Katelyn Carey Diamond
Ich töte, weil es mir Spaß macht.
Doch in Momenten wie diesen vergeht mir der Spaß.
Seufzend weiche ich dem Messer aus. Statt in mein Herz bohrt sich die Klinge ausgerechnet in Van Goghs Sternennacht-Gemälde. Meine Miene verfinstert sich und ein Schatten legt sich auf meine schwarze Iris. »Das war das Original!«
Ich wollte nur einen Kaffee trinken, bevor ich mich mit einem Schaumbad und einer Gesichtsmaske verwöhne, und was bekomme ich stattdessen? Zwei Trottel, die meine Villa versauen!
Allein der Gedanke, später meinem Butler Grayson die Sauerei zeigen zu müssen, bereitet mir Kopfschmerzen.
Der dünne, bleichgesichtige Angreifer – ich nenne ihn Spast – sieht mich mit schief gelegtem Kopf an, als zweifle er die Wahrheit meiner Worte an. Bevor ich meine Beschwerde fortsetzen kann, springt der zweite Angreifer – ein schwarzer Mann, den ich Vollhorst getauft habe – auf mich, bereit, sein Messer in meinem Herzen zu versenken. Gelangweilt weiche ich aus und stelle ihm den Fuß. Schreiend reißt es ihn zu Boden.
Noch bevor er auf dem weißen Teppich aufschlägt, steckt mein Messer in seinem Arsch. »Dafür, dass ihr meine Villa mit eurem Blut besudelt.« Sein weinerlicher Schrei zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht.
Mit einer weiß-goldenen Vase bewaffnet, stürzt sich sein Freund Spast auf mich. Während ich eine Pirouette drehe, schnappe ich mir meinen Laptop vom Glastisch neben mir. Als Schutzschild umfunktioniert, halte ich den Laptop vor meinen Kopf. Die Vase zerbricht. Bei dem Geräusch verziehe ich mein Gesicht.
Jetzt benötige ich nicht nur ein neues Gemälde, sondern auch eine neue Vase! »Dafür werdet ihr bezahlen!« Auf mehr als nur eine Weise.
Ohne mir Beachtung zu schenken, greift Spast nach einer spitzen Scherbe. Als ein hässliches Grinsen auf seinem Gesicht ausbreitet, schlage ich ihm meinen Laptop gegen den Kopf. Seine Augen werden groß, ehe sie nach hinten rollen. Dann geht er zu Boden.
Vollhorst schreit auf. Ruckartig steht er auf, vergisst allerdings das Messer, das in seinem Hintern steckt. Sein Schrei ist so schrill, dass meine Ohren vor Schmerzen pochen. Ich bedecke meine Ohren mit meinen Händen und mein Blick huscht zu den kugelsicheren Fenstern, während ich darauf warte, dass sie zerbrechen. Hätte ich eine Katze, würde sie jetzt vor Qualen laut und schräg miauen.
Wie gern hätte ich eine Katze! Oder zwei. Vielleicht auch drei. Leider hat Grayson mir Haustiere verboten.
Als der Schrei endlich verstummt, schnalze ich mit meiner Zunge. »Dumm. Sehr dumm sogar.« Wie jeder meiner Angreifer. Aber was kann man anderes von Leuten erwarten, die den berüchtigtsten Auftragsmörder des Jahrhunderts aufsuchen und glauben, sie könnten mich besiegen?
Wenn sie überhaupt wissen, dass ich Black Diamond bin.
Seltsamerweise schweigen alle meine Angreifer. Keiner spricht, keiner droht. Alle wollen mich nur schnellstmöglich töten.
Da gibt es jemanden, der mich tot sehen will – also so ziemlich jeder. Die Frage ist nur, ob derjenige Katelyn Diamonds oder Black Diamonds Leiche will.
Wenn ich meine Angreifer frage, erhalte ich weder eine Antwort noch eine klar deutbare Reaktion. Auch Sebastian hat bisher nichts herausfinden können.
Ich schlendere zu Vollhorst und frage ihn mit zuckersüßer Stimme: »Kann ich dir helfen?« Ohne eine Antwort abzuwarten, ziehe ich ruckartig das blutige Messer aus seinem Fleisch. Er zischt. Ich grinse. Als Blutstropfen auf dem perlweißen Teppich landen, schwindet mein Lächeln. Das wird Grayson nicht gefallen.
Aber zuerst muss ich mich um diese Idioten kümmern. Ich packe Vollhorst am Schopf. Überrascht von dem plötzlichen Ruck, schreit er auf. Seine Hände schnellen zu meinem Griff.
Zu spät.
Grinsend ziehe ich die Klinge über seinen Hals. Gurgelnd greift er sich an den Hals, dann krachen seine Beine zusammen.
Tot.
Nun wende ich mich dem am Boden liegenden Spast zu, stoße das Messer in sein Herz und lasse es dort stecken. Kopfschüttelnd betrachte ich die Sauerei, die er und sein Freund angerichtet haben.
»Dich kann man nicht eine Minute allein lassen!«, schimpft Grayson, der gerade mit einem Topf bewaffnet das Wohnzimmer betritt. Seine grauen Haare sind ordentlich nach hinten gekämmt. Im Gegensatz zu seinem grauen Anzug weist sein Gesicht viele Falten auf. Nach Graysons Aussagen zu urteilen, ist nicht sein Alter von fünfzig Jahren für die Falten verantwortlich, sondern ich. »Die Vase habe ich erst vorgestern gekauft! Ein Unikat!« Leicht schüttelt er den Kopf und holt tief Luft, als stünde er kurz vor einem Wutanfall. »Zum Glück habe ich den Teppich gleich fünfmal gekauft«, flüstert er, als versuche er, sich zu beruhigen.
Dann fällt sein Blick auf das Gemälde.
Meine Stunden sind gezählt.
Seinem Blick ausweichend kratze ich mir den Nacken. »Lieber das Gemälde als mein Herz.«
Grayson mustert mich wie ein strenger Lehrer mit Schlagstock – oder wohl eher mit Topf. »Da bin ich anderer Meinung.« Kaum hörbar nuschelt er: »Zum Glück war es nicht das Original.«
Mit hochgezogener Augenbraue schaue ich ihn. »Wie bitte?«
»Hm?«
»Wie, das ist nicht das Original?«
Er schürzt die Lippen. »Ich habe das Originalgemälde gegen eine Fälschung ausgetauscht. Ich ahnte, dass so etwas passieren würde.« Er deutet auf die Sauerei im Raum.
Der will mich doch verarschen, oder?
Mit tieferer Stimme, in der ein Hauch von Schärfe mitschwingt, frage ich: »Wo ist das Originalgemälde?«
Grayson wendet sich ab und läuft zur Treppe. »Ich hole mal einen anderen Teppich. Mal wieder.«
»Grayson!«, rufe ich ihn zurück. »Wo ist das Original?«
Seufzend dreht er sich zu mir um. »In meinem Wohnzimmer.«
Mein Mund klappt auf. »Wie bitte? Das ist mein Gemälde!«
»Um genau zu sein, habe ich das Gemälde mit meinem Geld bezahlt.«
Resigniert schüttle ich den Kopf. »Ich sollte dich feuern.«
Grayson verzieht keine Miene. Ob das daran liegt, dass wir uns fünf Mal am Tag in die Haare kriegen? »Und ich sollte kündigen und trotzdem tun wir es beide nicht.« Er scheucht mich mit einer Handbewegung davon. »Jetzt verschwinde und lass mich meine Arbeit machen.«
Das muss er mir nicht zweimal sagen. Ich brauche meinen Kaffee. Schnurstracks mache ich mich auf den Weg in die Küche, aber natürlich muss es ausgerechnet jetzt klingeln.
»Grayson!«
»Beschäftigt!«, ruft er, als ich ihn auch schon die Treppe herunterlaufen höre.
Ich werfe die Hände in die Luft. Wozu habe ich eigentlich einen Butler? Muss ich neuerdings einen Termin vereinbaren, um Kaffee trinken zu können, oder was? Nicht, dass sich Mörder an meinen Terminplan halten würden. Manchmal machen sie sich nicht einmal die Mühe, meinen Wochenplan zu recherchieren. Der letzte Täter, also der vor Spast und Vollhorst, lag vor zwei Wochen schlafend in meinem Bett, als ich von der Arbeit kam. Er wusste nicht, dass ich bis 4 Uhr morgens in meinem Club arbeite.
Es klingelt ein zweites Mal.
Sehnsüchtig schaue ich zur Kaffeemaschine. Anschließend blicke ich an mir herunter und stelle fest, dass die Blutspritzer, die auf mir gelandet sind, auf meinem schwarzen Nachthemd kaum zu sehen sind. Theoretisch könnte ich die Tür öffnen. Aber mein Kaffee!
Als es erneut klingelt, stöhne ich genervt auf.
Ich hasse mein Leben.
Mit grimmiger Miene schlurfe ich zum Eingang und sehe auf der Überwachungskamera, wer der Störenfried ist. Stirnrunzelnd öffne ich mit meinem Fingerabdruck die Tür. »Warum machst du dir nicht selbst auf?«
Da Sebastian über die Jahre hinweg gefühlt mein Mitbewohner geworden ist, ist auch sein Fingerabdruck im Scanner gespeichert.
»Was für eine nette Begrüßung.« Verkrampft lächelt mich Sebastian an, der sich mal wieder in den buntesten Anzug geworfen hat, den die Weltgeschichte gesehen hat. Heute trägt er einen weinroten Anzug mit einem cremeweißen Hemd und eine Korsettweste in einem hellen Gelb mit blaugrauen Knöpfen. Ein weißes Einstecktuch, eine goldene Kette sowie ein Ring komplettieren das Outfit, indem auch nur er gut aussehen kann.
Sebastian ist so ein Typ, den könnte man in ein Clownskostüm stecken und er würde trotzdem alle mit seinem schiefen Grinsen und den leuchtenden Augen um den Finger wickeln.
Mit Ausnahme von mir.
»Zwing mich nicht, meine Fragen zu wiederholen.«
»Ich wollte nur sichergehen, dass du mich nicht wieder gegen die Wand katapultierst wie letztes Mal.« Sebastian legt seine rechte Hand auf sein linkes Schulterblatt und verzieht das Gesicht. »Ich habe immer noch einen blauen Fleck.«
Sein blauer Fleck wird gleich sein geringstes Problem sein, wenn er nicht ein ernstes Anliegen hat – was fast nie der Fall ist.
Als Miteigentümer unseres Clubs Nightshade, Manager von meinem Auftragsmörder-Etablissement und Stellvertreter der Königin der Unterwelt sollte man meinen, dass er nichts anderes tue, als vor seinem Computer zu sitzen. Stattdessen nervt er mich rund um die Uhr und nachts schnappt er sich einen Mann zum Vögeln.
Und das Schlimmste ist: Er hat nie Augenringe!
»Das war erst gestern«, gehe ich auf seine Anschuldigungen ein. »Natürlich hast du noch einen blauen Fleck. Verdient, übrigens.« Er schnaubt. Unbeirrt fahre ich fort: »Und das Problem wäre gelöst, wenn du dich nicht anschleichen würdest.«
»Da hat jemand aber jemand beschissene Laune.«
»Ist auch ein beschissener Tag.« Ich winke ihn herein, lasse die Tür ins Schloss fallen und führe ihn ins Wohnzimmer.
»Was ist passiert?«
»Ich hatte noch keinen Kaffee.« Dabei ist es schon vierzehn Uhr!
Als wir den Tatort betreten, zuckt er nicht einmal mit der Wimper. »Ohne Kaffee komme ich auch nicht aus«, nickt Sebastian. Sein Blick wandert zu der Leiche von Vollhorst. »Er sieht süß aus.«
»Er wollte mich umbringen.«
Er zuckt mit den Schultern. »Jeder hat Macken.«
»Er ist tot.«
»Bei lebenden Männern hast du sowieso keine Chance.«
Ich rolle meine Augen, ohne darauf einzugehen, dass ich für meinen Job als Auftragsmörder sehr wohl zahlreiche Männer um den Finger wickele. Nur bin das nie ich – weder mein Aussehen noch mein Charakter, nicht einmal mein Humor.
Ich presse meine Lippen zusammen. »Wieso bist du hier?«
Er verspannt sich, wird auf einmal ganz ernst. »Einfach so.« Ich ziehe meine Augenbrauen in die Höhe, mustere ihn streng. Dabei fällt mein Blick auf seine Brusttasche. Vorhin dachte ich, er hätte sein Outfit mit einem Einstecktuch aufgewertet, doch bei näherem Hinsehen erkenne ich, dass die Textur an Papier erinnert.
Ich gehe einen Schritt auf ihn zu, er weicht einen zurück. »Was hast du in deiner Brusttasche?«
»Nichts«, antwortet er etwas zu hastig.
»Okay«, sage ich. Ich zucke mit den Schultern. »Dann muss ich mir wohl die Informationen anderweitig besorgen.« Aus dem Nichts schubse ich ihn nach hinten. Schreiend verliert er das Gleichgewicht und rudert wild mit seinen Armen in der Luft. Mit einer Hand schnappe ich nach seinem Arm und rette ihn vor dem Sturz. Mit der anderen Hand greife ich nach dem Papier.
»Hinterhältig«, brummt er, während er seine Arme vor der Brust überkreuzt.
Langsam öffne ich das gefaltete Briefpapier. Meine Augen springen über die Worte, bis sie an einem Namen hängen bleiben. Ein neuer Auftrag. Jedoch ähnelt dieser keinem anderen. Dieser Auftrag ist keine flehentliche Bitte, kein verzweifelter Hilferuf. Dieser Auftrag ist formell, professionell. Ein Auftrag, den ich unter normalen Umständen niemals annehmen würde.
Ich bin schon so oft gebeten worden, die hier genannte Zielperson zu töten, dass Sebastian mir diese Aufträge normalerweise nicht mehr vorstellt. Aber bisher wurde kein Auftrag so wie dieser verfasst. Höflich, direkt, ohne Umschweife. Und so viel Geld!
Ich bin kein Knecht, der für die Reichen die Drecksarbeit erledigt.
Ich töte nicht, um Geld zu verdienen.
Ich töte, weil ich es möchte.
Geld spielt für mich keine Rolle, sondern die Intention.
Dieser Auftraggeber zog es vor, seine Intention zu verheimlichen.
»Katelyn?« Sebastian sieht mich mit diesem wehleidigen Ausdruck an, den ich nicht ausstehen kann.
In diesem Moment treffe ich eine Entscheidung, die meine Zukunft auf eine Weise verändern wird, die ich mir noch nicht vorstellen kann. »Haben wir noch weitere Aufträge?«
»Nein. Du hast die letzten Tage auf Hochtouren gearbeitet.«
»Gut.« Ich atme tief durch. »Verkünde noch heute, dass ich mich von meinem Geschäft zurückziehe.«
Sebastian starrt mich an, als hätte ich ihm erzählt, ich wäre pleite, was noch unwahrscheinlicher ist, als dass der Weihnachtsmann mit einer Tasse Kaffee vor der Tür steht. Irritiert blinzelt er. »Wie bitte?«
Ich zucke mit den Schultern, als wäre es keine große Sache. »Du kennst mich, Bash. Ich brauche neue Abenteuer und Nervenkitzel. Mord bietet mir das nicht mehr.« Inzwischen ist jeder Mord eine Wiederholung; nichts Neues, nichts Aufregendes.
Ich habe den Penis eines Vergewaltigers mit ätzendem Lack bestrichen und mit Federn geschmückt, ehe ich diesen abgehackt habe. Einem Kinderschänder schnitt ich den Penis ab, stopfte ihn ihm in den Mund, tötete ihn und schickte seine zerstückelte Leiche an seinem Freund, der von seinen Machenschaften wusste. Einen Kindermörder fesselte ich nackt an einen Baum und nutzte ihn als meine Zielscheibe. Das war das erste Mal, dass ich Bogenschießen ausprobiert habe.
Inzwischen habe ich alle erdenklichen Tötungstechniken ausprobiert. Vermutlich hat selbst Lord Lucifer von mir die ein oder andere Foltermethode abgeschaut.
Sebastian fährt sich durch die Haare, versucht das Gesagte zu verdauen. »Ich soll also alle weiteren Aufträge ablehnen?« Es ist mehr ein ungläubiges Schnauben, als eine ernst gemeinte Frage.
»Ich werde nur noch töten, wenn ich Lust dazu habe oder wenn es jemand wirklich verdient hat.«
»Wirst du jetzt Sozialarbeiterin oder was?«
Ich verdrehe die Augen, ignoriere aber seine Aussage. »Diese Mission«, ich halte das Papier hoch, »wird meine letzte sein.«
Die Farbe weicht aus seinem Gesicht. Er schluckt schwer. »Du willst den Auftrag wirklich annehmen?«
»Es wird Zeit.«
Der Jahrestag des Brandes ist nicht mehr lange entfernt.
Vielleichtliegt mein Feind dann schon sieben Meter unter der Erde.