Fabelblut

Per Wortweberin

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Eigentlich sollte es nur eine Klassenfahrt nach Schottland werden - aber als Lina auf einem Friedhof in Edinb... Més

Prolog
Karte
Teil 1: Das Kollegium der Schatten
Fabelnacht (1)
Fabelnacht (2)
Zum tänzelnden Einhorn (1)
Zum tänzelnden Einhorn (2)
Der Junge im Baum (1)
Der Junge im Baum (2)
Die Schwestern von Stormglen (1)
Die Schwestern von Stormglen (2)
Reale Fiktion(1)
Reale Fiktion(2)
Feuerprobe (1)
Feuerprobe (2)
Feuerprobe (3)
Wo Schatten, da auch Licht (1)
Wo Schatten, da auch Licht (2)
Wo Schatten, da auch Licht (3)
Wo Schatten, da auch Licht (4)
Das Falsche, Böse und Hässliche (1)
Das Falsche, Böse und Hässliche (2)
Das Falsche, Böse und Hässliche (3)
Spartakus 2.0 (1)
Spartakus 2.0 (2)
Spartakus 2.0 (3)
Das hier ist ein Anfang
Teil 2: Der geteilte Wald
Schauer und Sterne (1)
Schauer und Sterne (2)
Schauer und Sterne (3)
In the bleak midwinter(1)
In the bleak midwinter (2)
In the bleak midwinter (3)
Scherbengericht (1)
Scherbengericht (2)
Tiefere Magie (1)
Tiefere Magie(2)
Tiefere Magie (3)
Komme, was da will
Magdalen College (1)
Magdalen College (2)
Alter Wald, neue Wünsche (1)
Alter Wald, neue Wünsche (2)
Der Fremde im Schatten
Götter und Dämonen (1)
Götter und Dämonen (2)
Die Prophetin (1)
Die Prophetin (2)
Maulwürfe und Giftschlangen (1)
Maulwürfe und Giftschlangen (2)
Teil 3: Die blinde Festung
Das hier ist ein Anfang
Lethe
Lethe (2)
Im Haus der Spiegel (1)
Im Haus der Spiegel (2)
Im Haus der Spiegel (3)
Gretchenkomplex (1)
Gretchenkomplex (2)
Geschwisterliebe (1)
Geschwisterliebe (2)
Pater Familias
Pater Familias (2)
Im Auge des Sturms
Im Auge des Sturms (2)
Nänie für den Frühling (1)
Nänie für den Frühling (2)
Nänie für den Frühling (3)
Nänie für den Frühling (4)
Eine Bitte zum Schluss
Nachwort
Fabelfluch
Prolog
Erster Teil: Die Allegorie der Nacht
Dunkle Tunnel (1)
Dunkle Tunnel (2)
Dunkle Tunnel (3)
Was kein Auge je gesehen
Was kein Auge je gesehen (2)
Dolch, Eule, Mond
Myrthas Geheimnis
Die Herrin von Schatten und Wellen
Auge um Auge
Der Pakt der schwarzen Waage
Zwischenspiel: Das Abschiedsglas
Zwischenspiel: Das Abschiedsglas (2)
Zweiter Teil: Soteria
Bei Tageslicht
Spreu von Weizen
Spreu von Weizen (2)
Wachstumsschmerzen
Zwischenspiel: Das Haus der Schatten
Von der Ordnung der Dinge
Von der Ordnung der Dinge (2)
In den Hallen von Eleos
In den Hallen von Eleos (2)
Das Mädchen mit dem grauen Haar
Das Mädchen mit dem grauen Haar (2)
Die Eirenen
Die Eirenen (2)
Die Eirenen (3)
Die Eirenen (4)
Die Eirenen (5)
Dritter Teil: Der Garten der Ideen
Zwischenspiel: Der Erbe der Schatten
Ante Portas (1)
Umfrage
Ante Portas (2)
Heimspiel (1)
Heimspiel (2)
Zwischenspiel: De profundis
Der letzte Flug der Elfen
Der letzte Flug der Elfen (2)
Bei Mond und Stein
Zwischenspiel: Schattenschwestern
Zwischenspiel: Schattenschwestern (2)
Dem Schicksal zum Trotz
Dem Schicksal zum Trotz (2)
Zwischenspiel: Der Erbe der Schatten 2 (neues Kapitel!)
Die Muse und die Gärtnerin
Die Muse und die Gärtnerin (2)
Dreifach verraten (1)
Dreifach verraten (2)
Dreifach verraten (3)
Epilog (Neu!)
Fabelblut Agentur-Einsendung?
Bitte um Feedback
Fabelblut Band 3
Kommentare (2)
Fabelblut offline
Kommentare (3)
Figureninterviews: Eleanor
Epilog (alternativ)
Playlist
Eine kurze Frage an alle, die Fabelblut schon gelesen haben
Neues zu Band 3
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Ante Portas (3)

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Per Wortweberin

Die erste Aprilwoche vergeht wie ein einziger Wimpernschlag. Schneller als mir lieb ist, bricht der Morgen des ersten Frühlingsvollmonds an. Beim Frühstück in der Küche bleibt mein Blick eine ganze Weile auf dem kleinen weißen Punkt im Kalender hängen, der den Mond symbolisiert. Irgendwie ist es immer noch nicht bei mir angekommen, dass es jetzt wirklich soweit ist. Es kommt mir unwirklich vor, hier beim Frühstück zwischen Mareike und meinem zeitungslesenden Dad zu sitzen, vor mir Cornflakes und bunt gehäkelte Eierwärmer, während ich in ein paar Stunden gegen einen schwarzen Magier antreten soll. Damon ist rein optisch jetzt zwar nicht ganz das, was ich mir immer unter schwarzer Magier vorgestellt habe, aber charakterlich wird's wohl nicht mehr schwärzer (Constanze mal ausgenommen).

Ich habe weder Mareike noch meinem Vater gesagt, was ich vorhabe. Zum Glück sind Osterferien, da wird die Ausrede für zwei Tage bei einer Freundin zu übernachten ne Weile ziehen. 

Ja, ich habe mit dem Gedanken gespielt, es ihnen zu sagen. Alles, von Fabelreich bis Damon. Aber, als mir klar wurde, was für ein Wahnsinn das wäre, habe ich den Gedanken schnell verworfen. Selbst, wenn sie mir glaubten, wenn ich ihnen Fabelreich vielleicht sogar zeigen würde...spätestens bei der heutigen Aktion würden sie mir mit Gewalt mein Portalbuch abnehmen und mich in mein Zimmer sperren. Vermutlich würde ich das Gleiche tun, wenn meine Tochter vorhätte, für irgendein verborgenes Zauberreich in eine Schlacht zu ziehen. Es ist nur verständlich, dass Eltern immer das Leben ihres Kindes schützen wollen.

Aber die beiden sind keine Wächter. Sie verstehen nicht, was für ein Segen und Fluch zugleich Magie sein kann. Sie wissen nicht, wie es ist, nach Jahren des nicht-wirklich- reinpassens und endlich einen Ort zu finden, wo man hingehört. Wo man verstanden wird und sich selbst verstehen lernt. Ein Ort voller Magie und Wunder, voller Gefahr und Chance und Abenteuer. Voller skurriler, schrulliger Charaktere, die vielleicht nicht die einfachsten oder freundlichsten Menschen in meinem Leben sind, dafür aber die interessantesten. Wenn du das alles erlebt hast, wenn du dein zuhause gefunden hast, dann läuft du nicht weg, sobald es jemand bedroht. Du stehst auf und kämpfst. Du hast gar keine andere Wahl, tief in dir drin. Wer einmal Magie und Freiheit in Kombination gekostet hat, vergisst es nie wieder.

Ich kann nicht einfach zurück in mein altes Leben, das ist mir in den letzten Wochen klar geworden. Mein Leben vor der Klassenfahrt nach Edinburgh. Vor meiner Fabelnacht. Auch nicht, wenn wir gegen Damon verlieren. Das letzte halbe Jahr hat etwas in mir verändert, selbst wenn ich wollte, ich bin nicht mehr die gleiche wie damals.

Was auch immer heute Nacht in Fabelreich passiert, sein Ergebnis wird Auswirkungen bis in die Menschenwelt haben, wie Wellen auf einem stillen See.

Natürlich gibt es auch noch die andere Möglichkeit. Die, über die ich nicht nachdenke, weil sie mich lähmt vor Angst oder das schlechte Gewissen gegenüber meinem Dad unerträglich macht. Ich könnte auch gar nicht zurückkommen. Ich könnte Sterben. Zwar glaube ich nicht wirklich, dass diese Schlacht mein Ende sein wird, nicht nach Asterias Prophezeiung, aber der Tod war in letzter Zeit ein zu häufiger Begleiter auf meinem Weg, um ihn nicht ernst zu nehmen. Doch selbst, wenn es die Möglichkeit gibt, sie hält mich nicht auf. Ich habe nicht vergessen, was Damon Eleanor angetan hat. Ihr, Demetra und irgendwie selbst Mo. Und auch wenn ich es mit all den Mediationen versucht habe, unter Kontrolle zu halten: neben dem Wunsch, Fabelreich zu retten, schlummert noch ein anderes, dunkleres Motiv für meinen Kampf gegen Damon Blackwell: Rache.

Gegen Nachmittag verabschiede ich mich von Dad und Mareike. Ich habe mein Zimmer aufgeräumt und mache ich wenig mehr Worte als sonst, aber ansonsten lasse ich mir nicht anmerken, dass etwas anders ist. Über eine mögliche Niederlage nachdenken, erlaube ich mir nicht mal in der Theorie nachzudenken.

In Stormglen Manor angekommen, brauche ich einen Moment, um mich zu sammeln. Hinter dem Herrenhaus steht die Sonne tief, gehüllt in den pollenverhangenen Dunst eines zu warmen Frühlingstages. Es ist schwül und ich bin froh, um die frische salzige Briese, die vom Meer heraufweht. Für einen Augenblick erlaube ich mir einfach stillzustehen. Ich schaue nicht zum Haus, das mittlerweile vor Menschen und Fabelwesen summt wie ein übergroßer Bienenstock, alle beschäftigt mit den letzten Vorbereitungen.

Mein Blick geht aufs Meer, über die Schaumkronen der Wellen, golden im Nachmittagslicht. Auf den Gewächshäusern reflektiert das Sonnenlicht, die Luft brummt vor Insekten, aufgeweckt von den ersten warmen tagen. Zu unseren Seiten neigen und strecken sich die mächtigen Eichen des geteilten Waldes im lauen Wind. Es ist ruhig, fast friedlich.

Dann läuft schon Roxy auf mich zu und mein Frieden findet ein jähes Ende.

„Was habe ich verpasst?", frage ich sie, während ich in meinen grauen Umhang schlüpfe.

„Asteria und die Rebellen sind gekommen"; erklärt mir Roxy atemlos, „Hättest du sehen müssen, war beeindruckend, ihr Zug hat sicher den ganzen Weg bis zur Siedlung gereicht."

Das dürfte zwar eine von Roxys Übertreibungen sein, aber ich bin trotzdem zufrieden. „Gut. Will Asteria mich sprechen?"

„Nein. Sie hat gesagt, dass sie allein sein will, bis Damon gesichtet wird. Schätze sie meditiert oder betet oder was die Elfen eben sonst so vor wichtigen Kämpfen tun."

Ich nicke. „Dann werden wir sie eben in ein paar Stunden stehen. Was ist mit Damon? Haben die Späher ihn schon gesichtet?"

„Nein. Aber..." Roxy zögert und wirft mir einen unsicheren Blick zu. „Aus einer versteckten bucht an der Nordseite der Insel ist eine Bootsflotte ausgelaufen. Schiff besetzt mit Fabelwesen. Es sind viele, aber unser Späher denkt, es wird trotzdem nur ein Teil von Damons Armee sein. Sie können bei Sonnenuntergang hier sein."

„Dann hatten wir Recht. Damon hat einen Teil seiner Truppen in Fabelreich stationiert, nicht in der Menschenwelt. Haben die Späher sie angegriffen?"

„Sie haben es versucht. Die müssen Abwehrsysteme für Angriffe aus der Luft haben. Nur ein Phönix von unseren Spähern hat überlebt."

Ich beiße mir auf die Lippe. Das waren keine guten Neuigkeiten. Unsere Luftabwehr war ein zentraler Plan der Verteidigung. Wenn wir nichts haben, dass diese Schiffe ausschalten oder in Brand stecken kann, müssen wir warten, bis ihre Truppen an Land gehen.

„Da ist noch was", sagt Roxy langsam, „Der Phönix hat vorne am Bug des Schiffes einen Mann entdeckt. Zuerst dachte er, es sei Damon Blackwell. Die Ähnlichkeit muss wohl ziemlich groß gewesen sein. Nur der Mann auf dem Schiff war...jünger."

Mortimer.

In meinen Hals formt sich ein Kloß. Er muss ganz schön schnell in der Gunst aufgestiegen sein, wenn Daddy ihm jetzt sogar schon einen Teil seiner Truppen anvertraute. Andererseits war Damon die Alternative zwischen einer Horde blutrünstiger Furien, der Verräterin Constanze und dem eigenen Sohn wahrscheinlich nicht besonders schwer gefallen.

„Danke, Roxy", sage ich, um das Thema zu wechseln. „Gibt es noch etwas zu tun?"

Sie schüttelt den Kopf. „Alle wissen Bescheid. Sobald die Lärmfeuer brennen geht jeder auf seinen Posten. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen bis Sonnenuntergang ausruhen. Wir haben die Küchen aufgestockt, sodass wir mit allen Kämpfern zusammengerechnet drei Tage Belagerung aushalten könnten."

„Hoffentlich wird es dazu nicht kommen." Auch das ist wieder so eine Sache über die ich nicht richtig nachgedacht habe. Was passieren wird, wenn Damon nach dem verpassten Ritual nicht besiegt abzieht, sondern sich trotzdem das Kolleg unter den Nagel reißen will. Ewig können wir nicht gegen ihn kämpfen, wenn wir hohe Verluste vermeiden wollen. Irgendwann müssen wir aufgeben und uns damit zufriedengeben, Damon wenigstens seine Weltherrschaftspläne vermiest zu haben. Zumindest für ein Jahr. Wer weiß, wie lange man Eleanors Blut aufheben kann.

„Magst du mit ins grüne Kollegium kommen? Die anderen Alumni sind auch da. Wir haben beschlossen zusammen zu warten. Faustia hat Pizza bestellt."

„Pizza bestellt?"

„Naja, eher abgeholt und hergebracht. Von ihrer Lieblingspizzeria in Rom. Sie ist doch Italienerin. Wer kämpfen will muss gut essen, hat sie gesagt. Was? Warum schaust du mich so an?"

„Nichts." Ich schüttle den Kopf. „Ihr zwei seid echt ein Phänomen."

Roxy führt mich in ein kreisförmiges Gewächshaus mit einem gewölbten Dach. Zitronenbäume und knorrige Oliven wachsen aus dem terrakottagefliesten Boden und strecken ihre dunklen Zweige bis unter das Kuppeldach. In den dickeren Ästen hängen silberne Laternen. Darunter, verteilt in Korbstühlen um einen kleinen Tisch voller Pizza-Kartons sitzen die Alumni von Stormglen Manor. Auf der Rückseite des Raums liegt ein offener Durchgang zum nächsten Teil des Gewächshauses. Im weniger werdenden Licht erkenne ich die Umrisse von Demetras Steinblock und der zierlichen Frau darauf.

„Hat sich irgendwie richtig angefühlt heute in ihrer Nähe zu bleiben", flüstert Roxy, die meinem Blick gefolgt ist, während wir uns Stühle zurückschieben.

Faustia nickt mir zu, ein Pizzastück in der Hand und im Mund.

„Ihh!" Angewidert hebt Roxy den Deckel eines Pizzakartons an und schielt auf den Inhalt. „Welcher abnormale Mensch unter euch hat Pizza-Hawei bestellt?"

Faustia deutet auf Eric, immer noch mit vollem Mund. „Der", nuschelt sie, „aber jetzt ischt er gar nischts."

Es stimmt. Eric sitzt mit verschränkte Armen in seinem Stuhl, den Blick gen Himmel gerichtet. Nicolas ihm gegenüber sieht ähnlich aus. Ich kann die beiden verstehen. Im Gegensatz zu Faustia und Roxy ist mir der Appetit im Angesicht der kommenden Stunden gründlich vergangen. Ist wohl genau wie vor wichtigen Klassenarbeiten: Manche fangen an zu essen, wenn sie nervös sind, andere hören damit auf.

Alibimäßig kaue ich auf einem Stück Margarita herum, während Roxy und Faustia sich schon über die zweite Schachtel hermachen. So wie wir da sitzen, hätte man meinen können wir seien im Urlaub irgendwo im Süden. Schüler und Lehrer auf Studienfahrt, die gerade gemeinsam den Abend auf der Hotelterrasse am Pool ausklingen lassen. Die einzige, die nicht ganz ins Bild passt ist Demetras bewusstlose Gestalt im Hintergrund. Gut, mit viel Fantasie könnte sie vielleicht als römische Götterstatue durchgehen. Würde immer noch glaubhafter wirken als die Wahrheit: das Krisentreffen der Anführer einer uralten Institution am Vorabend einer Schlacht, die über die Zukunft der gesamten magischen Welt entscheiden konnte.

Obwohl weder Nicolas noch Eric etwas essen bleiben sie trotzdem da. Stillschweigend scheinen wir zur Übereinkunft gekommen zu sein, dass wir eine Nacht wie diese, trotz unserer vielen Unterschiede, lieber gemeinsam als allein verbringen wollen. Ich zumindest bin froh über die Anwesenheit der anderen. Allein der Gedanke einsam im Kollegium der Schatten auf Damons Ankunft zu warten löst in mir schon eine halbe Panikattacke aus.

Als Faustia und Roxy fertig sind schweigen wir nur noch, bis Nicolas irgendwann, die leeren Kartons vom Tisch fegt und eine Whiskyflasche an ihren Platz stellt.

„Kleine Spende von meinem Kollegium", verkündet er, während er Gläser dazustellt.

Eric hebt eine Braue. „Hast du Eleanors Bar geplündert?"

Nicolas zuckt nur mit den Schultern. „Wenn das hier die letzte Nacht meines Lebens ist, werde ich sicher kein Wasser trinken. Du?"

„Naja. Wenn du mich so fragst..."

Nicolas schenkt ein, jedem einen Schluck und reicht die Gläser an uns weiter. Über uns färbt sich der Himmel hinter der Glaskuppel allmählich dunkelorange. Golden, fast wie die Flüssigkeit in unseren Gläsern. Die Schatten der Oliven werden länger, kriechen bis vor unsere Füße und den Schein der Laternen, die über unseren Köpfen zwischen den Ästen baumeln.

„Also dann..." Nicolas hebt sein Glas. Von draußen dringt das leise Zirpen von Grillen und das Knistern ferner Lagerfeuer zu uns herein. „Meine Damen. Es war mir eine Ehre", sagt er und lehrt das halbe Glas in einem Zug.

Eric beäugt ihn schräg. „Du sprichst, als wären wir schon tot. Soll das die Moral heben?"

„Glaubt ihr, Damon macht sowas?" Faustia hat die Füße vor die Brust gezogen, als wolle sie sich in ihrem Korbstuhl absichtlich klein machen und mit den Pflanzen im Hintergrund verschmelzen. „Und töten, wenn wir verlieren?"

Roxy schnaubt. „' Türlich. Er wird ein Exempel statuieren."

„Ja, aber nicht an euch." Nicolas schwenkt den Rest seines Whiskeys im Glas. „Damon mag vieles sein, aber kein Sadist. Er tötet nicht aus Spaß, sondern aus Berechnung. Wenn er über Fabelreich herrschen will und irgendeine Akzeptanz bei der Bevölkerung erreichen will, kann er nicht einfach jeden umbringen, der mal auf der anderen Seite stand. Vor allem euch nicht. Hinrichtungen von Kindern kommen nie gut an. Und das seid ihr in seinen Augen. Verkleidete Kinder, aufgehetzt von Verrätern wie Eleanor und mir. Damon ist ein Pragmatiker. Er weiß, dass er nach außen hin mit Barmherzigkeit und Härte zugleich herrschen muss. Wenn wir verlieren und er euch in die Finger kriegt, wird er euch dreien erlauben in die Verbannung zu gehen, da bin ich mir sicher. Gnade für die irregeleiteten Kinder. Strafe für die erwachsenen Verräter." Er nickt in Erics Richtung und die beiden tauschen Blicke wie in grimmigem Einverständnis. „Mich hasst er ohnehin. Nicht so sehr wie Eleanor vielleicht, dafür war ich ihm immer zu unwichtig, aber genug, um seinen Zorn an mir auszulassen. Eric könnte noch ne Begnadigung kriegen, wenn er ihm die Treue schwört-"

„-vergiss es!" Eric schnaubt auf vor freudlosem Lachen. „Hätte zwar nie gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber: Lieber an deiner Seite sterben, als Damon dienen."

„Dann verlieren wir also besser nicht", sagt Roxy, trocken wie immer.

Daraufhin verfallen wir in Schweigen. Wir sitzen da und warten, unter dem Schein der Laternen, jeder mit seinem Glas in der Hand, die Gesichter im Schatten verborgen, zusammen und doch jeder für sich. Die Sonne versinkt und der Himmel nimmt einen verwässerten Blauton an, wie verschüttete Tinte.

Minute um Minute vergeht, bis das letzte Licht verschwunden ist. Nicht mehr lange jetzt und der Mond wird aufgehen.

Worauf wartet Damon?

„Was, wenn er gar nicht kommt?", fragt Faustia nach einer Zeit in die Stille. Es muss mehr als seine halbe Stunde vergangen sein, seit das letzte Mal jemand von uns gesprochen hat.

Niemand antwortet. Wir alle haben uns diese Frage in den letzten Tagen gestellt. Was, wenn Damon es gar nicht darauf anlegt, uns mit Gewalt zum Aufgeben zu zwingen. Was, wenn er ganz andere Pläne hat, die wir nicht durchschauen können? Schlupflöcher im Ritual oder Leute, die er schon vor Jahren bei uns eingeschmuggelt hat? Womöglich ist genau in diesem Moment ein Verräter unter uns. Zwar können nur Nicolas und ich durch die finalen Schutzkreise um die Kapelle in unserem Kollegium dringen, dafür haben wir gesorgt, aber uns auszuschalten wäre nicht sonderlich schwer, wenn man es an allem anderen vorbei geschafft hat. Wie viele loyale Wächter hat Damon an seiner Seite? Wer hätte es riskiert als Spion unter uns zu leben? In den letzten Wochen haben wir jeden Wächter, der helfen wollte durchleuchtet. Es kann einfach nicht sein, dass wir wieder einen Fehler gemacht haben.

Aber mit jeder Minute, die vergeht, zweifele ich mehr daran.

Schließlich hören wir es endlich. Das tiefe Brummen eines Horns in der Ferne.

Einen Moment lang sitzen wir alle nur da. Reglos, während um uns herum das Chaos ausbricht, als hätte sich mit einem Mal eine stundenlang gespannte Bogensehne gelöst.

Nicolas leert sein Whiskeyglas. Dann beugt er sich vor und stellt es auf den Tisch zurück, mit einem leisen Klong, das in der Stille des Gewächshauses hallt. Er hebt den Kopf, halb ernst, halb spöttisch lächelnd. „Damon ante Portas." 

Continua llegint

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