Inhumanity

By memory4u

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"Ich sollte sie in das Verderben führen. Nun werde ich jeden dafür zahlen lassen, der auch nur daran denkt, d... More

Menschlichkeit
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By memory4u

Einmal Klopfen genügt. Runa ist schnell auf den Füßen, auch wenn sie eine Nachteule ist und lieber morgens eine, gerne auch zwei Stunden länger schläft als die Arbeiter, die sich gerade in den Gassen tummeln.

"Komme."
Ihre nackten Fußsohlen klatschen auf dem Boden, dann öffnet sie die Tür. "Na sieh mal einer an - Ashton Monroe. Welch eine Ehre."

Sie drückt die Tür weiter auf, winkt mich hinein in die Mischung aus verbrauchter Luft, Vanille und Seife. Und einen Duft, den ich nicht zuordnen kann.
"Hattest du Besuch?"
Sie legt den Kopf schief, verschränkt die Arme vor der Brust. "Stört dich das etwa?"

Nur zu gerne würde sie eine Bestätigung bekommen, doch ich schweige. Mich stört, dass Simon bei Talia ist. Dass er versuchen wird, sie umzustimmen. Dass ich wertvolle Zeit darauf verschwende, zu überlegen, ob ich diesen Geruch bereits schon einmal wahrgenommen habe. Woher sollte ich auch? Sie wird irgendeinen Menschen zu ihrem Vergnügen aus einer Bar abgeschleppt haben.

Ungeachtet ihrer Frage komme ich sofort auf den Punkt. "Erinnerst du dich noch an den Magier, der mich vor nicht allzu langer Zeit in Riyak aufgesucht hat? Blond, Narbe in Nähe des Auges-"
"Und äußerst stürmisch? Natürlich. Danach hattest du deine Simon-Krise."
Eigentlich war es eine Halte jede, auch nur erdenkliche Gefahr von Talia fern-Notlüge, aber das muss sie nicht wissen.

"Genau diesen. Er ist dir nicht zufällig im Palast über den Weg gelaufen, oder?"
"Zumindest wurde seine Leiche nicht an mir vorbeigetragen, wenn das ist, was du wissen möchtest."

"Oh nein, ihn möchte ich nicht tot sehen", stelle ich klar, greife nach einer eingerollten Karte. Ganz Sonelem präsentiert sich mir: von den felsigen Küsten im Westen bis zu den mächtigen Bergen im Osten, nichts weiter als harmlose Striche einer Feder. Solange ihr Blut ihn nicht im Zentrum bestimmt, gibt es wenig Grund zur Sorge.

"Denkst du etwa, dass er sich dem Dienst angeschlossen hat?"
"Nicht freiwillig."
Missbilligend verengt Runa die Augen. "Warum schaust du dich nicht selbst im Palast um?"
"Lucius ist nicht gut auf mich zu sprechen."

Sie schenkt sich würzigen Tee ein. Zu meiner Überraschung reicht sie mir die Tasse. Ich schlage sie nicht aus - Runa hat offensichtlich Unterhaltungsbedarf. Da ich jedoch etwas von ihr möchte, werde ich mich wohl oder übel darauf einlassen müssen, obwohl ich nur zu gerne bereits wieder in Meral wäre.
"Sag bloß, du hast dich einem Auftrag widersetzt."

Der Duft von Kräutern, Zitrone und exotischen, mir fremden Früchten zieht mir in die Nase. Was auch immer sie vermischt hat, es riecht besser als es schmeckt. Der bittere Geschmack auf der Zunge ist geradezu widerlich und verlangt mir reichlich Beherrschung über meine Mimik ab.
"So kann man es sagen. Ist etwas kompliziert."
"Kompliziert hört sich spannend an." Sie lässt sich auf den nächstbesten Stuhl fallen, befüllt eine weitere Tasse. "Und ich bin bereit für Spannung."

Liebe Götter im Himmel, das kann doch jetzt nicht wahr sein! Ich werde sicherlich nicht meine Zeit dafür verschwenden, Runa mit weiteren Lügen vollzutexten. Denn die Wahrheit werde ich ihr nicht auftischen.
"Simon hat..." Der Tee sackt schwer in meinen Magen. Wüsste ich es nicht besser, wäre ich mir sicher, dass sein Geschmack sich einmal quer durch meinen Körper zieht, meine Beine schwach werden lässt. "Er-"

Ich schaffe es auf den Stuhl, bevor meine Beine wegknicken können. Dafür kann unmöglich die Verletzung des gestrigen Abends verantwortlich sein. Sind sie etwa gerade eingeschlafen?
Besorgt runzelt Runa die Stirn, will nach mir greifen und stößt dabei die Tasse um. Der Tee färbt die Karte dunkel, das Porzellan prallt dumpf auf den Teppich.
"Alles gut?"

Eine Tür im Stockwerk darunter öffnet sich quietschend. Die Frage, welche Kräuter und Früchte sie da miteinander vermischt hat, brennt mir auf der Zunge, da nähern sich Schritte auf der Treppe. Drei oder vier - sie laufen beinahe im Gleichschritt und erlauben mir keinen Durchblick. Den brauche ich auch nicht. Ich verstehe sofort, was hier passiert. Meine Beine, der Tee, die scheinbar zufällig auf den Boden gefallene Tasse als Zeichen zum Zugriff.

"Es tut mir so leid."
Runa schaut betreten auf den Boden, als würde er sich unter ihr auftun, wenn sie noch länger darauf starrt.
"Lucius hat mir keine Wahl gelassen", wispert sie kaum hörbar.

"Wir hatten einen Pakt", bringe ich hervor, als die Tür schwunghaft aufgerissen wird. Was auch immer passieren mag, wir werden einander nicht verraten - so viel dazu.

Ich zwinge mich in die Höhe, muss mich am Tisch abstützen, um nicht vornüber zu kippen. Als ich Simon erklärte, dass ich einen Weg finden werde, um ausschließen zu können, dass Will nicht im Palast ist, hatte ich mir darunter nicht vorgestellt, selbst wieder in Lucius' Hände fallen zu müssen. Widerstandslos werde ich mich dennoch nicht geschlagen geben. Runa will mir ausweichen, doch die Magie in meinem Armen lässt mich nicht im Stich. Ich ziehe sie vor mich, schneide ihr mit meinem Griff am Hals jegliche Luft ab und stecke die Tritte ihrer strampelnden Beine ein.

"Ash!"
Ihre langen Nägel krallen sich in meinen Arm, ein panisches Kreischen sprudelt nur so aus ihr hervor. Der Stich in meinem Kopf lässt nicht lange auf sich warten - ich kneife die Augen zusammen, um einen Schmerzenslaut zu unterdrücken und mich auf das Wesentliche zu besinnen. Natürlich weiß sie, wie sehr sie mir damit zusetzt. Dennoch lasse ich nicht locker, kaum rücken die drei Männer und das Mädchen in mein Sichtfeld. Ich erkenne sie sofort wieder. Es ist die gleiche Truppe, die Lucius bereits nach Riyak ausgesandt hatte - hervorragend. Vermutlich sind sie am besten dafür geeignet, um mich zu überwältigen.

"Na, wenn das nicht ein erfreuliches Wiedersehen ist", brummt der Größte, dreht gelassen das Schwert in seiner Hand.
"Wiedersehen? Beim letzten Mal habt ihr ja nicht sonderlich viel gesehen", spiele ich auf Wills Magie an. Runa reißt den Kopf vor, beißt mir in den Arm. Ein Grollen entfährt mir, doch zuwider ihrer Hoffnungen verschränke ich den Griff nur umso stärker. Sie ist mein einziger Weg, hier heil rauszukommen, wenn es mir denn irgendwie gelingen sollte. Denn die kleine Magierin spielt bereits wieder mit der Luft, raubt mir den Atem - nur leider nicht ansatzweise so angenehm, wie es Talia gelingt.

"Weißt du, Ashton, du kannst einfach das Kraut trinken und uns allen einen Gefallen tun, oder aber wir müssen andere Maßnahmen ergreifen."
Ich ziehe Runa mit mir Richtung Fenster, versuche draußen Geräusche zu vernehmen. Nur Stimmen der Menschen unter uns, die nicht ansatzweise ahnen, was sich nur knapp über ihren Köpfen abspielt.
"Maßnahmen, die dir nicht gefallen werden."
Er lässt seinen Blick auf meinen Arm schweifen, dort, wo er das letzte Mal deutliche Spuren hinterlassen hatte. Wäre ich Talia nicht in Sira begegnet, würden sie sich noch immer dort abzeichnen. "Ganz offensichtlich weißt du auch ganz genau, wo die Heilerin ist."

Sind das Hufe eines Pferdes auf dem Pflasterstein? Ich spitze die Ohren, vergesse beinahe, dass die Magier auf eine Antwort warten.
"Die anderen Maßnahmen hören sich gut an", bringe ich mit der letzten Luft hervor, die noch in meiner Lunge ist, röchele um einen weiteren Atemzug. Dann werfe ich mich mit aller Wucht nach hinten, ziehe Runa mit mir.

Ihr gellender Schrei ist um einiges schmerzvoller, als der ungebremste Aufprall auf der Gasse - das dachte ich zumindest, bis ich mir der Schmerzen bewusst werde. Scherben des Fensters schneiden mir in die Seite, meine Knochen fühlen sich vollkommen malträtiert an. Vermutlich habe ich mir die Rippen gebrochen, doch das Adrenalin lässt mich nicht zögern. Runa windet sich aus meinem Griff, fasst sich wimmernd ans Knie. Dabei hat sie nicht mehr abbekommen. Meine Arme um ihren Kopf haben jeglichen Kontakt ihres Oberkörpers mit dem harten Boden abgebremst, derweil ich das nicht von mir behaupten kann.

"Der macht mich fertig", höre ich einen der Magier über mir murmeln, sehe, wie er sich aus dem Fenster lehnt und ungläubig auf uns hinabblickt. Die Anderen stürmen vermutlich die Treppe hinab, sind nicht sonderlich scharf darauf, mir hinterher zu springen. Dann huschen die Hufe in mein Blickfeld.

"Was...oh, liebe Götter!"
Der Schock scheint die Frau so sehr im Griff zu haben, dass es aussieht, als würde sie vom Pferd kippen und nicht kontrolliert absteigen. Eilig wendet sie den Kopf in alle Richtungen, begleitet ihren suchenden Blick mit Hilferufen. Ich stemme mich in die Vertikale, entreiße ihr die Zügel und ziehe mich auf das Tier. Erst beim zweiten Anlauf spielen meine Beine so mit, dass es mir gelingt. Die Magier hechten auf die Gasse, da wende ich bereits das Pferd, während die Frau wortlos zusieht, die Hände überfordert nach mir ausstreckt. Doch es sind nicht ihre, die mich zu fassen bekommen.

Runa reißt mir mit ihren Nägeln den Unterarm auf, klammert sich beinahe verzweifelt an mich.
"Ash, bitte. Ich habe nur diese eine Chance. Er wird mich umbringen, wenn ich schon wieder versage."

Ihre großen Augen blicken flehend zu mir auf, kratzen an meinem Mitgefühl, das ich mir strengstens unterbiete. Zwei Jahre lang haben wir einander vertraut und zusammen Aufträge gemeistert, die sonst ein Spiel mit dem Tod gewesen wären. Zwei Jahre Freundschaft wirft sie so einfach aus dem Fenster - oder ich, wenn man es wortwörtlich nimmt. Meinen verfluchten Patzer der Waghalsigkeit mit dem Alkohol werde ich dafür nicht missen.
"Dein Problem, nicht meins."

Eine hilflose Träne stiehlt sich aus ihrem Auge, ein stummer Ruf der Verzweiflung. Doch ihre Reue kommt zu spät. Ich presche das Pferd voran, ignoriere ihr Schluchzen und drehe mich nur um, damit sich das durch die Luft sausende Messer eines Magiers nicht in einen Schenkel des Pferdes bohren kann. Dass ich es an der Klinge zu fassen bekomme und mir längs die Hand aufschlitze, ist mir egal. Das Pferd ist meine Rettung, also muss ich seine sein.

"Du wirst früher oder später im Palast auftauchen", ruft Runa mir diabolisch hinterher. "Mit Will hat Lucius einen größeren Glücksgriff, als er sich bewusst ist."

Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag in die Magengrube: gegenüber Runa habe ich nicht einmal Wills Namen erwähnt.

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