Kicking Your Love (Railey & A...

Od darkbutterflyflower

1M 157 106

Auch wenn Railey einen Regionalmeistertitel im Kickboxen hat, wird sie zumeist nur auf ihre Größe reduziert... Viac

Prolog
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
Verlagsveröffentlichung 2022
Taschenbuch Sonderausgaben

4. Kapitel

935 20 8
Od darkbutterflyflower

Kurze Zeit später sitze ich in Jeans, T-Shirt und Lederjacke auf dem Rücksitz von Lukes Mustang. Luke ist zwei Jahre älter als wir und studiert bereits auf einem nahegelegenen College. Er ist groß, schlank und sieht gut aus. Für die Party hat er seine blonden Haare nach hinten gestylt. Auf den ersten Eindruck ist er charakterlich sehr cool. Denn während er sich mit Victoria unterhält, schließt er mich nicht aus wie seine Vorgänger, sondern bezieht mich ins Gespräch mit ein.

Immer wieder tätschelt er dabei Victorias Bein. Es ist keine sexuelle Berührung, sie ist zärtlich und liebevoll. Damit ist er der erste ihrer Freunde, den ich annähernd leiden kann.

Da die Straße vor dem Haus, wo die Party stattfindet, zugeparkt ist, quetscht Luke sein Auto in eine Lücke in einer Nebenstraße. Nachdem wir ausgestiegen sind, küsst er Victoria. Sie sieht wunderschön aus in ihrem engen Kleid, dessen Saum knapp über ihren Knien endet und das ihre kleinen Brüste und schmale Taille perfekt betont. Ihre langen braunen Haare fallen in eleganten Wellen bis zu ihren Hüften. Außerdem hat sie sich geschminkt, wodurch sie kombiniert mit ihren hohen Schuhen noch größer und älter wirkt.

Als sie sich nach dem Kuss wieder voneinander lösen, greift Luke nach Victorias Hand. Sie strahlt mich überglücklich an und ich lächle zurück. Ich freue mich für sie, weil sie sich anscheinend sehr mögen. Doch ein anderer Teil von mir hätte auch gern jemanden, der mich so ansieht oder berührt.

Wir machen uns auf den Weg zu der großen Villa, die am Ende des Viertels in die Höhe ragt. Auf einem kunstvoll angelegten Vorgarten mit akkurat geschnittenen Baumkronen und bunten Blumenbeeten, der dem von meiner Mutter Konkurrenz macht, tummeln sich Jugendliche mit den typischen roten Partybechern in den Händen. Sie unterhalten sich lachend oder tanzen zur Musik. Über der Eingangstür befindet sich ein von einer Balustrade umgebener Balkon. Darauf stehen mein Bruder und fünf Freunde aus seiner Clique. Sie halten ebenfalls Becher in den Händen und beobachten von dort aus das Geschehen.

Wir gehen alle auf dieselbe Schule, weshalb sie letzte Woche auch auf unserem Barbecue waren. Es sind neben meinem Bruder und Austin der Gastgeber Kyle Jackson mit seiner Freundin Isabella Wilson und ihren gemeinsamen Freunden Ben Blake und Shane Davis.

Es ist mir ein Rätsel, wie mein Bruder und die Jungs sich angefreundet haben. Immerhin ist Kyle einer der reichsten, beliebtesten Schüler und Footballstar unserer Schule. Ben hat den Ruf eines verzogenen, draufgängerischen Players und Shane, der sowohl Jungs als auch Mädchen datet, ist Wide Receiver im Footballteam.

Dean hingegen interessiert sich weder für Geld noch für Football. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass er und die anderen insgesamt nur wenige Gemeinsamkeiten haben.

Dennoch hängen sie andauernd miteinander ab und verstehen sich anscheinend super. Dabei ist Dean nicht so beliebt und ihm scheint auch der Ruf seiner Freunde egal zu sein. Er behauptet immer, dass die Gerüchte, dass sie Bad Boys und Player wären, andauernd nur Party machen, schwänzen und total arrogant sind, gar nicht stimmen, und die Mitschüler ein falsches Bild von ihnen haben.

Ich weiß nicht, ob das stimmt, da ich mit ihnen bisher wenig bis gar nicht zu tun hatte. Außerdem hänge ich sowieso immer mit Victoria ab, wenn ich nicht gerade mit dem Kickboxen, Schreiben oder Lesen beschäftigt bin.

Mein Herz bleibt stehen, als mein Blick zu Austin wandert, der die Hände auf dem Steingeländer abgestützt hat und mich direkt anschaut. Er löst seine Finger von der Balustrade und winkt mir zu. Perplex hebe ich die Hand, lasse sie jedoch schnell wieder sinken. Was, wenn er gar nicht mir, sondern jemand anderem gewunken hat?

Ich drehe mich um, doch da sind nur Partygäste, die in Gespräche, das Tanzen oder das Trinken vertieft sind. Hitze schießt in meine Wangen, als ich wieder zu Austin schaue, der wiederum zu mir nach unten sieht.

Um den Anschluss nicht zu verlieren, stolpere ich Luke und Victoria hinterher ins Haus. Wir quetschen uns an den Gästen vorbei, die den kompletten Flur und alle umliegenden Räume des Erdgeschosses einnehmen. Zwar führt eine Treppe nach oben ins Obergeschoss, doch die ist mit einem Absperrband und einem ›Betreten strengstens verboten‹-Schild gesperrt.

Im Haus ist es sehr laut und stickig. Die Bässe der Musik und das Gejohle der Leute, die zu den Songs mitsingen oder sich etwas zubrüllen, vermischen sich zu einem ohrenbetäubenden Dröhnen. Der Gestank von Schweiß, Alkohol, Rauch und einem Hauch von Gras liegt in der Luft. Deshalb bin ich froh, als wir durch das große Wohnzimmer nach draußen in den hinteren Garten gelangen, wo es etwas ruhiger und weniger beengend ist.

Dort steuern Victoria und Luke sofort auf einen großen, langen Tisch an der Seite zu, der als improvisierte Bar dient. Darauf stehen leere Becher und verschiedene Alkoholgetränke, für welche die Mehrheit der Gäste eindeutig zu jung ist. Unter dem Tisch befinden sich mehrere Kisten voller Bier und Säfte.

Victoria mixt uns beiden Cocktails, während sich Luke eine Wasserflasche nimmt.

Meine beste Freundin hält uns ihren Becher entgegen. »Auf einen coolen Abend.«

Wir stoßen dagegen, dann nippe ich an meinem Getränk und verziehe das Gesicht, weil der hohe Alkoholgehalt in meiner Kehle brennt.

Victoria hingegen scheint der starke Cocktail nichts auszumachen. Sie trinkt ihn in einem Zug halb leer. Dann zieht sie uns auf die Wiese vor einen beleuchteten Pool, wo sich bereits mehrere Leute zur Musik bewegen.

»Ich will jetzt tanzen«, bestimmt sie und beginnt bereits, sich mit Luke im Takt der Musik zu bewegen.

Ich gebe mir Mühe, nicht allzu verkrampft zu sein. Weil ich Luke und Victoria nicht bei ihrem innigen Tanz beobachten will, lasse ich meinen Blick über den Garten schweifen.

Einige Jugendliche schwimmen mehr oder weniger bekleidet im Wasser, andere sitzen am Rand und flirten miteinander. Die meisten Mädchen unter ihnen sind schlank, groß, haben lange Beine, eine ansehnliche Oberweite und machen wie Victoria einigen Models Konkurrenz. Wie schön wäre es, wenn ich auch mal als eine von ihnen wahrgenommen werden würde.

Als ich wieder zu Victoria schaue, schwingt diese die Hüften, als hätte sie nie etwas anderes gemacht, und zieht damit nicht nur die Blicke ihres Freundes auf sich, sondern auch die der umstehenden Typen.

Bei mir sieht es nicht so anmutig aus. Ganz im Gegenteil: Ich wirke trotz meiner Bemühungen eher wie ein Roboter, der nicht richtig programmiert ist und lediglich steife Bewegungen vollführt. Weil ich mich unwohl fühle, nippe ich immer wieder an meinem Cocktail, bis er leer und mein Kopf leicht benebelt ist. Zumindest werde ich dadurch lockerer.

Irgendwann hören Victoria und Luke auf zu tanzen, weil sie sich etwas zu Essen holen wollen. Erneut werde ich mitgezogen zu einem Tisch, an dem Fingerfood angeboten wird. Davor hat sich eine lange Schlange gebildet. Der Duft von Pizza liegt in der Luft. Victoria stellt sich Händchen haltend mit Luke hinten an. Da ich nicht mit ihnen warten will und mein Kopf vom Alkohol leicht schwummrig ist, begebe ich mich zu einem nahegelegenen Baum, in dessen Krone sich Lichterketten befinden. Darunter stehen zwei Jungen - einer mit schwarzen und der andere mit blonden Haaren. Beide halten Pizzen in den Händen.

Kurz zögere ich, dann überwinde ich mich und trete zu ihnen. Ich will Erfahrungen sammeln. Mich trauen, jemanden anzusprechen. So schwer kann das doch nicht sein.

Fragend sehen sie mich an.

»Hey«, sage ich, ehe ich mich selbst davon abhalten kann.

Normalerweise bin ich, wenn es um Jungs geht, sehr verklemmt. Nie im Leben würde ich einfach so ein männliches Wesen ansprechen, von dem ich potenziell etwas will. Für mich ist die männliche Spezies ein ungelöstes Rätsel, das es noch zu entschlüsseln gilt. Doch der Alkohol beschwingt mich und lässt mich mutig werden.

»Hey«, antwortet der Schwarzhaarige lächelnd.

Um die Konversation am Leben zu erhalten, frage ich: »Wo kommt ihr denn her?«

»Ich wohne in der Nähe von River Hill«, antwortet er.

»Ich auch«, fügt der andere hinzu und mustert mich mit gerunzelter Stirn. Ich kann mir schon vorstellen, was ihm gerade durch den Kopf geht: Was will denn die Kleine hier?

»Und du?«, will der Schwarzhaarige wissen. Ihn finde ich von den beiden am sympathischsten. Denn er lächelt mich wenigstens freundlich an und wirkt nicht so unbegeistert über mein Auftreten wie sein Freund. Zudem sieht er gut aus.

»Ich komme aus River Hill.«

»Cool.« Er nickt mir zu. Sein Freund wiederum tippt ihn an und nickt in Richtung Haus.

Der schwarzhaarige Typ wirft mir einen entschuldigenden Blick zu. »Wir gehen wieder rein. Man sieht sich vielleicht noch.« Dann verschwindet er mit einem letzten Lächeln in meine Richtung mit seinem Kumpel im Haus.

Ich starre ihnen hinterher, unfähig mich zu bewegen. Auf der einen Seite bin ich enttäuscht, dass ich mich nicht getraut habe, den sympathischen Schwarzhaarigen nach seiner Nummer zu fragen oder dass er meine nicht wollte. Andererseits bin ich stolz auf mich, weil ich mich dazu überwunden habe, auf ein männliches Wesen zuzugehen. Sogar gleich auf zwei.

Schließlich gesellt sich Victoria mit Luke im Schlepptau zu mir und drückt mir ein Pizzastück in die Hand. »Wir haben gesehen, wie du dich mit zwei Typen unterhalten hast. Warum sind sie gegangen? Hast du sie vertrieben?«

Obwohl ihre Stimme einen scherzenden Unterton angenommen hat, versetzen mir ihre Worte einen Stich im Herzen. Ich weiß, dass ich nicht gerade die Flirtkanone Nummer Eins bin.

»Wenigstens habe ich mich getraut, mich mit ihnen zu unterhalten«, erwidere ich.

»Hast du denn ihre Nummern bekommen?«, hakt Victoria nach. Ihre Wangen sind gerötet und sie wirkt etwas angetrunken, was wohl an ihrem zweiten Cocktail liegt, den sie sich zur Pizza geholt hat.

Ich schüttle den Kopf, woraufhin sie mit den Schultern zuckt. »Na ja, die sahen sowieso nicht so gut aus. Da gibt es hübschere Kerle.« Sie öffnet den Mund, als wollte sie noch etwas sagen, doch dann richtet sich ihre Aufmerksamkeit auf jemanden hinter mir. »Tyler!«

Meine beste Freundin stolpert schwankend an mir vorbei. Dabei verschüttet sie ihr Getränk. Stürmisch umarmt sie ihren großen Bruder, der ganz in der Nähe bei seinen Kumpels steht. Tyler ist nicht nur älter als Victoria, sondern im wahrsten Sinne des Wortes groß. Ich reiche ihm mit den Schultern gerade so bis zur Hüfte.

Victoria rauscht mit Luke an der Hand einfach ab, um die Gruppe zu begrüßen. Ich wiederum bleibe wie angewurzelt stehen, weil ich nicht weiß, was ich tun soll. Dabei bemerke ich, wie Tylers Freunde mich unter hochgezogenen Brauen mustern.

»Wer ist denn das Mädchen, mit dem ihr da seid? Die ist ja winzig. Wenn Sie neben deinem Bruder stehen würde, wäre sie ein Zwerg«, meint einer der Jungs, woraufhin alle lachen – inklusive Victoria und Luke.

Mir wiederum ist gar nicht zum Lachen zumute. Unbehaglich schlinge ich die Arme um den Oberkörper. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Dabei werde ich nicht einmal beachtet. Sie haben mir den Rücken zugekehrt, als wäre ich gar nicht anwesend.

Ich will nicht mit anhören, wie sie sich über mich lustig machen. Deshalb verstecke ich mich kurzerhand hinter einem nahegelegenen Baumstamm. Von dort aus kann ich sie allerdings trotz Musik und anderer sich miteinander unterhaltender Gäste noch gut verstehen, da der allgemeine Alkoholpegel ihre Stimmen immer lauter werden lässt.

»Schätzt mal, wie alt sie ist«, meint Victoria.

Ich halte den Atem an. Ich habe gehofft, dass sie es endlich lassen würde. Es ist jedes Mal dasselbe. Jedes Mal stellt sie den Leuten die immer gleiche Frage. Derweil will ich nicht wissen, auf wie jung sie mich schätzen. Victoria ist bewusst, wie unwohl ich mich dabei fühle. Ich verstehe nicht, warum sie es trotzdem immer wieder tut.

»Auf den ersten Blick würde ich sie auf zwölf oder maximal vierzehn schätzen. Aber ich vermute mal, sie ist ein wenig älter, oder? So fünfzehn oder sechszehn?«, meint einer abschätzig. Die anderen nicken zustimmend.

Mir rutscht das Herz in die Hose. Tränen schießen mir in die Augen, weil ich mich bloßgestellt fühle. Stumm verharre ich hinter meinem Versteck. Victoria sieht sich nicht einmal nach mir um. Hat sie mich vergessen?

»Nein, sie ist siebzehn«, klärt meine beste Freundin die Jungs auf. »Und sie ist Hobby-Autorin.«

»Autorin?« Einer der Jungs sieht sie erstaunt an. »Ich finde ja lesen und Aufsätze schreiben in der Schule schon langweilig. Hat deine Freundin nichts Besseres zu tun?«

»Sie hat keinen Freund«, erklärt Victoria. »Aber wenn jemand von euch Interesse hat, Railey ist auf der Suche.«

Ich will im Boden versinken.

»Sorry, ich stehe nur auf Jungs«, erklärt einer der Freunde von Tyler und hebt entschuldigend die Hände.

»Ich bin nicht so der Typ für Beziehungen. Sie könnte wenn dann als Standgebläse herhalten«, wirft ein anderer lachend ein.

»Ich finde, sie sieht ganz süß aus«, meint ein anderer. »Aber ein bisschen zu kindlich wäre sie mir schon.«

Etwas Ähnliches hat Miles auch gesagt. Meine Brust wird eng und ich habe das Gefühl, nicht mehr richtig atmen zu können. Ich will nur noch weg von hier. Deshalb stürme ich aus meinem Versteck hervor.

Erst jetzt scheint Victoria mich zu bemerken. Sie dreht sich überrascht nach mir um. »Da bist du ja. Wo warst du denn und wo willst du hin?«

Ich bleibe stehen, blicke in ihr verwirrtes Gesicht. »Ich habe keine Lust, andauernd als Witzfigur herzuhalten! Oder als Standgebläse«, sage ich mit Blick auf den unverschämten Typen, der mich so bezeichnet hat. Der grinst nur, als wäre das lustig. Ich wiederum finde es alles andere als witzig. Er hat mich ernsthaft beleidigt.

»Stell dich doch nicht so an. Das war sicher nicht so gemeint«, erwidert Victoria verständnislos. »Du verhältst dich gerade total kindisch, statt es mit Humor zu nehmen.«

Fassungslos sehe ich sie an. Ich weiß, dass sie, wenn sie etwas getrunken hat, manchmal gemein sein kann und Dinge sagt, die sie womöglich nicht so meint. Aber ihr Verhalten ist unmöglich. Ich dachte, sie wäre meine beste Freundin. Alkohol hin oder her. Eine Freundin sollte ihre Freundin immer verteidigen. Doch sie macht mich lieber runter oder sieht lachend dabei zu, wie andere es tun.

Weil ich nicht vor allen Partygästen in Tränen ausbrechen will, drehe ich mich endgültig um und laufe an knutschenden Paaren vorbei ins Haus, bis ich in den Vorgarten gelange, wo ich mich erschöpft auf der Veranda niederlasse. Ich bin allein und froh darüber, dass alle anderen sich im Haus oder hinten im Garten befinden. Kyle hat sie dorthin geschickt, damit sie die Nachbarn nicht stören.

Um mich zu beruhigen, atme ich ein paarmal tief durch. Eigentlich sollten mich Luke und Victoria nach der Party nach Hause fahren. Allerdings weiß ich nicht, ob sie das wegen dem Streit noch tun werden. Ich jedenfalls will es nicht. Deshalb schreibe ich Dean, ob er mich später mitnehmen kann. Notfalls würde ich unsere Eltern anrufen, aber die will ich ungern wecken. Außerdem müsste ich dann die Situation erklären, was sehr unangenehm wäre.

Während ich auf Deans Antwort warte, öffne ich die App für die Schreibplattform, auf der ich meine Geschichten hochlade. Meine Lust auf diese Party ist gleich Null. Viel lieber würde ich jetzt in meinem Zimmer auf der Couch liegen und lesen oder schreiben, damit ich das alles vergessen und jemand anderes sein kann.

Ich habe erst zwei Kapitel gelesen, als sich plötzlich jemand neben mich setzt. In der Erwartung, dass es Victoria ist, will ich der Person schon sagen, dass ich meine Ruhe haben will. Doch ich erstarre, als ich in haselnussbraune Augen blicke.

»Austin?«

»Es freut mich, dass du meinen Namen noch kennst. Ich habe dich gesucht.« Mein Herz macht einen Satz. Er hat mich gesucht? Austin registriert meine überraschte Miene mit einem breiten Grinsen. Doch dann wird er wieder ernst. »Warum sitzt du ganz alleine hier draußen?«

»Ich lese.«

»Du liest? Was liest du denn?«

Ich zögere einen Moment, weil ich nicht weiß, ob ich ihm davon erzählen soll. »Mein Buch«, bringe ich schließlich hervor, traue mich aber nicht, ihn anzuschauen. Was, wenn er mein Hobby wie Victoria langweilig und mich nun komisch findet? Und warum kümmert mich das überhaupt?

»Dein Buch?« Austin linst in mein Handy. Schnell mache ich das Display dunkel. »Wie heißt dein Buch denn?«, fragt er, als ich nichts sage.

Ich suche nach Anzeichen in seiner Miene, dass er mich auslacht. Aber er wirkt ehrlich interessiert.

»Es heißt Kampf der Königreiche«, gebe ich leise zurück.

»Und du hast es geschrieben?«

»Ja.«

»Du hast ein komplettes Buch geschrieben? Wie viele Seiten hat es denn?«, hakt er weiter nach, was mich irritiert. Bisher hat sich noch nie jemand dafür interessiert.

Dennoch beschließe ich, das Spiel mitzuspielen, bis er endlich damit aufhört.

»Aktuell sind es fünfhundert Normseiten.«

Austin stößt einen anerkennenden Laut aus. »Wow, Respekt. Ich kenne niemanden, der schreibt, kann mir aber vorstellen, dass das ein Haufen Arbeit ist.«

Verlegen streiche ich meine Haare zurück. »Na ja, es ist schon irgendwie Arbeit. Aber es macht mir ja Spaß.«

»Also ist das Schreiben dein Hobby?«

Ich nicke.

»Was sind denn Normseiten? Und wie lange hast du daran geschrieben?«, will er wissen.

»Eine Normseite ist eine Hilfsgröße, mit der man den Umfang eines Manuskripts besser abschätzen kann«, erkläre ich und frage mich, ob ihn das denn wirklich interessiert. »Das Buch habe ich vor knapp drei Jahren angefangen zu schreiben. Kampf der Königreiche ist aber eine Reihe. Mittlerweile schreibe ich am zweiten Band.«

»Der Titel klingt nach Fantasy?«

Erneut nicke ich.

Austin lächelt. »Ich mag Fantasy- oder Science-Fiction-Bücher. Wo kann ich es denn lesen oder kaufen?«

Ungläubig blicke ich ihn an. Ich habe keine Ahnung, was er damit bezwecken will, mich in ein Gespräch zu verwickeln. Er hat doch bestimmt besseres zu tun, als sich mit mir über meine Bücher und das Schreiben zu unterhalten. Zudem es mich überrascht, dass er liest. Ich kenne außer Dean und seinen Freunden keinen Jungen, der Bücher cool findet.

»Warum bist du hier?«, frage ich ihn deshalb.

»Das sage ich dir erst, wenn du meine Frage beantwortet hast«, entgegnet Austin.

»Welche Frage?«

»Ich habe dich gefragt, was du ganz alleine hier draußen machst.«

»Und ich habe dir darauf geantwortet.«

Austin hebt die Brauen, als würde er mir nicht glauben. »Du flüchtest dich auf einer Party in eine Fantasiewelt. Ganz allein auf der Veranda. Während alle drinnen ausgelassen feiern.«

Ich zucke mit den Schultern. »Mir ist halt gerade nicht nach Feiern. Ich lese lieber. Außerdem gefällt mir die Fantasiewelt gerade besser als diese Scheißparty.«

»Okay.« Er schweigt. »Du hast nämlich nicht gerade sehr begeistert gewirkt, als ihr hier aufgetaucht seid.«

»Meine beste Freundin wollte unbedingt herkommen. Ich wollte Zeit mit ihr verbringen und ein wenig rauskommen. Also bin ich mitgegangen.«

»Deshalb sitzt du jetzt hier ganz allein«, stellt Austin überflüssigerweise fest. »Und das liegt sicher nicht an den Typen und deiner besten Freundin, die sich im Garten über dich lustig gemacht haben?«

Erschrocken sehe ich ihn an. Hat er gehört, was sie gesagt haben?

Ertappt will ich aufstehen, doch Austin hält mich zurück.

»Bitte hau nicht ab. Ich will dich nicht vertreiben oder belästigen. Wenn du deine Ruhe willst, gehe ich wieder rein. Aber ich habe die Aktion von deinen Freunden vorhin mitbekommen und fand das mehr als uncool. Ich habe dich weglaufen sehen. Also bin ich dir gefolgt.«

»Warum?«, frage ich nur.

Mehr bekomme ich nicht heraus. Es ist mir extrem peinlich, dass Austin und vermutlich einige Partygäste im Garten mitangehört haben, wie ich gedemütigt wurde.

»Ich wollte sowieso mit dir reden, weil ich mich für mein Verhalten vor der Turnhalle entschuldigen wollte. Ich habe dich auf den ersten Blick wirklich für einen Jungen gehalten. Das war mir echt unangenehm. Deshalb wollte ich mit Witzen die Stimmung etwas auflockern, was nicht so gut geklappt hat. Mir war nicht bewusst, dass dich das so verletzt. Das war nicht meine Absicht und tut mir leid.«

Mir fehlen die Worte. Ich weiß nicht, was ich von seiner Entschuldigung halten soll. Aber Austin klingt sehr ernst. Kann ich ihm vertrauen?

Er erwidert meinen Blick ruhig. »Willst du darüber reden, was da auf der Party vorhin vorgefallen ist?«

Weil mich der Streit noch immer belastet und ich mir die Worte gerade nicht von der Seele schreiben oder die angestauten Gefühle an einem Boxsack auslassen kann, beschließe ich, Austin davon zu erzählen.

Deshalb setze ich mich wieder neben ihn. Ich brauche jemanden zum Reden. Zwar konnte ich ihn anfangs nicht leiden, jedoch war er auf dem Barbecue meiner Eltern sehr nett zu mir und hat sich bei mir entschuldigt. Dean mag ihn. Sonst würde er ihn nicht in seine Clique integrieren. Vielleicht sollte ich ihm eine Chance geben. Immerhin werden wir uns häufiger sehen. Da würde ich mich lieber gut mit ihm verstehen, statt ihn zu hassen. Womöglich kann er dann auch nachvollziehen, warum ich so überreagiert habe, als er über meine Größe gescherzt hat. Falls er mich danach auslacht, weiß ich, dass er ein ebenso großer Idiot ist wie Victorias und Tylers Freunde. Also gebe ich mir einen Ruck und fange an zu erzählen. Dabei lasse ich kein Detail aus. Denn ihre kränkenden Worte und ihr Gelächter haben sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt.

»Ich weiß aber, dass Victoria, wenn sie betrunken ist, oft verletzende Dinge sagt, die sie so gar nicht meint«, schließe ich meine Wiedergabe der Ereignisse ab.

»Hm.« Austin kneift die Augen zusammen. »Egal, ob sie Alkohol getrunken hat oder nicht. Das, was sie gesagt hat, war nicht nett. Hast du denn schon einmal mit ihr darüber gesprochen, wenn das anscheinend häufiger vorkommt?«

»Ja. Ich habe ihr gesagt, dass mich das stört, und sie hat es eine Zeit lang sein lassen. Aber dann hat sie wieder damit angefangen. Sie findet es lustig und ist der Meinung, dass ich das nicht so ernst nehmen soll.«

»Das ist überhaupt nicht lustig«, meint Austin. »Ganz ehrlich? Eine beste Freundin sollte ihre Freundin verteidigen und nicht bloßstellen. Für mich klingt diese Victoria eher wie eine blöde Muh.«

Verwirrt sehe ich ihn an. »Eine Muh?«

Er grinst. »Warum heißt eine Kuh ›Kuh‹ und nicht ›Muh‹? Immerhin macht sie Muh.« Austin zieht nachdenklich die Brauen zusammen. »Wobei es für die Muh eine Beleidigung wäre, mit deiner Freundin verglichen zu werden.«

Obwohl mir bis eben noch so gar nicht nach Lachen zumute war, entfährt mir ein leises Kichern. Schnell schlage ich mir die Hand vor den Mund.

Austins Mundwinkel heben sich. »Wenn du lachst, strahlst du richtig.«

Überrascht sehe ich ihn an. Ein merkwürdiges Magenflattern macht sich in mir breit. Ich weiß nicht, was ich von seinem Kompliment halten soll, weshalb ich schweige.

»Hast du einen Freund?«, fragt Austin plötzlich.

»Sehe ich so aus, als hätte ich einen? Ich habe noch nicht einmal einen Jungen geküsst. Die denken alle, ich wäre ein kleines Mädchen.«

»Du bist auch klein.«

»Ich bin aber so klein, dass ich für ein Kind gehalten werde.«

Austin schüttelt den Kopf. »Du siehst nicht aus wie ein Kind, Railey.«

»Sag das der Dame, die Victoria für meine Mutter gehalten hat«, widerspreche ich ihm finster.

Austin prustet los. »Wie bitte?«

»Letztes Jahr waren wir kurz vor Weihnachten im Kino. Sie war aufgestylt und hatte hohe Schuhe an, weil sie danach auf einen Geburtstag ging. Ich trug eine Jeans, einen Pulli und eine etwas zu große Winterjacke. Bevor der Film anfing, musste ich dringend aufs Klo und bin an einer Frau vorbeigerannt. Victoria ist mir gefolgt. Und dann sagte diese Frau zu ihr: Mit Kindern hat man es nicht immer leicht.«

Austin hält sich die Hand vor den Mund, um einen erstickten Lacher zu vertuschen.

Eingeschnappt sehe ich ihn an. »Ich finde das nicht witzig.«

»Also ich finde das schon witzig«, meint er mit zuckenden Mundwinkeln, woraufhin ich, ohne es zu wollen, lächeln muss. Ich weiß nicht warum, aber sein Grinsen steckt an.

»Wahrscheinlich hat diese Frau nicht genau hingeschaut und dich nur aus den Augenwinkeln gesehen. Denn ich finde wirklich, dass du ganz und gar nicht aussiehst wie ein Kind«, bemerkt er.

Ich blicke ihm in die Augen und mir wird plötzlich ganz warm, was an dem Alkohol in meinem Blut liegen muss.

»Danke«, sage ich leise und frage mich zugleich, ob er das wirklich ernst meint oder nur gesagt hat, um mich zu beruhigen.

»Was ist denn so schlimm daran, jünger geschätzt zu werden?«, will Austin wissen.

»Ich will nicht andauernd auf meine Größe reduziert werden. Das ist so frustrierend«, erwidere ich. »Du hast es ja mitbekommen. Die Typen nehmen mich nicht einmal ernst. Für sie bin ich Victorias hässliches kleines Anhängsel, über das man sich lustig machen kann.«

»Ich kann verstehen, dass das für dich frustrierend ist. Aber auf solche Leute kannst du verzichten«, meint er. »Die sind es nicht wert, dass du deine wertvolle Lebenszeit damit vergeudest, dich über sie aufzuregen.«

»Hast du dich nicht auch über mich lustig gemacht? Immerhin bin ich ja ein Minion, dem noch gelbe Farbe fehlt«, bemerke ich spitz. Auch wenn ich jetzt weiß, dass er nur Scherze machen wollte, tut es trotzdem noch ein wenig weh.

»Das mit dem Minion war tatsächlich ein wenig übertrieben. Die sind viel kleiner als du«, meint Austin lächelnd. Als ich nichts darauf sage, wird er wieder ernst. Er legt seine Hand auf die meine und sieht mich direkt an. »Es tut mir wirklich leid, Railey. Lass es mich wieder gut machen.«

»Ist schon okay.« Ich bin es schließlich gewohnt, dass man sich über mich lustig macht.

»Nein«, widerspricht er mir. »Ich will mich für mein Verhalten bei dir revanchieren.«

»Das musst du nicht.«

Austin schweigt. Stattdessen betrachtet er mich nachdenklich. »Findest du es denn so schlimm, dass du noch ungeküsst bist?«, wechselt er plötzlich das Thema. »Viele Jungen stehen darauf, wenn ein Mädchen noch nicht so viele Typen zuvor hatte. Wenn man der Erste und Einzige ist. Das ist für sie etwas Besonderes.«

Ich hebe die Brauen. »Das ist also was Besonderes, aber Typen dürfen davor viele Freundinnen haben?«, kontere ich, weil ich schon häufiger mitbekommen habe, dass viele Jungs es erstrebenswert finden, wenn man noch Jungfrau ist, sie selbst aber schon mit einigen Mädchen rumgeknutscht oder geschlafen haben. Die Mädchen werden dann als ›leicht zu haben‹ oder ›Schlampe‹ abgestempelt.

»So meinte ich das nicht«, erwidert Austin. »Jeder sollte das tun, was er will, wenn er dabei niemand anderen verletzt. Es geht ja um die Person, die man liebt, und nicht darum, wie viele Freunde oder Freundinnen sie davor hatte. Aber findest du den Gedanken denn nicht schön, wenn du dich in jemanden verliebst und diese Person die einzige ist, mit der du alle Erfahrungen machst? Erfahrungen, die nur euch beiden gehören?«

»Doch, das klingt schon schön.« Ich würde gerne einen Freund haben, der für mich da ist, so, wie die Vorzeigefreunde in vielen Büchern immer beschrieben werden. Mit ihm meinen ersten Kuss, meine ersten Erfahrungen zu erleben, irgendwann mit ihm zusammenzuziehen, zu heiraten, Kinder zu kriegen und alt zu werden. »Aber heutzutage halten Beziehungen doch sowieso nicht ewig.« Das habe ich bei Victoria und vielen Mitschülern gesehen.

»Was Beziehungen angeht, hast du eine sehr optimistische Einstellung«, bemerkt Austin sarkastisch.

Ich zucke nur mit den Schultern. »Von dem ausgehend, was ich bisher mitbekommen habe, ist es nun mal so. Dabei wünsche ich mir, diese Erfahrungen zu machen. Ich will wissen, wie es sich anfühlt, auf ein Date zu gehen, mit jemandem zu kuscheln, geküsst, berührt und geliebt zu werden.«

»Es gibt durchaus auch viele Beziehungen, die ewig halten. Willst du denn so unbedingt Erfahrungen machen?«, hakt er schließlich mit zusammengezogenen Brauen nach.

Ja, denke ich, traue mich aber nicht, es auszusprechen. Warum habe ich ihm überhaupt davon erzählt?

»Da seid ihr ja!«, ertönt Deans Stimme hinter uns und erlöst mich somit von einer peinlichen Antwort.

Erschrocken fahren Austin und ich auseinander. Erst da fällt mir auf, wie nahe wir beieinandergesessen sind und dass seine Hand bis gerade eben auf meiner gelegen hat. Und obwohl er sie weggenommen hat, spüre ich sie noch immer. Ein Prickeln breitet sich an der Stelle aus, an der er mich berührt hat. Mein Herz klopft schneller, Hitze schießt in meine Wangen.

Dass Dean stirnrunzelnd zwischen uns hin und her sieht, macht es nicht besser. »Habe ich euch erschreckt?« Er grinst wissend. »Oder bei etwas gestört?«

Austin und ich blicken uns an.

Ich schüttle heftig den Kopf.

»Wir haben uns nur unterhalten, während wir auf dich gewartet haben«, erklärt Austin.

»Achso.« Dean mustert uns misstrauisch. Doch dann gähnt er. »Ich bin müde. Wollen wir fahren?«

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