Vom Fußballer, der über seine...

By leacsaint

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Nachdem der junge Fußball-Profi Jonatan Castberg, genannt Jonny, eine große Dummheit begangen hat, zieht es i... More

Vorwort
Widmung
I. Abseitsfalle
II. Heimspiel
III. Bananenflanke
IV. Aufsetzer
VI. Eigentor
VII. Dreierkette
VIII. Hawk-Eye
IX. Schwalbe
X. Capitano
XI. Strafstoß
XII. Halbzeit
XIII. Platzverweis
XIV. Pressing
XV. Sturm
XVI. Assist
XVII. Rudelbildung
XVIII. Übersteiger
XIX. Fallrückzieher
XX. Zuckerpass
XXI. Handschlag
XXII. Toraus
XXIII. Lucky Punch
XXIV. Endspiel
Nachwort

V. Manndeckung

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By leacsaint

Als ich am nächsten Morgen aufwache, gilt mein erster Gedanke weder dem Balken über meinem Bett, noch König Harald, der die Nacht erneut auf der Fensterbank verbracht hat und mich von dort aus herablassend anstarrt. Normalerweise fühle ich mich dadurch immer gestört, doch heute schenke ich ihm ausnahmsweise keine Beachtung. Stattdessen denke ich über meinen gestrigen Ausflug nach und darüber, dass ich zurzeit offensichtlich vom Pech verfolgt bin.

In Bergen leben über 270.000 Menschen. Damit ist es die zweitgrößte Kommune Norwegens und sicher kein kleines Dorf, in dem man zwangsläufig immer wieder den gleichen Leuten begegnet. Ich habe wirklich geglaubt, es wäre nichts dabei, einen kurzen Abstecher dorthin zu machen. Wie hätte ich denn auch ahnen sollen, dass ich von all den Menschen, die in dieser Stadt wohnen, ausgerechnet Lasse über den Weg laufen würde?

Lasse Elvik, zu Schulzeiten häufig nur „Streber" oder „Albino" genannt, ist einer meiner ältesten Freunde. Wir sind im selben Viertel aufgewachsen, haben schon als Kinder miteinander gespielt und die verrücktesten Sachen erlebt. Zusammen mit Rikard Haaland, dem Dritten im Bunde, waren wir jahrelang ein eingespieltes Team. Leider hat mein Karriereweg unserer Freundschaft nicht gutgetan. Nachdem ich unserer Heimat den Rücken gekehrt habe, ist der Kontakt zwischen uns immer weniger geworden.

Zuletzt habe ich es sogar regelrecht vermieden, an die beiden zu denken, um mich nicht mit meinem schlechten Gewissen auseinandersetzen zu müssen. Immerhin ist es in erster Linie meine Schuld, dass ich mit meinen ehemals besten Freunden heute kaum noch etwas zu tun habe. Das einzig Gute ist, dass es zwischen uns nie Streit gegeben hat. Es herrscht keine feindselige Stimmung – zum Glück, denn sonst würde Lasse mich garantiert nicht freiwillig in Knarvik besuchen kommen.

Gestern am Schalter haben wir nur kurz miteinander gesprochen. Auf seine neugierigen Fragen hin musste ich ihm erklären, dass ich momentan meine Großmutter besuche und ihn im selben Atemzug darum bitten, meine Anwesenheit nicht an die große Glocke zu hängen. Überraschenderweise hat Lasse nicht weiter nachgebohrt, sondern nur genickt und mir angeboten, heute vorbeizukommen, damit wir nach all der Zeit nochmal etwas gemeinsam unternehmen.

Ich habe zugestimmt, ohne großartig darüber nachzudenken. Inzwischen frage ich mich, ob das eine gute Idee war. Vermutlich eher nicht, aber was soll's. Lasse abzusagen, weil ich Angst habe, dass er die Wahrheit über meine Rückkehr herausfinden könnte, verbietet sich von selbst. Sonst ist er am Ende doch sauer auf mich und das möchte ich unter keinen Umständen riskieren. Dass die Öffentlichkeit mich hasst, reicht mir schon vollkommen.

Seufzend stehe ich auf, ziehe mich an und mache mich im Badezimmer fertig, ehe ich die Treppe runter ins Erdgeschoss trotte. Aus der Küche dringt ein verführerischer Duft, doch ich kann mir bereits denken, dass ich wieder einmal leer ausgehen werde. Und siehe da – ich behalte Recht.

Als ich die Küche betrete, sehe ich meine Oma am Herd stehen, wie sie summend ein Festmahl für die Katzen zubereitet. Auf meinem Platz finde ich hingegen einen einsamen Teller mit Fladenbrot und Rührei vor.

„Ist das alles?", frage ich etwas enttäuscht und werfe König Magnus, der schnurrend um Omas Beine streicht, einen neidischen Blick zu. Dieser rote Wischmopp weiß gar nicht, wie gut er es hat.

„Also bitte, Jonatan!", werde ich prompt von meiner Großmutter getadelt. „Willst du vielleicht noch einen Kuss und 'ne Umarmung? Setz dich hin und iss, bevor ich's mir anders überlege!"

Stumm tue ich, wie mir geheißen und fange an, mein Frühstück in mich reinzuschaufeln. Viel Zeit habe ich nicht, denn genau genommen bin ich jetzt schon zu spät dran. Pünktlichkeit war leider noch nie meine Stärke. Lasse weiß das zum Glück, wir kennen uns schließlich nicht erst seit gestern. Wegen ein paar Minuten Verspätung wird er mir sicher nicht den Hals umdrehen. Das hoffe ich zumindest.

Nachdem ich Eier und Brot in rekordverdächtigem Tempo verschlungen habe, räume ich meinen Teller weg und wende mich zum Gehen. „Ich treffe mich jetzt mit Lasse", eröffne ich Oma, die meine offensichtliche Eile mit hochgezogenen Brauen zur Kenntnis nimmt.

In dem Moment, als ich den Namen meines Freundes erwähne, glätten sich die Furchen auf ihrer Stirn jedoch. „Lasse?", wiederholt sie überrascht und gerührt zugleich. „Schön, dass ihr beide noch Kontakt habt, obwohl du so selten hier bist, Jonny. Zwischen euch hat ja früher schon kein Blatt gepasst!"

Sofort spüre ich, wie ich verräterisch rot werde. Ich muss ganz dringend los. „Bis später", sage ich hastig und sehe zu, dass ich schnellstmöglich hier rauskomme.

Wenige Augenblicke später fällt die Haustür hinter mir ins Schloss. Ein scharfer, eisiger Wind empfängt mich und treibt mir vereinzelte Schneeflocken um die Ohren. Der Himmel ist gleißend weiß, kein einziges Fleckchen Blau ist zu sehen. Eine Schar Möwen flattert kreischend in Richtung See, während ich meinen Kopf in den Nacken lege und gierig die salzige Luft einatme. Es ist kalt, aber das macht mir nichts aus.

Diesmal laufe ich zu Fuß ins Dorf, damit ich mich endlich nochmal bewege. Unser Treffpunkt ist die Knarvik kyrkje, eine moderne evangelische Holzkirche und so ziemlich die einzige Sehenswürdigkeit, die gelegentlich Touristen in unseren kleinen Ort lockt. Ich persönlich finde sie eher unspektakulär, doch sie ist zentral gelegen und jeder kennt sie – auch Lasse, weshalb ich ihn kurzerhand gebeten habe, dort auf mich zu warten.

Vielleicht hätte ich ihm gleich sagen sollen, dass es ein Weilchen länger dauern könnte. Schon von weitem sehe ich, wie er missbilligend auf seine Armbanduhr tippt und den Kopf schüttelt. Seine weißblonden Haare, die ihm neben „Albino" auch noch andere, ähnlich schmeichelhafte Spitznamen eingetragen haben, sind windzerzaust. Mit großen Schritten steuert er auf mich zu und mir wird schlagartig bewusst, dass ich nicht einmal eine gute Ausrede auf Lager habe.

Instinktiv öffne ich den Mund, um mich irgendwie rauszureden, aber Lasse ist schneller. „Junge, wo warst du die ganze Zeit?", blafft er mit einem vorwurfsvollen Unterton in der Stimme. „Ich steh hier seit 'ner Viertelstunde. Die Leute fragen schon, wie viel ich koste!"

Ich stutze und schaue mich um. Außer uns ist weit und breit niemand zu sehen. „Netter Versuch", erwidere ich deshalb trocken. „Tut mir leid, dass es länger gedauert hat. Ich musste noch kurz frühstücken."

„Kurz", wiederholt Lasse mit zuckenden Mundwinkeln – ein Zeichen dafür, dass er mir nicht länger böse ist. „Hat's denn wenigstens geschmeckt?"

„Super", antworte ich nicht ganz wahrheitsgemäß und nicke zur Straße hin. „Gehen wir ein Stück?"

Wie erwartet lässt er sich nicht lange bitten. Seite an Seite spazieren wir durchs Dorf und plaudern dabei zunächst über Dinge, die eigentlich eher nebensächlich sind. Das Wetter. Die Eier, die ich zum Frühstück verspeist habe. Lasses Mutter, die immer noch seine Klamotten wäscht, obwohl er schon seit geraumer Zeit nicht mehr bei ihr lebt, sondern in einem Studentenwohnheim. Es ist definitiv kein tiefgründiges Gespräch, doch zu meiner Überraschung fühlt es sich trotzdem so an, als wäre ich nie weggewesen.

„Was studierst du nochmal?", frage ich ihn irgendwann, weil mir plötzlich klar wird, dass ich das gar nicht mehr so genau weiß. „Naturwissenschaften, oder?"

Lasse seufzt, wobei er unauffällig die Augen verdreht. „Nautik, Jonny", korrigiert er mich und fügt altklug hinzu: „Knapp daneben ist auch vorbei!"

„Okay, du Streber", entgegne ich mit einem spöttischen Grinsen und weiche gekonnt einem Fußtritt seinerseits aus. „Macht's dir denn immer noch Spaß oder bereust du deine Entscheidung mittlerweile?"

„Überhaupt nicht." Entschieden schüttelt er den Kopf. „Das Einzige, was ich bereue, ist, dass ich kein Stipendium bekommen habe. Dann müsste ich jetzt nicht bei McSiff arbeiten und jeden Tag den Geruch von Fastfood inhalieren. Ich schwör's dir, sobald ich was anderes finde, bin ich da raus."

Verständlich. Obwohl mein Leben gerade alles andere als rund läuft, würde ich trotzdem nicht mit Lasse tauschen wollen. Als Student wäre ich wahrscheinlich komplett überfordert und bei McDonald's würde ich auch nicht arbeiten wollen, schon alleine wegen der schlechten Bezahlung. Umso dankbarer bin ich für meine sportlichen Fähigkeiten. Sie haben mir Möglichkeiten eröffnet, von denen andere nur träumen können. Und ich Dummkopf habe es versaut.

Inzwischen haben wir das Meer erreicht und spazieren am Kai entlang. Fasziniert beobachte ich die kleinen Wellen, die sich auf der dunklen Wasseroberfläche kräuseln und realisiere plötzlich, wie sehr ich diesen Anblick während meiner Zeit in London vermisst habe. Im Stadtteil Hackney gibt es keine größeren Gewässer – abgesehen von den modrigen Pfützen, die nach jedem größeren Regenschauer die Straßen sprenkeln und sie äußerst trostlos wirken lassen.

Irgendwann bleiben wir beide stehen und schauen schweigend aufs Meer hinaus. Solange, bis Lasse sich unvermittelt zu Wort meldet. „Weißt du, was ich mich schon die ganze Zeit frage, Jonny?", sagt er, ohne seinen Blick vom Wasser abzuwenden. „Wann du mir endlich erzählen wirst, wieso du wirklich hier bist."

Mein Herz setzt einen Schlag aus. „Ich, ähm ...", stottere ich wild drauflos, während sich meine Gedanken überschlagen. „Das hab ich doch schon längst. Es ist wegen meiner Oma. Sie hat mich vermisst und ..."

Lasse gibt ein spöttisches Lachen von sich. „Wen willst du eigentlich verarschen?", fragt er mich und klingt nun fast böse. „Seit deinem Wechsel warst du vielleicht zwei-, dreimal hier und das nur, weil deine Mutter sonst Randale gemacht hätte. Also, versuch gar nicht erst, dich rauszureden!"

Mit hängenden Schultern starre ich auf meine Schuhspitzen. Es hat wohl tatsächlich keinen Zweck, weiter zu lügen. Dennoch bringe ich es nicht über mich, ihm die Wahrheit anzuvertrauen. „Ich kann's dir nicht sagen", entgegne ich deshalb beschämt und schaffe es nicht einmal, ihn anzusehen.

Lasse schnaubt ungehalten. „Versteh ich", antwortet er zu meiner Überraschung. „Auf so eine Geschichte wäre ich an deiner Stelle auch nicht wirklich stolz."

In diesem Moment fällt mir alles aus dem Gesicht. „Wie bitte?", keuche ich und verschlucke mich beinahe an meinem eigenen Speichel. „Was meinst du damit? Heißt das, du weißt, dass ...?"

„Dass du was mit der Tochter deines Trainers hattest und ein Sex-Video von euch geleakt wurde?" So wie Lasse das sagt, klingt es, als wäre es keine große Sache. „Stell dir vor, Jonny, das habe ich auch schon mitbekommen. Manchmal ist Google echt hilfreich!"

Überraschung :D wer von euch hat es schon geahnt?


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