"Nun meine Damen und Herren, Ms. Jennings hat mich dazu angeheizt Ms. Jameson eine Extraaufgabe zu geben, damit sie in meinem Unterricht nicht durchfällt, irgendwelche Vorschläge was die Werte Dame machen könnte?" begann Mr. Miller den Musikunterricht.
Er hatte noch nicht einmal seine Tasche auf seinen Tisch gelegt und hat mich jetzt schon auf den Kicker. Das war ein neuer Rekord.
"Ich hab doch gesagt, er hasst mich!" murmelte ich zu Oliver rüber, welcher rechts neben mir saß und sich gerade ein Lachen hinter seiner Hand krampfhaft verkneifte.
In der Klasse gingen sofort einige Hände nach oben und eine Idee war dämlicher als die andere. Der erste Vollidiot wollte, dass ich mein Oberteil ausziehe, da sind John und Oliver gleich wütend aufgesprungen und wollten dem Typen eine verpassen. Han und Adi schafften es aber beide zu beruhigen, während ich mir wünschte, dass sich der Boden auftut.
Der zweite Arsch wollte, dass ich einen Moonwalk aufführte, was der Lehrer ablehnte. Gott sei Dank, denn ich hatte zwei linke Füße.
Das ging dann eine Weile so weiter, bis Mr. Miller dann auch die Nase voll hatte: "Such dir ein Instrument aus diesem Raum aus und spiel uns etwas vor!"
Sofort begann es im ganzem Raum zu flüstern.
"Leise!" unterbindete Mr. Miller das flüstern "Ihr habt nun seit Wochen an einem Instrument mehrere Melodien geübt, dass dürfte für die hochbegabte Ms. Jamesson dann kein Problem mehr darstellen!" spottete er und sah mich mit verschränkten Armen an.
Ich sah zu Oliver, welcher mir nur aufmunternd zu nickte. Seuftzend stand ich auf und sah mich erst um. Spontan ging ich zum Klavier in der Mitte des Raumes und begann die ersten Noten zu spielen. Alle, bis auf meine Freunde schienen überrascht, dass es nicht grauenvoll klang und keine der Melodien war die wir im Unterricht geübt hatten.
Erst unbewusst spielte ich einen Song und begann schließlich sogar zu singen (siehe oben). Nach einander kamen alle erstaunt auf mich zu und versammelten sich um das Klavier. Ich sah wie meine Freunde mich begeistert anlächelten und wie Holden, James, Leslie und Nate mit offenem Mund mich anstarrten.
Ich hingegen genoss das Gefühl der Musik einfach und ließ mich davon treiben.
"Well, you almost had me fooled
Told me that I was nothing without you
Oh, but after everything you've done
I can thank you for how strong I have become
'Cause you brought the flames and you put me through hell
I had to learn how to fight for myself
And we both know all the truth I could tell
I'll just say this is "I wish you farewell""
Es ist eins meiner Lieblingslieder. Irgendwann fixierte ich James, so lange bis ich mich wieder nur darauf konzentrieren konnte wie gut es sich anfühlte nach fast einem Jahr wieder Klavier zu spielen.
Adi und Han stützten sich auf den Flügel ab und sahen mich verträumt an, während ich immer weiter sang und spielte. Und man... der Lehrer machte vielleicht Augen als ich den höchsten Ton sang.
Nach meinem Auftritt verging der Unterricht ziemlich schnell. Das war die erste Musikstunde in der mich Mr. Miller mal in Ruhe gelassen hat. Dementsprechend war die Stunde auch sehr schnell zu ende und in der Pause setzten sich Leslie und Holden, Nate, sogar James zu uns. Letzteren versuchte ich jedoch so gut es ging zu ignorieren.
"Ich hatte total vergessen wie sehr ich die Musik vermisst habe." sagte ich, als das Thema wieder aufkam.
Oliver lachte: "Eigentlich dachte ich, du würdest als erstes nach jedem Umzug nach einem Musikladen suchen."
Ich zuckte mit den Schultern: "Habe ich ja auch" ich schluckte "bis... bis vor einem Jahr."
Damit war unsere Stimmung auch wieder am Tiefpunkt. Holden, Nate, James und Leslie verstanden nicht ganz was los ist, aber bevor sie fragten räusperte Han sich schnell.
"Ist jetzt ja auch nicht so wichtig." meinte Han und ich erinnerte mich daran zurück wie ich das erste Mal lernte ein Instrument zu spielen.
"Woran denkst du?" riss mich Adi sanft wieder aus der Erinnerung.
"Eylül Cengiz." antwortete ich leicht lächelnd.
"Wer?" fragten James und Holden, während Nate und Leslie beschäftigt waren sich anzustarren. Die beiden würden wirklich ein süßes Paar abgeben. Ich hoffe es kommt bald dazu. Leslie würde sich mega freuen und wir anderen müssten nicht mehr das ganze gegaffe der beiden mitansehen.
"Die Frau die dir Musikunterricht gegeben hat?" erinnerte sich John wage.
Ich nickte: "Ja, ich frage mich, ob sie hier noch immer in der Stadt wohnt und nicht nur sie, sondern auch ihr Vater und die zwei Jungs."
"Sieh doch nach."
"Von wem sprecht ihr?" fragte Holden wieder.
Kurz irritiert sah ich ihn an: "Eh, ich habe eine Weile bei ihr gelebt." winkte ich ab "Glaubt ihr sie würden sich an mich erinnern?" fragte ich meine Freunde.
Bevor diese jedoch antworten konnte funkte James dazwischen: "Was heißt gelebt, du hast nie bei irgendjemand anderes gelebt."
"Doch, habe ich!" erwiderte ich hart und musterte ihn, doch stockte als ich seinen leeren Blick sah "oh man, du... du kannst dich wirklich nicht mehr daran erinnern oder?"
"Woran?" zischte James.
Unschlüssig sah ich zu meinen Freunden und dann wieder zurück zu James: "Erinnerst du dich noch wie ich in der ersten Klasse sitzengeblieben bin?" fing ich an.
"Ja, Mum und Dad sind ausgeflippt." meinte er und ich sah wie er sich allen ernstes ein Lächeln verkneifen musste.
"Mum und Dad haben sich zwei Tage durchgängig gestritten, bis Mum dich mitten in der Nacht gepackt hat und mit dir verschwunden ist. Mich hat sie mit Dad alleine gelassen, zumindest so lange, bis er dann auch abgehauen ist." erzählte ich.
"Was?" fragte James und sah mich mit weitaufgerissenen Augen an, genau wie Leslie, Nate und Holden „Ich-"
"Du erinnerst dich nicht?" fragte ich und lachte "Natürlich nicht, du erinnerst dich ja auch nur an das was du willst."
„Was ist passiert?" fragte Holden einfühlsam.
Ich zuckte mit den Schultern: „Ich weiß noch wie Dad mir, nachdem Mum und James verschwunden sind, gesagt hat, dass ich in mein Zimmer gehen soll oder naja, viel mehr hat er mich angebrüllt." korrigierte ich mich selbst und versank selbst Stück für Stück in meinen Erinnerungen. Ich hatte damals richtige Angst vor ihm bekommen. Schnell schüttelte dich den Gedanken wieder ab. „Jedenfalls bin ich bis zum nächsten Morgen in meinem Zimmer gewesen, so lange bis mein Hunger schließlich überhand nahm. Ich ging runter und da... war dann niemand. Ich hab das Haus zwei Mal abgesucht und hatte immer mehr fürchterliche Angst. Ich war gerade mal sechs und das erste Mal alleine zuhause. Am Anfang habe ich ja noch gehofft Dad würde wieder kommen, aber irgendwann war ich drei Tage alleine gewesen." erzählte ich und erinnerte mich an das kleine Mädchen das ich damals war und Tag und Nacht sich in einer Ecke verkrochen hat, aus Angst vor irgendwelchen Monstern.
„Ich bin kein einziges Mal rausgegangen, weil ich befürchtete ich würde dann verpassen wie einer von euch nachhause kommen würde, aber... es kam niemand. In diesen drei Tagen habe ich nur Brot gegessen. Ich mein, ich war ein Kind, ich konnte nichts anderes. Doch irgendwann war das Brot leer. Wir hatten auch keine Eier mehr, nichts was ich hätte noch essen können, also habe ich nach einem weiteren halben Tag das Haus nach etwas Geld abgesucht. Schließlich habe ich sogar 1 Dollar gefunden, nun ich war sechs, daher war das, dachte ich, genug Geld für Brot, Eier und etwas Milch. Als ich rausgehen wollte merkte ich wie dunkel es schon geworden war und beschloss am nächsten Morgen los zu gehen. Ich hatte immerhin eine heiden Angst vor der Dunkelheit damals, ein weiteres großes Problem als ich alleine war. Am nächsten Tag, im Laden ging ich mit Brot, Eiern und Milch an die Kasse. Ich erinnere mich noch wie die Kassiererin fragte, wo denn meine Eltern seien. Ich wusste nicht was ich sagen sollte, also meinte ich einfach sie wären zuhause und warten auf mich. Natürlich hat der eine Dollar den ich bei mir gehabt habe nicht für meinen Einkauf gereicht. Ich habe angefangen zu weinen, weil ich nun wirklich panik bekommen habe, da kam dann eine andere Kundin auf mich zu, tröstete mich und bezahlte sogar für mich. Sie brachte mich nachhause, aber leider war ich nun mal ein Kind und hatte den Hausschlüssel vergessen mitzunehmen. Ich hatte mich ausgesperrt." während ich erzählte begann Leslie Nate's Hand zu halten und hatte sogar ein paar Tränen in den Augen, weder zu Holden noch zu James wagte ich es zu sehen.
„Notdürftig bin ich in unseren Garten geklätert und habe versucht die Tür dort aufzumachen, vergeblich. Ich hab dort einen ganzen Tag und die ganze Nacht, alleine und halb am erfrieren im Garten verbracht.
Die nette Frau vom Tag zu vor war Musiklehrerin und unterrichtete unser Nachbarskind. Vom Fenster aus sah sie mich und kam nach ihrem Unterricht auch zu mir. Ich brach total zusammen. Weinend erklärte ich ihr was passiert sei, aber flehte sie an meinen Eltern keine Schwierigkeiten zu bereiten, was sie auch nicht tat. Stattdessen nahm sie mich mit zu sich nachhause und behielt mich dort, bis Mum und Dad mich irgendwann von dort entrissen. Diese Frau hieß Eylül Cengiz." nun begann ich zu lächeln. „Sie hatte zwei Söhne, die wie Brüder für mich waren. Ihr Mann war bei der Army, ihre Mutter war verstorben, aber ihr Vater lebte bei ihnen zuhause. Es war immer ein totales Durcheinander. Eylül war es dann auch die mir das erste Instrument beigebracht hat."
Alle, bis auf meine Freunde die davon schon wussten, sahen mich bis auf die Knochen geschockt und mitleidig an. Oliver griff lediglich mitfühlend nach meiner Hand, während Adi mir über den Rücken strich und Han und John mich aufmunternd anlächelten. Mir war das etwas peinlich, also schüttelte ich die Hände ab und begann einfach weiter zu essen.
"Warum wusste ich nichts davon?" hauchte James erdrückt und ich schaute wieder auf.
Emotionslos sah ich ihn an: "Wann hast du mir denn jemals geglaubt?" warf ich ihm vor.
"Wie lange hast du bei ihr gelebt?" fragte Holden vorsichtig.
Ich zuckte mit den Schultern: "Mindestens elf Monate, wahrscheinlich etwas länger."
"ELF Monate?!" wiederholte er geschockt.
Ich nickte wieder: "Ja, nach den Sommerferien hat sie mich sogar jeden Tag in die Schule gebracht." ich begann erneut zu lächeln "Und sie war total begeistert, als ich sie fragte, ob sie mir beibringen könnte Geige zu spielen, weil ihre Söhne schrecklich unmusikalisch waren. Aber Eylül konnte einfach atemberaubend gut spielen."
Kurz war alles Still.
"Sie war meine Rettung. Gott weiß was passiert wäre, wenn sie nicht da gewesen wäre." Meinte ich.
"Oh fang das gar nicht erst an. So etwas will ich nicht hören!" meinte Han laut und hielt sich demonstrativ die Ohren zu.
Ich musste lachen: "Ist ja gut." kapitulierte ich mit erhobenen Händen "Trotzdem würde ich sie wirklich liebend gern wiedersehen."
"Moment, moment" mischte Leslie wieder mit „habe ich das richtig verstanden? Deine Eltern haben dich einfach so mit gerade mal sechs Jahren alleine gelassen, für über elf Monate und ohne irgendwelches Geld oder jemanden der auf dich aufpasst?" fasste Leslie knapp zusammen, woraufhin ich nickte.
"Wieso hat denn niemand das Jugendamt gerufen?!" schrie sie uns an.
"Ich wollte es nicht. Ich hatte angst ins Waisenhaus zu kommen und ich wollte auch nicht meine Eltern oder James damals verletzen." erklärte ich ihr.
Sie sah mich bloß mit offenem Mund und verständnislosen Augen an. Ich zuckte mit den Schultern: "Ich wollte sie beschützen."
"Das ist aber nicht deine Aufgabe gewesen." meinte schließlich auch Holden und klang gar nicht mehr wie der Babdboy der er eigentlich war.
"Das weiß ich jetzt auch, aber damals nicht. Ich war einfach ein Kind und Eylül hat alles gemacht damit es mir besser ging. Gott... wir hatten wirklich ein paar echt fiese Streits. Einmal bin ich abgehauen, als sie das Jugendamt rufen wollte. Danach hat sie es nie wieder versucht. Und als meine Eltern wieder da waren, war es eh zu spät. Wer hätte uns dann noch geglaubt?"
Sie sahen mich nun alle mitleidig an, nur James schien es nicht mal mehr zu wagen mir in die Augen zu sehen. Das war schon das zweite Mal in den letzten Wochen.
"Spielt jetzt auch keine Rolle mehr. Ich mein, es war definitiv kein schönes Erlebnis, aber das hat mich auf die darauffolgenden Jahre vorbereitet. Schließlich wurde es nicht besser, ich wurde nur älter und klüger." Meinte ich mit gehobener Stimme und wollte das Thema endlich abschließen.
„Wie, es wurde nicht besser?" fragte Holden alarmiert.
Erst schweigend sah ich ihn an, aber mein Blick schwängte dann rüber zu James: „Normalerweise würd ich ja sagen, frag deinen Freund, aber er könnte dir vermutlich nicht einmal sagen wann ich Geburtstag habe." sagte ich und stand auf "Wie dem auch sei, ich muss in die Bibliothek."
"Das meinst du doch nicht ernst?" fragte Leslie entsetzt.
"Und wie ich das ernst meine, ich muss mein Wissen über die Templer auffrischen." meinte ich todernst, verabschiedete ich mich und ging.
Meine Freunde folgten mir mit der Begründung nicht mit den Anderen allein sein zu wollen.
"Das klingt nach Kopfschmerzen für dich." sagte John schließlich schadenfroh.
Beleidigt streckte ich ihm die Zunge aus.