Genen, dass sie keine Allergie hatte.

Ein schwarzer Kater ließ sich geschmeidig vom Bett fallen und kam neugierig auf sie zu, aber nicht nahe genug, dass Asavi ihn berühren konnte. Sie hatte alles erwartet, bis auf das. Nackte Frauen, die an sein Bett gefesselt waren, oder ein ganzes Waffenarsenal an den Wänden, Sportmagazine und Playboy-Hefte. Vielleicht auch leere Bierflaschen – auch wenn Asavi nicht sagen konnte, ob gebrautes Bier überhaupt noch in Flaschen erhältlich war – oder irgendwelche Trainingsgeräte. Aber Katzen?

Asavi ließ sich in die Hocke nieder und streckte ihre Hand vorsichtig aus. Der schwarze Kater beäugte ihre Finger und sein Schwanz kringelte sich über seinem Körper. Ein helles Maunzen erklang vom Fenster und Asavi hob den Kopf. Es war einen Spalt offen und eine weitere Katze drängte sich ins Zimmer, sprang behände vom Sims und marschierte auf Asavi zu, als hätte sie schon immer in diesem Ram gelebt.

»Na du«, grinste sie, als die getigerte Katze ihren Kopf an ihrem Handgelenk rieb. Jemand, der so viele Katzen in seinem Zimmer hatte, konnte nicht bösartig sein.

Die Tigerkatze fing an zu schnurren und Asavi kraulte sie vorsichtig zwischen den Ohren. Sie blieb, wo sie war, bis ihre Knie protestierten und Asavi sich in eine bequemere Position rückte. Dabei scheuchte sie zwei andere Katzen auf, die sie beleidigt anstarrten, ehe sie aus dem Fenster kletterten und lautlos in der Nacht verschwanden.

Als Csaba zurückkam, lag die Tigerkatze beinahe auf Asavis Schoß und ließ sich gewissenlos verwöhnen.

»Du hast Erbse kennen gelernt«, stellte er fest und entrollte die Schlafmatte, die er unter dem Arm trug, im Eck gegenüber des Bettes.

Asavi blickte zu ihm auf und fühlte, wie die Katze mit ihren weichen Pfoten nach ihren Händen tastete, damit sie weiter verwöhnt wurde. »Ich weiß nicht, was ich schockierender finde«, sagte sie, »dass dein Zimmer voller Straßenkatzen ist, oder dass du eine von ihnen Erbse genannt hast.«

Csaba zuckte mit den Schultern. »Sie kommen sowieso herein und gehen, wann sie wollen.«

»Schon«, lenkte Asavi ein. »Aber das war ja nicht immer so.«

Csaba sagte nichts darauf, sondern kam zu ihr, um ihr die Handschellen abzunehmen. »Sie sind ein gutes Frühwarnsystem.«

»Klar«, machte Asavi wenig überzeugt und hob Erbse in ihre Arme, um aufzustehen und zur Matte im Eck zu gehen. »Du bist das männliche Äquivalent einer alten, verrückten Katzenlady.«

»Also ein Katzenlord?«, fragte Csaba und trat sich die Stiefel von den Füßen. Er ließ sich in der Dunkelheit auf seine Matratze sinken. Asavi grunzte durch die Nase und bette Erbse neben sich, die fröhlich weiter schnurrte. Sie konnte sich noch nicht entscheiden, ob sie hier besser oder schlechter schlief.

»Das letzte Lied heute«, begann Csaba nach einer langen Weile der Stille, sodass Asavi aus dem Dämmerzustand aufschreckte. »Es hat dir viel bedeutet.«

Asavi blinzelte mit wild klopfendem Herzen, hörte aber immer noch Erbse neben sich schnurren und drehte sich auf die Seite. »Das ist nicht wirklich eine Frage«, gab sie verschlafen zurück und beobachtete, wie zwei weitere Schatten das Zimmer verließen.

»Warum bedeutet es dir so viel?«, fragte Csaba.

Die Grillen zirpten draußen im wild wuchernden Gras zwischen den Häusern und übernahmen für eine Weile die Führung des stillen Gesprächs, das sich zwischen ihnen trotz Schweigen fürchterlich schwer anfühlte.

»Weil«, begann Asavi schließlich, da sie wusste, dass sie bereits zu lange schwieg und vielleicht nie wieder eine Möglichkeit wie heute Abend bekam, darüber zu sprechen, ohne vom altbekannten Groll eingenommen zu werden. Sie hatte immer noch Anastasias mitfühlendes Lächeln im Kopf und Zsófias große Augen, dass ihr entgegen allen Erwartungen ein wenig warm ums Herz wurde.

»Weil es das letzte Lied gewesen ist, das mein Vater zu mir gesungen hat«, sagte sie schnell und biss dann die Zähne zusammen. Csaba antwortete nicht, also hob Asavi vorsichtig ihre Hand und streichelte Erbses vibrierenden Rumpf. »Weil er es mir so oft vorgesungen hat, als ich ein kleines Kind war. Weil es ihn an meine Mutter erinnert hat.«

Csaba drehte sich auf den Rücken und verscheuchte einen Kater von seinem Bett. »Ich kenne das Lied. Die Melodie der Verse, nicht den Text. Ich habe nie geahnt, dass der Text so traurig ist.«

Asavi schluckte und drückte ihre Nase in das warme Fell der Tigerkatze. »Ich denke, mein Papa hat meine Mutter sehr vermisst.«

»Warum hat sie euch verlassen?«

Asavi holte tief Luft. »Keine Ahnung. Vermutlich war ihr die Farm zu staubig«, lachte sie matt. »Ich habe nie mit ihr gesprochen. Wie du weißt, habe ich sie nie kennen gelernt. Alles, was ich von ihr hatte, waren der Brief und ihr Ausweis, den ihr mir gestohlen habt. Mein Papa hatte nicht einmal ein Hochzeitsfoto. Und vielleicht waren sie auch gar nicht verheiratet, ich weiß es schlichtweg nicht.«

»Es tut-«, fing er an, aber Asavi unterbrach ihn abrupt.

»Du musst es nicht noch einmal sagen. Ich habs auch beim ersten Mal schon verstanden.«

Csabas Schweigen sprach für sich und Asavi war froh, dass er nicht sagte, wie das für ihn klang. Wenn sie ihn verstanden hatte, weshalb war es immer noch ein Problem für sie. Warum weigerte sie sich, diese Sache zu begraben.

»Du singst wirklich schön«, sagte Csaba dann und Asavi kniff die Lippen zusammen.

Sie drehte sich ohne ein weiteres Wort mit dem Gesicht zur Wand, hinter deren bröckligem Verputz rote Ziegel hervorschimmerten, und versuchte zu schlafen.

~

Es gelang ihr allerdings nicht so, wie erhofft. Sie war es nicht gewohnt, Gesellschaft zu haben und dass ihr in der Nacht immer wieder kleine Pfoten über die Beine tapsten, oder ihre Arme streiften, hatte sie mehrfach aufgeweckt. Sie rappelte sich im frühen Morgenlicht auf und stöhnte. Csaba war schon wach und zog sich gerade eines seiner schwarzen Shirts über den Kopf.

»Wie in aller Welt kannst du hier drinnen überhaupt ein Auge zu tun?«, murrte sie und rieb sich den verspannten Nacken. Sämtliche Katzen waren verschwunden.

Csaba schlüpfte in seine abgetragenen Kampfstiefel und schnürte sie fest zu. »Man gewöhnt sich daran. Heute ist Waschtag«, fügte er an und warf ihr einen kurzen Seitenblick zu. »Ich dachte, weil du Anastasia magst, könntest du heute bei ihr unterkommen.«

Asavi ließ ihre Wirbelsäule knacken und rollte mit dem Kopf, um der Verspannung entgegenzuwirken. »Bist du heute wieder weg?«

»Ja.«

»Und wo?«

Csaba kam zu ihr hinüber und hielt ihr eine Hand hin. Asavi starrte darauf, unschlüssig, ob sie diese Geste schätzen, oder ausschlagen sollte. Sie entschied sich für Ersteres und zog sich an Csabas Hand auf die Beine. Dabei spannte sich sein Bizeps beachtlich an und Asavi wandte rasch den Blick ab. Er ließ die Handschellen um ihre Gelenke schnappen.

»Ich begleite Benno zu den Feldern.«

»Verstehe.«

~

Csaba brachte sie durch das Kirchenschiff auf den Vorplatz. Dabei fiel Asavi auf, dass Csaba von niemandem gegrüßt wurde. Man warf ihm Blicke zu, aber richtete das Wort nicht an ihn und Asavi bekam daraufhin ein unwillkommen mulmiges Gefühl im Magen.

So eine absolute Unantastbarkeit kam selten mit Lächeln und Hilfsbereitschaft einher. Auf dem Vorplatz liefen struppig aussehende Hunde hinter einer kleinen Gruppe Kinder her, japsten, bellten und schnappten nach den Plastikspielzeugen in den Händen der Jungen und Mädchen.

Asavi erntete immer noch eine Menge Blicke, als sie mit klirrenden Fesseln neben Csaba über den Platz marschierte. Doch sie hielten nicht an und folgten einer der breiten Straßen, die von der Kirche fortführten. Sie fragte sich das erste Mal, wie viele Einwohner hier in der gesicherten Stadt wohnten. Joska und Csaba hatten oft genug impliziert, dass dieser Stützpunkt hier nicht der einzige Ort war, der unter Joskas Gerichtsbarkeit fielt.

Csaba brachte sie in eine große Halle, deren Fenster auf der Straßenseite allesamt zerschlagen waren, doch die Scherben waren beseitigt worden. Entgegen Asavis Erwartungen war die Stadt erstaunlich sauber, wenn man von den eingestürzten Gebäuden und dem aufgebrochenen Asphalt absah. In vielen der Häuserleichen wucherten wilde Rosen, Ginsterbüsche und Haselgehölz.

Im Inneren der Halle war Platz für lange Metallregale und große Bottiche, aus denen seifiger Gestank in die Höhe stieg und durch die Dachklappen der Lagerhalle abzog. Es roch nach kochender Pflanzenasche und krautig-nussigem Hanföl. In den Regalen standen Behälter, die allesamt handschriftlich markiert waren und wohl zum einen die Asche, zum anderen das Öl beinhalteten, um die Seife in den Stahlbottichen anzumischen.

Dabei brannten flache Feuer unter den ehemaligen Stahltrommeln ausrangierter Waschmaschinen, die in auffallendem Handwerksgeschick zu abgedichteten Töpfen gelötet worden waren.

»Ihr macht eure eigene Seife«, stellte Asavi in den Raum und hielt sich die Nase zu.

Csaba nickte und brachte sie durch die Halle in den großen Hof dahinter. »Sie ist nicht so rein wie maschinell hergestellte Seife, aber sie reicht.«

Auf dem Hof standen weitere Bottiche, die jedoch aus dickwandigem Holz gefertigt waren und zum Waschen der Kleidung dienten. Mindestens zwei Dutzend Leute standen mit nackten Füßen, oder gar ohne Hose oder Shirt um die Bottiche und rieben Kleidungsstücke über improvisierte Waschbretter.

Anastasia erblickte sie und winkte ihnen zu. Sie trug eine weiße Schürze über ihrem dunkelblauen Leinenkleid und wie auch gestern schon bedeckte eine weiße Spitzenhaube ihren Kopf.

Csaba brachte sie zu der älteren Dame und drückte ihr Asavis Kette in die Hände. »Du weißt, wo du sie hinbringst, wenn ich länger brauche?«

Anastasia blickte zu Csaba nach oben und ihr fiel das Lächeln vom Gesicht. »Zu Szloa.«

Csaba nickte kaum merklich und ging, ohne sich bei Asavi zu verabschieden.

Asavi blickte ihm hinterher. »Er vertraut Szloa wirklich, oder?«

Anastasia wischte sich mit der Schürze den Schweiß von der Stirn und deutete Asavi, ihr zu einem der Bottiche zu folgen. Am Rand des Hofes waren riesige Müllcontainer zu Wäschekörben umfunktioniert worden, in die durch eine Hauspassage andere Bewohner schmutzige Wäsche in beschrifteten Säcken kippten.

»Szloa ist umsichtiger, weil sie und Csaba alte Freunde sind.«

Asavis Augenbrauen schossen in die Höhe. Anastasia drückte ihr einen geflochtenen Korb voll Wäsche in die Hände und deutete auf einen freien Bottich.

Sie hatte als Kind gelegentlich Wäsche mit der Hand gewaschen. Wenn ihre alte Waschmaschine kaputt war, und repariert oder ausgetauscht werden musste, hatte ihr Großvater sie an den Wochenenden immer raus auf den Hof gescheucht, damit sie ihre Kleidung selbst säuberte. Und Seife über nasse Kleidung zu ziehen war wirklich kein Kunststück.

Anastasia wrang die sauberen Stücke aus und warf sie in einen zweiten Korb, der von dem nächsten Glied in der Kette abgeholt und durch die Passage aus dem Hof getragen wurden.

»Freunde?«, fragte Asavi skeptisch nach.

»So in etwa. Sie kam gemeinsam mit Csaba und Joska hier her.«

»Vor vier Jahren?«

Anastasia nickte. »Sie haben sich diese Stadt mit Gewalt unter den Nagel gerissen, vergiss das nicht. Anfangs sind viele Leute vor die Tore gegangen, oder hinter der Kirche erschossen worden.«

Asavi schluckte und schirmte ihre Augen gegen die Sonne ab. Jetzt war alles friedlich, zumindest gewann sie diesen Eindruck mehr und mehr. »Ed meinte, Csaba käme nicht weg von Joska«, murmelte sie dann mit gedämpfter Stimme und blickte sich paranoid um. Aber man schenkte ihr kaum Beachtung mehr.

Anastasia spitzte ihre Lippen, bis sich ihr Gesicht in kleine Runzeln verzog. »Ed redet zu viel. Er sollte mehr auf sich achten, als auf die Probleme des Führungskaders.«

Asavi hob eine Augenbraue und musste ihre vorherige Feststellung revidieren. Vielleicht mochte das Wäschewaschen in ihrer Kindheit zwar langweilig, aber körperlich einfach gewesen sein, jetzt fehlte ihr definitiv die Kraft und durch zwei Wochen kargen Mahlzeiten und Schlafstörungen, machten sich diese Zustände bemerkbar.

»Damit willst du sagen?«, bohrte sie vorsichtig weiter und ließ sich von Anastasia eine bessere Technik zeigen, das Waschbrett zu halten.

»Csaba und Joska sind Halbbrüder. Er läuft Joska nach, wie ein kleiner Welpe und ist auch so unselbstständig wie einer.«

Asavi hielt in der Bewegung inne und starrte Anastasia ungläubig an. »Ähnlich sind sie sich aber wirklich nicht.«

Die ältere Frau lachte. »Nein.«

Sie arbeiteten in Schweigen gehüllt, das jedoch nicht unangenehm war, sondern erfüllend. Es tat Asavi gut, sich körperlich zu betätigen, ihre Muskeln zu benutzen und an der frischen Luft in der Sonne zu sitzen. Die Sorge um ihre aufgehobene Menschlichkeit rückte beinahe in den Hintergrund.

Gegen Mittag wurde wieder Essen verteilt. Die Wäscher verließen ihre Stationen, um sich vor der Kirche bedienen zu lassen, nur Anastasia blieb mit Asavi zurück. »Ed kommt nachher zu uns. Ich bin nicht Csaba und ich möchte vermeiden, dass du in eine Auseinandersetzung gerätst.«

Asavi nickte und kaute auf der Innenseite ihrer Lippen herum. »Danke, dass du dich für mich aufopferst.«

Anastasia schmunzelte. »Du hast hier niemandem Leid zugefügt. Es fällt mir schwer zu glauben, dass jemand, der so schön singen kann, so ein böses Herz haben soll.«

Asavi schlug die Augen nieder. »Danke.« Ihr Blick fiel erneut auf eine Katze, die sich über den leeren Hof zu ihnen wagte. Es war Erbse und Asavi ließ sich in die Hocke sinken, damit sie an ihren Fingern schnuppern konnte.

Anastasia betrachtete sie mit einem unterdrückten Lachen. »Na sowas. Woher kommt die denn?«

»Das ist Erbse«, sagte Asavi und die Katze maunzte. »Wir haben letzte Nacht Bekanntschaft geschlossen.«

Ed kam und brachte ihnen zu essen, erkundigte sich bei Asavi nach ihrem Befinden und teilte ihnen mit, dass Máté gemeinsam mit Erik durch die Straßen streifte, allem Anschein nach auf der Suche nach etwas.

»Oder jemandem«, murmelte Asavi und Anastasia warf ihr einen besorgten Blick zu.

Asavi befragte Anastasia zu Csabas Tagesausflügen und Joskas Fernbleiben. Die alte Dame erklärte ihr, dass Joska vier Städte besaß, zwischen denen er seine Zeit aufteilte.

»Und in welche bringt er die Engel?«, fragte Asavi so beiläufig wie möglich, aber Anastasias Gesicht verschloss sich augenblicklich.

»Das darf ich dir nicht sagen. Singstimme hin oder her. Tut mir leid.«

Asavi nickte. Das unbehagliche Gefühl, das sie hinsichtlich dieses Geheimnisses befiel, blieb ihr aber den gesamten Tag.

~

Der Abend senkte sich über den goldenen Horizont und ließ die Schatten der umliegenden Gebäude länger werden. Sie leerten die Bottiche und verräumten die Waschbretter. Anastasia bot Asavi an, ihr etwas Neues zum Anziehen zu leihen, und führte sie dann in Begleitung von Viktor durch die Passage, durch welche den ganzen Tag über schmutzige Kleidung herein und saubere hinaus gebracht worden war.

Sie passierten eine lange Lagerhalle, in der die nassen Kleidungsstücke zum Trocknen aufgehängt waren und begaben sich in einen Teil der Stadt, den Asavi bis jetzt noch nicht betreten hatte.

Hier trieben sich viele Kinder herum, spielten Ball oder malten mit Ästen Felder für Himmel und Hölle auf den erdigen Boden. Aus den umliegenden Wohnungen drang Musik und sie näherten sich dem Rand der Befestigungsanlage. Asavi legte den Kopf in den Nacken und spähte bis zur Spitze des Maschendrahtzauns nach oben, der den Himmel in gezackte Linien teilte. Hinter dem Zaun lagen weitere, zerbombte Häuser, Schutthaufen und ehemalige Stahlbetonskelette, die schief in der zerstörten Landschaft dieses verflossenen Ortes lagen. Ein Stück weiter östlich ragte ein Wachturm in den kobaltblauen Himmel, in dem eine Gruppe Soldaten saß und mit Feldstechern den Horizont absuchten.

Anastasia führte sie durch einen Torbogen hinein in einen kleinen Hof, der Türen zu drei weiteren Gebäuden beherbergte. Zsófia kam aus einem der Durchgänge auf sie zugelaufen und umarmte Anastasia lachend.

Asavi durfte sich aus einem Kleiderschrank frische Sachen wählen und entschied sich für ein hellblau kariertes Baumwollhemd mit Knöpfen und eine Leggins. Anastasia versuchte ihr einzureden eines von den mit Blumenmustern bestickten Kleidern zu nehmen, aber Asavi lehnte ab. Sie bestand auf ihre Beinfreiheit und Anastasia seufzte.

»Ich sollte besser zurück zur Wehrkirche. Ansonsten denkt Csaba noch, ich wäre weggelaufen.«

Anastasia nickte verständnisvoll. »Ich bringe Zsófia noch ins Bett, dann begleiten wir dich.«

Asavi war drauf und dran, abzulehnen, erinnerte sich aber an Eds Warnung, dass Máté einen ganzen Suchtrupp zusammengestellt hatte, um sie zu finden, und hielt den Mund.

Flankiert von den beiden ging sie zurück zur Kirche und Asavi erkannte im Schein der untergehenden Sonne, wie die Katzen nach der Hitze des Tages langsam erwachten. Sie fragte sich, ob man sie und die Hunde fütterte, oder ob sie kamen und gingen, wie ihnen beliebte. Die Katzen hatten bestimmt genügend Beute, denn wo Korn gelagert wurde, waren auch Nager nicht weit.

Sie erreichten den Kirchplatz, auf dem sich Joskas Männer tummelten, und Asavis Magen begann zu rumoren. Viktor und Anastasia blieben bei ihr, bis Ed auftauchte und sie mit einem Lächeln zu Csabas Zimmer brachte, ihr eine gute Nacht wünschte und zum Abschied zuzwinkerte.

~

|| Anmerkung: Ich hab mir lang überlegt, ob ich dieses Kapitel überhaupt reinstellen soll. ^^" Irgendwie beinhaltet es kaum Plot oder relevante Details und trägt nicht unbedingt dazu bei, dass sich die Charaktere entwickeln. Allein Csabas Katzen und die Seifenproduktion waren mir wichtig, einfach, weil ich beleuchten wollte, wie schräg da alle sind und wie viel ich mir über Seifenherstellung durchgelesen habe, nur um dann sowieso 90% aus chemischen Gründen wieder zu streichen xD Niemanden interessiert die Hydrolyse von Esterbindungen außer mich vielleicht also ...

Ich habs jetzt trotzdem mal reingestellt, weil es halt doch ein Plotskelett hat, auf das die kommenden Kapitel aufbauen, nur habe ich noch keinen Weg gefunden, das irgendwie schlauer zusammenzukürzen. Oh well 🙈||

Continue Reading

You'll Also Like

1.1K 85 14
𝗗𝗮𝘀 𝗟𝗲𝗯𝗲𝗻 𝗮𝗹𝘀 𝗞𝗮𝘁𝘇𝗲 𝗸𝗮𝗻𝗻 𝗺𝗮𝗻𝗰𝗵𝗺𝗮𝗹 𝗴𝗮𝗻𝘇 𝘀𝗰𝗵ö𝗻 𝗵𝗮𝗿𝘁 𝘀𝗲𝗶𝗻, 𝗮𝗯𝗲𝗿 𝗲𝘀 𝗴𝗶𝗯𝘁 𝗮𝘂𝗰𝗵 𝘃𝗶𝗲𝗹𝗲 𝘁𝗼𝗹...
2.5K 85 3
Ein paar tips zum überleben als Transgender (ftm) Pausiert, weil ich keine weiteren ideen habe.
3K 561 25
Die Jahreszeiten - sie bestimmen über unser Wetter. Und wer bestimmt über die Jahreszeiten? Was wäre, wenn jede Jahreszeit ihren eigenen Vertreter a...
65.4K 2.8K 57
Nach drei Jahren leben im Untergrund, hat sich Ahsokas Ansicht auf vielerlei Dinge verändert. Sie ist erwachsener geworden, handelt mit Bedacht und v...