Box Nr. 7

By ananasdream

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»Die ganze Zeit ging ich davon aus, du wärst auch nur jemand, dem ich nicht trauen kann, aber du warst die ga... More

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By ananasdream

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N I E M A N D ahnte, dass ich zu Unizeiten heimlich das Write on Paper aufsuchte, wie der Gang dorthin Balsam für meine Seele war. Genauer gesagt die Worte von Nummer drei. Das Beben in meiner Brust verstummte, die Selbstzweifel wurden ausgelöscht. Ich bin genug. Manchmal lag ich im Bett, fantasierte darüber, wer die ominöse Nummer drei war, die sich in der Realität in Lennja verliebt hatte. Kurzzeitig überkam mich solche Neugierde, dass ich in Erwägung zog, zurück zur Uni zu gehen.

Aber da ist nicht nur Nummer drei, sondern auch zwei, die dich hinterhältig für armselig hält. Vermutlich weil du das bist. Oder warum liegst du sonst den ganzen Tag im Bett?

Ich krallte meine Finger in die Kopfhaut und massierte sie in langsamen kreisenden Bewegungen. Es kam mir so vor, als malträtierte eine Kugel mein Gehirn und drückte gegen die Schläfe, bis ich explodierte. Zu viele Gedanken strömten auf mich ein – unsinnige Anschuldigen. Der rationale Teil wusste, dass ich auf die gehässigen Meinungen weniger Einzelpersonen nichts geben brauche. Meine Kehle schnürte sich dennoch zu, weil sie Mamas Stimme hörte: »Habe ich es dir nicht gesagt? Kein Wunder, dass es dazu gekommen ist.«

Hast du schon mal darüber nachgedacht Lennja deine Gefühle mitzuteilen? Du wirkst durch die Nachrichten wie jemand, den man durchaus lieben könnte. Ich würde dir vielleicht eine Chance geben. Das heißt nicht, dass ich Lennja bin, aber wer weiß? Manchmal finde ich es echt schade, wie viele Möglichkeiten wir vertun, nur weil wir uns nicht trauen.

Meine Gedanken drehen sich um nichts anderes, aber da ist auch diese Stimme, die mir sagt, ich verdiene sie nicht. Kein Plan, ob du je einen meiner Briefe gelesen hast, wo ich dir von meiner Vergangenheit und allen Problemen erzählt habe. Vermutlich nicht. Kurze Zusammenfassung: Ich war zu Schulzeiten nicht der Netteste. Andere bloßzustellen, habe ich ein wenig zu sehr genossen. Es berauschte mich, mir selbst das Gefühl zu geben, über ihnen zu stehen. Das Leid Fremder dämpfte mein eigenes. Ich nutzte Frauen als Fußabtreter, bis ein Kumpel von mir in mein Leben getreten ist und mir die Augen öffnete. Er ließ mich erkennen, wie viel intensiver Lust ist, wenn man hinter eine Person blickt – sie kennenzulernen versucht.

Wahrscheinlich werde ich ihr nie versprechen können, dass sie für mich die Eine bleibt. Weder werde ich ihr romantische Dates bei Kerzenschein organisieren, noch werde ich vollkommen Gentleman sein. Das ist der Grund, warum mein Homie regelmäßig die Warnung ausspricht, Lennja ja nicht zu nahe zu kommen. Leider macht das Verbot die Sache umso reizvoller.

Ich wünsche mir, Lennja würde sagen: Egal. Es reicht mir, dass du nicht länger ein gemeiner Mobber bist. Es reicht, dass du dich langsam mit deinem früheren Rivalen anfreundest. Du ein guter Kumpel wirst. Du musst nicht auch noch Romantiker werden.

Leider bildet sich mein Verstand manchmal ein, dass sie so etwas schon mal gedroppt hat. Deshalb bin ich ihr bestimmt auch so verfallen.

Peace, xo.

War ja klar – die Sache hatte einen Haken. Mich störte nicht mal, in ihn keinen Romantiker gefunden zu haben. Aber einen Mobber? Selbst wenn er sich angeblich geändert haben soll – so etwas Toxisches sagt mir in Serien schon nicht zu. Im realen Leben dann erst recht nicht. Andererseits hatte er nicht mich schikaniert, doch entschuldigte das seine Taten? Nein. Verdienten Menschen keine zweite Chance? Meine Gedanken waren im Zwiespalt.

Mit den Briefen hielt ich mich seitdem eher zurück, während Nummer Dreis Nachrichten von Mal zu Mal süßer wurden. Fast, als sei dies die Entschuldigung für seine düstere Vergangenheit. Sogar bei den Anreden gab sich die Person richtig Mühe.

Mit dir zu schreiben, ist Medizin für meine Seele. Manchmal kommt es mir so vor, als haben die schlechten Momente nie stattgefunden. Deine Worte formen mich zu einen neuen Menschen. Aber ... ist es überhaupt möglich, plötzlich eine vollkommen andere Person zu sein? Manchmal erwache ich mitten in der Nacht, in Sorge darum, dass ich bald nicht mehr existiere. Jedenfalls nicht so, wie ich mich jetzt kenne. Dass du mich auch mit meinen Macken akzeptierst, spendet mir Hoffnung – bereits genug zu sein. Und ein täglicher Versuch ausreicht.

Danke!

Seufzend starrte ich die weiße Decke an. Und was, wenn man dabei Hilfe brauchte? Seit Wochen lag ich hier nun nutzlos herum. Damals half mir meine Mutter immer bei solchen Sachen. Warum bekam ich es inzwischen nicht selbst auf die Reihe?

Wie aufs Stichwort antwortete das Klopfen an der Tür auf meine Gedanken. Wahrscheinlich Dina oder einer der anderen, die mich höflich baten, doch mal wieder die Uni zu besuchen. Ich bestand die Klausuren schon, ohne dass ich Veranstaltungen besuchte. Warum fragte mich eigentlich niemand, ob ich mit zu irgendeiner Semesterparty möchte? Das wäre doch mal was. Vielleicht.

Obwohl ich vergas zu reagieren, öffnete Dina zögerlich die Zimmertür. Zuerst sah man nur ihren Kopf. Da ich vollkommen angezogen in meinem Bett lag, sperrte sie die Tür ganz auf. Sie war nicht allein. Neben ihr stand Larson, rechts von ihm Raphael, daneben Yuna und am Ende der Reihe hatte sich sogar Arian in den Raum gequetscht. Sie bildeten einen Halbkreis. Fehlte nur noch das Laken mit der Aufschrift Intervention aus der Serie How I met your mother.

Dina räusperte sich. »Wir alle machen uns Sorgen um dich.« Die anderen nickten zustimmend. »Mal eine Veranstaltung sausen zu lassen, ist kein Problem, aber du verlässt nicht das Zimmer.« Lüge. »Daher dachten wir uns, dass etwas anderes vorgefallen ist, über das du mit jemanden reden möchtest.«

»Nein, danke. Um ehrlich zu sein, ist einer von euch schuld an meinem Zustand. Gott weiß wer, aber niemand hat euch den Auftrag gegeben, in den Briefen des Kummerkastens unhöflich zu werden.« Dina drehte sich um und musterte jeden unter Schlitzaugen. Alle taten vollkommen unschuldig. Das ertrug ich nicht, deshalb versteckte ich mich – die Bettdecke ins Gesicht gezogen.

»Arian hatte die Idee, dass es dir guttun würde, wenn du mit deiner Freundin aus Fallsberg sprechen würdest.« Dina sprach unbeirrt weiter und setzte sich sogar zu mir ans Bett, obwohl ich in Abwehrhaltung ging.

Ayliz war nicht einfach nur eine Freundin. Wir kannten uns seit der Kindheit. Meine Tante hatte sie sogar adoptiert. Eigentlich sind wir beste Freunde. Hätte ich mich in den letzten Monaten öfter bei ihr gemeldet, könnte man das eigentlich getrost streichen.

»Ayliz würde sich sicher freuen, dich zu sehen«, beschwichtigte Arian meine Gedanken. Da hatte er vermutlich sogar recht. Sie nahm mir die wenigen Nachrichten nicht übel. Im Gegenteil. Ayliz war der Typ, der mir lachend in die Arme fallen wird. An dem Vorschlag gab es nur einen Haken.

»Ich habe kein Auto. Nach Fallsberg fahren keine öffentlichen Verkehrsmittel und meine Mutter werde ich garantiert nicht um Hilfe bitten«, stellte ich klar.

»Raphaels Onkel hat einen alten Truck, den er nicht mehr fährt«, verkündigte Dina jäh.

Verwirrt über die Tatsache, dass sie überhaupt darüber Bescheid wusste, musterte ich sie und Raphael. Er hat gewiss nicht mit diesem Vorschlag gerechnet. Log sie?

»Äh...«, murmelte Raphael. »Vermutlich hat er den. Ich hätte dir echt nicht erzählen dürfen, dass wir eine Autowerkstatt haben. Und dir stattdessen mitteilen sollen, dass ich keinen Führerschein habe.«

»Ach, bestimmt hat Lennja einen.« Dina war sich ihrer Sache ganz schön sicher. Dabei hatten wir nie darüber geredet. Ansonsten wusste sie, dass ich meine Praxisprüfung beim ersten Mal in den Sand gesetzt hatte. Ich war eine Niete im Einparken. Leider erfüllte ich da jedes Klischee. Kurz nach der bestandenen Prüfung rammte ich mit Mamas Auto ein anderes, nur weil ich zu früh das Lenkrad eingeschlagen hatte. Deshalb bin ich wahrscheinlich immer noch autolos.

»Ich werde aber keine 800 Kilometer mit einem fremden Auto zurücklegen, das auf dem Weg dorthin noch den Motor aufgibt«, stellte ich klar.

»Raphael hat das Talent zum Reparieren von Autos sicher von seinem Onkel geerbt. Er wird dich bestimmt gerne begleiten.«

Seine Augen weiteten sich und bestätigten mir erneut, dass das nicht abgesprochen war. Warum versuchte Dina uns eigentlich permanent zu verkuppeln?

»Ehrlich gesagt zählt das nicht-«, setzte er an, woraufhin Dina allerdings zu ihm hastete, um ihm den Mund zuzuhalten.

»Er macht das echt gerne«, beteuerte sie erneut. Überzeugend war jedoch etwas anderes. Raphael riss sich von Dina los.

»Ich habe mir YouTube-Tutorials angeschaut. Es könnte klappen. Ansonsten rufe ich einfach meinen lieben Onkel an. Er wird sicher rund um die Uhr für uns erreichbar sein.« YouTube-Tutorials? Wenn er keinen Führerschein hatte? Verscheißern kann ich mich alleine.

Auf der anderen Seite würde ich Ayliz verdammt gerne sehen. Und mir war es lieber, die Reise in Gesellschaft anzutreten, als nur für mich. Und wenn ich Glück hatte, war das der Ausflug, wo sich Raphael mir noch ein Stückchen mehr öffnete.

»Du musst deine Freundin sehen, Lennja.« Der bestimmende Tonfall von Yuna, den sie für gewöhnlich nicht an den Tag legte, bestätigte mich.

»Meinetwegen. Wenn Raphael und sein Onkel nichts dagegen haben, bin ich dabei.«

Dina quietschte euphorisch auf. »Klasse! Ich werde ihn sofort anrufen!«, rief sie. »Wenn du mir seine Nummer gibst. Oder ... Raphael macht das. Er ist ja sein Onkel.« Ich musste lachen. Dinas gute Laune steckte mich irgendwie an, sodass ich nicht länger das Bedürfnis besaß, in meinem Bett liegen zu bleiben. Ich richtete mich auf. »Oder ich rufe ihn an. Dann können wir zumindest sicher sein, dass hier niemand genötigt wurde.«

Dina verschränkte die Arme vor der Brust. »Aber ohne Nötigung macht es nur halb so viel Spaß.«

Und das meinte sie vermutlich sogar ernst. Nein, ich musste hier definitiv Bedingungen aufstellen. »Entweder ich rufe dort an oder wir lassen es.«

Raphael reichte mir grinsend sein Handy, nachdem er den entsprechenden Kontakt ausgewählt hatte: Onkel Simon. Dina wirkte ein bisschen eingeschnappt. Am anderen Ende der Leitung tutete es. Alle lauschten gebannt und ich fühlte mich dezent beobachtet. Mit einer Geste deutete ich ihnen an, in der Küche zu warten. Arian verschwand als Erstes, der Rest folgte.

Das Freizeichen verstummte und Stille erfüllte die Leitung. »Raphael? Alles okay?« Es kam wohl nicht sonderlich oft vor, dass er seinen Onkel anrief. Er klang besorgt.

»Nein, hier ist Lennja. Eine Freundin von ihrem Neffen.«

»Hallo Lennja.« Er begrüßte mich so herzlich, als kannten wir uns schon Ewigkeiten.

»Er hat mir erzählt, Sie haben eine Werkstatt für Autos und einen alten Truck, der noch fährt, und den Sie nicht brauchen. Nun ... ich könnte eins gebrauchen. Könnten Sie ihn für ein paar Tage entbehren?«

»Na klar.« Seine Stimme klang so rau wie in diesen Westernfilmen. »Lennja ... dein Name kommt mir irgendwoher bekannt vor. Hast du auch was mit meiner Tochter zu tun?«

Raphael und sein Onkel schienen wirklich keinen großen Kontakt zu haben, wenn er nicht mal in Erwägung zog, den Namen von seinem Neffen zu kennen.

»Wer ist Ihre Tochter?«, erkundige ich mich. Die Uni war groß, aber nur die Wenigsten kannte ich mit Namen. Höchstens vom Sehen. Ich bezweifelte-

»Dina. Dina Kallinovsky.«

Mir gefror das Blut in meinen Adern. Bilder von der Semesterabschiedsparty traten mir ins Sichtfeld.

»Kann mir einfach nicht vorstellen, für den Rest meines Lebens nur an eine bestimmte Person gebunden zu sein.«

Sie schmunzelte wissend. Mit ihren Augen gab sie mir zu verstehen, dass ich Bullshit redete. »Klar, das sagen sie am Anfang alle, bis sie ihrer großen Liebe begegnen. Dieser Arian ist einfach nicht der Richtige, aber es gibt jemanden.« In mir kribbelte es vor Wut. Meine Hüften kreisten sich nach ihren Worten ein wenig zu energisch. Verdammte, monogame Kackgesellschaft! Das oberste Ziel im Leben schien für jeden, die einzig wahre Liebe zu finden. Alle anderen Szenarien waren undenkbar.

Ansonsten hätte Dina meine Meinung akzeptiert und mich nicht gegen den erstbesten Typen in unserer Nähe geschubst. Ich krallte die Finger in den Stoff seines Shirts. »Hallo, schöne Frau.«

Mir wurde übel. Er ist ihr Cousin. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass Raphaels und meine Begegnung an dem Abend Zufall war? Und dann saß er auch noch zufällig in unserem Pädagogikseminar, wurde zufällig Teil der Kummerkastengruppe. Wie konnte ich nur so dämlich sein? Die beiden haben einen Plan ausgetüftelt und dabei getrost meinen Wunsch, an niemanden gebunden zu sein, ignoriert. Ich umklammerte das Handy so fest, dass Raphael es mir vermutlich aus der Hand genommen hätte, wäre er jetzt hier. Warum logen sie mich an, wenn nicht aus dem Grund, dass ich das erste Treffen zwischen Raphael und mir weiterhin für einen Zufall halten sollte?

»Noch da?«, erkundigte sich Dinas Vater.

Denen werde ich es heimzahlen. Hatte ich Dina damals nicht ausdrücklich mitgeteilt, von ihr nicht verkuppelt werden zu wollen? Kein Wunder, dass sie daraus ein Geheimnis machte. »Ja, entschuldigen Sie. Bei dem Namen dämmert nichts bei mir. Ich bin manchmal ziemlich vergesslich. Vielen Dank, dass Sie mir Ihren Truck ausleihen. Sagen Sie mir einfach, was ich Ihnen schulde.«

»Haben Sie ein gutes Auge auf meinen Neffen. Dann sind wir quitt.«

Oh, keine Sorge, dachte ich. Auf unserem gemeinsamen Ausflug werde ich ihm solch ein schlechtes Gewissen bereiten, dass er sich wünschen wird, mich niemals angesprochen zu haben.

Und Dina ... sie hat mich bewusst hintergangen. Für ihr werde ich mir etwas Besonderes ausdenken. Die positive Darstellung von Dina in Nummer Zweis Briefen hinterließ eine Gänsehaut bei mir. Wer meine Wünsche ignoriert, wird sicher auch zu solch gemeinen Worten im Stande sein. War Dina Nummer zwei?

𓆈

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