Antagona - Lügentraum

By Achuin

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- Wenn hintergründige Schatten auf dich lauern. Wenn Sterne in Scharen vom Himmel herabfallen. Wenn Wälder... More

Ein holpriger Schritt ins Grab
Der erste Traum
Der große Schöpfer
Verdammte Regeln
Zu ruhig für einen Alptraum
Kein Entkommen
(Saylor) bittere Erkenntnis
Das Verschwinden des illegalen Mädchens
Das abgestorbene Viertel (Saylor)
Geblendet von Gold (Saylor)
Verfluchte Zauberei

Ausgesprochen gutes Marketing

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By Achuin


Der König hat mir Alltagskleidung bringen lassen, da ich immer noch in meinem Pyjama gesteckt habe. Ich habe sie angezogen und wurde bald darauf blitzschnell hinaus gescheucht. Alle hatten es eilig, mich aus dieser Welt wegzubekommen. Ich wurde nach draußen in den Vorgarten begleitet, wo eine Kutsche wartete. Zoran stand bereits dort. Auch er hatte sich umgezogen. Er sah angespannt aus und massierte sich immer wieder mit einer Hand den Nacken. Nun wurde es ernst für ihn.
Ich stellte mich zu ihm. Einige Soldaten beobachteten uns aus ein paar Metern Abstand, als befürchteten sie, Zoran würde die Flucht ergreifen. Er sah nicht so aus, als hätte er etwas dergleichen vor.

,,Dein Plan von gestern Nacht ist ja gewaltig schief gelaufen", sagte ich mürrisch.
Zoran schnaubte. ,,Ja, das ist mir auch schon aufgefallen. Aber danke für die Erinnerung."
Zu mir brauchte er nicht so aufsässig zu sein. Es war immerhin alles seine Schuld. Dennoch verhielt er sich, als würde allein er in der Klemme stecken und nicht ich, die es deutlich schlimmer getroffen hatte. Arrogantes Schwein.

,,Warum so angespannt? Keine Sorge. Wenn du es nicht schaffst, mich möglichst schnell zurückzubringen, dann wird dein Tod nicht durch den König, sondern durch meine Hände ereilen", versicherte ich ihm.
Normalerweise war ich nicht so vulgär. Vielleicht ab und zu ein bisschen. Jedoch konnte ich meinen Frust momentan kaum zurückhalten. An irgendwem musste ich es auslassen und wenn nicht an dem Schuldigen, an wem dann? Zoran warf mir einen ungläubigen Blick zu.
Süffisant schmunzelnd sah er an mir herab und wieder auf. Seine höhnischen Augen riefen mir förmlich zu, dass ich keine Gefahr für ihn darstellte. Dieses Arschloch beleidigte mich, ohne ein Wort zu sagen.

Kurz bevor meine Wut aus mir heraussprudeln und Zoran überschwemmen konnte, kam eine Person herbei. Zoran verneigte sich sofort, als die Person sich näherte. Ich drehte den Kopf zu ihr und entdeckte ein Mädchen mit glänzend rotem Haar. So matt wie die roten Tulpen, die in dem Garten blühten. Das Mädchen hatte so helle Haut, als hätte noch nie ein Sonnenstrahl es gewagt, ihren Körper zu berühren. Sie kam lächelnd auf uns zu. Ihre kastanienbraunen Augen schimmerten vor Freude, als sie uns sah. Unter diesen bezaubernden Augen lagen lauter Sommersprossen.

Das musste die Prinzessin sein.
Sie sah nicht aus wie ihre Geschwister und ähnelte ihrem Vater kein bisschen. Dazu war sie viel zu anmutig, zu rein und zu lieblich wie ein schönes Sommerlied.
Ich tat es Zoran gleich und verneigte mich vorsichtshalber. Ich wollte nicht als respektlos gelten. Wer wusste schon, mein Leben könnte davon abhängen.
,,Du bist Zoran, nicht wahr?", fragte sie strahlend.
Er nickte. Omaya warf einen prüfenden Blick auf mich. Sie sah aufgeregt aus und freudig überrascht.

,,Danke, dass du den Menschen hergebracht hast", sagte sie zu Zoran.
Verdutzt sahen ich und Zoran sie an. Sie war die Erste, die sich deswegen bedankte. Sie lächelte breit, als wäre ihr im Leben noch nie etwas besseres widerfahren.
,,Sonst wäre ich nie aus diesem Palast herausgekommen", flüsterte sie uns zu, ,,Endlich passiert mal etwas."
Die Prinzessin klang voller Tatendrang. Sie hielt nicht still und zappelte überschwänglich auf der Stelle, als unterdrückte sie den Drang, vor Freude aufzuspringen. Ungeduldig sah sie sich nach dem Krieger um, der uns begleiten sollte.

,,Wenigstens eine, die glücklich ist", seufzte Zoran über die aufgedrehte Prinzessin.
,,Ach komm, sei nicht so schlecht gelaunt", rief sie Zoran zu, als wären sie jahrelange, dicke Freunde.
,,Was wäre das Leben ohne Gesetzesbrecher? Dann hätten wir ,,Guten" ja nichts mehr zu tun", zwinkerte sie ihm aufmunternd zu.

Energiegeladen lief sie in die Kutsche hinein und setzte sich bereits. Wenn Zoran als kindisch bezeichnet wurde, dann wusste ich nicht, wie ich die Prinzessin nennen sollte. Sie wollte sich einen spaßigen Tag bereiten, als würde sie in den Vergnügungspark fahren. Meine Begleitschaft wurde immer schlimmer. Meine letzte Hoffnung legte ich allesamt auf den Krieger, der kommen sollte. Er war bestimmt eine gewissenhafte und pflichtbewusste Person, die uns sicher hin- und wieder zurückgeleiten konnte.

Ha, ich sah ihn bereits kommen! Er kam aus dem Palast und näherte sich. Trug er etwa eine Kapuze auf seinem Kopf? Ich erkannte ihn nicht richtig. Je näher er kam, desto genauer sah ich ihn-
Sie. Die Person war eine Sie. Und das dunkle um ihren Kopf herum war keine Kapuze. Es waren ihre vollen, dunkelbraunen Locken, sogar voluminöser als meine.
Wenn sie eine der besten Krieger war, dann konnte ja nichts schiefgehen. Ihr Blick war forsch und dominant, steinhart und messerscharf. Sie unterschied sich kaum von den anderen Soldaten.

Erleichtert freute ich mich darüber, dass zumindest eine anständige Person uns begleitete. Als sie endlich vor uns stand, verschlug es mir den Atem. Einen Moment.
Konzentriert überprüfte ich ihr Gesicht. Diese hellbraune Haut. Diese dunklen Augen. Dieses Gesicht.
Die Erkenntnis sickerte in mein Bewusstsein.

Das war die Frau aus meinem Traum! Diejenige, die am Ende zu Staub verfallen war. Sie fixierte Zoran.
,,Zoran, lange nicht mehr gesehen. Ich hätte aber nie gedacht, dass ich dich als Kleinkriminellen  wiedersehen würde.", lachte sie hämisch.
Ihre Stimme klang nicht ranzig oder verschreckend wie in meinem Traum. Sie war markant und fest, selbstsicher und stolz.
Beide blickten sich eine lange Zeit lang an. Verwundert sah ich zwischen ihnen hin und her. Wieso hatte er mich von dieser Frau träumen lassen?
Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. Er hatte eine eiserne Miene aufgesetzt, als würde er seine Gefühle unter einer Fassade verbergen wollen und hielt dies nur schwer aus. Der Damm war kurz davor zu brechen.

,,Na los, steigt ein. Bringen wir das Ganze hinter uns", sagte die Kriegerin weniger motiviert, ,,Ich habe schließlich noch mehr zu tun, als dir dabei zu helfen, deine Fehler zu begleichen."
Sie trug ihre Rüstung mit solch einem Stolz, dass ich mich automatisch minderwertig fühlte neben ihrer Präsenz. Es kam mir sogar so vor, als stellte sie ihre Rüstung extra zur Schau und lief mit gehobenem Kinn, um Zoran zu zeigen, was er verloren hatte. Sie rieb es ihm gnadenlos unter die Nase, dass sie eine kompetentere Soldatin war als er.

Meine Hoffnungen auf mindestens einen normalen Begleiter verflogen und lösten sich in Luft aus. Mich verfolgte eine Pechsträhne. Das hatte alles angefangen seit ich Zoran begegnet bin. Dieser Typ bedeutete mein Untergang.

Die Kriegerin setzte sich neben die Prinzessin. Ich und Zoran saßen den Beiden gegenüber. Eine Spannung entstand in der Kutsche, als hätte sie sich elektrisch aufgeladen. Ein unsichtbares Gewitter wütete zwischen uns.
Nur Omaya hielt ihre Liste in ihrer Hand und überprüfte lächelnd die Zutaten. Sie stellte die Sonne dar, die hinter dem bewölkten Himmel ab und zu auftauchte und die regnerische Atmosphäre erhellte.

,,Hm, das ist alles leicht zu holen", grübelte sie, ,,Außer eine Sache. Die holen wir als Letztes."
Nachdem sie diesen Satz ausgesprochen hatte, fuhr der Kutscher los. Ich fragte mich, woher er wusste, wohin er fahren sollte. Die Prinzessin hatte ihm nichts dergleichen gesagt. Ich stellte es nicht weiter infrage.

Während Omaya sich ständig die Liste durchlas und alles doppelt und dreifach prüfte, lösten sich die perfiden Blicke zwischen der Kriegerin und Zoran keine Sekunde lang. Von aller Hoffnung verlassen lehnte ich meinen Kopf gegen das Fenster und sah nervenblank hinaus auf die Landschaft, um mich abzulenken.
Ich wusste nicht, wohin wir fuhren und wie lange es dauern würde. Zumindest konnte ich mich darüber freuen, dass während dieser Fahrt meine Hände nicht in Schellen lagen.

Da bevorzugte ich sogar Busfahren, als stundenlang in einer engen Kutsche zu sitzen mit Personen, die ich nicht kannte und nicht leiden konnte. Ich fühlte mich eingeengt. Mit jeder Minute wurde es stickiger, was meiner bereits schlechten Laune nicht gut kam.
Da platzte es ungewollt aus mir heraus: ,,Wieso habt ihr keine Autos? Ihr seid hoch technisierte Wesen wie wir und fahrt immer noch mit diesen Kutschen?"
Omaya sah von ihrer Liste auf. Der stille Starrkampf zwischen Zoran und der Kriegerin wurde unterbrochen. Sie wirkten überrascht über meinen Ausbruch. Omaya war die Einzige, die mir eine Antwort gab.

,,Wir haben gesehen, was das mit eurer Welt macht. Da fahren wir lieber einige Stunden mit der Kutsche, als unseren eigenen Untergang zu beschleunigen. Schließlich haben wir genug Zeit."
Das ergab Sinn. Sie lebten hunderte Jahre. Was machte es aus, einige Stunden zu warten? Unser Zeitgefühl musste sich sehr unterscheiden.
Omaya war noch nicht fertig. ,,So ist es auch bei unserer Armee. Sie dürfen keine Gewehre tragen. Schusswaffen sind strengstens verboten für jeden von uns. Aus den Fehlern dümmerer Spezies lernen wir."

Ich fühlte mich kein bisschen beleidigt. Sie hatte recht. Der einzige Krieg, den diese Wesen führten, war der Kampf gegen die Umbranen. Es erklärte, weshalb ich in dieser Welt als mickriges und niederes Wesen angesehen wurde. Ob wir gleich aussahen spielte keine Rolle, ich war bloß ein unbedarfter Mensch.
Omaya zwinkerte mir plötzlich spitzbübisch zu. „Vertrau nicht so sehr auf das, was du im Zentrum gesehen hast. So modern sind wir gar nicht. Das ist alles nur eine Masche, um die Ordnung unter den Massen zu bewahren. Außerhalb der Stadt befindet sich das reinste Chaos, die wahre Welt."

Als wäre die Stadt nicht schlimm genug gewesen, sollte ich nun die „wahre Welt" kennenlernen. Ab sofort konnte es nur noch schlimmer werden.
Meine Wut dämmte sich dennoch ein, weswegen ich meinen Kopf erneut träge gegen die Scheibe fallen ließ und mutlos hinaussah. Wie lange es wohl dauern würde, bis ich zurückkam? Für diese Wesen mochte es nicht lange sein, aber mir kam es wie eine Ewigkeit vor.

Wie lange würde meine Familie denken, ich sei verschwunden oder tot? Es fühlte sich wie in den Krimis an, in denen Personen spurlos verschwanden und erst nach Jahren wieder auftauchten, falls sie überhaupt auftauchten. Keine von ihnen war in fremden Welten gelandet so wie ich.
Wenn ich darüber nachdachte, bevorzugte ich es, in dieser skurrilen Welt festzusitzen, anstatt von einem Psychopathen entführt zu werden.
,,Ich kenne eine alte Dame im anderen Stadtteil. Sie sammelt Kräuter. Dort kann ich den Großteil der Zutaten herschaffen", erklärte uns Omaya.
Ach, so einfach?

Danach summte sie seelenruhig ein Lied, das ich selbstverständlich nicht kannte. Ich spielte mit dem Gedanken, sie zu fragen, wozu ich all diese Gemische brauchen würde. Ich hielt den Mund. Wahrscheinlich würde ich nichts davon verstehen. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass Omaya nicht mehr stoppen würde, wenn sie erst einmal anfing zu erzählen.
Ich konnte einer Prinzessin nicht sagen, dass sie den Mund halten sollte, wenn ich genug von ihr hatte. Vor allem nicht, wenn eine Kriegerin neben ihr saß, die aussah, als wäre sie bereit, jedem von uns den Kopf zu abzuschlagen. Meine Mutter hatte mir immer gesagt, dass zu viel Neugierde ungesund sei. Dies war ein Moment, an dem sie recht hatte.

Nachdem Omaya dasselbe Lied über zwanzig Mal von vorne gesummt hatte, kamen wir endlich an. Kaum hielt der Kutscher an, sprang Omaya energisch hinaus. Das Summen hörte auf. Meine Ohren waren befreit von der Qual.
Bevor die Kriegerin ausstieg, mahnte sie uns: ,,Bleibt hier. Wir sind gleich zurück."
Wo sollten wir auch hin? Wenn Zoran einen Rückzieher machen wollte, dann würde er sein Leben verlieren. Ich hatte keinen Grund, um zu verschwinden. Ich wollte nur nach Hause.

Als beide draußen waren, setzte ich mich auf die andere Seite, gegenüber von Zoran, um der Enge zu entkommen. Zoran war die gesamte Fahrt über still geblieben und schwieg noch immer. Seine Augen starrten ins Leere.
Die Sonne schien durch die kleinen Scheiben in die Kutsche und erwärmte sie dadurch stark. Ich fühlte mich, als würde ich lebendig gekocht werden. Ich brauchte dringend frische Luft.

Als ich die Tür öffnete, um hinauszugehen, umklammerte Zoran meinen Arm und fragte: ,,Wohin?"
,,Beine vertreten.", sagte ich knapp, zog meinen Arm zurück und trat hinaus.
So erleichtert hatte ich mich lange nicht mehr gefühlt. Wir befanden uns in einer dörflichen Gegend. Die Luft war rein und frisch und der Wind zog durch die Felder. Es kühlte mich ab und streifte durch mein Haar.

Omaya und die Soldatin sah ich in der Ferne auf ein kleines Häuschen zugehen. Erneut fragte ich mich, wozu ich mitgekommen war, wenn ich in der stickigen Kutsche sitzen und warten musste.
Als ich mich umdrehte, vergaß ich diese Frage sofort.

In einiger Entfernung erblickte ich ein imponierendes Bauwerk. Ich hielt mir die Hand vor die Stirn, damit die Sonne meine Augen nicht blendete, und betrachtete das Werk. Es war ein weiß-goldenes Konstrukt, das eine kreisrunde Form hatte und oben eine goldene Kuppel. Es hatte einen südasiatischen Flair.
Diese Welt überraschte mich immer wieder mit all ihren unerwarteten Seiten. Was suchte solch ein Konstrukt inmitten eines Dorfes?

Das weite Tor des Bauwerkes stand offen. Viele Personen waren am Eingang versammelt. Ich ging näher heran, um hineinspähen zu können. Zwischen den Personen konnte ich in das Innere gucken. Mehrere Regale voller Bücher leuchteten mir entgegen, als wären sie heilig. War das etwa eine Bibliothek? Sie war randvoll gefüllt mit Büchern. Immer näher ging ich heran, ohne mir bewusst zu werden, wie weit ich mich von der Kutsche entfernte.
Es war tatsächlich die größte Bibliothek, die ich je gesehen hatte und das inmitten von Feldern und Wäldern, von Hütten und Seen. Wie ein Traum!
Die Bibliothek hatte so eine elysische Wirkung auf mich, dass ich nicht anders konnte, als hinein zu stürmen. Im Hintergrund vernahm ich Zorans Stimme, der nach mir rief. Ich ignorierte sie gekonnt und lief unbeirrt weiter.

Drinnen angekommen fiel mir die Kinnlade herunter. Hunderte Regale voll Bücher reihten sich an den runden Wänden an. Nein, die Regale waren in die Wände eingebaut. Mehrere Tische voll Stapel an Büchern standen verteilt mitten im Raum.
Im Zentrum des Raumes war es dahingegen hohl. Ich ging ans Gerüst heran und sah hinunter. Von oben konnte man in die unteren Stockwerke sehen. In jedem Stockwerk war die Mitte des Raumes ausgeschnitten, sodass man meterweit hinunter schauen konnte. Ein immenser Kronleuchter hing herab und verlief bis tief nach unten in die letzten Stockwerke.

Ekstatisch führten meine Füße mich links entlang. Solche bezaubernden Bucheinbände hatte ich noch nie zuvor erblickt. Die Bucheinbände allein reichten aus, um mich dazu zu verführen, all diese Bücher zu kaufen. Sie schimmerten auf komische Weise wie Gold aus einer Schatztruhe.
So wertvoll, so anziehend. Ich nahm viele der Bücher in die Hand und las mir ihre Titel durch. Kaum legte ich ein Buch zurück, nahm ich mir das Nächste. So erging es den Anderen in der Bibliothek auch. Ich konnte auf der anderen Seite des Raumes eine Kasse sehen. Dort standen die Wesen Schlange, um zu bezahlen. Es musste also ein Buchladen sein.

Erneut drang eine Stimme zu mir durch. Es war Zoran, der nach mir rief. Mein Blick wanderte zum Eingang. Dort stand er und sah sich um. Ich war untergetaucht in der Mitte der Menge, sodass er mich nicht sehen konnte. Er lief rechts entlang. Die falsche Richtung.
Ich lief weiterhin links entlang. Am Ende würden wir uns begegnen. Wir liefen ohnehin in einem Kreis. Also was machte es schon aus, wenn Zoran ein wenig weitersuchte, während ich mich in Ruhe umsah?

Anfangs war diese Welt für mich ein hässlicher Ort gewesen, doch nun wurde mir bewusst, was sie für Meisterwerke verbarg. Keiner bemerkte, dass ich ein Mensch war — dass ich nicht zu ihnen gehörte. Niemand erkannte, dass ich nicht so war wie sie. Für einen Moment fühlte ich mich sogar so, als wäre ich ein Teil von ihnen. Ein Teil dieser Gesellschaft. Ich kam mir nicht mehr fremd vor. Hier gab es nämlich keine Zauberin, die erkannte, dass ich ein Mensch war, indem sie an mir schnüffelte.

Ich vergaß, weswegen ich hier war. Ich vergaß mein eigentliches Ziel. Ich vergaß alles. Alles, was meine Augen sahen, meine Sinne vernahmen und mein Verstand beinhaltete, waren diese Bücher. Ich kam mir wie in einem Rausch vor. Langsam bewegte ich mich vorwärts und konnte mich dabei nicht sattsehen. Da packte mich jemand an den Armen, sodass ich aus meiner Trance erwachte.
,,Wo steckst du bloß?", fuhr mich Zoran an.

Seine Worte flogen an mir vorbei. Von einem Ohr gingen sie hinein, vom anderen hinaus. Träumerisch sagte ich: ,,Ich wünschte, ich würde hunderte Jahre leben so wie du. Dann könnte ich jedes einzelne Buch aus diesem Buchladen lesen."
,,Der Bann wirkt anscheinend stärker bei Menschen", murmelte er.
Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht sehen. Ich war viel zu beschäftigt damit, mir die Bücher anzusehen, als wäre es für mich von nun an verboten, je wieder etwas anderes zu erblicken.

,,Was für ein Bann?", fragte ich abwesend.
,,Manche Läden legen einen Bann auf ihre Ware, damit sie Kunden von alleine anziehen. Man verspürt den Drang, sich alles kaufen zu müssen. Das machen nur die großen Firmen, da sie es sich leisten können", klärte Zoran mich auf.
Wow, das war Marketing auf eine ganz andere Weise. Eine überaus effektive Weise. So gut, dass sie illegal sein sollte.

Zoran zog mich durch die Menge, da ich von alleine nicht in der Lage wäre, auch nur einen Fuß aus diesem Laden zu setzen. Der Zauber wirkte so stark, dass ich davor war, den Verstand für diese Bücher zu verlieren. Ich war froh, als ich draußen war, obwohl mir schwindelig wurde. Hätte Zoran mich nicht hinausgebracht, wäre ich gewillt gewesen, mein restliches Leben darin zu verbringen.

Mein Kopf brummte, als hätte ich einen Kater nach zu vielem Trinken. Zauberei war ein verteufeltes Werk.
Mir den Kopf reibend setzte ich mich zurück in die Kutsche, da kamen Omaya und die Soldatin bereits zurück. So schnell? Wie viel Zeit war bereits vergangen? Omaya hielt uns die Kräuter, die sie geholt hatte, stolz vor die Nase.
,,Im etwas entfernteren Dorf auf dem Hügel gibt es die restlichen Dinge, die ich brauche. Dort ist auch ein Wald in der Nähe, in dem die Pilze wachsen, die Banu wollte."

Sie setzten sich und der Kutscher fuhr erneut los, als wüsste er ganz genau, wo es lang ging und welcher Wald gemeint war. Während der Fahrt schloss ich die Augen und war bemüht, mich nicht zu übergeben. Diese Reise raubte mir die letzte Energie.
Hoffentlich kamen wir nicht erneut an einem verzauberten Laden oder sonstigem vorbei, das mich um meinen Verstand brachte. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass mich Schlimmeres erwartete als verzauberte Ware.

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