Von Helden und Verlierern

By traumjaegerin

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In den ranzigen Vierteln von Berlin gehen in Aykans Kellerbude weder die Partys noch der Shishatabak je zu En... More

Vorwort
Z U S A T Z S Z E N E N
Hauptsache reden
Festivalstuff
Von aufgepumpten Gangstern und Anabolika
Saufen mit Jay
Der alltägliche Wahnsinn
Das geplante Ende
Noch ein Ende
Happy Birthday, Jay!
Buon compleanno, Leonardo!
Vincent und Fede
Ich hab Kontakte
Weihnachtswahnsinn
Klassenfahrt
Demo in Berlin I
Demo in Berlin II
Von Fußball und Dickpics
Ballettauftritt
Nachmittage auf dem Güterbahnhof
Festivalstuff die Zweite
Bachelorarbeit und Bazlama
Weihnachten Darian und Sino
Corona-Edition Jay
Irgendwann, in ferner Zukunft
Z E IC H N U N G E N
I
II
S O N S T I G E S
Jays und Fedes Stundenplan
Eine Liebeserklärung

Frohes neues Jahr

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By traumjaegerin

»Ey, Darian«, brüllte ich, doch obwohl sich meine Stimme bereits überschlug, kam ich nicht gegen die laute Punkmusik an. Ich schob mich an ein paar Leuten vorbei, von denen ich ein paar grob zurückschieben musste, weil sie mich nicht bemerkten. Genauso wie Darian, der von meinen Rufen nichts mitbekommen hatte.

Auf der Bühne stand eine Punkband, deren Sänger besoffen über die Bühne stolperte und es gerade zum zweiten Mal während des Konzerts schaffte, über eines der Kabel zu stolpern. Mit einem Rumpeln legte er sich auf die Fresse. Erntete Gelächter, während kurz nur noch die Schlagzeugerin spielte und der Bassist vortrat, um den Sänger wieder aufzurichten.

»Sorry, Leute«, grinste der, als er wieder stand und fuhr sich durch den zerstörten Iro. Er bückte sich nach seiner Bierflasche. »Ich brauch ne Stärkung.«

Ich grinste und schob mich weiter meinem Ziel entgegen. Darian stand gegen die Wand gelehnt da, die über und über mit Tags besudelt war. Eben setzte er seine Kolaflasche an die Lippen, ehe er mich entdeckte. Auf seinem Gesicht tauchte ein Grinsen auf. »Hey«, begrüßte er mich, als er die Flasche abgesetzt hatte und stieß sie gegen das Bier in meiner Hand.

»Hast du Sino gesehen?«, rief ich ihm zu. Jemand stieß gegen mich und kurz geriet ich ins Schwanken, glaubte, gleich den Halt zu verlieren. Fuck. Konnte garantiert nicht am Alkohol liegen.

Dann stand ich auf einmal wieder sicher. Spürte eine Hand an meinem Arm, die ich einen Moment später Darian zuordnete. Ich warf ihm ein dankbares Grinsen zu.

»Absolut keine Ahnung, wo Sino steckt«, antwortete er auf meine Frage. »So wie ich den kenn, weiß er das nicht mal selbst«, lachte er und ich grinste, ehe ich zustimmend nickte.

»Die sind verdammt geil, oder?«, meinte ich dann mit einem Nicken in Richtung der provisorisch aufgebauten Bühne. Davor tobten die meisten in einem wilden Moshpit, immer wieder gingen manche zu Boden. Wir befanden uns in einem winzigen Keller, der nur so vor Menschen überquoll. Ich hatte das Gefühl, heute war hier die Punkszene aus der gesamten Gegend zusammengekommen. Und Darian halt.

»Sie sind hauptsächlich verdammt schlecht«, lachte der gerade.

»Ja, verdammt geil, sag ich ja.« Grinsend nahm ich einen Schluck aus meinem Bier, das sich auch schon wieder dem Ende neigte. Es war ein guter Abend. Ein paar Leute aus meinem Bekanntenkreis waren auf die Idee gekommen, in einem abbruchreifen Haus am Stadtrand zu feiern. Bisher war auch von den Cops weit und breit nichts zu sehen gewesen.

»Ich such mal weiter nach Sino«, erklärte ich und leerte mein Bier in einem Schluck, ehe ich es in der Innentasche meiner Lederjacke verstaute. Wurde Zeit für ein neues.

»Viel Erfolg«, wünschte Darian mir. »Vielleicht ist er längst bei irgendwelchen Menschen in 'ner anderen Stadt gelandet.«

»Dann wär ich echt enttäuscht«, grinste ich. »Weißte, letztes Jahr hat er sogar vercheckt, dass Silvester is'. Wir haben da mit paar Leuten bei mir gechillt und er wollte auch kommen. Is er halt nie.« Ich nahm meinen Tabak raus und begann zu drehen, während ich fortfuhr. »Irgendwann bin ich mit nem Kumpel los, weil wir eh kein Alk mehr hatten, und wir sind dann bei Sino vorbei, der einfach auf der Couch gelegen ist und gelesen hat. Hatte sich wohl auch nicht gewundert, was das Feuerwerk sollte.«

Während meiner Erzählung tauchte ein breites Grinsen auf Darians Lippen auf. »Typisch Sino«, seufzte er mit einem Lachen. »Ich glaub, er ist gar nicht in der Lage sich zu wundern, weil er immer nimmt, was kommt.«

»Du kanns ruhig sagn, wie süß du das findest«, ärgerte ich ihn und zündete meine Zigarette an. Inhalierte tief, während ich meinen Blick auf Darian ruhen ließ. Trotz des schlechten Lichts hier unten konnte ich erkennen, wie er ein wenig um die Wangen herum rot wurde. »Seh ich dir nämlich an.«

Er zuckte mit den Schultern. »Bisschen vielleicht«, lachte er, doch ich wusste ganz genau, dass das mehr als nur ein bisschen war.

Auch ich grinste. »Hau rein«, verabschiedete ich mich und machte mich dann auf den Weg nach oben. Die schmale Treppe hoch. Nach den ersten paar Stufen kam ich nicht weiter, weil Hexe es sich dort breit gemacht hatte. Er beugte sich über ein Mädel, von der ich nur den dunkelgrünen, zerdrückten Iro sehen konnte

»Vögelt woanders, ihr Idioten«, lachte ich und versetzte ihm einen Tritt. »Lass mich mal durch.« Noch ehe ich mein Bein zurückziehen konnte, packte er meinen Springerstiefel und zog ihn zurück. Ich kam ins Taumeln und vergrub meine Finger auf der Suche nach Halt in seiner Jacke, doch da fiel ich schon noch hinten. Riss ihn mit mir.

Ein stechender Schmerz zog sich durch meinen Kopf, als ich auf dem Boden aufprallte. »Fuck«, murmelte ich und strich über meine Haare, während Hexe von mir runterrutschte.

»Gehts?«, fragte er nach und streckte mir die Hand entgegen.

»Schon gut.« Ich tastete nach meiner Kippe, die irgendwo neben mir zu Boden gegangen war. Fühlte Glasscherben, Dreck und klebriges Bier unter meinen Fingern, ehe ich die Zigarette berührte und zwischen meine Lippen führte. Hexe zog mich auf die Beine, dann stieg ich wieder die Treppen nach oben, dieses Mal ohne Zwischenfälle.

Meine Tour führte mich erst in das Erdgeschoss des Hauses, in dem ein bisschen weniger los war. Hier war es ziemlich dunkel. Nur wenig Licht kam zu den Fenstern herein, die mit Brettern verriegelt waren. Kaputte Möbel, Staub und Motten befanden sich hier überall und ich hielt kurz inne, um den Charme des alten Hauses zu genießen. Na ja, und auch um sonst klarzukommen, denn der Schwindel seit meinem Sturz eben hatte noch nicht nachgelassen.

Ich deckte mich mit neuem Bier ein und verstaute auch in meiner Lederjacke ein paar Flaschen. Es dauerte noch eine Weile - ich lief ziellos in dem Gebäude umher und quatschte ein paar Mal mit Menschen, die ich kannte - ehe ich Sino entdeckte. Er saß zusammen mit einem anderen Typen im Garten des Hauses. Beide hatten sich gegen einen alten Baum gelehnt und sahen ziemlich fertig aus.

»Sino«, brüllte ich und kam ihm entgegen. Trank im Laufen einen Schluck Bier aus der Flasche.

»Verpiss dich, scheiß Zecke!«, schrie er zurück. Der Alkohol war deutlich in seiner Stimme anzumerken.

Mit einem Grinsen auf den Lippen ließ ich mich auf seinen Schoß fallen und gab ihm einen Kuss, der herb nach Bier und süßlich nach Wein schmeckte. Das war eigentlich der auffälligste Indikator über Sinos Alkoholpegel - Bier trank er nur, wenn er voll genug war, dass ihn Geschmack nicht mehr kümmerte. »Du Depp, ich hab dich überall gesucht.«

»Was kann ich denn dafür, dass du mich suchst. Selbst schuld«, grinste er und lehnte sich ein wenig zurück.

»Isso.« Ich ließ mich gegen seine Brust sinken.

»Ich hab Menschen kennengelernt«, erzählte Sino und deutete auf den Typen neben sich. Der hatte dunkle Haare, die ziemlich durcheinander waren. Seine Klamotten waren unauffällig, aber abgenutzt und kaputt genug, dass er unter den abgerissenen Leuten hier nicht auffiel. »Das is' Leonardo. Er kommt aus Berlin und ist hierhin getrampt, weil er auf zuhause kein Bock mehr hatte.«

»Ja, cool.« Ich hob meine Hand und winkte ihm. »Ich bin Karola«, stellte ich mich vor.

Leonardo grinste und fuhr sich das Gesicht, in dem ein paar Piercings glänzten. Zwischen seinen Fingern brannte eine Zigarette, um das Handgelenk hatte er ein abgenutztes Bandana gebunden, das unter seinem Pulliärmel hervorguckte. »Ey, freut mich«, sagte er. »Ohne Scheiß, Leute, ich glaub, ich hab noch nie so viel Punks auf einmal gesehen. Verdammte Scheiße, Alter.« Er lachte.

»Ich dachte, in Berlin gibt's voll viele«, meinte Sino, der seine Hand auf meinem Bauch ablegte. Ich beugte mich vor, um seinen Tabak aus dem leicht feuchten Gras zu nehmen und mir eine Zigarette zu drehen.

»Ja, weiß nich. Paar schon. Aber die hängen nich so da rum, wo ich eigentlich bin, okay? In meinem Viertel ... keine Ahnung, da sind eher die Leute, die dich abstechen würden. Die Dealer und so. Aber mein bester Freund is' Punk, ey, den solltet ihr mal kennenlernen«, laberte er drauf los. »Der is'n richtig cooler Typ. Wegen dem kenn ich auch 'n paar Punksongs, die ich feier. Und sonst is' noch'n guter Kumpel von mir Punk. Aber der's nich aus Berlin.«

»Ich kenn auch 'n paar Punks«, grinste Sino mit schleppender Stimme. Okay, er war definitiv ein bisschen fertig mit seinem Leben.

»Ey, Ro, du bis voll schwer«, seufzte Sino.

»Liegt an dem Bier«, grinste ich und gewährte ihm einen Blick in die Innentasche meiner Lederjacke.

»Du bist trotzdem fett«, grinste er.

»Du erst«, grinste ich und piekste ihm in den Bauch. »Nimm mal ab, ey, sonst vögel ich nie wieder mit dir.«

»Wie war das?«, grinste er und deutete auf das Patch auf meiner kurzen Hose, auf dem Riots not Diets stand.

»Äh, hast du dir nur eingebildet.« Schnell deckte ich es mit meiner Hand ab. »Mensch, Sino, nimm endlich mal weniger Drogen. Was soll nur aus dir werden?«

»Nichts, siehst du doch«, grinste er. Er lehnte seinen Kopf gegen den Baumstamm und schloss die Augen, auf seinen Lippen ein zufriedenes Lächeln. »Wo is' eigentlich Darian?«, fragte er ein paar Augenblicke später.

»Der ist noch unten.« Die Musik war selbst hier draußen noch zu hören. »Sino, wir müssen ein Wörtchen miteinander reden.«

»Hm?«

»Dein Freund hat ein scheiß Musikgeschmack.«

»Und du bis so'n scheiß intoleranter Punk, die nur ihre eigene Richtung akzeptieren«, grinste er. Er fuhr mit den Fingern durchs Gras. »Wo is'n mein Tabak jetzt?«

Ich warf ihm den Tabakbeutel zu.

»Jungs, lasst mal auf die Straße runtergehen«, schlug ich wenig später vor, nachdem wir weiter gequatscht hatten. Mittlerweile musste es um Zwölf herum sein, denn über den Klang der Musik hinweg war jetzt auch der von Feuerwerk zu hören. Nicht mehr vereinzelt wie vorhin, sondern ständig. »Da sind keine Bäume im Weg, dann können wir auch das Feuerwerk sehen.« Ich brachte mich auf die Beine und streckte Sino und Leonardo je eine Hand hin, um die beiden auf die Beine zu ziehen.

Gemeinsam machten wir uns auf den Weg nach unten. Sino, der den Kopf in den Nacken gelegt hatte, um besser an den bunten Himmel zu sehen, blieb ein paar Schritte zurück, während ich und Leonardo das Gartentor ansteuerten.

»Ihr seid übrigens alles voll die korrekten Menschen, ey«, grinste Leonardo. »Weißt du, sodass man sich richtig wohl und akzeptiert fühlt ... ihr gebt einem nicht das Gefühl, dass man eigentlich voll scheiße is', ey. Das is schön.« Die letzten Wörter kamen undeutlicher.

Ich warf ihm ein leichtes Grinsen zu. »Bist doch auch gar nicht«, sagte ich, da kam mir schon Zauni entgegen. »Frohes neues Jahr«, grinste sie und musste sich ein wenig strecken, um mir einen Kuss auf die Wange zu drücken.

So schnell wie sie gekommen war, verschwand sie schon wieder um die nächste Ecke, und ich trat gemeinsam mit Leonardo auf die Straße. Dort war ziemlich viel los. Menschen standen beieinander und stießen an, andere zündeten Feuerwerk, das hoch über unseren Köpfen explodierte und sich in den buntesten Farben am dunklen Himmel erstreckte. Kurz dachte ich an Aladin und daran, wie wir immer als Kinder an Silvester herumgezündelt hatten, weil unsere Eltern in jedem Jahr zusammengefeiert hatten. Ich hatte ihm mal eine ziemliche Brandwunde verpasst, weil ich in meiner Unvernunft mit einer dieser brummenden Bienen nach ihm geschmissen hatte. Er hatte noch jahrelang mit seiner Narbe geprahlt und sich die krassesten Geschichten ausgedacht. Für einen Moment zog sich mein Herz schmerzhaft zusammen.

Ich vermisste ihn.

Schnell verdrängte ich den Gedanken wieder und hielt Ausschau nach meinen Freunden. Einige der Leute aus dem Keller waren mittlerweile nach oben gekommen und ich entdeckte Darian bei ihnen, auf den ich zusteuerte, Leonardo folgte mir. Mittlerweile schloss Sino zu uns auf und ich suchte nach seinem Blick, brauchte ihn irgendwie einfach, während die Erinnerung an Aladin sich nicht so leicht verdrängen ließ. Er erwiderte ihn und ich wusste sofort, dass er erkannte, was in mir vorging.

Der einzige, mit dem ich meinen Schmerz teilen konnte, weil er ihn genauso gut kannte.

Wie aus weiter Ferne klang das Feuerwerk zu mir durch, das Stimmengewirr, die vielen Neujahrswünsche. Doch für einen Moment zählte nur, dass Sino hier war. Sino, der ständig so zufrieden wirkte und unter dessen Oberfläche viel mehr brodelte. Der genau wusste, wie er für mich da sein konnte, wenn ich selbst keinen Plan mehr hatte. Der Typ, mit dem Aladin und ich nicht nur Piercings und selbstgestochene Tattoos, sondern auch Drogen entdeckt hatten.

Während wir den Scheiß irgendwie im Griff hatten, hatte Aladin längst den Halt verloren.

Sino griff nach meiner Hand, drückte sie tröstend und löste sie nach einem langen Moment wieder. Dann trat er an Darian heran. »Frohes neues Jahr, der Herr«, grinste Sino, der seinen Kopf ein wenig in den Nacken legte, um zu ihm hochzuschauen.

»Dir auch.« Auch auf Darians Lippen tauchte ein Grinsen hoch, ehe er Sino in eine enge Umarmung zog und damit begann, ihn zu küssen.

Lächelnd wand ich meinen Blick ab und nahm einen Schluck aus meinem Bier. Ich gönnte es den beiden so sehr. Dass sie endlich zusammen waren, hatte genug Dramen gekostet. Davon hatte ich zwar gar nicht so viel mitbekommen, weil Sino seine Probleme immer für sich behielt, alles in sich reinfraß und selbst mir verschwieg, was ihn beschäftigte. Doch mir war auch klar, dass es ihm viel besser ging, seit die beiden in einer Beziehung waren.

»Ich check das nicht«, sagte Leonardo und warf einen Blick von Darian und Sino zu mir. Und wieder zu den beiden.

»Was?«, lachte ich.

»Ich dachte, ey, ihr zwei seid zusammen. Also du und er. Aber Alter, irgendwie nich'. Oder doch? Kein Plan.«

»Nein, danke«, lachte ich und öffnete meine Bauchtasche, um meinen Tabak herauszuholen. Ich begann zu drehen. »Ohne Scheiß, ganz viel Respekt an Darian, dass der's mit Sino aushält, ich könnte das nicht. Wir sind nur Freunde.«

»Beneidenswerter Typ, ey«, sagte Leonardo und kramte mit einer fahrigen Bewegung seine zerdrückte Kippenschachtel aus der Jackentasche. Er brauchte zwei Versuche, bis die Zigarette brannte. »Hat 'ne Beziehung und macht trotzdem mit dir rum. Alter, der sieht gar nich aus wie so'n Aufreißer.«

Für einen Aufreißer hielt Sino definitiv zu wenig von One Night Stands und auch ansonsten gehörte es sicher nicht zu seinen Qualitäten, Leute aufzureißen. Dafür checkte er viel zu spät, dass die sich überhaupt für ihn interessierten. Wie bei Darian.

»Ich finds viel beneidenswerter wie sehr er alles mit Leichtigkeit nimmt«, grinste ich und verschloss meine Kippen mit der Zunge. »Das könnt ich auch gerne.«

»Nee, keine Ahnung, ich versteh Menschen nich', die das Leben erns nehmen«, lachte Leonardo und nahm einen tiefen Zug an seiner Zigarette. Ich hatte viele Freunde, die viel rauchten, aber Leonardo war da echt nochmal ein anderes Level. Zwischen dessen Fingern qualmte fast pausenlos eine Kippe. »Leben voll das komische Ding, das kann man doch gar nich ernst nehmen«, lacht er.

»Ey, ich hab keine Lust mehr auf Bier«, verkündete Sino in diesem Moment, der mit Darian an der Hand an uns herantrat. »Wer kommt mit mir Wein kaufen?«

»Nee, dafür bin ich jetzt echt zu faul«, lachte Leonardo, zwischen dessen Fingern seine Kippe brannte. »Jeglicher unnötiger Sport außer Vögeln sollte vermieden werden. Nur das is wichtig, okay?«

»Und vergiss Moshpits nicht.« Sino grinste und klaute mir meine beinahe abgebrannte Kippe.

»Hey, du Idiot!«, beschwerte ich mich. Wo wir gerade bei Faulheit wären, Zigaretten drehen war ihm wohl auch zu anstrengend.

»Sport ist doch geil«, warf Darian ein, der seine freie Hand in seiner Jackentasche vergrub.

»Ich finds nur gut, dass du so viel Sport machst«, grinste Sino und sah ihm in die Augen.

»Was soll das jetzt heißen?«, grinste Darian, doch Sino zuckte nur frechgrinsend mit den Schultern und küsste ihn dann. Aus dem Augenwinkel entging mir nicht der Blick, den Leonardo den beiden zuwarf. Ein bisschen neidisch, als hätte er das gerade eben auch gerne. Tja, konnte ich verstehen. Die beiden waren ein bisschen zu süß für diese Welt.

»Ey, Sino, los jetzt, du wolltest Wein«, grinste ich schließlich und stieß ihn an. Nahm einen letzten Zug von meiner Kippe und schmiss sie weg.

Wir beide brachen auf und machten uns auf den Weg zu dem nächsten Kiosk, an dem Sino sich mit einem weiteren Tetrapak Wein eindeckte und sich ein paar Sprüche meinerseits anhörte. Einfach, weil das die einzige Tradition war, die wir hatten und es ziemlich viel Spaß machte, sich über seine Dekadenz lustig zu machen. Dabei war der Wein wahrscheinlich sogar billiger als Bier. Naja, was soll's.

Schließlich kamen wir zurück zu dem abbruchreifen Haus, in dem die Party immer noch in vollem Gange war. Die übrigen Menschen, die vorhin noch auf der Straße gestanden waren und Feuerwerk gezündet hatten, waren wieder im Inneren der Häuser verschwunden.

Darian und Leonardo saßen auf den Stufen, die zu der heruntergekommenen Veranda führten. Während Leonardo eine Zigarette rauchte und mit raumgreifenden Bewegungen etwas erzählte, saß Darian schweigend daneben und sah ziemlich skeptisch aus.

»Was geht?«, grinste Sino, der auf dem Weg schon ein paar Schlucke des Weins getrunken hatte und dessen Gang ein Abenteuer für sich war. Gut, sah bei mir wahrscheinlich auch nicht besser aus.

Leonardo grinste breit, als er Sino entdeckte. »Ich hab dich schon vermisst, Alter«, lachte er.

Mit einem zufriedenen Ausdruck in den Augen lächelte Sino.

»Ich will nochmal zur Musik, wer kommt mit?«

»Ja, voll Bock drauf, ey. Sonst kann ich mir keine Livemusik leisten«, lachte Leonardo und brachte sich auf die Beine. Er schwankte ein paar Schritte hin und her. »Sons komm ich ja nich mal in irgend'n kack Club, außer ins Xenon.«

»Du auch?« Sino sah Darian an, doch der schüttelte den Kopf.

»Lass mal, ich war die ganze Zeit drinnen. Tut gerade gut.«

»Bis später«, grinste Sino. Er griff nach Darians Hand und beugte sich vor, um ihm einen sanften Kuss auf den Handrücken zu geben. Auch ich lehnte ab, dann gingen die beiden ins Innere das Hauses. Ich blieb bei Darian, weil ich ihn nicht so allein draußen sitzen lassen wollte.

Das war einer der Gründe, warum ich es schwer gefunden hätte, mit Sino zusammen zu sein. Von meinem Freund würde ich mir schon ein bisschen mehr Aufmerksamkeit wünschen, anstatt dass er bei allen anderen Leuten rumrannte. »Willst du allein sein?«, fragte ich Darian, der die Kapuze über seinen Kopf gezogen hatte.

Er schüttelte den Kopf, über sein Gesicht huschte ein Lächeln. »Nee, kannst gerne bleiben.«

»Sehr gut«, grinste ich und ließ mich neben ihm auf dem Boden nieder. Auch wenn ich mich am Anfang mit seiner irgendwie abweisenden Art schwergetan hatte, mochte ich ihn mittlerweile ziemlich. Mein Bier stellte ich zwischen meinen und seinen Beinen ab, dann nahm ich meinen Tabak raus und begann zu drehen. »Alles gut bei dir eigentlich?« Ich warf Darian einen Blick zu.

»Ja. Aber keine Ahnung, das war richtig weird gerade«, lachte er.

»Ja, so hat das auch gewirkt, als wir zurückgekommen sind. Du ein bisschen so, als würdest du Leonardo gleich den Hals umdrehen.« Ich grinste.

»So schlimm jetzt auch nicht.« Darian grinste ein wenig und trank einen Schluck aus seiner Kola. »Aber kennst du das, wenn du Leuten deutlich signalisierst, dass du keinen Bock hast und es einfach nicht durchdringt?«

»Du wirkst aber immer so genervt von der ganzen Menschheit«, lachte ich. »Ich weiß noch, ich war voll überrascht, weil ich nicht damit gerechnet hab, dass man sich so vernünftig mit dir unterhalten kann.«

Darian lachte. Er ließ seinen Blick zu dem Haus gleiten und über die Straße. »Also ich will jetzt nicht fies klingen oder so, aber holy fuck, wo hat Sino den Typen bitte ausgegraben? Der ist ja mal echt anstrengend. Er hat mir gerade seine gefühlt komplette Lebensgeschichte erzählt, als ihr weg wart«, sagte er mit einem Seufzen.

»Du verbringst zu wenig Zeit unter Menschen, die viele Drogen nehmen«, grinste ich. »Dann würde dich das nicht mehr schocken.«

Darian hob die Augenbrauen. »Hast du vergessen, dass ich mit Sino zusammen bin?«, lachte er.

»So schlimm ist der doch gar nicht«, lachte ich.

»Alter, Sino ist ständig besoffen«, seufzte Darian.

»Und du bist es nie, also ergänzt ihr euch doch gut.« Lachend trank ich aus meinem Bier.

Auch Darian grinste ein wenig. »Weißt du«, meint er dann. »Ich check Menschen nicht, die immer jedem beweisen müssen, wie krass sie sind. Er hat gerade so viel Energie reingelegt, mich davon zu überzeugen, was er alles für abgefahrene Dinge gemacht hat. Hat sich voll darum bemüht, dass ich ihn mag. Darum tat er mir auch irgendwie leid und ich bin geblieben. Aber na ja, auf so Angebereien komme ich halt echt nicht klar.«

»Das sind meistens die Menschen, denen am wenigsten zugehört wird. Weißt du, so richtig. Dass wirklich wer da ist, dem wichtig ist, was sie sagen«, überlegte ich.





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Für diejenigen, die nur "Lass uns Helden sein" und "Die Verlierer" gelesen haben und daher bis auf Leonardo niemanden kennen: Das sind alles Charaktere aus meinem Roman "Kein Vaterland", den hier ebenfalls hier auf Wattpad findet.

Falls euch die Geschichte von Darian, Sino und Karola interessiert, würde ich mich sehr freuen, wenn ihr mal vorbei guckt.

Die Szene habe ich für eine Aktion geschrieben, die  @Zhiveya auf Instagram gestartet hat. Sie ist nicht nur eine tolle Autorin, sondern auch eine talentierte Lektorin. Bei der Aktion geht es darum, dass ihr ihr eure Silvester-Szenen schicken könnt und sie euch dazu Feedback gibt. Find ich echt cool, mal die Meinung einer Lektorin zu bekommen. Schaut doch gerne mal bei ihr auf Instagram vorbei (lektorarchia heißt sie dort)

Schönen Abend noch!

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