NOT this time [ONC]

Od ananasdream

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Engagierte Lehrerin trifft auf Kein-Bock-Lehrer. 𑁍 𑁍 𑁍 Yuna liegt das Wohl ihrer Schüler sehr am Herzen... Více

VORWORT
TRIGGERWARNUNG
1 - HASS IST PERSÖNLICH
2 - DIE BESSERE KLASSE
3 - SONNENSTRAHLEN
4 - ZWISCHEN BURNOUT UND KAFFEETRINKEN
5 - UNSICHTBARER FEIND
7 - EIN FREMDER ORT
8 - AUSSERHALB VON SCHULE
9 - ANREISE BEI REGEN
10 - NACHTKLARER HIMMEL
11 - TRÄNEN BEI NACHT
12 - MEIN RÜCKZUGSORT
13 - SCHLAFLOSE NÄCHTE
14 - DER ERSTE SCHRITT
15 - OFFENBARUNGEN
16 - SCHWERE NORMALITÄT
17 - BOTSCHAFT EINES FREMDEN
18 - EIN EINGEFRORENES JAHR
19 - PFLASTER FÜR MEINE SEELE
NACHWORT

6 - NIEMALS ENDENDE GESCHICHTE

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Od ananasdream

Julian Schwab

𑁍 𑁍 𑁍

ES gibt nur noch einen Ort, abgesehen von den Klassenräumen oben, an dem ich nicht nachgeguckt habe. Die inoffizielle Raucherecke, die von den Lehrkräften selten betreten wird, weil es mittlerweile die meisten begriffen haben, dass es verboten ist, sich dort aufzuhalten. Aber Junis raucht nicht, oder? Vielleicht auch schon und es gibt einen weiteren Punkt, in dem ich versagt habe.

Das Gras wuchs in diesem Teil der Schule besonders hoch. Es mischt sich mit Brennnesseln, Giersch und Löwenzahn. Ich sehe ihn, bevor er überhaupt den Kopf anhebt. Er sitzt mutterseelenallein auf dem Fenstersims der Hauswand unserer Umkleidekabinen. Auf seinem Schoß liegt ein Notizbuch, in das er vertieft hineinschreibt. So wie er da ausharrt, erinnert er mich an mein jüngeres Ich. Ob ich ihn warnen muss, dass er sich so nur von seinen Mitschülern distanziert und keine Freunde finden wird?

Andererseits verstehe ich, warum er flüchtet. Manchmal ertrage ich Menschen genauso wenig. Es ist befreiend, ab und zu ganz für sich zu sein. Nein, das, was er jetzt sicher nicht gebrauchen kann, ist jemand, der ihn in die Schranken weist. Deshalb setze ich mich stumm neben ihn. Er schreckt dabei so zusammen, dass ihm das Notizbuch fast runterfällt. Erst als er erkennt, wer sich da zu ihm gesetzt hat, entspannt er sich. »Papa! Du hast mich erschreckt.«

»Tut mir leid«, murmele ich, obwohl ich es nicht ernst meine. Schon im Vorschulalter habe ich es geliebt, Junis zu erschrecken. Jetzt, wo ich neben ihm sitze, schließt er das Notizbuch. Hätte ich an seiner Stelle genauso gemacht.

Er wirkt verlegen. Natürlich, weil er weiß, dass er sich an einem verbotenen Ort aufhält. »Ich, äh-«, stammelt er und deutet Richtung Schulhof, »gehe dann mal besser zurück auf den legalen Bereich.«

Ich winke ab. »Jetzt ist ja eine Aufsicht da.« Trotzdem hebe ich mahnend den Finger. »Sonst aber nicht. Dann hast du hier nichts zu suchen. Schreiben kannst du auf dem Schulhof oder in der Pausenhalle.«

Er nickt verstimmt. All die Jahre habe ich gelernt, seine Gedanken zu deuten. Für Junis spricht etwas total dagegen, dort zu schreiben. Ebenso schwer fällt es ihm scheinbar, Yuna im Klassenzimmer zu helfen. Ich weiß, dass er ansonsten zuverlässig seine Aufgaben erledigt, daher frage ich mich, ob es vielleicht an dem Jungen liegt, der ihm Gesellschaft leistet. Mika?

»Wie läuft es gerade so in deiner Klasse?«, frage ich daher an, bevor ich ihn an seine Aufgabe erinnere.

Seine Mundwinkel heben sich. »Gut, wieso?«

Weil du hier alleine sitzt und ich genau weiß, warum ich das damals gemacht habe.

»Nur so.« Blöde Antwort. »Das heißt, es interessiert mich, wie es gerade so aussieht. Und wenn was ist, kannst du immer zu mir kommen.«

Er senkt verlegen den Kopf. »Ich sitz hier nicht alleine, weil's mir in meiner Klasse nicht gut geht oder so. Manchmal brauche ich einfach Ruhe.«

Ich atme erleichtert aus. »Das kann ich verstehen.«

Eine Weile schweigen wir, doch dann heben sich seine Mundwinkel. »In meiner Klasse gibt es gerade eine Art Wettbewerb. Sie ist der Meinung, dass wir in der nächsten Arbeit einen besseren Klassenschnitt haben, als du mit deiner 10a.«

Auf wessen Mist diese Idee wohl gewachsen ist? Ich kann mir schwer vorstellen, dass das alleine von den Schülern ausgeht. Ich schmunzele. »Vermutlich gewinnt ihr sogar. In meiner Klasse schreibt keiner in Deutsch nur Einsen.«

Er errötet, weil er genau weiß, dass ich von ihm spreche. »Wir lernen aber auch wirklich Kinderkacke.«

»Junis!«

»Sorry, aber es stimmt. Frau Rodriguez kommt aus der Grundschule und das merkt man. Die Aufgaben haben kein Niveau. Und manche bekommen es trotzdem nicht hin.«

Ich vermute, dass Junis übertreibt. Wie ich Yuna kenne, wird sie das Kerncurriculum vor Unterrichtsantritt gründlich studiert haben und dafür gesorgt haben, dass der Stoff zur Klassenstufe passt.

»Wie dieser Mika? Solltest du deshalb mit ihm diese Pause drinnen verbringen?«, lenke ich das Gespräch langsam zum eigentlichen Thema.

Junis schaut mich verwirrt an. »Bitte was? Wer soll das gesagt haben?«

»Frau Rodriguez.«

Seine Stirn kräuselt sich. Eine Locke fällt ihm dabei ins Gesicht. Die Ähnlichkeit mit Larissa ist gerade unübersehbar. Das goldene Maronenbraun hat er von ihr – und die Wellen. Die weichen Gesichtszüge mit der schmalen Nase schreien förmlich ihren Namen. »Davon weiß ich aber nichts.« Das sagt er mit ziemlicher Überzeugung in der Stimme.

Seltsam. Einer von beiden scheint ganz schön vergesslich zu sein. »Wie auch immer. Die Pause ist eh gleich um.«

Er nickt. Ich halte ihm meine Hand hin, in die er zweimal von beiden Seiten einschlägt, ehe wir den Handschlag mit einem Aneinanderprallen unserer Fäuste besiegeln. So verabschieden wir uns schon seit dem ersten Tag im Kindergarten voneinander, als er mein Bein einfach nicht loslassen wollte. Es freut mich, dass das irgendwie unser Ding ist. Ich springe vom Fenster, um Junis allein zu lassen. Wir brauchen keine Worte, damit ich weiß, dass er nicht mit ihr zusammen zurück zum Schulhof schlendern wird. Ich vertraue ihm genug, dass es selbstständig nachkommen wird.

Ich habe mich schon weggedreht, da höre ich nochmal Junis Stimme. »Papa?«

Erwartungsvoll fange ich seinen Blick auf. Mir begegnet ein stummer Schrei nach Hilfe. Zumindest bilde ich mir ein, er erwarte, endlich gesehen zu werden. Fast rechne ich schon mit den folgenden Worten: »Bitte, kann es nicht öfter wie gerade eben sein? Warum bist du zuhause nie für mich da?« Doch die Angst, dass er mich in meiner miserablen Rolle als Vater bestätigt, verläuft ins Leere. Er lächelt schief und murmelt: »Ach, schon gut.«

Seine belegte Stimme geistert mir noch den gesamten Rückweg im Kopf herum. In seinem Leben läuft es nicht rund – und ich trage die Schuld daran. Warum nehme ich mir zu viel vor, wenn er doch meine einzige Priorität sein sollte? Alles nur wegen ihr! Sie lässt mich hoffen, dass in ihrer Klasse gemeines Verhalten unter Mitschülern nicht vorkommt. Miss Perfect hat schließlich vorweg jede Präventionsmaßnahme gegen Mobbing ausprobiert. Unverstellbar, dass sie auch nur ein Mensch ist, der versagt. Wir haben beide verloren, ausgerechnet bei Junis.

Hinter der Hauswand trete ich einmal kräftig die Wut auf mich selbst weg. Schmerzend spüre ich den großen Zeh in meinem Schuh pulsieren. Leider ahne ich ganz genau, wie Junis sich jetzt fühlt. Er fragt sich, ob er wichtig genug ist, damit irgendjemand seine inneren Qualen hört. Gleichzeitig ist es das Worst-Case-Szenario, wenn jemand davon erfährt. Er gibt vor, seine Pausen am liebsten abgeschieden zu verbringen, dabei wartet er darauf, von seinen Mitschülern die Berechtigung zu erhalten, zukünftig bei ihnen zu verweilen. Leider wird sie nie kommen.

»Was hat die Wand dir getan?« Ihre Stimme ist plötzlich unmittelbar neben mir. Ich schrecke zusammen. Mit Yuna habe ich hier nicht gerechnet. Wer führt jetzt Aufsicht auf dem Schulhof? Blieb das wieder alles bei mir hängen, wenn etwas passiert? Ich mustere mit einem finsteren Blick, damit sie sich ihres Fehlers bewusst wird.

Sie hebt beschwichtigend die Hände. »Warum frage ich überhaupt?«

Die Art wie sie die Arme vor der Brust verschränkt, gibt mir das Gefühl, ich habe etwas verbrochen. Denn sie macht nie Fehler und will nur helfen. Ich frage mich, ob ich ihr von der Vermutung erzählen soll, dass es Junis in der Schule nicht gut geht. Wird sie mich ehrlich unterstützen oder mutiert sie zu einer zweiten Frau Seifert? Letzteres halte ich für wahrscheinlicher. Das, was angerichtet ist, biegen wir nicht wieder gerade.

»Solltest du nicht Aufsicht führen?«, erinnere ich sie.

Sie verdreht genervt die Augen. Untypisch für unsere Streberin, die normalerweise von blanker Panik erfüllt ist beim bloßen Gedanken, ihre Pflicht zu vernachlässigen.

»Sagt der Richtige. Die Pause ist in zwei Minuten eh um«, brummt sie. Nimmt sie an, nur weil sie mich vertritt, darf sie sich jetzt an mir ein Vorbild nehmen? Hoffentlich nicht.

»Hast du Junis gefunden?«, erkundigt sie sich vorsichtig. Ich schüttele den Kopf. Nicht, dass sie ihm eine Strafarbeit auferlegt, wenn ich erzähle, ihn in der Raucherecke getroffen zu haben. Das, was er jetzt braucht, ist Zuspruch und keine Bestrafungen.

Sie seufzt laut auf und greift dann in die Tasche ihrer luftigen Leinenhose. Dort drinnen befindet sich ein zusammengefalteter A4-Zettel. Sie reicht ihn mir mit den Worten: »Junis versteckt sich – wegen dem, was hier drin steht.«

Schnell entfalte ich ihn. Hier hat jemand ein Cluster mit allen Schülern der 7b erstellt. Dort ist aufgeführt, was die Zukunft mit sich bringt – ob sie heiraten werden. Laut diesem Verfasser wird mein Sohn irgendwann sein Notizbuch ehelichen. Er kann sich mit dem Schicksal noch recht glücklich schätzen. Sie sind perfekte Begleiter und das Wichtigste – sie fertigen keine dämlichen, verletzenden Cluster an. In mir steigt das Bedürfnis auf, das Papier einmal in der Mitte zu zerreißen.

Dann weiß Yuna also über die Schikanen Bescheid. Jetzt wird sie wahrscheinlich alle potenziellen Verdächtigen ihrer Klasse zusammentrommeln, um sie zu warnen, Junis ja kein Haar zu krümmen. Scheiße, das muss ich verhindern!

Ich zucke die Schultern. »Ihm geht es gut. Er versteht sich hervorragend mit Ben.«

Diese Erwiderung bringt sie fast vom Glauben ab. Sie schnaubt verächtlich auf, mustert mich, als wäre ich ein Monster. Bei meiner Reaktion verdenke ich es ihr nicht. Aber wenn ich dadurch Junis vor Schlimmerem bewahre, nehme ich gerne in Kauf, von anderen herzlos wahrgenommen zu werden. Sie reißt mir das Papier aus der Hand. »Er läuft wegen seiner Mitschüler aus dem Unterricht, wird als sonderbar betitelt, nimmt kaum noch an seinem Lieblingsfach teil – aber klar, natürlich, es geht ihm gut, Vater des Jahres.«

Ich beiße mir auf die Lippe. Sie ist bereits zu überzeugt davon, welche Position Junis in der Klasse hat, es ist sinnlos, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Dann werde ich es auf andere Weise versuchen. Ich schaue auf die Uhr. Die Zeit reicht nicht mehr.

»Mir egal, was du von mir hältst. Aber es geht hier um Junis, daher bitte ich dich, nichts zu unternehmen, bis wir uns heute Nachmittag nach der Schule über die Situation unterhalten haben«, appelliere ich an ihre Vernunft. Die Eindringlichkeit in meiner Stimme bremst sie etwas aus. Statt weiterhin aus ihrer Haut zu fahren, starrt sie mich entgeistert an. Was denkt sie denn? Dass mir Junis Schicksal am Arsch vorbeigeht? Die Rolle des ignoranten Vaters hat sie mir auf der anderen Seite sofort abgekauft. Frechheit!

»Du willst mit mir darüber reden?«, fragt sie verblüfft nach. Ich beiße meine Zähne zusammen. Warum ist das so abwegig? Steht mir auf der Stirn: Bekommt nichts gebacken?

»Wenn es dir keine Umstände bereitet, mit jemanden wie mir darüber zu reden«, werfe ich mit bebender Unterlippe ein.

Ihre Augenbrauen heben sich. »Jemand wie du?« Sie ist verdutzt und tut unschuldig, als würde sie mich nicht für den größten Versager halten. »Ich würde mich freuen, wenn du dich bereit erklärst, etwas gegen Mobbing zu unternehmen. Egal wie.« Die Art, wie sie ihre Worte betont, treibt mich dezent in den Wahnsinn. Sie spielt sicher auf den Vorfall an, der sich vor kurzem in meiner Klasse ereignet hat. Dabei bin ich voll auf Matteos Seite.

»Wie auch immer. Versprich mir nur, dass du vorher nichts unternimmst«, bitte ich.

»Wenn du mir versprichst, das Mobbing in deiner Klasse ernst zu nehmen.« Mit zusammengekniffenen Augen mustert sie mich. Ich unterdrücke den Drang, laut loszuschreien, dass mir das alles sehr wohl nahe geht, bremse mich aber im richtigen Moment.

»Abgemacht«, murmele ich. Wären die letzten Wochen nicht so angespannt zwischen uns gewesen, hätte ich ihr jetzt vermutlich zur Besiegelung meine Hand gereicht. Sie dreht sich kommentarlos von mir weg, um den Schülern wieder ihre Aufmerksamkeit zu schenken.

Ich frage mich, was das Gespräch mit ihr bewirkt. Mobbing ist eine nie enden wollende Geschichte. Was können zwei einzelne Individuen schon gegen das Fehlverhalten zweier ganzer Klassen ausrichten? Die Antwort lautet wahrscheinlich: nichts. Doch selbst wenn es danach schreit, dass diese Story kein annehmbares Ende nimmt, würde ich für Junis alles versuchen. Yuna treibt mich zwar ab und zu in den Wahnsinn, aber sie ist mein letzter Funke Hoffnung. Also werde ich ihn entzünden und hoffen, Teil von Disney zu sein, statt von der bitteren Realität.

Ich schaue ihr nach, wie sie zielstrebig einer Vision hinterherrennt – der einer besseren Schule. So sehr ich mir wünsche, dass dies wahr wird, trotzdem weiß ich, dass wir nur Sandkörner auf einem gigantischen Planeten sind. Yuna verlässt mich, als sei sie ein verdammter Sandsturm und kommt damit sogar durch, weil mir keine andere Wahl bleibt. Für Junis muss ich kämpfen.

𑁍 𑁍 𑁍

Ich werde mal mit offenen Karten spielen. Wer sich von diesem Buch nur „Friede-Freude-Eierkuchen" erhofft, ist hier leider an der falschen Adresse. In diesem Buch geht es um Mobbing und würde ich das verharmlost beschreiben, würde sich das falsch anfühlen. Das bedeutet nicht, das es in diesem Buch keine schönen Momente oder ein Happy End geben kann. Ich möchte nur, dass ihr wisst, was euch hier erwartet. <3 Der Titel ist ja doch recht optimistisch.

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