Antagona - Lügentraum

By Achuin

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- Wenn hintergründige Schatten auf dich lauern. Wenn Sterne in Scharen vom Himmel herabfallen. Wenn Wälder... More

Ein holpriger Schritt ins Grab
Der erste Traum
Der große Schöpfer
Verdammte Regeln
Zu ruhig für einen Alptraum
Kein Entkommen
(Saylor) bittere Erkenntnis
Das Verschwinden des illegalen Mädchens
Das abgestorbene Viertel (Saylor)
Verfluchte Zauberei
Ausgesprochen gutes Marketing

Geblendet von Gold (Saylor)

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By Achuin


Die Fahrt mit dem ungewissen Ziel dauerte ewig. Es vergingen Stunden und die Kutsche wollte nicht anhalten. Ich konnte nur schätzen, wie viel Zeit vergangen war. Es kamen mir wie lange, qualvolle Stunden des Schweigens vor. Den Großteil dieser Stunden sind wir an Hochhäusern und Industrien vorbeigefahren. Alles derselbe Anblick.
Wir fuhren und fuhren und fuhren und die Gebäude wollten nicht enden. Die Massen hörten nicht auf. Fuhren wir weiter in die Stadt hinein? Ins Zentrum? Oder fuhren wir hinaus? Ich konnte es nicht beurteilen.

Je weiter wir kamen, desto mehr Personen in Alltagskleidung sah ich. Keine Arbeiter. Eltern mit ihren Kindern, Jugendliche, die durch die Läden streiften, und Senioren, die langsam ihres Weges schlenderten. Bei den Senioren musste ich wegsehen. Sie erinnerten mich an den lieblichen, alten Mann im Laden. Wurde seine Leiche gefunden? Würde sie je gefunden werden?

Aus dem Fenster der Kutsche sah ich hinauf in den Himmel. Der rote Mond war zu sehen, von den beiden anderen keine Spur. Er glänzte kupferrot und erinnerte mich an den Blutmond auf der Erde. Als ich zum ersten Mal einen Blutmond gesehen hatte, war meine kleine Schwester bei mir gewesen. Wir haben zusammen hinaufgesehen und sie hat sich unaufhörliche Geschichten und Mythen über ihn ausgedacht, mit denen sie mir den Nerv geraubt hatte.

Nun saß sie alleine daheim und fragte sich, wo ich war. Doch ihr würde niemals in den Sinn kommen, dass ich in der Welt gelandet war, aus der ihre wirren Träume kamen. Wie ging es meiner Mutter wohl? Wie fühlte sie sich? Weinte sie gerade oder saß sie stumm da und dachte sich nichts dabei? Schwer zu beurteilen. Sie hatte mir gegenüber noch nie ihre Emotionen gezeigt. Es fiel mir schwer, sie mir dabei vorzustellen, wie sie weinte. So viel Vorstellungskraft besaß ich nicht.

Mein Blick glitt vom Mond ab und meine Aufmerksamkeit galt wieder meiner Umgebung. Es erstaunte mich, dass sich so plötzlich alles, was ich bisher von dieser Welt kannte, veränderte.

Die Sonne blendete mir durchs kleine Fenster direkt ins Gesicht. Ich verengte meine tränenden Augen.
Keine Hochhäuser mehr. Keine Schatten mehr, keine Kälte. Alles um mir herum wurde wärmer, greller, bunter. Als hätte man auf einem Foto den Filter von Schwarzweiß auf strahlend Warm gesetzt. Die gesamte Trübnis verflüchtigte sich und meine Augen erblickten zum ersten Mal grün. Hohes Gras, lauter Reihen an Bäumen mit Früchten, die ich nicht identifizieren konnte, und zwischen all dem einzelne, kleine Häuser in verschiedenen Farbtönen. Viele dieser Häuser gab es in warmen Brauntönen so wie die Stämme der Bäume um sie herum. Andere Häuser waren getaucht in rosa Töne, gelbliche Stiche oder sogar hellblau. Im Gegensatz zu dem Industriegebiet bot diese Gegend ein einziges Farbenspiel. Perfekt für die Leinwand. Nur schade, dass ich hier keine Leinwand besaß. Und meine Hände in Handschellen lagen, ohne mir erkenntlichen Grund.

Die Aussicht auf das feine Viertel und die sachten Farben beruhigte mich. Sie lenkten mich von dem Vorfall im Uhrladen ab und halfen mir, herunterzufahren. Fragte sich nur, wieso ich hierher gebracht wurde.
Dieser Ort war viel zu schön, um aus meinem Verstand entsprungen zu sein. Mindestens jetzt musste ich mir sicher sein, dass diese Welt echt war. Der Ort war zudem viel zu friedlich, um eine Gefangene herzubringen. Irgendetwas hatten die Soldaten vor, von dem ich nichts wusste. Ich schloss es aus, dass sie glaubten, ich wäre von dem Biest besessen. Ansonsten hätten sie mich auf den Parasiten getestet. Verwunderlich, dass man den Parasiten am Blut erkennen konnte. Aber was wusste ich schon über diese Welt? Während sie auf der einen Seite das pure Chaos war, war sie auf der anderen Seite das pure Paradies.
Während sie so voller Magie war, war sie auf der anderen Seite modernisiert. Es wollte nicht zusammenpassen.

Ungefähr eine halbe Stunde lang fuhren wir durch die farbenfrohe Gegend. Innerhalb der Häuser erblickte ich hin und wieder mehrere Köpfe. Manche der Wesen machten es sich draußen in ihren Gärten gemütlich und Kinder spielten auf den Straßen. Soldaten gab es kaum, die wie im Industriegebiet an jeder Ecke und Nische standen und die Menge beobachteten.

Es sah nicht so aus, als würde diese Gegend oft attackiert werden. Als würde ich mich nicht bereits genug über dieses Viertel wundern, traf mich der nächste Schlag so unerwartet, dass mir der Mund offen blieb.

Solch ein Gebilde hatte ich noch nie im Leben erblickt. Höher als all die Hochhäuser im Industriegebiet zusammen und die Fläche von hunderten an Fußballfeldern. Das konnte ich nur schätzen, denn meine zwei Augen reichten nicht aus, um das Gebilde im ganzen Umfang zu erblicken. Es war kolossal. Die Türme des Palastes reichten so weit hinauf in den Himmel, als würden sie dem Mond einen Kuss geben wollen. Wohnten Riesen darin? Oder übers Maß hinaus extravagante Personen?

In diesem Palast könnte man sich verlaufen und nie mehr herauskommen, bis nur noch die Knochen von einem übrig waren. Es war die Definition von Größenwahnsinn. Voller Ehrfurcht bestaunte ich das imposante Werk, das der Behausung eines Gottes würdig war.
Ich hätte vermutet, dass an diesem Ort eine Demokratie herrschte, jedoch bewies dieser Anblick mir das Gegenteil.
Je näher wir kamen, desto deutlicher verschlug es mir die Sprache. Die Frage, warum ich hier war, machte mir Angst. Das konnte nur bedeuten, dass sie wussten, wer ich war. Was ich war.

Zoran hatte versagt. Es war die einzige Erklärung. Er hatte gehörig versagt.

Der Palast glänzte von Innen genauso goldbraun wie von außen. Es ging von goldenen Stützpfeilen zu fein bemusterten Wänden bis hin zu Fresken an der Decke. Der Boden des Palastes war beinah auf jedem Quadratmeter bedeckt mit roten Teppichen, die filigrane Muster besaßen.
An fast jedem Eingang standen Vasen, so groß wie ich, mit blutroten Blumen darin. Die Gänge und Wände verliefen nicht geradlinig, sondern schlängelten sich durch wie Wellen. Vielleicht war dem Architekt langweilig gewesen und er dachte sich, dass er etwas anderes ausprobieren sollte. Was waren schon gerade Wände?
Wenn mich nicht zwei Soldaten umgeben und an den Armen packen würden, dann wäre die Führung durch dieses Meisterwerk viel schöner gewesen. Besonders grauenhaft wurde es erst, als wir an Treppen ankamen. Lauter Treppenstufen, die kein Ende nahmen. Wieso hatte ein Palast, der sich hoch hinauf in die Wolken erstreckte, keinen Aufzug? Lustige Gänge zu errichten konnte der Architekt, aber einen Aufzug einzubauen war ihm zu viel.

Ich stöhnte unwillig auf, als die Soldaten mich die Treppenstufen hinauf drängten. Selbst die Stufen waren bedeckt von dünnen Teppichen. Je höher wir kamen, desto prunkvoller wurden die Wände mit ihren Mustern und Farben. Welch ein Traum, sich als Künstler an all diesen Wänden freien Lauf zu lassen. Das gesamte Gebilde glich einem abstrakten Kunstwerk.

Etwas, was ich niemals in dieser Schönheit und Eleganz auf eine Leinwand bringen könnte. Dahingegen kamen mir meine Gemälde wie ein Witz vor. Ich kam mir selbst wie ein Witz vor. Innerhalb von wenigen Minuten bezweifelte ich all meine malerischen Fähigkeiten und meinen Fortschritt.
Obwohl ich momentan Wichtigeres hatte, worüber ich mir Sorgen machen musste, konnte ich nicht drum herum, von dieser Kunst eingesaugt zu werden.
Tausende Treppenstufen und erschöpfte Seufzer später.

Die Soldaten führten mich in einen nächsten Gang. Dieser Flur war ausnahmsweise gerade. Schmal, gerade und äußerst kurz. Am Ende baute sich die massivste Tür vor uns auf, die ich je gesehen hatte. Eine dunkelrot-bräunlich gemusterte, zweiflügelige Tür mit jeweils zwei Türknäufen so groß wie meine Faust.
Vor ihr flankierten diesmal nicht zwei hübsche Vasen, sondern zwei furchterregende Soldaten. Ihre Statur glich der der Tür. So breit, riesig und massiv wie möglich. Ich dachte, es ginge nicht muskulöser als die Soldaten, die mich herführten, doch diese Beiden brachten meine Erwartungen noch einen Level höher.
Hätte man einen Stein gegen meinen Kopf geworfen oder hätten diese Soldaten mich mit ihren Fäusten erschlagen, beides hätte denselben Schaden angerichtet. Sie öffneten die Tür und gewehrten uns Einlass.

Ich bemerkte erst, dass ich den Atem anhielt, nachdem sich die Tür geöffnet hatte. Mir wurde schwindelig.
Hinter dieser Tür verbargen sich viele Dinge, als auch viele Personen. Die erste Person, die mir auffiel, war niemand geringeres als Zoran. Er kniete auf dem Boden, den Kopf gesenkt und die Hände ebenso in Handschellen wie meine. Die Soldaten schubsten mich durch die Tür und stießen mich auf den Boden neben Zoran. Ehe ich sehen konnte, vor wem ich hinkniete, drückte einer der Soldaten meinen Kopf hinunter, sodass ich beinahe den Boden berührte.
Von den Augenwinkeln sah ich, dass Zoran leicht den Kopf zu mir drehte. Ich tat dasselbe. Für einen Sekundenbruchteil verkeilten sich unsere Blicke. Sie waren beide gefüllt mit Selbstmitleid. In seinem schwang Reue mit. In meinem Furcht.

Ich vernahm Schritte. Sie waren ruhig und bedacht. Sie kamen näher. Ich wagte es, den Kopf ein wenig hinauf zu recken. Auf Glanz polierte, rote Schuhe stellten sich in mein Blickfeld. Sie waren umgeben von einem langen Mantel aus goldenem Samt und einem roten Saum.
,,Ihr wollt mir sagen, dass diese Frau ein Mensch ist?", hörte ich eine tiefe, respekteinflößende Stimme.

Seine Frage klang nach einer Drohung. Wenn man sie hörte, bekam man Angst, die falsche Antwort zu geben. Sein Ton versprach nämlich Unheil.
Einer der Soldaten zog mich an den Haaren herauf, als wäre ich ein minderes Scheusal, das keine respektvolle Behandlung verdient hätte. Ich war ja nicht freiwillig hierher gekommen.

Nun sah ich den König in seiner vollen Pracht. Ein Mann mittleren Alters. Er war nicht greis und besaß keinen Bierbauch, wie es die meisten Könige in meinem Geschichtsbuch waren. Er war ein gut aussehender Mann, dessen Gesicht und Haltung pure Stärke ausstrahlten. Seine Größe faszinierte mich. Er war zwar kein Riese - wie es zu seinem Palast gepasst hätte -, aber ich würde ihn auf beinahe zwei Meter schätzen.
Seine dunklen Augen musterten mich skeptisch. Eilig kam ein Soldat herbei und hielt dem König eine Akte entgegen.
,,Dies hat der Aufseher Eurer Fabrik mitgeschickt, Hoheit."

Er nahm sie entgegen, ohne den Soldaten eines Blickes zu würdigen. Als er das Dokument aufschlug, bildete sich mein Gesicht darauf ab. Ich lehnte meinen Kopf ein wenig nach vorn, in der Hoffnung, ich könnte etwas auf den Papieren erkennen. Der Mann, der immer noch meine Haare fest in seinem Griff hatte, zog meinen Kopf unsanft zurück.
,,Sie ist also tatsächlich ein Mensch", stellte der König fest.

Er drückte die Akte - nach gründlichem Durchlesen - zurück in die Hände des Soldaten. Ich konnte an seinem Gesicht nicht ablesen, wie er sich fühlte. Kein Hauch von Entsetzen oder Wut. Nicht das geringste Anzeichen von Überraschung. Er behielt seine eiserne Miene bei. Sein Blick glitt zu Zoran. Auch er wurde schonungslos an seinem Haar hinaufgezogen, das zwar kurz, aber immer noch lang genug zum Greifen war.
,,Und du sollst sie hergeholt haben?"

Abschätzig sah er an Zoran herauf und wieder ab. Seine Frage klang erneut wie eine Drohung, wie ein Todesurteil. Sein Gesicht regte sich nicht. Was dachte er bloß? Was würde er tun?
,,Du siehst wie ein vernünftiger Bursche aus, bist aber doch so dreist, meine Regeln zu brechen."

Er machte eine lange Pause und kam einige Schritte näher an Zoran heran. Plötzlich nahm er sein Gesicht zwischen seine große Hand und quetschte es. Seine Züge bewegten sich keinen Zentimeter, während er gewaltvoll nach Zorans Gesicht griff. Seine ausdruckslose Fassade verriet gar nichts, doch seine angespannten Muskeln zeigten, dass er Zoran in Stücke reißen wollte.

,,Ich kann undisziplinierte Leute nicht leiden. Besonders diejenigen, die aus meinem Volk stammen. Sie bereiten mir nichts als Ärger. Weißt du, was ich mit Ärger mache?", zischte der König in brüskem Ton.
Zoran blickte dem König direkt in die gnadenlosen Augen. Mir kam es gefährlich vor, ihm auf solch einer Weise entgegen zu starren und dem Blick standzuhalten. Als würdest du einem wilden Tier direkt in die Augen sehen und es provozieren. Wenn Zoran seinem Leben unbedingt ein Ende setzen wollte, dann sollte er zumindest nicht andere Personen hineinziehen. So wie mich zum Beispiel.

,,Zuerst wird dem Täter alles, was er begangen hat, vierfach zurückgezahlt. Dann wird er endgültig beseitigt, sodass er nie wieder auch nur daran denken kann, Unordnung in meinem Reich zu schaffen. Antagona ist nicht dein Spielplatz!", beendete der König seine Drohung und ließ ab von Zorans Gesicht.
Obwohl er bitterernst klang, konnte ich von seinen Aussagen nur das Gegenteil behaupten. Wenn er Ärger so gut beseitigen konnte, wieso wurde sein Reich dann von lauter Parasiten zerstört? Wenn Zorans Taten als Unordnung galten, was waren dann diese Viecher?

Zoran wagte es nicht, ein Wort zu sagen. Er verteidigte sich nicht, er klärte nichts auf. In seinen Zügen änderte sich mindestens genauso wenig wie in denen des Königs. Ich hatte ihn als fahrigen und nervösen Mann kennengelernt, der seine Gefühle nicht im Zaun halten konnte. Vor dem König wies er jedoch eine Selbstbeherrschung auf, die mich verblüffte.

Ich warf einen Blick auf den immensen Thron des Königs, der voll von Kissen und Decken war. Es sah so gemütlich aus, dass man darin hätte einschlafen können.
Neben seinem Thron reihten sich fünf weitere auf. Zwei zu seiner Rechten und drei zu seiner Linken. Meine Augen stießen auf zwei weitere Personen, die beide direkt neben dem Thron des Königs saßen. Die anderen Throne standen leer.

Eine Frau mit wallendem, schwarzem Haar saß zu seiner Linken. Ein junger Mann, der dem König sehr ähnlich sah, thronte zu seiner Rechten. Waren es seine Kinder? Sie ähnelten ihm, besonders die Augen. Sie wirkten aber nicht ansatzweise so hartgesotten und insensibel wie ihr Vater.
Meine Aufmerksamkeit galt erneut dem König, als er in meine Richtung kam. Er hob langsam die Hand. Eine beunruhigende Vorahnung schlich sich in mich. Ich machte mich darauf gefasst, von einer grausamen Hand zerdrückt zu werden, da klopfte es plötzlich an der Tür.

Die Hand sank hinunter. Ich atmete erleichtert auf, leise und unmerkbar.
Die Tür ging auf, aber ich sah nicht, wer hereinkam. Als die Person sprach, kam mir die Stimme bekannt vor.
,,Hoheit", sagte der Mann.
Eine kurze Pause, die er wahrscheinlich dazu nutzte, um sich zu verbeugen. ,,Ich habe den Bericht über-''
Er stoppte. Keine kurze Pause mehr. Dem Mann verschlug es deutlich die Sprache. Er kam herum, sodass er Zoran ins Gesicht blicken konnte. Es war ein Soldat, gerüstet in der üblichen, schwarzen Uniform. Mir fiel auf, dass die Brosche, die er an seinem Harnisch trug, golden war. Bei allen anderen glänzte sie silbern.
Wie erschlagen beäugte er Zoran.

,,Ich wusste, dass ich diesem Idioten noch einmal begegnen würde."
Er klang resigniert, als auch leicht enttäuscht. Seine Augen füllten sich voll Schmerz, als würde er sich innerlich in Selbstmitleid suhlen. Als ich sein Gesicht betrachtete, fiel mir ein, woher ich ihn kannte.

Das war der Soldat, den ich gestern gesehen hatte! Er war unter den Dreien gewesen, denen ich bei der Attacke begegnet bin. Er hatte mir das Blut abgenommen.
,,Sie kennen diesen Jungen?", fragte der König.
,,Ja, Hoheit. Er war zwei Jahre lang bei der Armee. Ich habe ihn sogar höchstpersönlich ausgebildet. Der erste Schüler, den ich in meinem Leben bereue und ich lebe bereits über zweihundert Jahre lang."

An Zorans Stelle wäre ich beleidigt gewesen. Solch ein Affront hätte meinen Stolz gekränkt. Ich besaß zwar nicht viel Stolz, aber in zweihundert Jahren der schlimmste Schüler unter allen zu sein, war eine erstaunliche Errungenschaft. Eine Errungenschaft, die deutlich ins Negative schoss. Immerhin fühlte ich mich nun wohl neben Zoran. Es tat gut, zu wissen, dass es Personen gab, die inkompetenter und hoffnungsloser waren als ich. Neben Kira habe ich mich nie so fühlen können.

,,Wenn es eurer Hoheit nichts ausmacht, würde ich gerne wissen, was er diesmal getan hat."
Der stattliche Soldat neigte den Kopf vor dem König, während er sprach. Er sah ihm kein einziges Mal in das Gesicht.
,,Dort drüben siehst du, was er getan hat. Einen Menschen! Nie hätte ich gedacht, dass in mein Reich je ein Mensch geraten würde. Das ist zuletzt meinem Urgroßvater passiert. Dein Schüler hat es erneut geschafft. Dabei bist du der Beste, den ich für den Posten als General hätte auswählen können und doch bist du an diesem Jungen gescheitert", sagte der König, frustriert über das einzige Versagen des Generals.

Der Kopf des Generals erhob sich. Zwei neugierige Augen - die unterschiedliche Farben hatten - richteten sich auf mich. Seine sonst so schmalen Augen weiteten sich nach nur einem Blick. Er erkannte mich.
,,Sie ist der Mensch?"
,,Nein, ich bin es!", regte sich der König auf, ,,Wer sonst?"

Ohne sich seine Empörung anmerken zu lassen, entspannte der General seine Gesichtszüge und legte seine kalte Miene wieder auf.
,,Ich hätte wirklich alles von ihm erwartet, aber nicht, dass er einen Menschen anschleppt", hechelte er wutentblößt, ,,Er benimmt sich wie ein missratenes Kind."
Autsch. Zorans Ausdruck blieb derselbe. Lernte man solche Blicke in der Armee? Diese von allen Emotionen verlassenen, steifen Gesichter waren eine Kunst für sich.

,,Finden wir zuerst heraus, was wir mit dem Menschen machen. Um Zoran kümmere ich mich später. Werft ihn solange in den Kerker! Er ist unwürdig, Teil meines Volkes zu sein", befahl der König.
Obwohl Zoran seine Bedrückung hinter einer Fassade versteckte, sah ich an seinen Augen die Verängstigung, die er verspürte. Die Panik staute sich in ihm an, doch er tat alles, um sie nicht hinaus zu lassen. Die Soldaten kamen von beiden Seiten und griffen unter seine Arme. Er leistete keinerlei Widerstand, als hätte er sein Schicksal angenommen. Oder er stand unter Schock und war komplett blockiert. So erging es mir öfters.
Das dezente Lächeln des Generals entging mir nicht, während Zoran abgeführt wurde. Noch ehe Zoran aus der Tür hinaus kommen konnte, verging ihm dieses Lächeln.

,,Halt!", erhob der junge Mann auf dem Thron Einspruch gegen die rigorose Verurteilung des Königs.

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