NOT this time [ONC]

By ananasdream

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Engagierte Lehrerin trifft auf Kein-Bock-Lehrer. 𑁍 𑁍 𑁍 Yuna liegt das Wohl ihrer Schüler sehr am Herzen... More

VORWORT
TRIGGERWARNUNG
1 - HASS IST PERSÖNLICH
2 - DIE BESSERE KLASSE
3 - SONNENSTRAHLEN
4 - ZWISCHEN BURNOUT UND KAFFEETRINKEN
5 - UNSICHTBARER FEIND
6 - NIEMALS ENDENDE GESCHICHTE
7 - EIN FREMDER ORT
8 - AUSSERHALB VON SCHULE
9 - ANREISE BEI REGEN
10 - NACHTKLARER HIMMEL
11 - TRÄNEN BEI NACHT
12 - MEIN RÜCKZUGSORT
13 - SCHLAFLOSE NÄCHTE
14 - DER ERSTE SCHRITT
15 - OFFENBARUNGEN
17 - BOTSCHAFT EINES FREMDEN
18 - EIN EINGEFRORENES JAHR
19 - PFLASTER FÜR MEINE SEELE
NACHWORT

16 - SCHWERE NORMALITÄT

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By ananasdream

𑁍 𑁍 𑁍

DIE Woche ist zu schnell vergangen. Sie sollte alles verändern und jetzt, wo der alltägliche Trott sich wieder eingebürgert hat, habe ich nicht das Gefühl, etwas bewirkt zu haben. In der Klasse existiert nach wie vor eine gewisse Rangordnung. Die coolen Schüler halten sich nicht mit den Strebern auf. Ob es je einen Jahrgang geben wird, wo sich alle ebenbürtig sind und respektiert werden?

Wenigstens hat der Tag etwas Gutes. Ich vertrete eine zweite Klasse in Deutsch und brauche mich nicht, mit dem trockenen Geschichtsunterricht in der 10a auseinandersetzen. Die Aufgabe darf Julian unternehmen, zumindest in der ersten Stunde. Leider übernehme ich später, weil unsere Konrektorin die Schüler gerne mit einer Doppelstunde Zweiter Weltkrieg quält. In der Grundschule verstreicht die Zeit so viel schneller. Selbst, wenn wir heute nur stumpf die Abschreibregeln besprochen haben. Sie hängen mit ihrem Kopf noch nicht halb bei der Abschlussfeier.

Im Studienseminar wurde uns immer gepredigt, mit einer aufrechten Haltung in die Klasse zu gehen. Unsere Motivation überträgt sich auf die der Schüler. Aber ehrlich, wenn du es hundertmal hochmotiviert versucht hast, bringt es das hunderterste Mal auch nicht. Wann darf ich endlich zu meinen liebsten Klassenstufen heimkehren? Mit gekrümmten Rücken schlendere ich den Flur entlang. Die Tasche baumelt mir über die Schultern, ein Satz langweiliger Kopien in der Hand. Sicher wirke ich schon wie jede andere Oberschulgeschichtslehrerin.

Mein Hoch ist automatisch verflogen, als ich den Klassenraum betrete. Julian hat die Sachen, die ich ihm für die Vertretung herausgesucht habe, vollkommen ignoriert und stattdessen mit seiner Klasse Deutsch gemacht. An der Tafel steht ein Textauszug, den sie am Interpretieren sind. Kaum dass sie mich bemerken, beginnt in der hinteren Reihe das Getuschel. Ich ziehe die Unruhe wohl magisch an.

Ich lege meine Tasche bedächtig neben dem Pult ab, verschränke die Hände vor der Brust und warte, bis Julian seinen Fehler bemerkt. Der eindringliche Blick bleibt nicht unbemerkt. Er hält in der Erklärung inne und sagt: »Den Rest besprechen wir dann in der nächsten Deutschstunde.«

Den Fehler sieht er nicht ein. Wie die Ruhe selbst packt er seinen Lehrerkalender ein. Die Kaffeetasse bleibt an seinem Platz stehen. »Willst du mich verarschen?«, fahre ich ihn an.

Anders als mir gelingt es Julian weniger leicht, zum Alltag zurückzukehren. Statt sich wie üblich grinsend zu verteidigen, zuckt er zusammen. Da ein paar Schüler uns aufmerksam mustern, senke ich meine Stimme. »Was glaubst du, wofür ich mir die Mühe mache und extra Aufgaben raussuche? Deine Klasse ist grottenschlecht in Geschichte. Ist nicht so, als könnten wir die Stunden beliebig verplempern.«

Er bleibt reglos auf der Stelle stehen. Fast gehe ich davon aus, dass er den Schwanz einzieht, obwohl er das für gewöhnlich nie in Erwägung zieht. Doch dann sammelt er sich und findet seine übliche Abwehrhaltung wieder. »Tja, ich bin nun mal kein Geschichtslehrer.«

Ich lache trocken auf. »Ach? Ich etwa? Ich bin nicht mal Oberschullehrerin. Not macht erfinderisch.«

»Du wirst es nicht glauben, aber meine Klasse ist nicht nur in Geschichte grottenschlecht. In Deutsch lernen wir noch weniger. Beschwere dich doch bei Regina, wenn du damit ein Problem hast.«

Ich sauge scharf die Luft ein. Ist das sein Ernst? Interpretiert er den Hinweis als Angriff? Hat er vergessen, dass wir ausgemacht haben, zur Normalität zurückzukehren? Vorgeben, zwischen uns hat sich nichts geändert? Irgendwie hat es das ja nicht. Das mit dem Vertretungsplan hat er wirklich verbockt. Stumm durch die Kraft meiner Gedanken versuche ich, ihm verstehen zu geben, dass diese Kleinigkeit nichts Übles ist. Hat er sich nicht auch absichtlich quergestellt?

Madita meldet sich vorbildlich und wird von Julian sogar noch drangenommen. An ihrem Grinsen erkenne ich jedoch, dass die Frage mit Unterricht nichts zu tun hat. »Bekommen Sie jetzt Ärger, Herr Schwab?«

Gekicher von überall. Julian ignoriert Maditas Frage verstimmt. »Treffen wir uns nach der Stunde?«, fragt er mich stattdessen. Ich nicke und er verlässt das Klassenzimmer. Alltag hat sich noch nie so schwer angefühlt.

𑁍 𑁍 𑁍

Da in Julians Klassenbuch nicht die aktuelle Woche eingetragen ist, fasse ich mich ans Herz und übernehme das zum ersten Mal für ihn. Zwar hätte er es durchaus in einer freien Minute seines Unterrichts erledigen können, aber wer weiß schon, wo er in letzter Zeit mit den Gedanken hängt. Möglicherweise ist das fertige Manuskript mit dem rasenden Polizisten nicht ansprechend genug.

Der letzte Schüler hat den Klassenraum verlassen. Ich schließe die Fenster und schalte die Tafel und den Elmo aus. Das ausgefüllte Klassenbuch stecke ich ein und warte darauf, dass Julian hier aufschlägt. Ich rechne zumindest damit, dass er zu mir kommt, denn Gott weiß, wo er gerade Unterricht hat. Nach fünf Minuten klopft es tatsächlich an der Tür, zaghaft, man könne meinen, es wäre ein Schüler. »Ja?«

»Hi.« Er hebt kurz die Hand. Dabei sieht er so verlegen aus, dass ich ihm die Sache mit der Vertretung nicht übelnehmen könnte – und richtig der Fall war es ohnehin nie. Ich lächele, um ihm das zu signalisieren. Er entspannt sich sofort.

»Ich bin echt schlecht darin. Einfach da weitermachen, wo wir aufgehört haben. Bis eben gerade habe ich ernsthaft befürchtet, du gehst zu Regina ins Büro.«

Und das kaufe ich ihm sogar ab, so angespannt wie er gewirkt hat. Ich schüttele belustigt den Kopf. »Nein, du hast schon Nervigeres verbockt und deshalb bin ich auch nicht petzen gegangen.« Ich erhebe mich vom Lehrerpult. »Und wie wird es sonst weitergehen? Wenn sich zwischen uns etwas ändert, werden alle anderen stutzig – und Junis soll, denke ich, keine falschen Schlüsse ziehen.«

Julian seufzt. »Das macht er ohnehin schon«, brummt er. »Wobei er eher die richtigen Schlüsse zieht. Er ist definitiv nicht auf den Kopf gefallen.«

Ich mustere ihn. Wovon spricht er? Julian bewegt sich ein Stückchen auf mich zu. »Es ist eh nicht zu übersehen, dass ... na ja ... du mich nicht kalt lässt.« Manchmal finde ich erstaunlich, wie selbstbewusst er vor der Klasse steht und andererseits jetzt so hilflos aussieht. Das zu sagen, hat ihm eine Menge abverlangt. Aus diesem Grund komme ich ihm auf halber Strecke entgegen. Ich lege die Hand auf seine breite Schulter. Unter meiner Handfläche spüre ich, wie sein Körper bebt. Wegen mir. Automatisch schießt mein eigener Puls dadurch in die Höhe. »Gut, denn mich lässt du auch nicht kalt.«

Er schluckt. Oh, verflucht! Bedränge ich ihn? Klar, wir haben uns geküsst und ich weiß von seinen Gefühlen mir gegenüber. Leider haben wir auch geklärt, dass das wegen Junis eine einmalige oder geheime Angelegenheit bleiben muss. Haben wir uns für eine Option entschieden?

»Also wegen Junis und so weiter-«, setze ich an, doch Julian fällt mir ins Wort.

»Ich glaube, am meisten stehe ich mir selbst im Weg. Alle anderen wollen nur, dass ich glücklich bin.«

»Und wärst du glücklich, wenn ich dich jetzt küssen würde?« Die Vorsicht in meiner Stimme lässt sich nicht abschalten. Ein Teil von mir denkt, nicht liebenswert genug zu sein.

Durch die radikale Typveränderung nach außen, das Färben meiner Haare, habe ich mir eingeredet, ein anderer Mensch zu sein. Ein Stückchen stimmt das womöglich, dennoch lassen sich manche Stimmen nie abstellen. Ich habe sie übertönt. Ob ich das jetzt ebenfalls schaffen werde?

Er streicht mir eine Strähne hinters Haar. »Der Glücklichste auf diesem Planeten.«

Der zweite Kuss ist anders. Jetzt wagt er den ersten Schritt. Wir näheren uns weniger stürmisch, dafür mit einer Vorsicht, die Hoffnung auf mehr macht. Unsere Lippen streifen sich zaghaft. Beim Ausharren voreinander bemerke ich, wie stoßweise seine Atmung ist. Die gemeinsame Luft, die wir ausatmen, mischt sich zu einer Energie, die es mir unmöglich macht, ihm länger fern zu bleiben. Ich drücke mich gegen ihn und intensiviere den Kuss. Seine Bartstoppeln verleihen auch diesem eine raue Note. Ich liebe es. Er schmeckt nach mehr – frische Minze und ... keine Ahnung. Ich liebe es. Wahrscheinlich könnte ich ihn für den Rest meines Lebens küssen.

Und würde ich dieses Mal vielleicht sogar, wenn da nicht diese Stimme wäre, die mich erinnert, dass wir hier in der Schule sind. »Papa, bist du hie-« Junis! Ich springe einen großen Schritt von ihm weg und stolpere dabei fast.

In Junis geweiteten Augen liegt purer Schock, der uns bestätigt, vergebens voneinander gewichen zu sein. Schuldbewusst wandert mein Blick zwischen beiden hin und her. Nachdem er die Situation vollständig erfasst hat, flüchtet Junis vor uns. Julian flucht, ehe er mich kommentarlos zurücklässt, um seinem Sohn nachzulaufen. Das hätte nicht passieren dürfen. Es ist viel zu früh. Verdammte Kanalratte!

Und dann gibt es da auch noch den hässlichen Teil in mir, der sich freut, weil es kein Geheimnis mehr zwischen uns ist. Natürlich! Das ist im Moment ja so wichtig! Mit verkrampften Handballen schnappe ich mir meine Tasche. Die Luft im Raum ist stickig – ich muss atmen. Einen klaren Kopf bekommen. Was die verblendete Gehirnhälfte nicht begreift, vielleicht war das gerade unser letzter Kuss.

𑁍 𑁍 𑁍

Julian Schwab

Ich erreiche ihn erst am Haupteingang, so schnell ist er vor mir geflüchtet. Er lehnt an der Mauer, den Kopf gen Himmel gerichtet. Mittlerweile sind der Zorn und das Entsetzen einer Gleichgültigkeit gewichen. Würde er rauchen, dann sicher in diesem Moment. Anscheinend habe ich ihn zu artig erzogen. Sein Gesicht hat er unter einer Kapuze versteckt. Er tippt auf seinem Handy herum und bearbeitet hartnäckig mit seiner Fußspitze den Boden.

»Tut mir leid«, murmele ich. Hoffentlich weiß er, für was genau ich mich entschuldige.

Er hebt kurz den Kopf. »Ich habe dir doch gesagt, dass es mir nichts ausmacht.« Scheinbar weiß er es nicht. Ist es nicht offensichtlich, dass ich bereue, ihn auf der Klassenfahrt eiskalt angelogen zu haben?

Seine gespielte Gleichgültigkeit kaufe ich ihm nicht ab. So schnell verflüchtigen sich Gefühle nicht. Außer, man hat gelernt, sie abzuschalten. »Tut mir leid, dass ich dich belogen habe, als du mich direkt danach gefragt hast. Das war scheiße von mir. Ich wollte es nur nicht überstürzen.«

Keine Ahnung, ob es daran liegt, dass ich Junis schon so früh bekommen habe, aber ich sehe uns manchmal eher als Freunde. Vielleicht weil ich mich der Vaterrolle nicht gewachsen fühle. Daher haben wir kaum Geheimnisse voreinander. Normalerweise vertraue ich ihm alles an. Leider funktioniert die Normalität seit Neustem nicht mehr so wie sonst.

»Vergibst du mir? Ich meine, wenn es dir lieber ist, dass wir uns nicht sehen, dann-«

Forsch fällt er mir ins Wort. »Nein, trefft euch, so oft ihr wollt! Wir geben uns gegenseitig unseren Freiraum, schon vergessen?«

Diese Worte habe ich an ihn gerichtet, weil er sich wegen mir bedrängt fühlte, als ich wissen wollte, warum Ben uns nicht mehr besucht. Damals habe ich es ernst gemeint. Keine Ahnung, ob er es genauso meint.

Seufzend sage ich: »Es ist nicht ideal, dass sie deine Klassenlehrerin ist, aber du sollst wissen, dass es mir ernst ist. Ich glaube, ich bin seit langer Zeit endlich mal wieder glücklich.«

Seine Mundwinkel zucken. »Das freut mich, Papa. Du verdienst das. Also bitte, werdet glücklich!« Seine Worte klingen aufrichtig. Damit fällt mir ein gigantischer Stein vom Herzen. Das ist ein Erfolg, oder? Wird jetzt alles gut werden? Glücklich bis ans Ende ihrer Tage? Leider liegt etwas auf meiner Brust, das von der Idealvorstellung nicht überzeugt ist. Vielleicht weil ich in der Vergangenheit schon einmal an diesem Punkt war und danach nur enttäuscht wurde.

𑁍 𑁍 𑁍

Letztes Update für heute. Morgen gibt es dann 3 Kapitel auf einmal, denn jetzt am Wochenende muss die Geschichte für den ONC fertig sein. Manche Ergebnisse passieren jetzt vielleicht etwas übereilt (darf die 4.000 ja nicht überschreiten), aber falls ihr eine Szene habt, die ihr gerne ausführlicher hättet, teilt mir das doch am Ende mit. Werde die Geschichte ja später noch etwas ausschmücken

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