Antagona - Lügentraum

By Achuin

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- Wenn hintergründige Schatten auf dich lauern. Wenn Sterne in Scharen vom Himmel herabfallen. Wenn Wälder... More

Der erste Traum
Der große Schöpfer
Verdammte Regeln
Zu ruhig für einen Alptraum
Kein Entkommen
(Saylor) bittere Erkenntnis
Das Verschwinden des illegalen Mädchens
Das abgestorbene Viertel (Saylor)
Geblendet von Gold (Saylor)
Verfluchte Zauberei
Ausgesprochen gutes Marketing

Ein holpriger Schritt ins Grab

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By Achuin

Träume waren nicht echt, sie waren die Kreation meines Genies. Sie waren der Grund meiner Existenz, Teil meines Daseins. Ich erschuf sie, ein Mensch träumte sie. Eigentlich hatte ich mit Träumen zuvor noch nie etwas am Hut gehabt. Ich selbst konnte nicht träumen. Menschen aber mussten es. Wir mussten ihnen diese ermöglichen.

Der Grund dafür war mir unbekannt. Zu den Besten in der Schule habe ich nämlich nie gezählt, wohl eher zu den Schlechtesten. So magisch es auch klingen mochte, Träume zu erschaffen und in den Verstand von Menschen einzudringen, wir hatten dennoch ein ganz eigenes, nicht so bequemes System, in dem ich mich besonders schwer tat. Und doch machte ich meine Arbeit sehr gut, besser als der Durchschnitt sogar. Nun gut, dies war mein erster Tag bei meiner neuen Arbeit. Dennoch fand ich meine Fähigkeiten bis jetzt äußerst bemerkenswert.

Von wegen, man bräuchte einen guten Abschluss und genügend Wissen über Menschen. Ich bekam das auch so hin.
Wenn man bedachte, dass ich ein Ex-Soldat war, dann schien es nur noch unglaubwürdiger, dass ich mich nun so gut als Schreiber - so nannten wir uns - machte. Ich wurde nämlich aus dem Militär geschmissen.

Klang das merkwürdig? Aus dem Militär geschmissen. Wahrscheinlich war ich der Erste, dem das in diesem Reich passierte. Jedoch möchte ich mich rechtfertigen. Hört mir erst einmal zu, bevor ihr mich für einen Deppen erklärt. Das Ereignis war tatsächlich gestern erst geschehen. Es kam mir jedoch so vor, als wäre es bereits Jahre her:

Der Sarg wog schwer auf meiner Schulter. Die Rückenschmerzen konnte ich bereits kommen sehen. Bemüht, nicht unter dem Gewicht einzuknicken, marschierte ich weiter. Der Trauergesang der Masse um uns herum wurde immer lauter. Vermutlich versuchten sie, die Schreie der Mutter der toten Frau, zu überspielen. Sie winselte, als würde die Welt untergehen. Jedoch war es nur ihre Tochter, die untergegangen war. Aber ich konnte so etwas nicht nachvollziehen. Schließlich hatte ich keine Kinder, keine Geschwister, Eltern, nichts.

Unsere schwarzen Harnische klapperten, während wir vorwärts marschierten, langsam und im Takt. Zusammen waren wir vier Soldaten, die den Sarg trugen. Die strengen Blicke meiner Kameraden waren nach vorn gerichtet, auf das Bild der verstorbenen Frau. Es war umrahmt in Gold und lauter bunte Blumen reihten sich schmuckvoll um das Bild herum auf. Je näher ich kam, desto mehr Details waren darauf zu erkennen. Die Frau war eine Schreiberin mittleren Alters gewesen. Auf dem Bild lächelte sie breit, sodass sich Grübchen auf ihrem rundlichen Gesicht bildeten. Ihre schmalen Augen waren nur leicht hinter den dicken Brillengläsern zu sehen. Sie wirkte wie eine nette Dame. Ob sie wirklich eine war, würde ich nie mehr herausfinden können.

Es war das erste Mal, dass ich auf einer Beerdigung einen Sarg trug. Normalerweise tat die königliche Garde dies nur bei gefallenen Kameraden, jedoch war dieses hier ein besonderer Fall. Alle Opfer der Attacke wurden von uns höchstpersönlich getragen und verabschiedet. So wollte es der König, denn es war unsere Aufgabe, das Volk zu beschützen bei jeder Attacke, die kommen mochte. Und jeder Mord war unsere Schuld, denn es war unser Versagen.

Wir konnten die Schreiberin nicht beschützen, so wie hunderte andere auch. Wir hatten versagt. Ein Stück ihres Blutes klebte auch an unseren Händen, vielleicht nur an unseren Fingerspitzen, aber das war genug, um die ganze Armee in eine Misere zu versetzen.

Geistesabwesend starrte ich auf das Bild der armen Frau, die schmerzhaften Schreie ihrer Mutter in meinen Ohren.
Das Gewicht auf meinem Herzen übertraf das, das auf meinen Armen lastete. Und doch war alles zusammen zu viel für mich. Ein ungeschickter Fehltritt und ich stolperte kläglich. Mein Gleichgewicht geriet ins Schwanken und mit einem lauten Knall fiel ich um wie ein abgesägter Baum. Diese unbequeme Rüstung hat mir das Laufen schon immer schwer gemacht und das Universum mich schon immer gehasst. Addierte man beides, konnte nur eine Katastrophe dabei herauskommen.
Auch meine Kameraden verloren ihr Gleichgewicht. Der Sarg kippte um. Die drei Soldaten versuchten vergebens den Sarg noch zu halten, doch sie scheiterten. Am Ende fielen sie um wie Dominosteine.
,,Meine Tochter!", rief die Mutter.

Ihre Stimme brach ab und ging in ein wehleidiges Krächzen über. Ihre Stimmbänder waren - so weit ich es heraushören konnte - in mieser Verfassung.
,,Sieh gefälligst nach vorn, wenn du läufst!"
Das war die Stimme meines Generals. Eine kühle Stimme, eine harte Stimme. Sie zerschnitt mir die Luft, als wäre sie eine Axt, die kurz davor war, meine Kehle zu durchtrennen.
,,Zoraaaan!"

Ich mochte meinen Namen. Wirklich, ich mochte ihn sehr, aber nicht, wenn General Ameer ihn aussprach. In seinem Munde klang mein Name scheußlich, als wäre er nicht mehr wert als Müll.
Entnervt richtete ich mich auf und murmelte: ,,Verdammt, warum muss sie so schwer sein?"

Die entsetzten Augen der Mutter trafen mich wie zwei Pfeile ins Herz. Hatte ich das gerade laut gesagt? Des Generals Miene verfinsterte sich, als wäre sie nicht schon finster genug. In seinem Inneren herrschte förmlich ein Gewitter, das seinen gesamten Regen auf mich ablassen wollte. In dem Moment war ich mir sicher, dass dies mein Todesurteil bedeutete.

Der General hat mich noch nie gemocht in den zwei Jahren, in denen ich bei der Armee gewesen war. Er behandelte mich immer, als wäre ich der Feind. Diesmal hatte ich das Wasser zum Überkochen gebracht und das gerade nach einer so schweren Attacke an einem so schmerzerfüllten Tag.
,,Ist doch halb so schlimm. Ich meine, sie hat es ja nicht gespürt. Wie auch?", lachte ich verunsichert.

Mein Lachen wurde immer leiser und leiser, bis es erlosch. Keiner lachte mit. Mein Plan, die ganze Situation etwas aufzulockern, ging nach hinten los. Ich war nie jemand gewesen, der sich der Macht seiner Worte bewusst war. Manchmal wollte ich ihn mir selbständig zunähen.
Ehe ich mich versah, fiel die Mutter auch schon um. Erneut ging der Trubel los. Mehrere Personen versammelten sich um sie herum und versuchten, sie zu halten. Sie wedelten ihr Luft zu, einer rief sogar: ,,Holt Wasser!"

Wasser würde der armen Frau auch nicht mehr helfen. Den Kopf gesenkt, ging ich auf die Knie und murmelte: ,,Entschuldigt bitte, ich meinte es nicht so."
Doch, meinte ich. Vielleicht zählte ich zu der unsensibleren Sorte, aber wer tot war, war tot. Ich machte mir eher um die Lebenden Sorgen.

Der General machte langsame und ruhige Schritte auf mich zu. Sie waren etwas zu ruhig für die explosive Art des Generals. Genau deswegen beängstigte er mich, wie er mich noch nie zuvor in meiner Amtszeit beängstigt hatte. Würde er jetzt das Schwert zücken und mir vor aller Leute Augen den Kopf abschlagen? Oder würde er mich mit bloßen Händen erwürgen? Bereitete er sich gerade innerlich auf seinen Wutausbruch vor?

Dieses Ratespiel gefiel mir nicht. Ich bekam nur seine dreckigen Stiefel zu Gesicht. Sie stoppten einige Zentimeter vor mir. Würde er mir ins Gesicht treten? Hoffentlich nicht. Meine schöne, gerade Nase wollte ich nicht verlieren.
,,Steh auf, du Drecksbalg!", verlangte er und zerrte mich mit einer Hand am Arm herauf.

Seine schmalen Augen blickten direkt in meine. Das eine war eisblau, das andere warmbraun. Beide hatten denselben eisernen Ausdruck und dieselbe einschüchternde Wirkung. Seine Augen allein strahlten pure Autorität aus. Ich hatte das Gefühl, dass keine Seele hinter ihnen lag. Wohl eher ein Dämon.

Er hob die Hand, weswegen ich mich auf einen Schlag gefasst machte. Der General aber griff sich meine Dienstmarke, die an meiner Ausrüstung hing, und zog sie mit einem Ruck ab. Die silberne Marke der Nachtkrieger - weil die Angriffe immer Nachts geschahen - von Antagona, die ich bis jetzt so stolz an meiner Schulter getragen habe. Nun entschwand sie mir.

,,Mir reicht es mit dir!", rief der General, als wäre ich ein Plagegeist, der ihn seit Jahren heimsuchte.
,,Du bist es nicht würdig, diesem Reich zu dienen. Du bist schon immer inkompetent gewesen und wirst es auch bleiben! Aufgrund deines verantwortungslosen Verhaltens und der Respektlosigkeit, die du der verstorbenen Schreiberin entgegengebracht hast, wirst du hiermit offiziell vom Dienst entlassen!"

Mir gefror augenblicklich das Blut in den Adern. Entlassen? Mein Gehirn war nicht in der Lage, dieses Wort zu verarbeiten. Ich hatte immer gedacht, als Soldat sterben zu müssen, doch in dem Moment wurde mir klar, dass ich als Versager sterben würde.

,,Es war nur ein Ausrutscher, Sir. Es wird nie wieder vorkommen. Ich bitte Euch, deswegen könnt Ihr mich nicht entlassen", flehte ich
Es stimmte, dass ich mir bisher immer gewünscht hatte, das Gesicht des Generals nie wieder sehen zu müssen. Ich hätte aber nie erahnen können, dass es auf diesem Weg geschehen würde. Meine Wünsche sollte ich in Zukunft besser formulieren.

,,Es ist nicht nur das. Auch bei der Attacke hast du miserable Leistung erbracht. Du bist nicht dafür geeignet, Personen zu beschützen. Du schaffst es gerade noch, selbst auf den Beinen zu stehen. Wie willst du das Volk beschützen? Wo warst du, als all diese Menschen sterben mussten? Hast du wenigstens einen einzigen retten können?", durchbohrte der General mich mit Fragen, die ich nicht beantworten konnte.

Zuvor war eine Attacke von solchem Ausmaß noch nie vorgekommen. Sie war immens gewesen. Meine Augen hatten so etwas zum ersten Mal erblickt und ich hatte das Gefühl, dass es nicht das letzte Mal sein würde.
Ich hatte nicht gewusst, was ich tun sollte. Ich habe es versucht.

,,Ich habe es wirklich versucht. Ich wollte ihnen helfen. Ich habe alles gegeben, aber sie waren nicht aufzuhalten. Ich konnte nichts tun-'', wollte ich weiterhin aufzählen, doch der General hatte genug.
Er warf meine Dienstmarke im hohen Bogen in den Graben, der eigentlich für die Schreiberin gedacht war.
,,Ich, ich, ich. Mehr hast du nicht zu sagen? Es zu wollen ist nun mal nicht genug. Heute wird nicht nur die Schreiberin begraben, die aufgrund deiner Inkompetenz gestorben ist, sondern auch dein Amt. Und damit deine Ehre."

Der General machte eine auffordernde Kopfbewegung und schon trugen mehrere meiner Ex-Kameraden den Sarg in das Grab - direkt auf meine Dienstmarke und auf meine Ehre. Sie griffen sich die Schaufeln und füllten das Grab Stück für Stück mit Erde, bis der Sarg darunter verschwand. Die bewusstlose Mutter bekam nicht mehr die Chance, sich ein letztes Mal zu verabschieden.

General Ameer kam einen Schritt näher. Er beugte sich so weit zu mir, dass sein Mund meinem Ohr ganz nah kam.
,,Sieh zu, wie sie vergraben wird. Dein ganzer Stolz liegt da drin und wird nie mehr hinauskommen", flüsterte er provokant, ,,Wie lange habe ich schon auf den Moment gewartet, dich loszuwerden. Heute ist ein Traum wahr geworden, wie die Menschen doch so schön sagen."
Ich musste nicht hinsehen, um zu wissen, dass er grinste. Sein niederträchtiges Lächeln konnte ich förmlich spüren. Es bereitete mir eine unangenehme Gänsehaut.

Höhnisch lachend, entfernte er sich von mir und sah mit Genuss dabei zu, wie der Graben sich mit Erde füllte. Bin ich ihm etwa so eine große Last gewesen?
Zugegeben, ja das bin ich. Der General hat nicht umsonst fast jeden Tag die ärgsten Wutanfälle bekommen. Meine Kameraden haben mich immer dafür verabscheut, dass ich dem General solch miese Laune machte, wobei er ohnehin schon ein griesgrämiger Kerl war. Das erklärte, warum nie jemand mit mir zusammenarbeiten wollte. Ein Freund von Zoran war ein Feind vom General, so hieß es bei bei den Kumpanen.

Ihre missgünstigen Blicke, während sie schaufelten, entgingen mir nicht. Dabei lag auch eine gewisse Freude in ihnen, weil sie wussten, ab heute würden sie mich nie wieder sehen.
Der Schock saß so tief, dass ich mich nicht zu bewegen wagte. Kein Ton kam aus meinem Mund, der sonst nie stillhielt, wenn er es eigentlich sollte.
Was sollte ich auch sagen? Jeder aus der Truppe dürstete nur danach, mich gehen zu sehen.

Ich wurde rausgeschmissen aus dem Militär. Ich habe Personen sterben lassen, das wog schlimmer. Wäre jemand anderes an meiner Stelle gewesen, hätte er besser gehandelt. Anfangs wollte ich mich noch rechtfertigen aufgrund meiner fehlenden Erfahrung. Rechtfertigen war jedoch das falsche Wort. Wenn ich nämlich so daran zurückdachte, dann stand ich wirklich im Unrecht. Das was ich tat, nannte man Herausreden. Es war besser, die Sicherheit des Volkes denen zu überlassen, die es auch wirklich beschützen konnten.

Kurz gesagt: bis zu dem Punkt war ich also einverstanden. Jedoch wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass ich die Schreiberin ersetzen müsste. Lasst mich zitieren: ,,Als Strafe für deine Fahrlässigkeit im Dienst, als auch für die Respektlosigkeit gegenüber der verstorbenen Schreiberin, wird beschlossen, dass du, Zoran Tenebris, den Platz der Schreiberin einnimmst und damit alle Menschen, die ihr zugewiesen wurden übernehmen musst. Deine Strafe wird erst dann abgesessen sein, wenn alle dir zugewiesenen Menschen verstorben sind."

Der Tag, an dem ich zum ersten Mal meine Magie benutzen würde, brach ab diesem Satz an. Der Tag, an dem ich nicht mehr mein Volk, sondern die Psyche von einer mir unbekannten Spezies beschützte. Oder auch zerstörte, das war mir überlassen. Der Tag, an dem ich einen kleinen Funken Macht erlangte. Etwas, das man mir niemals geben sollte.
Und ratet mal, wie alt der jüngste Mensch auf meiner Liste war. Eine Siebzehnjährige! Wer wusste, wann sie starb? Wie lange lebten Menschen noch gleich? Achtzig Jahre?
Mit etwas Glück erlitt sie einen Autounfall, dann würde sich der Prozess zumindest ein wenig beschleunigen.

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