Twos - Ein Märchen von Sommer...

By MaraPaulie

3K 253 91

Als die Herrscher Twos verliessen, kein Ende nahm das Blutvergiessen. Wohin kein Blick der Spinne fällt, ihr... More

Prolog
Kapitel 1 - Es war einmal...
Kapitel 2 - Von Wahnsinn...
Kapitel 3 - ... und Zorn
Kapitel 4 - Buntes Blut
Kapitel 5 - Die Herrscher der Hamronie
Kapitel 6 - Schicksalsfäden
Kapitel 7 - Der Sommermacher
Kapitel 8 - Die Hochburg der Rebellen
Kapitel 9 - Das Attentat von LaRuh
Kapitel 10 - Hüter und Homunculus
Kapitel 11 - Die Last des Schicksals
Kapitel 12 - Tanz der Vampire
Kapitel 13 - Die Verlorenen
Kapitel 15 - Wunschhandel
Kapitel 16 - Kaitous Winde
Kapitel 17 - Die Schlacht um Aramesia
Kapitel 18 - Lupus memoria
Kapitel 19 - Dom Askur
Kapitel 20 - Das verkaufte Schicksal
Charakterverzeichnis
Götterverzeichnis
Die Prophezeiung von Sommer und Winter

Kapitel 14 - Klyuss' Kind

121 8 4
By MaraPaulie

Erneut der Hüter beides ist, Patron und Paladin, ewiger Zwist.
Des Herrschers vorsichtiger Lehrer, ist ein andrer gar ein Fehler?
Das Träumen ein Geschenk der Spinne, reise, wohin du hast im Sinne.
Bei Klyuss Kind auf hoher See, findet die Zarin Schlüssel und Fee.

~Sabrina~
Nihil

Gestern war sie auf blauem Gras gelandet, heute erwachte sie auf schwarzem Sand.

Augenblicklich durchfuhr sie lähmende Furcht. ›Nicht schon wieder!‹ Sie raffte sich auf und blickte sich um, doch da war nur die endlose, düstere Wüste – immerhin keine Monster. Mit Unbehagen stellte sie jedoch fest, dass über ihr ein grosser Mottenschwarm flatterte...

»Das Träumen ein Geschenk der Spinne, reise, wohin du hast im Sinne.«

Vor Schreck entwich Sabrina ein Schrei, doch als sie sich umdrehte, stand da nur ein kleines, dunkelhäutiges Mädchen.

»Mondkind?!«, rief sie entsetzt, als sie ihre Cousine nur ein paar Schritte weiter im Sand spielen sah. »W-was machst du denn hier?«

Ihre Cousine hielt inne und sah auf. - Mit tief violetten Augen, ohne Pupillen.

Sabrina schnappte nach Luft und wich zurück. »W-was ist mit deinen Augen?!«

Das Kleinkind schob die Unterlippe vor, als würde es die Frage nicht verstehen. »Warum?«

Nun, da Sabrina sie ohne ihre Augenbinde sah, fiel ihr nebst der seltsamen Iriden noch etwas anderes auf: Dieses runde Gesicht, die weit auseinanderstehenden, mandelförmigen Augen... Es schien, als wäre die Kleine nicht einfach nur an den Augen erkrankt. In diesem Traum hatte sie das Down-Syndrom.

Langsam trat Sabrina näher an ihre Cousine heran und setzte sich neben sie. »Das ist seltsam. Ich träume eigentlich nie von Leuten, die ich kenne, wenn ich hier bin.« Sie hob die Hand an ihren Hals, wo der Anhänger des Traumfängers ihr bisher gute Dienste geleistet hatte, doch ihre Finger tasteten vergebens. Der Anhänger war weg. Wie hatte sie ihn verlieren und es nicht bemerken können?

»Aber ich bin doch hier!«, meinte ihre Cousine und blinzelte sie bind an. »Das hier ist kein normaler Traum. Das hier ist Nihil!«

Sabrina runzelte die Stirn. »Nihil? Was ist das?«

Die Kleine jauchzte munter und liess sich den schwarzen Sand durch die Patschehändchen rinnen. »Es ist das Nichts, die Welt des Traumgottes Revell.«

Am liebsten hätte Sabrina den Kopf in die nächste Düne gesteckt. All die Jahre über war sie im Schlaf in der Welt eines twosischen Gottes festgehangen? »Das ist alles ein Albtraum, der nicht aufhören will«, fluchte sie und trat in den Sand, sodass er nach allen Seiten spritzte. »Wenn es stimmt, was du sagst und wir uns wirklich im Nichts, diesem Nihil, befinden«, hakte sie dann weiter nach, »wie sind wir dann hierher gekommen?«

Wieder kicherte die Kleine. »Wir träumen!«

Sabrina schüttelte den Kopf. »Man kann sich ins Nichts träumen?«

»Natürlich, wir sind doch Traumwandler!« Sie verdrehte die Amethystaugen. »Eigentlich könnten wir überall hin. Die anderen sagen, dass alles eine Frage von Wille und Zielorientierung ist. Man muss seinen Verstand leeren, bis nichts anderes mehr da ist, als der Gedanke an den Ort, wohin man will; dann träumt man sich dorthin. Wir könnten selbst die kleinsten Welten besuchen, aber die anderen haben gesagt, ich sollte das nicht versuchen, weil das gefährlich ist.«

Sie blinzelte verwirrt. »Die anderen? Meinst du die Verlorenen? Weisst du all diese Dinge von ihnen?«

Mondkind kringelte sich vor Lachen. »Neeeeein«, sagte sie gedehnt, als sie sich etwas beruhigt hatte. »Die anderen sind halt die anderen. Die wissen alles über alles. Ich sollte das auch, aber sie sagen, ich gehöre eigentlich nicht dazu.«

Sabrina rieb sich die Schläfen. »Meine Güte, wenn ich doch nur einmal jemandem begegnete, der weiss, was eigentlich los ist und Klartext reden würde.« Als hätte die Kopfmassage tatsächlich ihre Gedanken angekurbelt, besann sie sich auf einmal, wie sie eingeschlafen war... Eilig wich sie vor Mondkind zurück und stand auf. »Warte... D-du warst das! Du hast mich hierhergebracht!«

Schuldbewusst senkte Mondkind den Kopf, griff in eine der aufgenähten Taschen ihres Kleidchens und zog einen Sabrina wohlbekannten Traumfänger-Anhänger heraus. »Du hast doch was zu tun, Sabrina...«

»Gib mir das!«, verlangte sie und streckte fordernd die Hand aus, doch da sprang Mondkind auf und rannte davon.

»Fang mich doch!«

»Hey! Bleib gefälligst stehen!«, rief sie der Kleinen nach, während sie sich eilig aufrappelte, um ihr nachzujagen.

Obwohl ihre Cousine noch so klein und zu allem Überfluss auch noch blind war, hatte sie ein ganz schönes Tempo drauf. Nachdem sie ihr mindestens fünf Minuten vergeblich hinterhergehetzt war, bekam sie sie endlich zu fassen. Sabrina packte Mondkind unter den Armen und hob sie hoch, damit sie ihr ja nicht wieder entwischen konnte. »Her damit, verdammt nochmal!«, fluchte sie, doch da hob die Kleine beide Hände, spreizte die Finger und rief: »Verloren!«

Vor Schreck hätte sie ihre Cousine beinahe fallen gelassen. »Was?! Das kann doch nicht dein Ernst sein! Wo?«

»Weiss nicht. Irgendwo.«

»Grade eben?« Das Kleinkind noch immer in den Armen, drehte sie sich um und liess den Blick über den Sand streifen.

»Irgendwann«, gab die Kleine zu und nun musste Sabrina sich schon sehr zusammenreissen, ihr nicht irgendeine Beleidigung an den Kopf zu werfen oder ihr gar eine zu scheuern. Stattdessen setzte sie sie wieder ab.

»Toll. Wirklich toll«, fauchte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. »Was soll denn der Scheiss, Mondkind? Warum hast du das gemacht?«

Sie streckte die Arme nach ihr aus und winkte sie näher heran. Stöhnend bückte Sabrina sich zu ihr hinab, sodass sie ihr zuflüstern konnte: »Weil du eine Aufgabe hast

»Eine Aufgabe? Und die soll sein?«

Da holte Mondkind tief Luft und sinnierte feierlich: »Bei Klyuss' Kind auf hoher See, findet die Zarin Schlüssel und Fee.«

»Was?« Irgendwie hatte sie erneut das Bedürfnis, vor ihrer Cousine zurückzuweichen, doch sie widerstand dem Impuls und fragte stattdessen mit möglichst fester Stimme: »Was sind das für Reime, Mondkind?«

Die Kleine lachte nur, machte auf dem blossen Absatz kehrt und rannte wieder durch die Dünen davon.

»Mondkind!«, rief Sabrina ihr nach und wollte hinterher, doch auf einmal... war das Kleinkind verschwunden!

»Mondkind?« Keine Antwort. Nichts. Nur Stille, Schwärze und ewiger Sand. »Mondkind!« Sie rief ihren Namen wieder und wieder. »Mondkind!«

Lange suchte sie nach dem Traumfänger, Aber sie fand ihn nicht. Sie wanderte durch die Wüste. Stunden, Tage... »Mondkind, bitte!« Doch sie bekam keine Antwort und dieser schreckliche Traum endete nicht...


~Mile~
2. Moja 80'024 IV - Ebene von Hebrorie, Jeshin, Twos

Mit einem hohen Hang war die igallische Tundra in die flache Ebene von Hebrorie übergegangen und somit hatten die Rebellen die Grenze von Turdidey nach Jeshin überquert. Nun befanden sie sich in feindlichem Territorium und das liess alle angespannter werden.

Je weiter sie in den Norden vordrangen, desto wärmer und grüner wurde es. Die Tundra war mit ihren vielen Flechten bunt gewesen, doch die Feuchtwiesen der Ebene stellten sie mit ihrer wilden Farbigkeit mühelos in den Schatten.

Mit geschlossenen Augen sass Mile auf seinem Pferd und sog den süssen Blumenduft in die Nase.

»Guten Morgen Feuerjunge«, begrüsste Reds Stimme ihn.

Er hob den Kopf und sah sich zu ihr um. Wie immer sass sie auf Oskars Rücken, wie er selbst in der Rüstung der schwarzen Armee steckend, jedoch auch in roten Samt gekleidet.

»Hey«, erwiderte er und lächelte sie an. »Schön, dass du wieder da bist.« Er meinte es eigentlich nicht als Apell, doch der Satz schmeckte dennoch ein wenig bitter auf der Zunge.

Die Nacht, in der sie einander die drei Versprechen gegeben hatten, war eine Woche her. Seither verbrachte Red jede Nacht in seinem Zelt, doch wenn er am Morgen erwachte, war sie verschwunden. Bisher hatte er jedoch nicht gewagt, sie darauf anzusprechen. Zu sehr genoss er es, mit ihr auf Wolke 7 schweben zu dürfen. Er wollte keinen Ärger machen.

Also versuchte Mile sich nichts anmerken zu lassen und drosselte das Tempo seines Rosses. Er gab seinen Gardisten und Floyd – der seinerseits auf einem Pony ritt – ein Zeichen, dass sie ihm einen Moment Privatsphäre geben sollte, was diese akzeptierten. Sie ritten ein Stück abseits des Rebellenheerzugs, der sich seine Schneise durch das Wiesenmeer Jeshins Süden bahnte. Gemächlich liessen sie ihre Pferde über die Wiese traben. So war es Red lieber, denn auf diese Distanz konnte sie niemand so einfach belauschen.

Sie hatte den leisen Vorwurf in seiner Stimme glücklicherweise überhört. Nun liess sie ihren Blick über die Blumenfelder streifen. »Jeshin ist ein wirklich schöner Ort, nicht? Du wirst staunen, wenn wir Aramesia erreichen und du das Kratertal siehst.«

»Ein Krater? Ist ein Komet eingeschlagen?«, wollte Mile wissen.

»Das ist eine Geschichte des Theoitums: In dieser heisst es, dass Asvini, der Gott des Handels und Wohlstands, während eines der Feste der Götter prahlte, wie schön seine Schätze doch am Himmel glitzern würden und dass niemand je so glücklich sein könnte wie er, da er am meisten besässe und Lebensglück nur an Besitz zu messen sei. Daraufhin antwortete der nackte Gott - Drillon, der Beschützer der Armen, der Besitzlosen, der Waisen und Sklaven - dass Asvini falsch läge. Dass man auch ohne Besitz froh werden könne und dass Reichtum nicht das Wichtigste im Leben sei. Doch Asvini spuckte Drillon an und lachte ihn aus. Das beobachtete der Gott Kaitou, der damals nur der Gott der Winde war. Ihn erzürnte das Benehmen Asvinis sehr und er beschloss, ihm eins auszuwischen.

Er liess sich von seinen Winden in die Höhe tragen, kletterte über den Himmel und suchte sich den wertvollsten Stern am Firmament. So fand er den Morgenstern, den schönsten und grössten von Asvinis Schätzen. Er riss ihn vom Himmelszelt und wollte mit seiner Beute eilig die Flucht ergreifen, doch in diesem Moment kehrte Asvini zurück und ertappte den Dieb auf frischer Tat. Er bekam eine Zacke zu fassen und beide zerrten sie an dem Stern.

Kaitou, der ausserordentlich gewitzt war, trickste Asvini aus. Er blendete ihn mit dem Licht seines Sterns und rang ihn ihm aus den Fingern. Doch als Asvini losliess, taumelte Kaitou und prallte so heftig gegen den Mond, dass dieser vom Himmel fiel und auf Arkan einschlug.

Der Gott der Winde floh mit seinen Stürmen in die Dunkelheit, während die übrigen Götter entsetzt zum Einschlagsort des Mondes eilten. Sie versuchten, ihn wieder zusammenzusetzen, doch das Licht der Sterne reichte nicht, um jede Scherbe zu finden. Darum stach sich Drillon eines seiner Augen aus und warf es in den Himmel. Sein Augenlicht leuchtete so hell, dass die Götter den zerbrochenen Mond zusammensetzen und ihn zurück in den Himmel heben konnten.

Seither stehen immer zwei Monde an Twos' Nachthimmel. Onwa, der alte, zerbrochene Mond und Lema, der neue Mond, das Auge Drillons. Und Kaitou ist seither nicht nur der Gott der Winde, sondern auch der Diebe.«

Mile, der der Göttergeschichte interessiert gelauscht hatte, schlussfolgerte. »Heisst das, dass Aramesia in diesen Mondkrater gebaut wurde?«

»Der Grossteil des Tals ist mit Wasser gefüllt – dem Onwasee. In seiner Mitte wurde die Hafenstadt errichtet. Und rund um das Wasser wachsen die Weinreben. – Das Land Jeshin ist heute noch bekannt dafür, den besten Wein des Kontinents zu gären.«

»Weinreben?«, fragte er erstaunt und rutschte auf seinem Sattel in eine bequemere Haltung. »Während Twos im Krieg ist?«

»Die Antagonisten lassen den Most in den Katakomben gären und schippern den fertigen Wein flussaufwärts nach Tempus. Nicht einmal sie wollen wohl jeshinischen Wein missen.«

Mile gluckste. »Magst du Wein?«, fragte er dann beiläufig. »Wir könnten ja nach der Eroberung Aramesias etwas zusammen trinken gehen? Es wird dann bestimmt ein Fest geben und-«

Red lächelte matt und unterbrach ihn mit einem Kopfschütteln.

»Warum denn nicht?«

Sie warf dem Heerzug einen düsteren Blick zu. »Ich kann es nicht gebrauchen, dass die Rebellen sich über uns das Maul zerreissen. Es reicht, dass ich deine Schwertkampf-Ausbildnerin bin. Wenn bekannt wird, dass du mit einer Hybridin das Bett teilst, wird das Vielen nicht bekommen«, erklärte sie grimmig.

»Warum interessiert dich, was die Leute denken?«, seufzte er. »Schleichst du dich deshalb immer vor Sonnenaufgang aus meinem Zelt?«

Sie schlug die Augen nieder, ging jedoch nicht darauf ein. Stattdessen schwieg sie wieder und das frustrierte Mile nur noch mehr.

›So kann das nicht weitergehen‹, dachte er sich und fasste den Entschluss, endlich Klartext zu reden: »Weisst du, so wie du dich verhältst...« Er hielt inne und versuchte es noch einmal von vorn: »Ich weiss, die Sache mit dieser Liebe auf den ersten Blick macht dich fertig. - Erst hast du gesagt, dass du kein Teil des Schicksals sein willst. Dann hat Drosselbart dich... na ja, mit der Prophezeiung erpresst und du bist geblieben.«

Überrascht sah sie auf.

Das ermutigte Mile, weiterzusprechen, auch wenn ihm das Herz klopfte: »Du hast mich gemieden und ich verstehe das... auch wenn ich... nichts dagegen habe, mein Schicksal mit dir zu teilen.« Er spürte, wie rot er wurde, ihm war fast schon schlecht, so aufgeregt war er. »Aber dann bist du in dieser Nacht zu mir gekommen und hattest deine Meinung wieder geändert.« Irrte er sich oder klang Oskars Hecheln wie ein Lachen? Er kam sich so dämlich vor... Wieder seufzte er, aber mehr aus Frust als vor Aufregung. »Was ist los, Red? Wenn du das hier nicht willst, dann...«

»Ach Mile, das hat wirklich nichts damit zu tun.« Sie gab dem Wolf einen Klapps, der ihn verstummen liess.

»Aber du verschweigst mir doch was! Warum diese Versprechen? Wovor hast du Angst?«

»In dieser Nacht, als ich zu dir kam... da habe ich mich an etwas erinnert...«

Mile machte grosse Augen. »Woran? An deine Zeit vor den Rebellen?«

Nervös fuhr sie sich durchs Haar. »Nein, an die Flucht...« Sie schien mit sich zu ringen. »Ich glaube, mich hat ein Trickster aus den Kerkern der Kristalltürme gerettet.« Sie drückte Oskar die Fersen in die Flanken und der Wolf setzte einen Zahn zu.

»Trickster? Diese Leute, die gegen das Schicksal arbeiten?«, rief Mile und gab seinem Pferd die Sporen, um mit ihr mithalten zu können.

Sie liess hatte Oskar auf einer Anhöhe halten lassen, von der aus man freie Sicht auf den Heerzug hatte, der sich wie eine schwarze Schlange durch die bunten Blumenwiesen schlängelte.

»Bist du denn sicher, dass es ein Trickster war?«, fragte Mile, ohne viel Zeit an die Aussicht zu verlieren. »Ein Trickster würde doch das Schicksal sabotieren wollen, warum hat er dir geholfen?«

Rotkäppchen blickte auf ihre Samthandschuhe nieder. Am Handrücken war der dicke Stoff noch immer karminrot, doch an den Fingern und den Innenflächen war er bereits etwas ausgeblichen und abgetragen vom Alltag. – Da es sich um apiumisches Samt handelte, das als so gut wie unzerstörbar galt, musste sie diese Handschuhe schon wirklich lange besitzen...

»Das weiss ich nicht. Aber da war ein Spiegel und er wusste all diese Dinge über mich, als würde er mich kennen«, erklärte sie schliesslich. »Und er er hatte silbrige Lippen...«

Mile runzelte die Stirn. »Was hat er denn gewusst?«

Der Blick der Roten flatterte. »Er sagte, ich sollte meinen Instinkten vertrauen und die Spinne fürchten, auch wenn ich den Grund dafür vergessen hätte. - Ich habe vorher noch nie jemandem von meinen Erinnerungslücken erzählt, Mile. Woher wusste er das?«

Nachdenklich tätschelte er den Hals seiner Fuchsstute. »Vielleicht war er ein Lauscher?«

Red schüttelte den Kopf. »Ich hätte es bemerkt, wenn er in meinem Kopf gewesen wäre.«

»Und... wie hat er dich schliesslich aus den Kerkern rausgebracht?«, hakte Mile weiter nach.

Sie seufzte frustriert. »Ich erinnere mich nicht an viel. Nur an einen Spiegel, durch den wir gegangen sind. Und dann weiss ich nur noch, wie ich im Ertrunkenen Wald erwachte, gleich neben dieser Holzhütte, wo wir in eurer ersten Nacht in Twos geschlafen haben.«

Mit einem Mal dämmerte Mile etwas und diese Erkenntnis tat weh. »Du kannst dich nicht erinnern, warum du Angst vor dem Schicksal hast, aber mehr als das fürchtest du ein Sakrileg.« Schweren Herzens fügte er hinzu: »Und deshalb bist du in dieser Nacht auch zu mir gekommen und hast mich diese Versprechen... diese Bedingungen akzeptieren lassen. Weil du dich an den Trickster erinnert hast!« Die Enttäuschung machte ihn wütend und er spürte, wie ihm langsam heiss wurde.

Traurig sah Red ihn an, zwei silberne Monde in ihrem bitterschönen Gesicht. »Es tut mir leid.«

Er nickte und flüsterte: »Das war es, was du mit deinem ersten Versprechen gemeint hast...« 

Der Schmerz und diese Wut, die er gegen nichts richten konnte, liessen ihn sein Pferd herumreissen und davonpreschen. Als er weit genug weg war, sprang er von der Fuchsstute und lief, bis sie aus seiner Reichweite war.

»FUCK!«

Sein Zorn entlud sich in zwei Stichflammen, die aus seinen Händen schossen und die Blumen um ihn verbrannten. Erst dann legte sich seine Emotionen und mit Scham betrachtete er die Zerstörung, die er in seiner Rage verursacht hatte...

~4. Moja 80'024 IV~

Er versuchte auszuweichen, doch die alte Hexe war erstaunlich schnell. Schon krachte ihr Stock auf seinen Scheitel und Mile jaulte laut auf. Seine Wachen blickten einander unschlüssig an.

»Hey! Lasst gefälligst vom Lichterlord ab, Zauberin!«, zeterte der treue Floyd und stellte sein Fell auf.

Muhme Trude blieb davon unbeeindruckt. Sie schenkte den Wachen nur einen kurzen, bitterbösen Blick, worauf niemand, nicht einmal der gestiefelte Kater, sich zu regen wagte.

»Leichtsinniger Bengel!«, schalt Muhme Trude ihn weiter und riss den Stock so energisch hoch, sodass eine der daran befestigten Federn sich löste und in die Wiese segelte.

»Ich habe doch gesagt, dass es mir leidtut!«, entgegnete er verärgert. Dieses Mal unterschätzte er sie nicht, sprang rechtzeitig zur Seite und bewahrte damit seinen Schädel vor weiterer Prügel. Endlich machte sich das ganze Training mit Red bezahlt!

»Du dumme Blage hast nicht auf mich gehört! Was glaubst du, warum du erst bis Kapitel 10 lesen solltest? Du verdammter Tunichtgut, ist dir klar, wie wertvoll diese Bücher sind?« Sie holte aus und warf ihm das verkohlte Buch an die Brust. »Machthungriger Trottel! Auf den Wandernden Inseln wärst du als Novize ertränkt worden, hättest du ein solches Verhalten angelegt! «

»Ich bin nicht machthungrig«, verteidigte er sich. »Ich war nur neugierig und-«

»Da sieht man es, du hast noch nichts verstanden!«, krächzte sie ihn barsch an, stützte sich jedoch endlich wieder auf ihren Stock, statt ihn als Waffe zu missbrauchen. »Worauf warst du neugierig, hmm? Auf Macht, Junge! Und damit geht man verantwortungsvoll um, ja?«

Er schluckte und nickte und fühlte sich ganz klein, obwohl er die alte Dame weit überragte.

»Drosselbart wird sehr enttäuscht sein...« Sie blickte mit zusammengekniffenen Augen in die Morgensonne, welche die sonst so bunten Wiesen der Ebene von Hebrorie in ein fast schon monochromes Orange tauchte. »Ich frage mich, ob es überhaupt Sinn macht, dich in den Gaben der Lichterlords zu unterrichten, wenn du noch ein so kindisches Verhalten an den Tag legst.«

Nun vergass Mile seine Demut und brauste auf: »Was soll denn der Scheiss?! Ich muss doch lernen, wie ich damit umgehen muss! Ausserdem sollt Ihr mir etwas beibringen. Stattdessen-«

Die Hexe schnippte mit den Fingern und plötzlich wollte sein Mund ihm nicht mehr gehorchen. Als wären seine Lippen mit Sekundenkleber benetzt, brachte er nicht mehr als ein zorniges »Mhmmm!« heraus.

»Du musst Selbstbeherrschung lernen, Herrscherkind. Erst dann werde ich dir beibringen, wie du dein Feuer nutzt«, fauchte die Alte. Sie griff unter eine der vielen Schichten Strickkleidung und zog ein neues Buch heraus. Es landete vor seinen Füssen im Gras. »Bilde dich über deine Herkunft und die Verantwortung eines Lichterlords, vielleicht werde ich dir dann helfen, einer zu werden. Bis dahin lässt du das Zündeln sein. Nichts ist gefährlicher als ein Lichterlord, der sich nicht beherrschen kann.« Mit diesen Worten schwang sie ein Bein über ihren Stock, schenkte ihm ein runzliges Lächeln, winkte ihnen zu und flog darauf davon.

Mile kämpfte gegen seine Wut an und schaffte es nur mit Mühe, nicht wieder die Blumenwiese zu roden. Stattdessen trat er mit einem zornigen »Mmmmh!« gegen einen Felsen, der prompt einen Riss bekam.

Wieder warfen die Wachen einander vielsagende Blicke zu, doch Mile ignorierte sie einfach. Erst als Floyd beruhigend um seine Beine zu streichen begann, wurde er ruhiger. Als er das Buch sah, dass die Hexe ihm vor die Füsse geworfen hatte, hob er es auf.

Dynastien der Herrscher‹, las er und das schien den Zauber zu lösen. Endlich liess sein Mund sich wieder öffnen.

»Blöde Kuh«, brummte er und klemmte sich den Schinken unter den Arm. Der einzige Grund, es mitzunehmen, war, nicht wieder den Stock der Hexe abzubekommen. Lesen würde er es sowas von nicht. »Was?«, schnauzte er eine der Wachen an, die ihn irgendwie krumm ansah. Dann stapfte er davon. Sollten sie ihm doch alle den Buckel runterrutschen mit ihrer ganzen Geheimnistuerei. ›Ich werde schon noch rausfinden, wie ich die Pyrokinese hinkriege...‹


~Sabrina~

Man verlor an diesem Ort, den ihre Cousine ›Nihil‹ genannt hatte, so, so schnell das Zeitgefühl. Es gab hier weder Tag noch Nacht, da war immer nur die kalte Sonne und ihr Mond. Und Dünen, über Dünen, über Dünen, über Dünen...

Sie würde den Verstand verlieren.

Seit sie klein war, hatte sie schon hundert Nächte in diesem Nichts verbracht. Ach was, mehr! Unzählige Albträume. Aber bisher war sie aus jedem davon wieder erwacht. Nur aus diesem nicht.

Wie lang sie wohl schon weg war? Ob sie überhaupt noch lebte? Schlafende assen nicht, tranken nicht, träumten nur. War sie schon tot? Sie verspürte weder Hunger noch Durst, also wurde ihr Körper in Twos entweder irgendwie am Leben erhalten oder sie hatte komplett die Verbindung dazu verloren.

Ja, sie verlor definitiv den Verstand.

Warum weckte sie niemand? Hänsel und Nebelfinger waren da gewesen, als sie umgekippt war, sie mussten es versucht haben. Warum wachte sie nicht auf?!

»Mondkind! Komm her und hilf mir, verdammte Scheisse!«

Warum tat sie ihr das an? Warum hatte Mondkind sie hierher verschleppt?

Die Suche nach ihrem Traumfänger hatte sie längst aufgegeben. Begegnet war sie niemandem. Ab und an hatte sie einen Engel über sich fliegen sehen, alle nur mit zwei Flügeln, keiner mit vieren wie Isra. Einmal hatte sie wieder einen dieser furchtbaren Bandwürmer gesehen, deren Mäuler ihren ganzen Körper lang war. Davor war sie davongerannt und sie hielt erst an, als ihr die Luft ausging.

Ausser Atem sank sie in den Sand. Sie war so verzweifelt, dass sie die Hände faltete und zum Gott dieser Welt betete. »Bitte Revell«, flüsterte sie. »Bitte hilf mir, ich will endlich aufwachen!«

»Gopfriedli!«, rief es so plötzlich und überraschend aus der Dunkelheit, dass Sabrina mit einem Satz wieder auf den Beinen war. »Das kann man ja nicht mitanhören, diese Jämmerlichkeit.«

»W-wer da?!«, rief Sabrina und nahm die Grundposition der Defensive in einem magischen Duell ein, die Topper ihr in ihrem Training eingepaukt hatte.

»Oh, pardon, ich wollte dich nicht erschrecken, Kleines!«, kam die Antwort sofort. »Ich komm aber erst raus, wenn du ... öh ... auf deine Mutter schwörst, mir nichts zu tun, klaro?«

Sabrina zögerte. »Woher weiss ich, dass du mir dafür nichts tust?«

»Dann schwör ich halt auch auf meine Mama.«

Ziemlich verwirrt, aber auch mehr als froh, endlich wieder etwas soziale Interaktion abzubekommen, liess sie die Hände sinken und murmelte: »Okay, dann... schwöre ich auch auf meine Mutter.«

»Na gut, dann komme ich raus. Eins, zwei und-« Neben Sabrina schoss ein kleines, schwarzes Etwas aus dem Sand, trommelte sich erst gegen die wenig beeindruckende Brust, breitete dann die Arme aus und brüllte: »Tadaaa!«

Ein Wesen wie dieses war Sabrina noch nie untergekommen. – Ein pummeliges, kohlrabenschwarzes Monsterchen in der Grösse einer Katze. Seine Gliedmassen waren unproportional: Die Arme und Beine waren lang und angewinkelt wie bei einem Affen. Über seinem Hintern hing ein langer Schwanz mit einer buschigen Quaste. Die Hände waren wie die eines Waschbärs, doch die Flügel am Rücken erinnerten an eine Fledermaus mit Extraarmen. Eine dicke Fledermaus, die sich kaum in der Luft halten konnte. Das Vieh hatte einen kugelrunden Bauch, der wie durch ein Wunder die dunkelgrüne, fransige Wollhose noch nicht gesprengt hatte, die es sich bis zum Nabel hochgezogen hatte.

»Was bist du denn für ein Dings?«, stiess sie hervor, als sie diese seltsame, unbekannte Kreatur zu Ende gemustert hatte.

Das Dings grunzte theatralisch durch seine Schweinenase, als wäre dies die Beleidigung des Jahrhunderts gewesen. Es straffte die Schultern, zog den Bauch ein und schob die Lippen des breiten Mauls zurück, sodass seine Haifischzähne blitzten. Würde in der oberen Reihe keine Lücke klaffen, hätte es fast ein bisschen gefährlich gewirkt.

»Mich«, posaunte das Wesen und blinzelte ihr nichtsdestotrotz überheblich mit seinen münzgrossen, kugelrunden und grellgelben Katzenaugen entgegen, »ruft man bei dem schaurigen Namen Faritales Luziusus.«

»Oookay«, meinte Sabrina gedehnt. »Und was bist du?«

Faritales Luziusus holte tiefer Luft, sodass sie beinahe befürchtete, er würde platzen. »Ich bin ein Nachtmahr!«, erklärte er stolz. »Ein infernales Scheusal! Eine der grausigsten Schöpfungen Revells. Ich bin die Last, die dich bei Nacht plagt, ich bin das Monster, das deine Träume frisst, ein waschechter Dämon!« Lächerlich angeberisch liess er die Schultern kreisen, wackelte mit den Brauen und brummte: »Also nimm dich bloss in Acht. Ausser du willst, dass ich dir den Schlaf raube!«

Nun konnte sie sich das Lachen nicht länger verkneifen. Laut prustend stützte sie sich auf ihre Knie, um mit dem Flattermann auf Augenhöhe zu sein. »Ich wette, es gibt Nachtmahrinnen da draussen, die sich darum reissen würden, Traumbesuch von dir zu bekommen, aber ich passe lieber.«

»So?« Der Traumdämon verschränkte die Arme vor der Brust und musterte sie. »Genug von mir, mehr zu dir. Was bist du? Siehst nicht aus wie eine Dämonin, dafür fehlen die infernalischen Attribute.«

»Na ja«, meinte Sabrina und sah an sich herab. Sie trug noch immer dieselben Klamotten, wie an dem Tag, als sie mit Peter Pan gesprochen hatte, doch glücklicherweise schien man in Nihil genauso wenig zu schwitzen, wie zu hungern oder zu dursten. »Ein Mensch halt.«

»Liegst du im Koma?«

»Bitte was?«

Der kleine Dämon rollte mit den Augen. »Bestimmt Koma.«

»W-was? Warum sollte ich im Koma liegen?«

»Na, weil du hier bist! – Ach Süsse, setz dich lieber, das könnte dir zu viel werden.« Der Nachtmahr liess sich wenig elegant in den Sand fallen.

Zögernd setzte Sabrina sich daneben.

»Nihil«, erklärte der Dämon in einem dümmlich langsamen Tonfall, als wäre sie schwer von Begriff, »ist das Nichts, das alle Welten umgibt. Auch deine, aus welcher du auch kommen magst. Von hier stammen alle Träume und Albträume. Der grosse Gott Revell schenkt sie allen Welten.«

Sie horchte auf. »Alle?«

Der Mahr nickte und grinste stolz sein Haifischlachen.

›Das würde immerhin erklären, wieso ich schon in Modo diese Träume hatte‹, dachte sie.

»Und... warum bist du hier? Hat Revell dich zu mir geschickt, um mir zu helfen?«, fragte sie den gesprächigen Dämon weiter aus.

»Schon möglich«, spielte sich der Nachtmahr sogleich auf. »Ich bin der Beste aller Traumdämonen!«

Sabrina seufzte. »Wie viele von euch gibt es denn?«

Mit einem heben der Flügel, was wohl einem Schulterzucken gleichkam, erklärte er: »Hmm, von uns Nachtmahren ein ganzer Haufen. Dann gibt es noch Fötenmantas, Kopffüsser, Sandmänner, Sukkuben – nur um ein paar zu nennen.« Nun beäugte er sie kritisch. »Die Frage ist aber, was du hier machst. Menschen können nicht nach Nihil. Na ja, ausser ihr liegt im Koma.«

»Ich liege aber nicht im Koma!«, seufzte sie und verschränkte die Arme. ›Hoffe ich...‹

»Schon klar, du willst es nicht wahrhaben, Süsse«, meinte der Dämon und tätschelte ihr gönnerhaft den Arm. »Aber so ist es nun einmal. Wer im Koma liegt, ist zu tot, als dass Geist und Seele noch im Körper bleiben können, aber auch noch zu lebendig, um sich direkt ins Erste Licht zu beamen. Und wenn du aus Twos stammst, ist es noch komplizierter! Wer dort stirbt, muss erst durch so eine Zwischenwelt reisen - total mühselig. War die Idee der Schöpfer dieser Welt. Pappnasen, wenn du mich fragst!« Er verdrehte die Kulleraugen. »Aber nichts gegen Twos. Revell stammt aus dieser Welt, und da er mein Schöpfer ist, könnte man es wohl auch als so was wie meine Heimatwelt bezeichnen.«

»Ich liege aber nicht im Koma«, beharrte sie, ohne auf sein Geplapper einzugehen. »Früher bin ich jedes Mal, wenn ich geschlafen habe, für ein paar Stunden hier gewesen, bis ich wieder aufgewacht bin. Ich habe immer schon von diesem Ort, diesem Nihil, geträumt. Ich bin wohl kaum jede Nacht zwischen sechs bis zehn Stunden im Koma gelegen, oder?«

Da machte Faritales noch grössere Augen, als er ohnehin schon besass und liess Sabrina etwas Hoffnung schöpfen, als er fragte: »Du bist hier in deinen Träumen?! Wann hat das angefangen?«

Sie zuckte die Schultern. »Seit ich klein bin.« Immer dann, wenn ihre Tabletten nicht mehr gewirkt hatten, wie ihr nun klarwurde.

»Revells Segen!«, jauchzte Faritales da. Entzückt sah er zu ihr auf, deutete mit einer Kralle auf sie und stellte fest: »Du bist eine Traumwandlerin!«

Zögernd nickte sie. »So was hat meine Cousine auch gesagt. Ihr hab ich auch zu verdanken, dass ich nun hier festsitze.«

Da gluckste der Nachtmahr und murmelte kaum verständlich: »'Ne Traumwandlerin, die in Nihil feststeckt, wenn ich das Oma erzähle!«

»Was ist das überhaupt, das Traumwandeln?«, wollte sie wissen, gierig nach Antworten. »Und wie hilft es mir, hier wieder weg zu kommen?«

»Nun, Traumwandler sind was ziemlich Seltenes, da man dazu den Segen Revells braucht. Die meisten machen es auch nicht lange, da sie hier zum ersten Mal als Kleinkinder aufschlagen und direkt einem Homopoda in die fünfzig Arme rennen. So sagt man jedenfalls. Viele in Nihil behaupten sogar, ihr wärt nur Legenden, aber da du ja hier vor mir sitzt und 'ne Schnute ziehst, ist das ja nun widerlegt. Du musst abartiges Glück gehabt haben, dass du noch lebst, Süsse. Nihil ist gigantisch, doch es gibt genügend Viecher, die ein leckeres Häppchen wie dich nicht verschmähen würden.« Erneut bedachte er sie mit einem scharfzahnigen Lächeln. »Jedenfalls haben Traumwandler die Gabe, sich nach Nihil zu träumen. Dein Verstand ist hier, während dein Körper in der Welt bleibt, wo du ihn zurückgelassen hast. - Also doch ein bisschen wie Koma.«

Sabrina schnaubte. »Und was daran soll so toll daran sein, sich in ewiges Nichts träumen zu können, wo einen... Homopodas und Fötenmantas fressen wollen?«

Faritales' Haifischgrinsen wurde noch breiter. »Nihil ist das, was ausserhalb der Welten ist. Und das bedeutet, dass du von hier aus in jede andere reisen kannst. Und das nicht nur mit deinem Verstand! Du willst nach Vox, um in Canthi frische Zinnzinn zu essen? Träum dich hin und du wirst dort sein, ganz und gar mit Körper, Seele und Geist. Doch lieber nach Twos, um in Sywarn mit dem Gold, das du aus einer Bank in Modo geklaut hast, auf den Putz zu hauen? Dann los, niemand kann dich daran hindern, denn wer träumen kann, kann überall sein! Oder willst du etwa nicht auf Hogwarts, um Umbridge ein Furzkissen unter den Arsch zu schieben? - Okay, das war gelogen, Hogwarts gibt's nicht. Jedenfalls hab ich es noch nicht gefunden.«

Tatsächlich klang es verlockend, einfach nach Modo zurückträumen zu können, aber sie würde Mile auf keinen Fall in Twos zurücklassen. »Ich will aber in keine andere Welt. Ich will dahin zurück, wo ich war, bevor mich meine gruselige Traum-Cousine hierher verfrachtet und einfach hockenlassen hat.« Erschöpft fuhr sie sich übers Gesicht und nuschelte durch die Finger: »Kannst du mir nicht helfen?«

»Ich bin nur ein Nachtmahr, ich kann dich nicht mitnehmen wie Traumwandler es können, falls du das meinst. Aber ich kann dir vielleicht helfen, damit du dich selbst zurückträumen kannst« , schlug der Nachtmahr hilfsbereit vor.

»Das habe ich schon versucht«, seufzte sie niedergeschlagen. »Mondkind hat irgendwas geschwafelt, man müsse den Kopf leeren, nur an den Zielort denken, blablabla, aber ich kriege es einfach nicht hin!« Sie zuckte die Schultern. »Andererseits habe ich ja auch nichts zu verlieren. Einen Versuch ist es wert.«

Das Haifischlächeln nahm unmögliche Dimensionen an. »Und was kriege ich dafür?«

Sie schnaubte, ging aber darauf ein. »Was willst du denn?«

»Träume!«, platzte er sofort heraus und leckte sich die spitzen Beisserchen.

›Wenn ich mal nicht in diesem scheiss Nichts lande, hab ich eh nur Albträume. Das kann er gern alles haben!‹, dachte sie bitter, nickte und versicherte dem Nachtmahr, er dürfe sich sattfressen.

»Deal!«, rief dieser daraufhin, spuckte in die Pfote und hielt sie ihr hin. Sie tat es ihm gleich und schlug ein.

»Also? Wie träume ich mich hier weg?«, fragte sie, während sie sich die klebrige Dämonenspucke an der Tunika abstrich.

Faritales flatterte ihr auf die Schulter, wo er sich ganz selbstverständlich niederliess. Er war ein ziemlicher Brocken, doch sie liess ihn. »Traumwandeln ist natürlich ein magischer Akt«, erklärte er mit Lehrerstimme. »Das bedeutet, dass es gekoppelt ist an-«

»Lass mich raten«, unterbrach sie ihn. »Emotion.«

»Richtig! Ten points for ... Hufflepuff?«

»Slytherin.«

»Yeah! Ich auch!« Er hielt ihr auffordernd die Pfote für ein High-Five hin, dem sie etwas verdutzt nachkam. »Okay, weiter im Text. Der Trick an der Sache ist, dass du deine Konzentration nicht auf den Ort an sich lenkst, sondern die Emotionen, die du damit verbindest. Mit dieser Emotion kanalisierst du die Magie, die du brauchst, um zu träumen. Das Schwierigste daran ist, dass du an nichts anderes denken darfst. Nichts als diese Emotion darf deinen Verstand füllen. Wenn dir da noch was anderes in die Gedanken funkt, funktioniert es entweder gar nicht oder – was noch viel gefährlicher ist - du landest an irgendeinem Ort, an dem du gar nicht sein wolltest. Beispielsweise in einem iggyn'schen Vulkan, was dich in Sekunden rösten wird.«

»Wie beruhigend«, seufzte sie und knackte nervös mit den Fingerknöcheln.

»Am besten versuchst du es einfach. Ich bleibe hier sitzen, damit du mich mitträumst. Schliesslich bestehe ich auf deinen Teil der Abmachung.«

»Und was, wenn ich in so 'nem Iggüsch-Vulkan lande?«

»Dann mach ich die Fliege, bevor ich gegrillt bin und lasse dich zurück.« Erneut zog er ein Haigrinsen. »Aber ich bin mir sicher, dass du das schaffst. So blöd wirst du dich schon nicht anstellen...«

Sie holte tief Luft. War ja nicht das erste Mal, dass ihr Leben auf dem Spiel stand. »Wird schon schief gehen...« Sie schloss die Augen, liess die Schultern samt Nachtmahr kreisen und lenkte ihre Gedanken auf den Baum der Verlorenen und die Frage, was ihre Gefühle diesem Ort gegenüber waren. Misstrauen, Sorge und Überforderung kamen ihr in den Sinn. Sie dachte an die Bewohner des Baums, den anarchischen Nimmertiger, seinen freundlichen kleinen Bruder Nebelfinger, an die arme Wendy, den verbitterten Peter und an Mondkind, mit ihren amethystfarbenen Augen... Und mit einem Mal hallten ihr die Kinderverse durch den Verstand, wie ein Echo, das erst jetzt verhallte: ›Bei Klyuss' Kind auf hoher See, findet die Zarin Schlüssel und Fee.

~Mile~
7. Moja 80'024 IV

An diesem Abend gab es bei Drosselbart Gemüsebrei, Brote, die mit Trockenfleisch oder Käse belegt waren und süsse Früchte, Beeren und Zuckerpilz als Nachtisch.

Seit heute assen alle Rebellen dasselbe, niemand wurde bevorzugt. Wem es gelungen war, während des Marsches einen Hasen oder einen Vogel abzuschiessen, durfte diesen natürlich für sich behalten. Luxusartikel wie Wein oder zusätzliche Gewürze musste man sich von seinem Sold erkaufen, dem jedem Soldaten einmal in der Woche ausbezahlt wurde, bei dem es sich jedoch eigentlich nur um ein kleines Taschengeld handelte. - Das war eine von Drosselbarts Massnahmen, um das Ungleichgewicht zwischen den Völkern, speziell die Hybriden betreffend, in den Griff zu bekommen. Mit dieser kulinarischen Gleichstellung von König und Knecht wurde es schwerer, bei der Essensausgabe zu betrügen. Und sollte das nicht reichen, übten speziell zur Kontrolle ebendieser ernannte Wachen Druck auf die Logistik aus, die für die Austeilung verantwortlich war. Ausserdem durchmischte es die Völker mehr. – Hoffentlich ein Nebeneffekt, der die Hybriden besser in die Gesellschaft integrieren würde.

So assen auch Red, Drosselbart und Mile diesen Abend, was jeder herkömmliche Soldat zu sich nahm, als sie sich wie so oft im Zelt des Rebellenkönigs versammelt hatten, um gemeinsam zu speisen.

Mile hatte Deron nicht gesehen, seit Muhme Trude ihm mit einer Tonne Hausaufgaben bestraft hatte und er wartete schon auf die Standpauke. Doch stattdessen sah ihn Drosselbart nur warm an, als Mile ihm von dem verbrannten Novizen-Lehrbuch und den Strafarbeiten erzählte.

»Ihr Lichterlords«, brummte er amüsiert den Kopf schüttelnd und nahm einen Schluck aus seinem Kelch. »Generation um Generation dieselben Geschichten«, fuhr er dann fort. Seufzend lehnte er sich in seinem Stuhl zurück. »Dein Vater hat seine Hausaufgaben auch nie ausreichend gemacht. Und das Anstellen von Unsinn war seine Königsdisziplin.« Schmunzelnd kraulte er sich den Bart. »Ich hatte gehofft, dass Muhme Trude bessere Methoden zur Unterweisung des Lichterlords bekannt sind.«

»Vielleicht weiss sie ja, was sie tut«, meinte Red und schenkte Mile ein entschuldigendes Lächeln.

Der König nickte langsam. »Ich werde mich dennoch nach einem neuen Lehrmeister für dich umsehen, Junge. Es ist nicht gut, wenn Konflikte zwischen meinen Ratsmitgliedern bestehen.«

Erleichtert bedankte Mile sich. »Vielleicht jemand, der etwas praxisorientierte Lehrmethoden anwendet?« Mit deutlich mehr Appetit biss er in das Käsebrot.

Red neben ihm seufzte, zweifelte den Rebellenkönig jedoch nicht erneut an.

Deron machte eine beschwichtigende Geste. »Mal sehen...« Munter brach er ein neues Gesprächsthema an: »Die von dir erbetenen Nachforschungen sind im Übrigen abgeschlossen, Mile.«

»Nachforffungen?«, echote er verwirrt und vergass völlig, nicht mit vollem Mund zu sprechen.

Drosselbart lächelte geduldig und erklärte: »Du hast mich doch in LaRuh gebeten, die Identität des Attentäters zu prüfen, den Dolorkane getötet hatte. Erinnerst du dich an dieses Gespräch?«

Da ging ihm ein Lichtlein auf und er schluckte. »Stimmt. - In der Kutsche auf dem Weg ins Inkoleum. Was hat man herausgefunden?«

Deron, nahm ebenfalls einen Bissen von seinem Brot, schluckte jedoch erst und begann dann aufzuzählen: »Áki Byström hiess der Attentäter, ein 63-jähriger Mann - Flüchtling aus Parall. Ein Krämer, der von den Inkern ins Visier genommen worden war. Er soll sich geweigert haben , für die Antagonisten Tintenblut zu einem Stützpunkt auf der anderen Seite der Fötenbucht zu verschiffen. Vor fünfzehn Jahren wurde er an der Grenze von Keo und Turdidey gefunden und nach Turdus gebracht, wo er von einem Lauscher überprüft und als aufrichtig eingestuft worden ist.«

»Fünfzehn Jahre ist eine lange Zeit«, gab Red zu bedenken. »Ist er seither noch einmal geprüft worden?«

Der König schüttelte den Kopf und schob sich einen Löffel voll Gemüsebrei in den Mund. Nachdenklich kaute er auf den nicht ganz garen Rübenstückchen. »Er bekam eine Grundausbildung zum Rekruten, doch aufgrund seines fortgeschrittenen Alters diente er nicht lange. Die letzten Jahre verdiente er sich als Zapfer etwas zu seiner Soldatenpension dazu. Einige seiner Kunden berichteten, er habe sich dort kritisch gegenüber Eira und Ignatz geäussert. Nichts Weltbewegendes, doch vermutlich stammt diese Meinung noch aus Zeiten, in denen er Krämer in Parall gewesen war. Damals hatte er nämlich Handel mit Garrael betrieben und so etwas von deren Ansichten aufgeschnappt. – Das ist jedenfalls die Hypothese meiner auf diesen Fall angesetzten Spione.«

»Aber das sind ja nur Vermutungen«, brummte Mile skeptisch und schob sich ein Stück Zuckerpilz in den Mund.

»Dem ist leider so. Ich kann jedoch bestätigen, dass Byström drogenabhängig war. Er war ein bekanntes Gesicht in der Szene, ein sogenannter ›Kauer‹ - treuer Kunde der Radaghändler in LaRuhs Untergrund. So manche Nachtwache liess sich auffinden, die davon berichtete, den Mann von der Strasse gelesen zu haben, die Zähne grün wie Moos.«

»Was ist wegen der Tochter?«, hakte Mile nach. »Der Mann hat irgendwas von einer Tochter gesagt. Er dürfe sie sehen oder so.«

Drosselbart tupfte seinen schrägen Bart mit einer Serviette ab, nachdem ihm etwas Brei draufgetropft war. »Ein Freund Byströms, ebenfalls ein Kauer, bestätigte meinen Wachen, dass er eine Tochter gehabt hatte. Mehr wusste er jedoch auch nicht.«

»Vielleicht wurde er damit erpresst«, meinte Mile da. »Sie lockten ihn damit, dass er seine Tochter sehen dürfte, würde er Sabrina und mir was antun. Er sagte mir, sein Auftrag wäre gewesen, uns zu verletzen. Er wurde also angestiftet.«

»Aber wenn er wirklich im Auftrag der Antagonisten gehandelt hat, warum sollte er euch dann nur verletzen? Die würden euch doch lieber tot sehen, oder?«, mischte sich auch Red ein.

Mile musste sich eingestehen, dass sie recht hatte. Trotzdem hatte er ein komisches Gefühl bei der Sache. »Eril hat ihn einfach erschossen, dabei war er gar keine Gefahr mehr. Da steckt doch mehr dahinter!«

»Meines Erachtens ist die Situation folgende: Es mag ein unnötiger Gewaltakt Dolorkanes gewesen sein, den Attentäter umzubringen, obwohl dieser bereits unschädlich gemacht worden war, und unterstünde er meines Kommandos und nicht dem des Geschuppten Grafs, würde ich ihn dafür degradieren. Doch Áki Byström war nichts weiteres als ein Radagabhängiger mit Hass auf die Herrscher, den sein Drogenwahn zu diesem Attentat trieb«, schloss der Rebellenkönig die Diskussion. »So ist das mit dem Schicksal. - Das Weben der Spinne ist unergründlich.«

Mile glaubte das nicht, doch er hatte keine andere Erklärung. Er konnte nur hoffen, dass es Sarina gut ging, wo auch immer sie gerade war...


~Sabrina~
8. Moja 80'024 IV - Kummermeer, Azifik, Twos

Sie erwachte mit Salz auf den Lippen und Wellenrauschen in den Ohren.

Als sie die Augen aufschlug, sich von dem hölzernen und von Wind und Wetter glatt geschmirgelten Boden hochstemmte, glaubte sie erst, sie würde schwindeln, bis ihr klarwurde, dass das sanfte Schaukeln nicht nur in ihrem Kopf stattfand. Doch erst, als sie sich mit klammen Fingern an ein dickes, auf kunstvoll geschnitzte Balustraden gestütztes Geländer lehnte und sah, wie sich ein dunkles, tiefblaues Meer bis zum Horizont erstreckte, erkannte sie mit Schrecken, dass sie sich irgendwo auf ein Schiff ans Ende der Welt geträumt hatte.

»Scheisse, scheisse, scheisse!«, fluchte sie und krallte die Finger in die Reling. »Das kann doch nicht wahr sein!«

»Psst! Duck dich wieder runter, bevor dich noch jemand sieht!«, zischte es hinter ihr und als sie sich umblickte, entdeckte sie Faritales, der sich hinter ein paar Fässer kauerte, in dessen Schutz sie eben auch noch gelegen war.

»Wo sind wir hier?«, fragte sie, während sie seinem Beispiel folgte, sich neben ihn setzte und den Kopf einzog. »Hier wollte ich nicht hin!«

»Woher soll ich denn wissen, wo wir sind?!«, fauchte der Nachtmahr und peitschte mit dem Schwanz. »Du hast uns doch hierher geträumt!«

»Und warum verstecken wir uns?«

Der Dämon hob den Arm. Sabrina folgte seiner ausgestreckten Kralle, die auf etwas weit über ihnen Köpfen deutete und japste erschrocken nach Luft. – Drei dicke Masten ragten in den von Mondlicht gefluteten Nachthimmel. Die grau gefärbten Segel waren eingeholt, doch am höchsten der Masten flatterte eine graue Flagge mit einem unverwechselbaren Wappen darauf: Die Lilie der Inker.

»I-Inker?!«, stammelte sie. »Sch-scheisse! Du musst uns hier rausholen, Faritales!« Blanke Panik packte sie.

»Du weisst, dass ich das nicht kann! Du musst dich schon selbst retten. Ist ja auch deine eigene Schuld!«

»Ich habe nur gemacht, was du gesagt hast.«

»Gopferdeckel! Offensichtlich nicht!«

»Doch! Hab ich!«

»Ach ja? Dann hast du dich nicht ablenken lassen? Keine störenden Gedanken? Nichts?«

Sabrina schwieg und presste sich gegen die Fässer.

»Hah! Du machst so ein Gesicht! Oh ja, du hast Scheisse gebaut und nun-«

Bevor er weiter schnattern konnte, hatte Sabrina den Dämon gepackt und ihm eine Hand aufs Maul gepresst, denn sie glaubte, sich nähernde Stimmen zu hören. Doch als sie die Ohren spitzte und lauschte, vernahm sie noch ein anderes Geräusch und ihr sackte das Herz in die Hose. Ein bekanntes, dumpfes Summen...

›Einen Monat her... Sollten langsam wieder Richtung Norden...‹, murmelte eine fremde, raue Stimme in ihrem Kopf und Sabrina zuckte zusammen.

Natürlich! Ohne ihren Traumfänger war sie ihrer Telepathie schutzlos ausgesetzt.

›Und 'ne Buddel voll Rum...‹

›Diese verflixten Flöhe!‹

Ihr brach der kalte Schweiss aus. Das würde immer so weitergehen! Panisch blickte sie über das riesige Deck gleiten und versuchte zu schätzen, was für eine Anzahl an Besatzungsmitgliedern das Schiff wohl besass. Zu viele, das stand jetzt schon fest.

›Reste in der Kombüse?‹

›Wenn wir nicht bald wieder ein Tintenwesen kriegen... drehen uns den Hals um...‹

Es wurde immer schwieriger, sich darauf zu konzentrieren, ruhig zu bleiben.

Faritales schaffte es, sich aus ihrem Griff zu befreien. »Ist was mit dir?«

›Können Haie eigentlich rückwärts schwimmen?‹

»Ich glaube, wir müssen hier ganz schnell weg«, murmelte sie und massierte sich die Schläfen.

»Na dann mach mal!«

Wie sie es zuvor in Nihil gemacht hatte, versuchte sie sich zu konzentrieren, dachte an die Verlorenen...

›Ist denn der Grog schon wieder leer?‹

»Fuck!«, zischte sie. »Es geht nicht, es ist zu laut, ich kann nicht-«

»Bitte was?«, fauchte der Dämon. »Es ist arschkalt wie in einem Arschkühlschrank, das könntest du bemängeln. Das Meer rauscht vielleicht etwas vor sich hin, aber ansonsten ist es total still!«

›Wenn der Lange weiter so schnarcht, schneide ich ihm die Zunge raus.‹

»Es ist nicht das, ich... ich habe ein Problem mit Telepathie... Und ich habe meinen scheiss Traumfänger verloren.« Sie konnte ein Stöhnen nicht unterdrücken, als immer mehr Stimmen auf ihren Verstand einprügelten.

›... Kneipe...‹

›... das...‹

Sie begann sich vor und zurück zu wiegen, presste die Hände auf die Ohren.

›... Leviatan...‹

›... habe...‹

›Aye!‹

Mit einem Mal zerrte der Dämon an ihrem Arm und als sie zu ihm aufsah, liess er ihr etwas in den Schoss fallen.

›... kentern...‹

›... zu...‹

»Der Traumfänger?« Am liebsten hätte sie laut gejubelt. »Woher hast du den?« Eilig streifte sie sich den Anhänger über den Kopf. – Und die Stimmen verstummten. Immer wieder lernte sie diese Stille zu schätzen.

»Lag im Sand«, erklärte Faritales flügelzuckend.

Sabrina seufzte. Jetzt musste sie nur noch einen Weg finden, von diesem Schiff zu kommen... Erneut lugte sie über den Rand der Fässer und vergewisserte sich, dass das Deck noch immer leer war, dann wagte sie sich aus ihrem Versteck.

»Was hast du vor?«, zischte der Nachtmahr und flatterte ihr nach.

»Nachsehen, ob ein Rettungsboot frei ist. Und das, bevor uns die scheiss Inker in die Hände kriegen«, erklärte sie, während sie über die Planken schlich.

»Was?! Warum träumst du nicht?«

»Weil das nicht geht mit dem Traumfänger. Aber ohne geht's auch nicht... Es ist kompliziert... Hauptsache weg von diesem Schiff!«

Als sie an einer vergitterten Luke am Boden vorbeikam, liess sie ein leises »Psst!« zusammenzucken. Sie drehte sich zu Faritales um, doch der schüttelte den Kopf. »Das war ich nicht!«

Erst dann sah Sabrina die Finger, die sich durch das Gitter über der Luke ins fahle Licht der Monde reckten. »Psst!«, machte es im Schatten der Luke wieder. »Hierher!«

Die beiden Traumreisenden sahen einander unschlüssig an, doch dann ging Sabrina vorsichtig auf die Luke zu. Als sie danebenkniete und an den Gitterstäben vorbei sah, blickte ihr das schmale Gesicht eines hageren Jugendlichen entgegen. Er war etwa in ihrem Alter, sehr blass und das blonde Haar hing ihm in strähnigen Locken in die tiefe Stirn. Seine Lippen waren bläulich - ein Tintenwesen.

»Entschuldigt«, flüsterte er. »Ich wollte Euch nicht erschrecken. M-mein Name ist Amadeus Minnet.« Der Junge deutete auf den Rahmen der Luke über ihm und die Ketten an seinen Handgelenken klirrten. »Ich habe Euch noch nie auf diesem Schiff gesehen und ich hörte Euch davon sprechen, vor den Inkern zu fliehen. Bitte, nehmt mich mit!«

Sabrina nickte, das war keine Frage! »Sind noch mehr Gefangene auf dem Schiff?«

Der Junge schüttelte den Kopf. »Nein, nur ich.«

Hastig machte Sabrina sich an dem Riegel zu schaffen, der das Gitter über der Luke schloss. »Verdammt«, zischte sie. Hilflos sah sie zu Faritales auf, doch auch der konnte an dem Schloss nichts ausrichten. Traurig blickte sie zu dem Jungen herab. »Man braucht einen Schlüssel!«

Der Junge liess den Kopf hängen. »Den hat der Kapitän...«

Niedergeschlagen richtete Sabrina sich auf. »Tut mir leid, ich kann keinen Inker-Kapitän ausrauben«, flüsterte sie dem Gefangenen zu. Gab es denn nichts, was sie für ihn tun konnte? Mit einem Mal fiel ihr das Zuckerbrot ein, das Wendy ihr eigentlich für Peter mitgegeben hatte. Das hatte sie völlig vergessen und unterdessen musste es schon ganz hart sein, doch es war das einzige, was ihr einfiel. »Ich weiss, das ist nur ein kleiner Trost, aber mehr kann ich nicht tun«, sagte sie leise, während sie ihm das steinharte Brötchen in die Hände fallen liess.

Amadeus Minnet blickte auf das Süssgebäck nieder, dann hob er den Kopf. »Danke!« Er brach es entzwei und schob sich eines der Stücke in den Mund. »Mmh... Die schmecken fast wie die von Wendy. Seltsam, es sieht auch aus, wie-«

»Halt, warte mal«, unterbrach Sabrina ihn. »Du warst ein Verlorener? Wie bist du denn hier gelandet?«

Amadeus machte grosse Augen und blickte zu ihr auf. »Ihr... kennt Wendy? «

Sie nickte. »Ich... komme gerade vom Baum der Verlorenen.«

Verwirrt blinzelte er ins Mondlicht. »Wie kann das sein, wir sind seit Wochen unterwegs...«

»Du bist Tatze, nicht wahr?«, zählte Sabrina eins und eins zusammen. »Einer deiner verlorenen Freunde hat mir erzählt, dass du verschwunden wärst.«

Tatsächlich traten dem Jungen die Tränen in die Augen. »Geht es allen gut? Hast du mit Wendy gesprochen?«

Sabrina nickte. »Bei den Verlorenen ist alles in Ordnung... Na ja, den Umständen entsprechend, nehme ich an... Und Wendy... Nun, sie ist etwas überfordert, aber sie ist okay.«

Amadeus aka Tatze seufzte traurig. »Ich bin so dumm gewesen. Vermutlich habe ich bekommen, was ich verdient habe...«

»Wie meinst du das? Wie bist du hier gelandet?«, hakte sie nach. »Beschützen die Göttinnen Moja, Ponea und Sama die Verlorenen nicht vor den Inkern?« Doch bevor der Junge ihr antworten konnte, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. »Die Fee!«

Wieder liess Tatze den Kopf hängen, doch dieses Mal vor Scham.

»Du bist der Feendieb, nicht wahr?« Mit einem flauen Gefühl im Magen musste sie an Mondkinds Vers denken: ›Bei Klyuss' Kind auf hoher See, findet die Zarin Schlüssel und Fee.‹ Ein Schauer lief ihr den Rücken hinab, als ihr klarwurde, dass das kein einfacher Kinderreim sein konnte, wie Nebelfinger behauptet hatte. Das mussten Zeilen der Prophezeiung sein!

»Ja«, flüsterte der Verlorene und machte damit Sabrinas böse Vermutung zum Fakt.

»Wir sollten gehen«, zischte der Traumdämon und zupfte an ihrem Ärmel. »Bevor uns diese Blut-Nazis doch noch erwischen.«

»Warum?«, wollte Sabrina wissen und scheuchte den Traumdämon weg, der frustriert zur Reling flatterte, um selbst nach den Rettungsbooten zu sehen. »Was hat Peter dir getan?«

»Peter ist ein verbittertes, rachsüchtiges Arschloch. Leider habe ich zu lange gebraucht, um das zu erkennen«, schnaubte der Verlorene. »Ich wollte weg von dieser Insel, also habe ich eine semiontische Botschaft an Peters Bruder gesendet und ihm im Tausch für meine Überfahrt Naseweis angeboten.« Seine Züge wurden weicher, als er weitersprach: »Ich wäre zurückgekommen, sobald ich genug Geld für ein kleines Schiff zusammengespart hätte. Dann hätte ich Wendy und die anderen Unschuldigen mitgenommen... Doch meine Nachricht muss abgefangen worden sein. Stattdessen sind diese Inker aufgetaucht und haben mir die Fee abgenommen.«

»Komm schon, Sabrina!«, grunzte der Dämon, der von der Reling zurückgeflogen kam. »Da ist kein Boot! Du musst den Traumfänger abziehen und es durchziehen!«

Sabrina schloss die Augen und rieb sich die Schläfen. ›Als würde die scheiss Spinne mir einen Ausweg lassen...‹ Erschöpft beugte sie sich vor und blickte Tatze fest in die Augen. »Wo finde ich diesen Inker, dem du Naseweis überlassen hast?«

Amadeus' Augen weiteten sich. »In seiner Kapitäns-Kajüte unter dem Hüttendeck«, flüsterte er eilig. »Das ist dieser Aufbau auf dem hinteren Schiffsoberdeck.« Er deutete Richtung Heck.

Sabrina blickte auf und da sah sie die mit Schnitzereien verzierte Tür, die von zwei Treppen flankiert war. Diese führten auf den besagten Aufbau, wo auch das Steuerrad festgezurrt war.

»Ich komme zurück und hole dich da raus«, versprach sie über Faritales' Protest hinweg. Dann richtete sie sich auf und schlich in Richtung der auffälligen Tür.

»Bist du von allen guten Geistern verlassen?«, schnaubte der Dämon, der, gegen den Wind kämpfend zu ihr aufschloss. »Die Inker werden dich so was von erwischen!«

Sabrina konnte selbst nicht sagen, woher sie diesen Mut auf einmal hatte. Vielleicht, weil sie ihren Traumfänger wiederhatte und deshalb nicht komplett hilflos war. Vielleicht waren es aber auch tatsächlich Mondkinds verdammte Verse. Es war ihr bestimmt, diesen Schlüssel und diese Fee zu finden, da würde wohl kaum etwas schiefgehen...

Als sie an der Tür angelangt war, sah sie, dass Licht unter der Schwelle hervorquoll. Es war also noch jemand wach... Vorsichtig legte sie ein Ohr an das rot lackierte Holz und horchte. Tatsächlich hörte sie etwas durch das massive Holz: Ein Lied, die Klänge eines Klaviers, begleitet vom leisen Gesang einer rauen Stimme... Sie konnte nur hoffen, dass die Musik sie übertönte...

So langsam sie konnte, drückte sie die Klinke runter, sodass Faritales hinter ihr scharf die Luft einsog. Doch tatsächlich gelang es Sabrina, die Tür lautlos zu öffnen. Eilig schob sie sich ins Innere des Schiffs, liess den Traumdämon ebenfalls durch den Spalt schlüpfen, dann drückte sie die Tür wieder zu. Als sie sich umdrehte, fand sie sich in einem Vorraum wieder, der in einen hell erleuchteten Raum führte.

»If I were a falcon, the wind 'neath my wings, I would follow the ship that my true love sails in«

Auf Zehenspitzen schlich sie sich weiter bis zum Torbogen, der in die Kajüte führte und spähte um die Ecke.

Durch die dunklen Buntglasfenster fiel kein Licht. Erleuchtet wurde der Raum durch einen Kronleuchter, der an der Decke zum Schaukeln des Schiffs schwang. Das Mobiliar war sehr simpel gehalten. Regale, auf denen sich dicke Bücher reihten. Vom Alter verzogene Schränke waren an den getäfelten Wänden angebracht, an denen hier und da gekreuzte Zierschwerter und lange, staubige Vorhängen hingen. Auf einem dunkelroten, fleckigen Teppich stand ein grosser, runder, von Stühlen umringter Tisch in der Mitte des Zimmers. Darauf lagen Seekarten, Zirkel, Kursdreiecke und allerlei anderes nautisches Besteck. Neben einer gemütlichen Koje in der Wand stand das Klavier. Und daran sass der junge Pianist und sang sein wehmütiges Schlaflied.

»And in the top rigging I'd there build my nest, I'd flutter my wings o'er lily-white chest«

Die dunkle, heisere Stimme, die sich mit klaren Klavierklängen mischte, erfüllte den Raum. Die Melodie war simpel, scheinbar nur mit einer Hand gespielt, verlor dadurch jedoch nicht an Melancholie.

Der junge Mann, bei dem es sich demnach um den Kapitän des Inkerschiffs handeln musste, sass auf der Kante seines Hockers, die Finger seiner linken Hand ruhig über die Tasten wandern lassend. Dabei warfen die Blätter seiner breiten Schultern eine Falte in sein graues Leinenhemd, das für seine schlanke Statur etwas zu weit geschnitten war. An dem Gürtel, der eine dunkle Schnürbundhose an seinen Hüften hielt, trug er eine Pistole, sowie einen langen Degen. Seine Füsse steckten in abgetragenen Lederstiefeln, mit denen er das Pedal des Instruments betätigte, um Töne zu verschmelzen und Takte zu trennen.

»I offered to take her to Donnybrook Fair, to buy her fine ribbons to tie up her hair«

Neben ihm auf dem Hocker lag ein verkorktes Likörfläschchen, in dessen Inneren etwas sachte vor sich hin glomm wie die müde Flamme einer Kerze. Sabrina hätte es vermutlich übersehen, hätte der Sänger den Kopf nicht gedreht und darauf herabgeblickt, als würde er für das Glas singen.

Die Fee!‹, schoss es Sabrina durch den Kopf und sie gab dem Dämon ein Zeichen. Der verzog das Gesicht und zeigte ihr einen Vogel, doch davon liess sie sich nicht entmutigen.

Auf leisen Sohlen begann sie, sich an den Inker anzuschleichen.

»We wanted to stay here to age side by side, but then she was lifted and sailed with the tide«

Nun stand sie direkt hinter ihm und das Herz schlug ihr bis zum Hals. Vorsichtig beugte sie sich vor und griff nach dem Fläschchen. Es fühlte sich warm an. Von Weitem hatte die Fee nur wie ein kleines Licht ausgesehen. Doch aus der Nähe erkannte Sabrina irritiert, dass das Geschöpf, das nicht grösser als eine Mandel war, die Form eines menschlichen Embryos hatte. Seltsame Fee...

›Fehlt nur noch der Schlüssel‹, dachte sie und sah sich nach dem Tisch um, als das Klavierspiel mit einem Mal verstummte. Hinter ihrem Ohr erklang ein metallisches Klicken.

»Hände hoch!«

›Oh nein!‹ Langsam hob Sabrina die Arme über den Kopf. Verzweifelt suchte sie mit den Augen den Raum nach Faritales ab, doch von dem Dämon fehlte jede Spur. – Hatte der Satansbraten sie etwa im Stich gelassen?!

»Fallen lassen!«

Sie liess das Likörfläschchen los, sodass es zu Boden polterte und über die Planken rollte. Der Inker hinter ihr erhob sich, um es aufzuheben.

Fieberhaft versuchte Sabrina, einen Ausweg zu finden. Sollte sie rennen? Sollte sie kämpfen? Aber was, wenn sie es nicht schaffte, wenn sie zu langsam war? Würde er sie erschiessen?

Der Kapitän ging um sie herum und lehnte sich an den Tisch, ohne den Lauf seiner Pistole zu senken.

»Wer seid Ihr?«, fragte er grimmig. »Und wie bei Klyuss seid Ihr auf dieses Schiff gelangt?«

Sabrina musterte den jungen Mann. Tiefblaue Augen funkelten ihr aus einem bärtigen und von schwarzen Locken umrahmten, kantigen Gesicht entgegen. Über dem aufgestellten Kragen des grauen Hemds, auf dessen Brust das Inkerwappen gestickt war, ragten zwei runde, mit vielen Ringen bestückte Segelohren aus dem langen Haar. Er sah müde aus, hatte dunkle Ringe unter den Augen. Trotz seines Bartwuchses konnte er kaum älter als Mile sein.

Ein spöttisches Lächeln breitete sich auf dem Piratengesicht aus. »Was denn? Habt Ihr Eure Zunge verschluckt oder was?« Lässig stützte er sich mit dem anderen Arm auf die Tischplatte, um sich darauf zu setzen. Erst da sah Sabrina den Haken, der seine rechte Hand ersetzte.

»Ihr seid Captain Hook!«, entfuhr es ihr da. Seltsam, man sah ihm gar nicht an, dass er ein Tintenwesen war.

Der Inker hob eine seiner markanten Brauen. »Was hat mich verraten?«, knurrte er amüsiert, doch dann wurde er wieder ernst. »Ihr habt versucht, meine Fee zu stehlen...«

Tapfer reckte sie ihm das Kinn entgegen. »Es ist nicht gestohlen, wenn es bereits gestohlen ist.«

Der Kapitän nickte und seine Miene verfinsterte sich. »Also hat mein Bruder Euch geschickt?«

Sabrina runzelte die Stirn, doch dann fiel ihr ein, was Amadeus gesagt hatte: ›Ich wollte weg von dieser Insel, also habe ich eine semiontische Botschaft an Peters Bruder gesendet und ihm im Tausch für meine Überfahrt Naseweis angeboten.‹ Dann waren Captain Hook und Peter Pan Geschwister? Statt ihm eine Antwort zu geben, stellte sie ihm eine weitere Frage: »Seid Ihr denn auch ein Tintenwesen?«

Wortlos zog der Pirat den aufgestellten Kragen seines Hemds nach unten, sodass sie die drei Brandmale an seinem Hals sah. Eines davon war eindeutig die Lilie der Inker. »Wenn man es ständig mit Menschen zu tun hat, die ihre eigene Mutter für irgendwelches Blut verkaufen würden«, erklärte er ruhig, »will man irgendwann verbergen, dass ebendieses durch die eigenen Adern fliesst.«

Sabrina schnaubte. »Dann seid Ihr ein Verräter! Wie könnt Ihr trotz Tintenblut ein Inker sein?«

Der Pirat antwortete ihr nicht. »Gehört sie zu Peters Bande?«, brummte er mehr an sich selbst gewandt und kratzte sich mit dem Haken am Bart. »Aber sie hat buntes Blut... Das kann nicht sein.«

Mit einem Mal nahm Sabrina eine Bewegung aus den Augenwinkeln wahr. Ein kleines, schwarzes Monsterchen krabbelte an der Decke entlang. Als sie den Blick des Dämons kreuzte, begann der heftig in Richtung des Piraten zu gestikulieren.

Sabrina schaltete schnell. Genervt liess sie die noch immer erhobenen Arme sinken und verschränkte sie vor der Brust. »Ihr könnt die Waffe wegstecken, Hook«, erklärte sie und hoffte, dass der Pirat nicht merkte, wie ihr der Schweiss ausbrach. »Eure Kugeln wären an mich verschwendet, da sie mir ohnehin nichts anhaben könnten.«

Überrascht legte der Pirat den Kopf schief. »Aye? Ist das so?«, fragte er lauernd und entsicherte seine Pistole.

»Ja«, erklärte sie. »Denn ich bin die Eiszarin!«

Captain Hook blickte verdutzt, dann lachte er. Doch bevor er etwas Spöttisches erwidern konnte, sprang Faritales den Kronleuchter an, sodass dieser krachend hinter dem Piraten auf dem Tisch aufschlug.

Hook schrak zusammen und diesen Moment nutze Sabrina, um ihm die Pistole aus der Hand zu ringen. Mit eiskalten Fingern packte sie seine linke Hand, bis er die Waffe losliess. Flink setzte sie ihr nach, bekam sie zu greifen und richtete den Lauf auf den Kapitän.

»K-keinen Schritt weiter! Z-zurück!«, bestimmte sie stammelnd, doch tatsächlich wich der Pirat vor der geladenen Waffe zurück. »Und her mit dem Schlüssel zu der Zelle des Gefangenen!«

Hook sah sie erstaunt an. »Die... Eiszarin?«, brummte er noch immer perplex und langte langsam an seinen Gürtel, um den Schlüsselbund daran zu lösen.

»Fifty points for Slytherin!«, jubelte Faritales und riss Captain Hook im Flug die Schlüssel aus der Hand, sodass es klirrte. »Jetzt hau ihn endlich k.o. und lass uns von hier abhauen, Sabrina!«

Sie seufzte auf, noch immer rauschte ihr der Herzschlag in den Ohren. »Geh und hol Amadeus! Ich komme schon klar«, wies sie den Nachtmahr an, ohne das geschockte Tintenwesen aus den Augen zu lassen.

»Wie du meinst. Aber dann nichts wie weggeträumt! «, seufzte der Dämon und flatterte mit klirrenden Schlüsseln aus dem Raum ins Freie.

Langsam ging sie auf den Inker zu, die Pistole drohend vor sich ausgestreckt. »Und nun gebt mir die Fee zurück!«

Ohne Widerworte langte Hook in seine Brusttasche und zog das glimmende Likörfläschchen hervor. »Dann ist es wahr?«, fragte er und sah sie aus grossen, meeresblauen Augen an. »Die Herrscher sind wahrhaftig zurückgekehrt?«

Sabrina nahm die Fee entgegen. Dabei fiel ihr Blick auf die vielen Kielnarben am Arm des Kapitäns. – Auch er hatte also für die Antagonisten geblutet...

»Es ist wahr«, sagte sie langsam.

Der Pirat nickte matt. Er hatte seine Lässigkeit verloren und lehnte sich niedergeschlagen an die Wand.

»Was ist?«, fragte sie ihn und nickte ihm mit dem Pistolenlauf zu. »Auf einmal macht Ihr nicht mehr eins auf dicke Hose?«

Er schnaubte und brachte ein spöttisches Lächeln zustande. »Die Eiszarin hat also kalte Hände, ein loses Mundwerk und ist Pazifistin. Mehr habt Ihr nicht zu bieten? Dabei sollt Ihr doch Arkans grosse Heldin sein.«

Missmutig zog Sabrina die Nase kraus. »Dafür gebt Ihr keinen sonderlich furchteinflössenden Schurken ab. Da ist ja sogar mein pummliger Nachtmahr bösartiger! Vielleicht ist es an der Zeit, dass Ihr darüber nachdenkt, auf welcher Seite Ihr stehen wollt, Tintenwesen

Sie konnte den Ausdruck auf Hooks Gesicht nicht deuten, doch sie kamen auch nicht mehr dazu, ihr Gespräch fortzuführen. Die Tür schwang krachend auf und ein entkräfteter Amadeus Minnet, gefolgt von einem panischen Traumdämon platzten in den Raum.

»D-die Inker!«, kreischte Faritales und da erklangen auch schon die Alarmglocken des Schiffs. »Man hat uns entdeckt! Los jetzt, Sabrina!« Er sprang sie an und riss ihr mit den Zähnen den Traumfänger vom Hals.

›Alarm?‹

›... der Gefangene...‹

›Zu den Waffen!‹

Die junge Zarin fing den Anhänger auf und stopfte ihn sich in die Tasche. Dann winkte sie eilig den Verlorenen zu sich heran. »Festhalten!«, zischte sie Amadeus zu und kniff die Augen zu, ohne die Waffe zu senken. Jetzt musste alles schnell gehen! Sie atmete gleichmässig, fokussierte ihre Gedanken, kanalisierte die Emotionen: Der Baum der Verlorenen, Blätter wie Azur, Mitgefühl für Peter, Wut auf Mondkind, Sehnsucht nach ihren Begleitern, die zu Freunden geworden waren...

Sie hörte die Tür aufgehen, Getrampel auf den Planken, die Inker!

›... ein anderes Schicksal...‹

Ein seltsames Schwindelgefühl ergriff sie. »Danke, Revell!«, hauchte sie, als sie spürte, dass es funktionierte.

Plötzlich wurde sie gepackt, jemand prallte gegen sie und warf sie um. Doch bevor sie begreifen konnte, was geschah, begann sie auch schon, zu träumen...

~~~

Hallo liebe Leseleute

Wie immer hoffe ich, dass euch dieses Kapitel gefallen hat.

Den alten Twos-Hasen wird aufgefallen sein, dass ich hier einige Änderungen vorgenommen habe. Es ist jetzt alles kürzer und linearer. Das gibt zwar vor allem Amadeus etwas weniger "Screentime", aber er ist ja eigentlich auch ein Nebencharakter. :3

Und nun dazu, was allen alten Twos-Hasen unter den Nägeln brennt: Wie findet ihr Falk 3.0?

Bin sehr gespannt, was ihr von all meinen Änderungen haltet.

Aber auch an die neuen Twos-Hasen habe ich Fragen: Wie kommt ihr in der Geschichte zurecht? Habt ihr Spass beim Lesen oder regt ihr euch über die Entscheidungen gewisser Figuren unerträglich auf? Oder geht es? ^^'

Vielen Dank für eure Rückmeldungen :D

Liebe Grüsse
Mara

Continue Reading

You'll Also Like

7.6K 280 21
Malakai Knox lebt mit seiner Familie, bestehend aus seinem Bruder, seinem Vater, seiner Mutter und ihm, als zweiter Alpha der Familie, in einem Haus...
231K 13.2K 33
Vienna ist eine Prinzessin, die mit einer schweren Bürde geboren wurde. Allein durch ihre Empfindungen kann sie den kältesten Winter erzeugen. Darauf...
87.8K 4.1K 56
[BAND I] Seit 100 Jahren existiert in diesem Land kein Krieg mehr. Jahrzehnte kämpften die vier Sektoren um die Macht bis das Plasmastein ins Spiel k...
2.3K 161 30
Eleonora Tonks, einst eine fähige Aurorin, arbeitete Seite an Seite mit ihrer Halbschwester Nymphadora Tonks unter dem strengen Auge von Alastor Mood...