LOVE LETTERS TO A STRANGER

Par larellee

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Liebesbriefe an einen Fremden. »Wer bist du, hinter dem Blau deiner Tinte und dem Kratzen deines Stiftes? Wer... Plus

Widmung
Vorwort
Erster Schmerz ...
01 - Anfänge
02 - Sonnenstrahl
03 - Zuhause
04 - Fast überlebt
05 - Winternächte
06 - Antworten
07 - Marionette
08 - Sehnsucht und Regen
09 - Salz in den Wunden
10 - Für nichts
11 - Du bist das Feuer
12 - Freundschaft
13 - Bilder der Ewigkeit
14 - Wintermondwind
15 - Spind Sechsundachzig
16 - Sich verlieren
17 - Einfach rennen
18 - Preis der Lüge
19 - Keine Antworten
20 - Aufziehender Sturm
21 - Sterbende Träume
22 - Der Fall
23 - Sanftes Lachen
24 - Vier Worte
25 - Briefe an einen Fremden
26 - Augen so tief wie der Ozean
27 - Kleine Schritte
28 - Die Wahrheit
30 - Seelenheil
Loslassen ...
Nachwort

29 - Nichts als Tränen

483 63 39
Par larellee

Wer zu sich selbst finden will, darf andere nicht nach dem Weg fragen.
- Paul Watzlawick -

MEINE FÜẞE TRAGEN MICH, sie halten meinen Körper aufrecht, während meine Seele vornübergefallen ist. Wie können meine Gliedmaßen noch funktionieren, wie kann ich überhaupt atmen, wenn Seth derjenige ist, mit dem ich diese ganzen kleinen Botschaften ausgetauscht habe, von dem ich dachte, wir würden über eine Bindung – wenn auch in einer spezielleren Form – verfügen. Ich will kein Geheimnis mit Seth haben, will nicht, dass er der Schreiber der Briefe ist.

Gerade komme ich mir vor, wie ein Baby, das nicht sein Lieblingseis bekomme hat. Was mir egal ist. Mir ist alles egal. So lächerlich ich klingen mag, ich hatte mir wirklich gewünscht, es wäre Silas. Oder ich hätte zumindest niemals erfahren, wer der Schreiber auf der anderen Seite ist. Solange es niemand ist, der meine Schwächen ausloten möchte, zu seinem eigenen Hochgefühl. Um sich für eine Sekunde erhaben zu fühlen.

Erst jetzt wird mir so richtig bewusst, dass ich gerade den Unterricht schwänze. Ich habe noch nie geschwänzt, sogar entschuldigt gefehlt habe ich selten. Nicht Mal, weil ich eine Oberstreberin bin, wie Violet immer gespöttelt hat, sondern weil es an unserer Highschool ziemlich schwierig ist, zu schwänzen. Dachte ich. An normalen Tagen läuft bis nach dem zweiten Klingeln ein Lehrer durch die Flure und es wird stets eine Anwesenheitsliste geführt. Diese wird heute zeigen, dass ich nicht da bin, der Vergleich mit der im Sekretariat vorliegenden Liste aller entschuldigten Schüler wird ergeben, dass ich nicht entschuldigt bin, sie wird ergeben, dass ich geschwänzt habe – trotzdem hat mich auf dem Schulgelände niemand aufgehalten. Es ist zu leicht, einfach zu verschwinden. Im Verschwinden war ich die letzten Monate schon gut, von daher ist es nichts Neues mehr. Nichts neues für mich.

Nach einer Meile, die sich anfühlt wie drei, bin ich schweißüberströmt und außer Atem, weswegen ich meine Geschwindigkeit drossle, aufhöre zu rennen, und in einen Tick zu Schnellen Gang verfalle, der zu aufgewühlt ist, um entspannt genannt zu werden. Alles dreht sich. Genau wie an dem Nachmittag, an dem Silas und ich am Pier waren, wir Karussell gefahren sind. So fühlt es sich an. Als wäre ich aus einem Karussell in Überschallgeschwindigkeit gestiegen, das mich durch die Luft gewirbelt hat, um mich letzten Endes auszuspucken.

Erstaunlich, dass der Nachmittag nicht einmal vierundzwanzig Stunden her sein soll, in der Zeit konnte ein Teil meiner beschränkten Welt zusammenbrechen. Meiner winzigen, kaputten Welt.

Da sie schon vorher zerbrochen war, ist es vielleicht das, was hätte passieren müssen. Vielleicht muss ich einmal zerbrechen, einmal in Trümmern daliegen, um mich später stärker und besser wieder aufrichten zu können. Vielleicht brauche ich diesen Fall.

Ich weiß, dass sich physikalisch gesehen Boden unter meinen Füßen befindet, gleichzeitig ist es, als hätte man ihn mir unter den Füßen weggezogen: ich falle und falle und falle und alles dreht sich und dreht sich und dreht sich. Ohne Unterlass, kein Ende in Sicht, als ich durch die Straßen Brightons laufe. Auf den Gehwegen ist es weitestgehend ruhig, einige wenige Passanten. Da ich mich den Gebäuden nach zu urteilen mitten im Zentrum der Stadt befinden muss und hier in der Nähe ein Park ist, begegne ich vielen Hundebesitzern, die ihr Tier ausführen. In den Autos, die an mir vorbeirauschen, sitzen bestimmt nur Leute, die gleich zur Arbeit müssen. Die nicht das Gefühl haben, man hätte ihnen den Boden unter den Füßen weggezogen.

Die nicht gerade fallen.

Nichts als Tränen bleibt mir, es hilft nicht, mir zu sagen, Seth hätte diese Tränen nicht verdient. Er hat sie nicht verdient, seine Worte schon. All die unzähligen Worte, all das, was ich in den letzten Monaten sagen wollte, und schlussendlich unkommentiert gelassen habe. Ich weine um alles, weine um Violet und um das, was ich mit ihr verloren habe, weine um das, was ich nun bin.

Ich denke an unseren letzten Abend, kurz bevor Violet und ich geradewegs in unsere Katastrophe zugesteuert sind. Die Steine, auf welchen ich stehe, verschwinden, lösen sich auf.

Die Luft riecht nach Schweiß, billigem Alkohol und noch billigeren Deo, dennoch habe ich noch nie etwas so Berauschendes erlebt, konnte noch nie so loslassen. Körper, die sich im Takt eines tief gehenden Beats ausgelassen bewegen, Musik, die durch meinen Körper sickert. Jetzt gerade, in dem Moment, spielt nichts mehr eine Rolle, Violet und ich sind uns näher denn je, keine Geheimnisse zwischen uns, keine Lügen. Sie kommt auf mich zugeschwebt; ihr Körper, wie der einer Elfe, schiebt sich durch die Massen, als würden sie ihr freiwillig Platz machen. Die wilde Haarmähne mit den violetten Haarsträhnen, den funkelnden Augen. Wir beide dachten an diesem Abend, dass wir für immer wären.

Sag mir Violet, wann haben wir angefangen, damit aufzuhören? Du gibst mir einen Drink, hältst möglichst unauffällig nach jemandem Ausschau. Nach ihm.

Und Seth bemerkt dich nicht einmal, beachtet dich nicht einmal, als du ihm überschwänglich zuwinkst. Dein Blick wird trüb, fällt in sich zusammen. Deine Schultern senken sich herab, als würden sie eine schwere Last ertragen müssen. Als würde er für den Augenblick deine ganze Welt dominieren und hätte sich dazu entschieden, sie mit all der Kraft, die du ihm zugestanden hast, dem Erdboden gleich zu machen.

Wir stoßen an, heben das Glas, setzen es an unseren Lippen an.

Wir stoßen an – auf deinen Untergang.

Nur wissen wir es noch nicht.

Ach Violet. Sich in den falschen zu verlieben ist nie gut. Und wir, wir sind alle die gleichen Narren, haben alle den gleichen Fehler begangen. Du. Seth. Ich nicht, nicht zu diesem Zeitpunkt. Damals hätte ich nicht geahnt, mich genauso wie du und Seth in die vollkommen falsche Person zu verlieben. Und doch ist es uns, früher oder später, allen widerfahren.

Hass kann einen antreiben. Liebe dagegen kann einen weiterbringen. Eure Liebe, unser aller Liebe, hat uns tatsächlich weitergebracht. Nur in verschiedene Richtungen. Sie hat uns auseinandergetrieben.

Ach Violet. Selbst jetzt, selbst jetzt wo er in unsere Richtung sieht, hat er keine Sekunde lang Augen für dich. Ich hasse ihn sowohl mich für die Art, wie er mit deinen Gefühlen spielt. Wie ich mit deinen Gefühlen spielen. Ungewollt; es ändert kein bisschen. Das Endprodukt ist das gleiche.

Violet, du wirst verletzt.

Seth und mein Blick treffen sich.

Meine Miene ist gleichgültig, wie sonst auch, nüchtern und platonisch.

In Seth Augen tobt ein Sturm, genauso wie in deinen. Nur wütet sein Sturm für die falsche Person. Er wütet für mich.

»Manchmal beneide ich, weißt du das?«, fragt Violet neben mir, kippt einen Shot herunter. Der wievielte ist es? Ihrem leicht schummrigen Stand nach zu urteilen einer zu viel.

»Warum solltest du mich denn beneiden?«, frage ich und mache Anstalten, ihr das Shot-Glas wegzunehmen. Kichernd hebt sie den Arm in die Höhe, sodass ich nicht richtig ankomme.

»Weil das Leben bei dir immer so leicht aussieht. Jeder mag dich, deine Noten sind nicht wie meine komplett im Arsch, deine Eltern lieben dich und du weißt immer, was du sagen sollst. Ich hasse das manchmal. Und noch mehr hasse ich, dass du davon nicht einmal etwas mitkriegst.«

»Das ist Schwachsinn, Violet, das weißt du. Du weißt auch, dass bei dir jeder Schlange steht und das auch zurecht!«

Sie achtet gar nicht wirklich auf mich, visiert ihre Schuhspitzen an und kippt gleich darauf zwei weitere Shots herunter.

»Trotzdem will er dich.«

»Weil er ein Idiot ist. Und jetzt lass uns abhauen, du hast zu viel betrunken und die Party ist langweilig.«

Ich zerre an ihrem Arm, ziehe sie mit mir weg. Einen letzten Blick schenkt sie Seth und ich verfluche ihn innerlich dafür, dass er einfach darüber hinwegsieht.

»Jep, ich hasse dich eindeutig«, murmelt sie, nur leichthin. Sie merkt nicht, wie ich mich bei ihren Worten versteife – ich will nicht, dass so etwas zwischen uns steht.

Auf dem Parkplatz ist zum Glück nicht viel los, ich entriegle Violets Wagen und setze mich ans Steuer. Sie ist diejenige von uns, die meistens fährt. Außer an Abenden wie diesen vielleicht, wenn sie betrunken ist. Wir steigen schnell ein, weil der Nieselregen und der Wind unangenehm sind. Ich atme tief ein und aus, ehe ich den Motor starte, wische meine schwitzigen Handflächen an meiner Jeans ab.

Der Scheibenwischer läuft auf Hochtouren kommt kam dennoch nicht ganz hinterher. Der Abend hat vielversprechend angefangen.

»Ich hasse dich«, wiederholt sie und hickst danach.

Anscheinend findet sie das komisch und kichert daraufhin wie wild los.

»Ich weiß«, erwidere ich nur und fahre langsam und auf höchste Vorsicht achtend den dunklen Highway entlang, nur beleuchtet durch das schwache Scheinwerferlicht. Violet kurbelt das Fenster hoch und quetscht sich mit dem Oberkörper aus dem Fenster. Die eiskalte Abendluft trifft mich wie eine Ohrfeige ins Gesicht.

»Violet, hör auf!«, rufe ich ihr zu.

Sie breitet ihre dünnen Arme zu Flügeln aus, wie wir beide es früher in ihrem Garten taten, als wir noch jünger waren.

»Wann haben wir uns das letzte Mal frei gefühlt? Wann haben wir das letzte Mal gelebt? Werden wir überhaupt jemals richtig leben?«, fragt sie kreischend über den Lärm der anderen Autos hinweg.

»Man Violet, komm wieder rein! Wir haben Oktober und es ist schweinekalt!«

Doch Violet hört mich nicht, oder will mich nicht hören. Ich versuche, sie reinziehen, sie widersetzt sich mir lachend und schreit ihre Freude aus der Kehle heraus. Ein paar Regentropfen gelangen ins Wageninnere und einer erwischt sogar meine Wange. Wie eine Träne rinnt er ihr hinab.

»Nein, Honey, dieses Mal lasse ich mir nichts vorschreiben. Ich werde leben. Und nie wieder Rücksicht nehmen.«

Ihr Blick verrät, dass es ihr vollkommen ernst ist. Und das machte mir Angst.

»Violet, du weißt, dass es –«

Sie sieht mich an, ihre Augen durchbohren die Meinen förmlich, dieses Mal ist nichts Betrunkenes mehr darin zu erkennen, sie wirkt plötzlich völlig klar im Kopf. »Ich habe gerade herausgefunden, dass ich rein gar nichts weiß.« Sie wendet sich von mir ab und beugt sich wieder aus dem Fenster, um einem vorbeirauschenden Auto freudig zuzuwinken.

»Du verpasst die Ausfahrt, Honey«, gluckst sie und lacht plötzlich schallend.

Ich reiße hektisch das Lenkrad rum, um noch die rechte Ausfahrt zu erwischen. Meine Hände liegen auf dem Lenkrad, steuern die Blechkiste auf vier Rädern. Meine Hände sind es, die das Lenkrad nicht schnell genug umreißen können.

Der Wagen kommt ins Rutschen, statt wie geplant einfach die rechte Abzweigung entlangzufahren, kracht er geradewegs in einen Graben, überschlägt sich mehrmals, ehe er mit der Beifahrerseite in einen Baum donnert.

Ein Knirschen.

Ein Zersplittern der Fensterscheiben.

Es ist ein Unfall.

Die Erinnerung verblasst, ich sehe nur noch Violet, wie ihr Mund die Worte formt, die ich so lange hören musste: ist war ein Unfall. Ehe ich mich versehe, stehe ich vor dem Krankenhaus, dem Brighton General Hospital, und lasse das kühle Metall über meine Haut gleiten. Der Türgriff wiegt leichter in meiner Hand, als an dem Tag, an dem Theo hier eingeliefert wurde. Ich reiße die Tür auf, trete ein. Die weißen, quadratischen Fliesen werden gerade von einer Putzfrau gereinigt, deren Blick unangenehm auf mir ruht. Mir fällt wieder ein, dass mein Gesicht verheult ist und ich nach Tränen furchtbar aufgequollen bin.

Sie lässt meinen Aufzug unkommentiert.

Im Versuch, die Nässe in meinem Gesicht loszuwerden, wische ich mit dem Ärmel meiner Strickjacke über die Haut. Ein Taschentuch habe ich natürlich nicht dabei.

Am Tresen steht dieselbe Empfangsdame, wie gestern Abend, sie sieht mich mitleidig an und schiebt sich eine ihrer roten Ringellocken hinters Ohr. Ohne mich zu fragen, was denn los sei, reicht sie mir ein Taschentuch, in das ich heftig schnäuzen kann.

»Du möchtest bestimmt wieder zu deiner Schwester?«, fragt sie, obzwar es mehr einer Aussage gleicht. Einer Aussage, mit der sie goldrichtig liegt.

»Ja«, antworte ich, probiere das seltsame Gefühl meiner Zunge, wenn sie Worte formt. Seltsam. Früher habe ich andauernd geredet, jetzt ist schon ein einziges Wort wie ein Kampf.

Die Frau am Empfang trägt meinen Namen auf die Besucherliste ein und ich schlage den Weg zu Theo ein. Wenn ich Glück habe, liegt sie noch im Bett, wenn ich Pech habe, ist sie gerade bei ihrer ersten Therapie. Zaghaft klopfe ich an, eine Krankenschwester öffnet mir stellvertretend für Theo.

»Honey?«, fragt sie verwundert und mit einer Zahnbürste im Mund. Sie sitzt auf einem speziellen Stuhl im Badezimmer, in dem sie sich auch duschen kann. Schließlich müssen ihre Gelenke geschont werden.

»Ich muss mit dir reden«, sage ich leise, stolpere förmlich über die Worte. Gott, es ist so ungewohnt, meine eigene Stimme im Ohr zu haben. So fremd. Ich bin mir selbst so fremd.

Meiner Schwester entgleiten alle Gesichtszüge. Die Zahnbürste fällt Klappernd auf den Boden in ihrem Mini-Badezimmer und sie wischt sich eilig über den Mund, um Zahnpasta-Reste zu entfernen. Blinzelnd, bestürzt und voller Freude sieht sie mich an.

»Ab hier schaffe ich auch alleine, Sandy«, bedeutet sie erstaunlich ruhig, während sie sich halbwegs gefasst vorbeugt, um ihre Zahnbürste wieder aufzuheben.

Die Krankenschwester – Sandy – nickt und eilt hastig davon, augenscheinlich verwirrt über Theodosias Verhalten. Verständlich, sie weiß ja nicht, dass es meine ersten Worte seit Monaten sind.

»Honey, du setzt dich aufs Bett, ich ... oh mein Gott, ich freue mich gerade so! oh mein Gott, oh mein Gott, oh mein Gott!« Ihre Hände gestikulieren wild und sie sieht aus, als könnte sie jeden Moment vor Stolz platzen. Indessen leiste ich ihrem Befehl folge und rutsche über ihr ungemachtes Krankenhausbett, das Laken knittert laut unter mir.

Theodosia setzt sich zu mir, vielmehr lässt sich aufs Bett fallen und verschränkt ihre Beine im Schneidersitz. Ihr Kinn stützt sie unter ihren Händen ab, nach einem tiefen Atemzug sagt sie: »Ich muss erstmal atmen, puh. Also ... du wolltest reden? Himmel, du wolltest reden. Du! Das ist großartig! Ist es dein erstes Mal nach ... zu langer Zeit? Soll ich mich geehrt fühlen? Ich fühle mich jedenfalls sehr geehrt und –«

Prompt unterbreche ich sie. »Nein, es ist nicht mein erstes Mal nach Violets Tod aber ja, du kannst dich schon geehrt fühlen ... ähm, wenn du das möchtest.«

Noch immer ungläubig starrt sie Löcher in die Luft. »Wehe du mutierst jetzt zur Quasselstrippe. Und jetzt erzähl; was wolltest du bereden, worum geht's?«

Und dann erzähle ich ihr alles. Die Worte brechen aus mir heraus, ein ungehinderter Strom an allem, was die letzten Wochen ungesagt geblieben ist: Ich erzähle ihr von Seth und Violet und mir, darüber, wie Seth auf mich stand und ich es nie richtig wahrhaben wollte, wie Violet eines Abends zu mir kam, mir gestanden hat, dass sie auf Seth stehen würde und wie es die ersten Zeichen am Himmel waren, die ersten Zeichen, die das Ende unserer Freundschaft herbeiführten. Ich erzähle ihr, dass Seth und ich Cousin und Cousine sind, dass er demzufolge auch ihr Cousin ist und dass er glaubt, ich wäre schuld an allem. Schließlich bin ich es gewesen, die das Alles zutage gebracht hat. Dass ich lediglich ein Gespräch meiner Tante und meiner Mom mitbekommen habe, weiß er. Es ist ihm egal. Auch, dass ich es ihm im Vertraue gesagt habe, weil ich überzeugt war, er würde die Wahrheit verdienen.

Ich erzähle von der Notiz im Unterricht von Mrs Jackson und davon, dass ich niemals damit gerechnet hätte, dass jemand darauf antworten würde - auch wenn es am Ende so kam. Ich erzähle von all den kleinen Botschaften, die wir über die letzten Monate ausgetauscht haben und dass es sich zwar naiv anfühlt, ich jedoch wirklich das Gefühl hatte, ungehindert mit jemandem reden zu können, jemanden, der mich versteht, mit dem ich meine wirren Gedankengänge nahtlos mit den seinen Gedanken verknüpfen könnte.

Und ich erzähle ihr von Silas und davon, dass ich glaube, mich in ihn verliebt zu haben. Keine harmlose Schwärmerei, sondern das Gefühl, richtiggehend verliebt zu sein, sich bei jemandem wohlzufühlen. Ich sage ihr, dass ich mir gewünscht habe – so irrational es ist – Silas wäre die Person, mit der ich schreibe. Nicht Seth. Niemals Seth, einfach nur Silas.

Nachdem der Damm gebrochen ist, ich Buchstaben zu Worten aneinander fädele, ich Sätze webe und spinne bis sie eine gigantische Decke bilden, unter der ich mich verstecken kann, sieht Theo mich atemlos an, ihre Lippen zu einem Spalt geöffnet.

»Und was wäre, wenn es nicht Seth war? Nur weil er es sagt, muss es nicht sofort stimmen. Jetzt Mal unter uns, ihr kennt euch ja sehr lange und dadurch habe ich ihn auch ein wenig kennengelernt: ich bezweifle stark, dass Seth mit dir im Geheimen philosophische Texte austauscht. Das ... nein, einfach nein. Ich kann's mir beim besten Willen nicht vorstellen.«

»Was, wenn er das nur getan hat, um mir eins auszuwischen?«

Theos Gesicht erhellt sich beim Klang meiner Stimme. »Ich kann immer noch nicht fassen, dass du leibhaftig vor mir stehst und mit mir redest. Und zu deiner Frage: Ja, das würde nach Seth klingen, nur wirft es die Frage auf, woher er die Wortgewalt für die Texte hat. Wenn du mir sagst, dass du glaubst, eure Gedankenstränge würden sich miteinander verbinden, klingt das nicht wirklich nach Seth.«

»Und woher soll er davon wissen?«, gebe ich zu bedenken, verwundert über die Leichtigkeit, mit der ich auf ihre Worte reagieren kann.

»Wenn du sagts, dass dieses Arschloch dich an einen Spind gedrückt hat und wer-weiß-was für Gedanken dabeihatte, kann ich nicht ausschließen, dass er dir auch nachgestellt hat. Du etwa?«

Achselzuckend lasse ich den Blick über den Raum schweifen. »Keine Ahnung. Möglich. Es heißt allerdings auch nicht, dass Silas automatisch der Schreiber ist.«

Theo hebt eine Augenbraue, zieht mir mein Handy aus der Tasche und versucht, das Passwort einzugeben. Ich lasse sie gewähren, sie würde niemals auf den richtigen Code kommen.

»Violets Name und mein Geburtsdatum? Du bist so leicht zu durchschauen, Honey.«

Peinlich berührt will ich ihr das Handy aus der Hand nehmen; sie ist schneller als ich.

»Was tippst du da? Wem schreibst du?«, frage ich panisch, höre, wie meine Stimme sich überschlägt. Es hat ein befreiendes Gefühl in meiner Lunge. Als hätte ich zu lange Druck gehabt und eben dieser hätte sich verflüchtigt. Als wären meine Worte eingesperrt gewesen und jemand hätte sie mit einem Schlüssel befreit. Ironischerweise war dieser jemand Seth – sicher ist es das Letzte, was er gewollt hat.

»Ich habe deinem Silas-Schätzchen geschrieben. Und unsere Eltern sind auch informiert.«

Stöhnend rolle ich mich auf ihrem Bett nach hinten. »Das hast du nicht getan!«

»Oh doch, Schwesterherz. Und du wirst mir dafür noch danken.«

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